Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 1995 aufgehoben, soweit es die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit betrifft.
Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Der 1938 geborene Kläger, der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt, begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Er hat keine Berufsausbildung durchlaufen. In Deutschland war er mit Unterbrechungen von 1969 bis 1990 bei einem Stukkateurbetrieb im Gerüstbau versicherungspflichtig beschäftigt. Im Mai 1991 beantragte der Kläger Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil weder BU noch EU vorliege (Bescheid vom 19. September 1991).
Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16. März 1992, Urteil des Sozialgerichts Reutlingen ≪SG≫ vom 26. Mai 1993, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ≪LSG≫ vom 27. Januar 1995). Die Entscheidung des LSG ist im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Der Kläger sei nicht berufs- und damit auch nicht erwerbsunfähig. Nach seinem bisherigen beruflichen Werdegang sei er der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen, da er keine Berufsausbildung habe und seit Jahren und zuletzt als Arbeiter im Gerüstbau eine Tätigkeit verrichtet habe, für die eine Einarbeitung genügt habe und bei der er nach dem einschlägigen Tarifvertrag für das Baugewerbe als Baufachwerker, einer Lohngruppe für ungelernte Arbeiter, entlohnt worden sei. Somit sei er auf alle Tätigkeiten des Arbeitsmarktes verweisbar. Es sei daher nicht erheblich, daß der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Gerüstbau arbeiten könne. Andere Erwerbstätigkeiten könne er jedenfalls dann ausüben, wenn sie körperlich leicht seien, keine ausschließlich einseitige Körperhaltung, keine längeren oder häufigeren Zwangshaltungen, wie zB häufiges Bücken, und keine Überkopfarbeit erforderten. Mit diesen Feststellungen folge der Senat den insoweit übereinstimmenden Gutachten, wonach sogar Tätigkeiten sowohl im Gehen als auch im Stehen oder Sitzen möglich seien. Überkopfarbeit, die von den medizinischen Sachverständigen allerdings nicht ausdrücklich genannt werde, sei möglicherweise von der Beschränkung auf leichte Arbeit nicht erfaßt und sollte wegen der Schulterbeschwerden gemieden werden. Diese Leistungseinschränkungen seien wegen der im Vordergrund stehenden Beschwerden des Skelettsystems gerechtfertigt, eine schwerwiegende Funktionseinschränkung finde sich jedoch nicht. Gesundheitsstörungen auf anderen medizinischen Fachgebieten begründeten kein geringeres Leistungsvermögen.
Bei Versicherten, die – wie der Kläger – noch vollschichtig arbeiten könnten, sei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich von einem offenen Arbeitsmarkt auszugehen; um EU oder BU zu verneinen, brauche weder eine konkrete Tätigkeit benannt zu werden noch sei die Frage zu prüfen, ob es genügend entsprechende Arbeitsplätze gebe. Das BSG habe eine Benennungspflicht bisher auch in Fällen verneint, in denen die qualitativen Einschränkungen eher weitergehend gewesen seien als im vorliegenden Fall.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das BSG gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Ausgangspunkt für die Prüfung des Vorliegens von BU stets der „bisherige Beruf” des Versicherten und für die Einordnung dieses Berufs in das Mehrstufenschema allein der aus verschiedenen Faktoren – insbesondere der tarifvertraglichen Einstufung – zu ermittelnde Wert der verrichteten Arbeit für den Betrieb ausschlaggebend sei. Das LSG habe insoweit seiner Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) nicht genügt, indem es sich ausschließlich auf die vorliegende Arbeitgeberauskunft berufen und die ausgeübte Tätigkeit nicht eigenständig dem Tarifvertrag zugeordnet habe. Die Angaben des Arbeitgebers seien jedoch widersprüchlich. Dort werde nämlich ausgeführt, daß der Kläger in der Lohngruppe IV als Baufachwerker eingestuft gewesen sei; dem widerspreche jedoch die mit dem einschlägigen Tarifvertrag nicht übereinstimmende Angabe, in dieser Lohngruppe seien Arbeitnehmer eingruppiert, die mindestens 18 Jahre alt und 12 Monate als Bauwerker tätig gewesen seien. Daraus sei ersichtlich, daß das LSG keine eigene Sachaufklärung betrieben habe, sondern von der Maßgeblichkeit der Einstufung der beruflichen Tätigkeit durch den Arbeitgeber ausgegangen sei. Hätte es in Übereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG die Wertigkeit der zuletzt ausgeübten Tätigkeit eigenständig geprüft, so hätte es festgestellt, daß nach dem Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe in der Lohngruppe IV generell Arbeitnehmer eingruppiert seien, die ihre Berufsausbildung in der Form der Stufenausbildung mit der obersten Stufe abgeschlossen hätten. Darüber hinaus habe das LSG nicht geprüft, ob der Arbeitgeber tatsächlich den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe oder aber den für ihn möglicherweise einschlägigen Rahmentarifvertrag für das Gerüstbaugewerbe habe ansprechen wollen. Nach letzterem Tarifvertrag, der auch für selbständige Betriebe bzw Betriebsteile des Bauhauptgewerbes gelte, wäre er mit Lohngruppe IV in die Ecklohngruppe – die Eingangslohngruppe für Facharbeiter – eingruppiert gewesen und damit als Facharbeiter „Gerüstbau-Monteur”) anzusehen. Auch bei Zugrundelegung des Bundesrahmentarifvertrages für das Bauhauptgewerbe könne er nicht als ungelernter Arbeiter betrachtet werden, sondern nach der vom Arbeitgeber mitgeteilten Lohngruppe IV „gehobener Baufacharbeiter”) mindestens als Angelernter des oberen Bereiches. Jedenfalls wäre ihm – unabhängig davon, welcher Tarifvertrag heranzuziehen sei – eine konkrete Verweisungstätigkeit zu bezeichnen gewesen, was nicht geschehen sei.
Auch wenn der erkennende Senat davon ausgehe, das LSG habe ihn zu Recht der Gruppe der Ungelernten zugeordnet, müsse ihm gleichwohl im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des erkennenden Senats vom 23. November 1994 – 13 RJ 19/93 ua – eine konkrete Verweisungstätigkeit bezeichnet werden. Er gehöre dem von diesen Beschlüssen betroffenen Versichertenkreis an, da er nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen nur noch leichte Tätigkeiten mit zusätzlichen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 27. Januar 1995 und des SG Stuttgart vom 26. Mai 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1991 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die Auskunft des Arbeitgebers hinsichtlich der tariflichen Einstufung, auf die das LSG sein Urteil stütze, sei wohl infolge eines Versehens unrichtig. Aus dem einschlägigen Tarifvertrag ergebe sich nämlich, daß Baufachwerker in die Lohngruppe VI – und nicht wie angegeben die Lohngruppe IV – eingestuft würden. Die Ausführungen des Arbeitgebers bezüglich der von dem Kläger ausgeübten Tätigkeiten entsprächen also der Lohngruppe VI und nicht der Lohngruppe IV. Im übrigen sei der Kläger nach der Arbeitgeberauskunft als Bauhilfsarbeiter, also nicht als Facharbeiter tätig gewesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig. Hinsichtlich der mit dem Hauptantrag begehrten Gewährung von EU-Rente ist sie jedoch unbegründet. Soweit es die mit dem Hilfsantrag begehrte Gewährung von BU-Rente betrifft, ist die Revision iS der Zurückverweisung der Sache begründet; es sind noch Tatsachenfeststellungen zur Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers und ggf einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erforderlich.
Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU oder EU richtet sich noch nach §§ 1246, 1247 RVO, denn der Rentenantrag ist bereits im Mai 1991 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Rente wegen EU, welche der Kläger in erster Linie begehrt, erhält gemäß § 1247 Abs 1 RVO der Versicherte, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. EU liegt vor, wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO).
Dabei ist der Kläger ohne subjektive Zumutbarkeitsbeschränkung (iS eines Berufsschutzes) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Er kann auch mit seinen qualitativen Leistungseinschränkungen – gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt – noch in erforderlichem Umfang erwerbstätig sein (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8).
Nach der vom Großen Senat (GS) des BSG (vgl den Beschluß vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 10 ff mwN) bestätigten ständigen Rechtsprechung des BSG ist einem Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht mehr verrichten kann, bei Verweisung auf das übrige Arbeitsfeld grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die er noch auszuüben vermag. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen nicht erforderlich, wenn der Versicherte – wie der Kläger – zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn bei dem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. In diesem Falle kann nämlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Es kommen vielmehr ernste Zweifel daran auf, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist.
Im Hinblick darauf, daß der GS die vom erkennenden Senat angestrebte Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten für erheblich leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsetzbare Versicherte (vgl die Vorlagebeschlüsse vom 24. November 1994 – 13 RJ 19/93 – ua) auch mit Rücksicht auf zwischenzeitliche gesetzgeberische Maßnahmen (vgl §§ 43, 44 SGB VI in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) abgelehnt hat, kommt den Merkmalen „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” eine besondere Bedeutung zu.
Der dargestellten Systematik entsprechend liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nur dann vor, wenn die Fähigkeit des Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist. Dazu hat nach Auffassung des erkennenden Senats der GS in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 (GS 1 bis 4/95) hinreichend deutlich gemacht, daß die Frage, ob im konkreten Fall eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung anzunehmen ist, nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitswelt, insbesondere auch der dort an Arbeitnehmer gestellten Anforderungen, zutreffend beantwortet werden kann (vgl bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81).
Unter dem Begriff „schwere spezifische Leistungsbehinderung” werden vom BSG diejenigen Fälle erfaßt, wo bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hingegen trägt das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” dem Umstand Rechnung, daß auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Jede qualitative Leistungseinschränkung, zB der Ausschluß von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, versperrt dem Versicherten eine bestimmte Gruppe von Arbeitsplätzen, dh alle Tätigkeiten, bei denen – und sei es auch nur gelegentlich – die nicht mehr mögliche Leistungserbringung gefordert wird. Jede weitere Leistungseinschränkung schließt ihrerseits einen anderen Bereich des Arbeitsmarktes aus, wobei sich diese Bereiche überschneiden, aber auch zu einer größeren Einengung des Arbeitsmarktes addieren können. Mit jeder zusätzlichen Einengung steigt die Unsicherheit, ob in dem verbliebenen Feld noch ohne weiteres Beschäftigungsmöglichkeiten unterstellt werden können. In diesem Sinne kann letztlich auch eine größere Summierung „gewöhnlicher” Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen.
„Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung nur schwer zugänglich sind. Denn zum einen sind die verschiedenen Leistungsanforderungen der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Arbeitsplätze kaum überschaubar und zudem ständigen Veränderungen unterworfen. Zum anderen können sich qualitative Leistungseinschränkungen je nach ihrer bei einem Versicherten vorliegenden Anzahl, Art und Schwere ganz unterschiedlich auf deren betriebliche Einsetzbarkeit auswirken. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff „leichte Arbeiten”, auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit der Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten. Nur so erscheint eine „vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe” gewährleistet, wie sie der GS in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 (vgl zB GS 2/95 Umdr S 19) vorausgesetzt hat.
Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Die vom BSG jeweils vorgenommenen Beurteilungen mögen zwar – auch wenn sie weder näher begründet noch berufskundlich oder arbeitswissenschaftlich belegt worden sind – im allgemeinen nachvollziehbar sein, ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen; allenfalls können sie – soweit sie auf aktuellen Erkenntnissen zu den Verhältnissen der Arbeitswelt beruhen – Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen liefern.
Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden. Auch der Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, um so eingehender und konkreter muß das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen.
Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des (noch) unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muß aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben. Zwar wird der Richter in vielen Fällen anhand allgemeinkundiger Tatsachen, seiner Berufserfahrung oder durch Beiziehung von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren über eine Beurteilungsgrundlage verfügen, die eine Beweisaufnahme im Einzelfall erübrigt. Wegen der großen Beurteilungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten ist dann regelmäßig eine eingehende Erörterung der Einschätzungen mit den Beteiligten erforderlich. Dort, wo dies nicht ausreicht – was vor allem in Grenzfällen so sein wird –, ist jedoch eine Beweisaufnahme erforderlich, zB durch Anhörung eines Sachverständigen der Arbeitsverwaltung, um aufzuklären, ob noch ein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt oder, falls dies nicht der Fall ist, eine geeignete Tätigkeit konkret benannt werden kann.
Nach diesen Grundsätzen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen im vorliegenden Fall aus, um eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit im Rahmen der Prüfung des Anspruchs auf EU-Rente verneinen zu können. Das LSG hat zur körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers von diesem (und der Beklagten) ungerügt und daher für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, er könne noch vollschichtig Arbeiten verrichten, die körperlich leicht seien und keine ausschließlich einseitige Körperhaltung, keine längeren oder häufigeren Zwangshaltungen, wie zB häufiges Bücken, sowie keine Überkopfarbeit erforderten.
Diese qualitativen Leistungseinschränkungen gebieten ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besonders eingehende Begründung zur Verneinung einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung. Sie erscheinen nämlich nicht als geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Der Ausschluß von Arbeiten mit ausschließlich einseitiger Körperhaltung, mit längeren oder häufigeren Zwangshaltungen, wie zB häufigem Bücken, und Überkopfarbeit geht nicht über das hinaus, was bereits von dem Begriff „leichte Tätigkeiten” mitumfaßt ist (vgl etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr 117 und SozR 3-2200 § 1247 Nr 10).
Dementsprechend muß davon ausgegangen werden, daß dem Kläger noch hinreichende Betätigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offenstehen. Anhaltspunkte dafür, daß hier eine der vom BSG entwickelten Fallgruppen zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139; zuletzt auch Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 ≪GS 1 bis 4/95≫) vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Da dem Kläger mithin kein Anspruch auf EU-Rente zusteht, war seine Revision insoweit zurückzuweisen.
Ob der Kläger Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Gewährung von BU-Rente hat, ist aufgrund der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend zu beurteilen.
Nach § 1246 Abs 1 RVO erhält Rente wegen BU der Versicherte, der berufsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeführt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). Denn ein Versicherungsfall ist nicht eingetreten, solange der Versicherte seinen bisherigen Beruf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126). In der Regel ergibt sich der bisherige Beruf eines Versicherten aus dessen letzter versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden, zugleich aber die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Wenn gesundheitliche Gründe für die Aufgabe einer früheren Tätigkeit verantwortlich waren, bleibt der Berufsschutz ohne weiteres erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO).
Nach diesen Grundsätzen hat das LSG offenbar als bisherigen Beruf des Klägers den eines „Arbeiters im Gerüstbau” angenommen und ist davon ausgegangen, daß er diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Damit ist der Kläger jedoch noch nicht berufsunfähig. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn es keine andere berufliche (Verweisungs-) Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes; insoweit besteht eine Wechselwirkung (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 2). Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 27, 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 5).
Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um den bisherigen Beruf des Klägers nach diesen Kriterien hinreichend sicher bewerten zu können. Es fehlen zunächst Feststellungen darüber, was die nur unscharf als „Arbeiter im Gerüstbau” bezeichnete Tätigkeit zum Inhalt hatte. Nach der Auskunft des Arbeitgebers, auf die sich das LSG bezieht, stellte diese Tätigkeit „gewisse körperliche Anforderungen” und erforderte außer einer Einarbeitungszeit von 6 bis 8 Monaten keine Qualifikation. Daraus ist über die Art der Tätigkeit nichts zu entnehmen. Das LSG hat allerdings daraus und aus der Einstufung in eine „Lohngruppe für ungelernte Arbeiter” nach dem „einschlägigen Tarifvertrag für das Baugewerbe” geschlossen, der Kläger sei der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Das Fehlen einer Berufsausbildung macht den Kläger nicht zu einem ungelernten Arbeiter iS des Mehrstufenschemas. Auch der Umstand, daß eine Einarbeitungszeit von 6 bis 8 Monaten zur Ausübung der Tätigkeit genügte, läßt diese nicht als eine ungelernte erscheinen und reicht auch sonst für eine verläßliche Zuordnung nicht aus. Zum einen führt die Notwendigkeit einer Einarbeitung von 3 Monaten bis zu einem Jahr – für sich betrachtet – nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht zur Qualifizierung einer Tätigkeit als ungelernt, sondern zur Einordnung in den unteren Bereich der Gruppe der angelernten Arbeiter (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45 mwN). Zum anderen bleiben bei einer solchen Wertung wichtige Faktoren unberücksichtigt, die das Gesamtbild eines Berufes prägen.
Insbesondere hat das LSG keine verwertbaren Feststellungen zur tarifvertraglichen Einstufung der letzten Tätigkeit des Klägers getroffen (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14). Damit fehlt ein wichtiges Bewertungskriterium. Soweit die Tarifvertragsparteien nämlich eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht. Die Tarifpartner als die unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligten nehmen nämlich relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas und der Qualität des Berufs in Bezug auf die nach § 1246 Abs 2 RVO erheblichen Merkmale entspricht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164; SozR 3-2200 § 1246 Nrn 32, 37). Maßgeblich ist die Fassung des fachlich und räumlich einschlägigen Tarifvertrages, die zum Zeitpunkt der Beendigung der betreffenden versicherungspflichtigen Beschäftigung galt; nur diese kann den Wert widerspiegeln, den die zuletzt tatsächlich verrichtete Arbeit für den Betrieb hatte (vgl Senatsurteil vom 27. Februar 1997 – 13 RJ 5/96 – mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
In dem Berufungsurteil wird zwar ausgeführt, der Kläger sei nach dem „einschlägigen Tarifvertrag für das Baugewerbe” als Baufachwerker eingestuft gewesen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, von welchem konkreten Tarifvertrag in welcher Fassung das LSG ausgegangen ist. Die Bezeichnung als „einschlägig” ist lediglich das Ergebnis einer Würdigung von Tatsachen, die nicht genannt werden und daher nicht festgestellt sind. Auch die Arbeitgeberauskunft, auf die sich das LSG im Tatbestand des angefochtenen Urteils bezieht, enthält insoweit keinerlei verwertbare Angaben. Sollte der einheitliche Bundesrahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer in der deutschen Bauwirtschaft in seiner zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis als Gerüstbauarbeiter im Jahre 1990 geltenden Fassung bzw ein darauf Bezug nehmender Bezirkstarifvertrag gemeint sein, so wäre die Auskunft des Arbeitgebers ersichtlich unzutreffend, denn dort sind in der Tarifgruppe IV nicht – wie der Arbeitgeber und ihm folgend das LSG annehmen – „Arbeitnehmer, die mindestens 18 Jahre alt sind und 12 Monate als Bauwerker tätig waren”, sondern unter der Sammelbezeichnung „Gehobene Baufacharbeiter” ua Arbeitnehmer aufgeführt, welche die erste Stufe der Vollausbildung, die nach 24 Monaten erreicht wird, abgeschlossen haben und danach 2 Jahre als Baufacharbeiter tätig gewesen sind (Gruppe IV 3). Die Gruppe IV wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung zwar noch nicht als echte Facharbeitergruppe, aber doch als Gruppe von Angelernten des oberen Bereichs angesehen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 140 mwN; zuletzt Senatsurteil vom 19. Juni 1997 – 13 RJ 101/96 –, Umdr S 7). Als einem solchen Angelernten müßte dem Kläger eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden, die sich zumindest innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters durch besondere Qualitätsmerkmale auszeichnet (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).
Da weder der maßgebliche Tarifvertrag noch die Art der Tätigkeit des Klägers festgestellt sind, müssen diese Tatsachen noch ermittelt werden. Sollte sich dabei ergeben, daß – was der Kläger für möglich hält – nicht der Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe in seiner zum Ausscheiden des Klägers gültigen Fassung, sondern der Bundeslohntarifvertrag für das Gerüstbaugewerbe einschlägig war, so wäre zu beachten, daß die Ausgestaltung einer Tarifgruppe als „Ecklohngruppe” entgegen der vom Kläger hier vorgetragenen Ansicht über die Wertigkeit der darin aufgeführten Tätigkeiten nichts besagt und daß aus diesem Tarifvertrag, der keine Gruppe mit anerkannten Facharbeiterberufen enthält, kein Berufsschutz als Facharbeiter (wohl aber als Angelernter des oberen Bereichs) abgeleitet werden kann (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 37).
Die Sache war daher, soweit sie den Anspruch des Klägers auf BU-Rente betrifft, zur Durchführung der noch erforderlichen Ermittlungen, an welcher der erkennende Senat als Revisionsgericht aus Rechtsgründen gehindert ist (vgl § 163 SGG), an das LSG zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen