Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. März 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die 1940 geborene Klägerin begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Sie hat keinen Beruf erlernt. Während ihres Arbeitslebens war sie als Maschinenarbeiterin und zuletzt (seit 1966) bei der Deutschen Bundespost als Eisenbahnwaggonreinigerin versicherungspflichtig beschäftigt.
Im Juni 1992 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten könne und daher weder BU noch EU vorliege (Bescheid vom 21. August 1992). Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 20. April 1993 zurückgewiesen. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Klage der Klägerin abgewiesen (Urteil vom 6. April 1995). Es hat zur Begründung ausgeführt: Mit ihrem Berufsbild könne die Klägerin auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, die von ihr nach ihrem Gesundheitszustand und ihren beruflichen Fähigkeiten noch verrichtet werden könnten. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen sei das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin noch in der Lage sei, eine leichte vollschichtige Tätigkeit zu verrichten, und sie damit weder berufs- noch erwerbsunfähig sei. Weder von orthopädischer noch von nervenärztlicher Seite her bestünden derart schwerwiegende Erkrankungen, daß eine solche Tätigkeit unmöglich wäre. Wegen ihres extrem hohen Blutdrucks möge die Klägerin zwar zu gewissen Zeiten arbeitsunfähig gewesen sein, jedoch habe es sich jeweils nur um vorübergehende Zustände gehandelt, so daß die Gewährung einer Versichertenrente nicht gerechtfertigt sei.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 19. März 1996 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Die Berufung sei aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils unbegründet. Die Klägerin sei ab Antragstellung nicht mindestens berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig. Damit habe sie keinen Anspruch auf das sogenannte vorstationäre Übergangsgeld nach § 25 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) und nach Abschluß der gewährten Rehabilitationsmaßnahme auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI. Der Senat gehe dabei von dem vom SG festgestellten und von der Berufung auch nicht angegriffenen Leistungsvermögen auf der Grundlage der im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Sachverständigengutachten und der im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten in vollem Umfang aus. Nach der hieraus gewonnenen Überzeugung des Senats könne die Klägerin – von vorübergehenden und damit die Gewährung der beantragten Versichertenrenten nicht rechtfertigenden Arbeitsunfähigkeitszeiten abgesehen – vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Qualitativ sei ihr Leistungsvermögen insoweit eingeschränkt, als sie nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne Zeitdruck, häufiges Bücken und ohne Schichtarbeit verrichten könne und nicht auf Leitern oder Gerüsten arbeiten dürfe. Zudem sei eine besondere geistige Beanspruchung und erhöhte Verantwortung nicht zu erwarten. Das SG habe zutreffend und umfassend begründet, daß bei diesem Leistungsvermögen nicht mindestens BU gegeben sei; insoweit beziehe sich der Senat vollinhaltlich auf dessen Entscheidungsgründe und sehe insoweit von einer weiteren Darstellung ab (§ 153 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Ergänzend sei auszuführen, daß das SG zu Recht von einem offenen Arbeitsmarkt für die breit verweisbare Klägerin ausgegangen sei. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe es entgegen ihrer Auffassung nicht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen oder eine schwere Leistungsbehinderung vorläge; nur eine solche zwinge zur konkreten Benennung. Solche Einschränkungen könnten nach der Rechtsprechung des BSG beispielsweise im Falle der Einarmigkeit angenommen werden; andererseits bedürfe es der konkreten Benennung nicht bereits dann, wenn ein Versicherter noch leichte Arbeiten ohne überwiegendes Stehen, ständiges Sitzen, ohne Einwirkung von Nässe und Kälte, ohne häufiges Bücken, die Notwendigkeit einer besonderen Fingerfertigkeit und ohne Unfallgefahren verrichten könne oder wenn eine Einsatzmöglichkeit im Akkord- und Schichtdienst sowie an laufenden Maschinen nicht bestehe oder keine besonderen Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen gestellt werden dürften, desgleichen nicht, wenn der Versicherte nur noch leichte Arbeiten fast ausschließlich im Sitzen, in trockenen und zugfreien Räumen verrichten könne und Arbeiten in Kopfhöhe und darüber sowie Akkord- und Schichtarbeit ausgeschlossen seien. Das Maß der qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin sei nicht ausgeprägter als in diesen vom BSG entschiedenen Fällen. Auch der Umstand, daß es sich bei der Klägerin um eine lebensältere und bereits längere Zeit arbeitslose Versicherte handele, die nur noch auf leichten Arbeitsplätzen mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen einsetzbar sei, ändere hieran nichts (Hinweis auf BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 41).
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor: Dem LSG könne nicht gefolgt werden, soweit es das Vorliegen vielfältiger und/oder erheblicher Einschränkungen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei ihr verneine. Da sich das Berufungsgericht den Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil zu ihrem Leistungsvermögen auf der Grundlage der vom SG erhobenen Sachverständigengutachten und der im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten in vollem Umfang angeschlossen habe, gelte dies auch für die von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen, daß sie nur Tätigkeiten ohne Wechsel- und Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeit (Dr. L.), ohne Überkopfarbeiten und ohne längere Anmarschwege (Dr. G.), nur leichte untergeordnete körperliche Hilfsarbeiten ohne größere Anforderungen, Verantwortung und geistiges Leistungsvermögen (Dr. B.), ohne Zeitdruck, ohne häufiges Bücken, ohne Schichtarbeit und ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten (Dr. W.) verrichten könne.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine konkrete Benennung jedenfalls dann nicht entbehrlich, wenn – wie bei ihr – besondere Umstände vorlägen, welche die Verrichtung von Tätigkeiten zusätzlich erschwerten. Auch in ihrem Falle sei es nicht evident, daß es für sie noch geeignete Tätigkeiten gebe. Sie sei nicht nur im Hinblick auf die Schwere der Arbeit behindert, sondern müsse auch noch auf die Arbeitsumgebung Rücksicht nehmen. Hindernisse für eine Umstellung auf eine fabrikmäßig organisierte Arbeit seien auch die Gewöhnung an verhältnismäßig grobe und undifferenzierte Arbeiten und ihr Alter. Das LSG müsse daher konkret feststellen, welche Tätigkeiten sie noch verrichten könne.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. März 1996, das Urteil des SG Stuttgart vom 6. April 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juli 1992 bis 2. August 1994 Übergangsgeld und ab 1. September 1994 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin rüge letztlich die Tatsachenfeststellungen des LSG, die jedoch der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen seien. Die pauschale Behauptung, der Klägerin fehle es – bedingt durch die zuletzt ausgeübten groben Tätigkeiten und ihr Alter – an der Umstellungsfähigkeit für andere Tätigkeiten, vermöge nicht darzutun, daß es das LSG unterlassen habe, in dieser Hinsicht Feststellungen zu treffen; ein entsprechender Beweisantrag sei nicht gestellt worden.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die Klägerin erwerbs- oder berufsunfähig ist.
Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen EU oder BU richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI, denn ihr im Juni 1992 gestellter Rentenantrag bezieht sich ausschließlich auf Leistungen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1991 (vgl § 300 Abs 1, 2 SGB VI).
Die Klägerin begehrt in erster Linie Rente wegen EU. Nach § 44 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf diese Leistung, wenn sie erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Erwerbsunfähig sind gemäß § 44 Abs 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Dabei ist die Klägerin zwar ohne subjektive Zumutbarkeitsbeschränkung (iS eines Berufsschutzes) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Ob sie jedoch mit ihren qualitativen Leistungseinschränkungen – gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt – noch in erforderlichem Umfang erwerbstätig sein kann (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8), vermag der erkennende Senat auf der Grundlage dieser berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht zu beurteilen.
Nach der vom Großen Senat (GS) des BSG (vgl den Beschluß vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 10 ff mwN) bestätigten ständigen Rechtsprechung des BSG ist einer Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen ihre bisherige Erwerbstätigkeit nicht mehr verrichten kann, bei Verweisung auf das übrige Arbeitsfeld grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die sie noch auszuüben vermag. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen nicht erforderlich, wenn die Versicherte – wie die Klägerin – zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn bei der Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. In diesem Falle kann nämlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Es kommen vielmehr ernste Zweifel daran auf, ob die Versicherte mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist.
Im Hinblick darauf, daß der GS die vom erkennenden Senat angestrebte Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten für erheblich leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsetzbare Versicherte (vgl die Vorlagebeschlüsse vom 24. November 1994 – 13 RJ 19/93 – ua) auch mit Rücksicht auf zwischenzeitliche gesetzgeberische Maßnahmen (vgl §§ 43, 44 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) abgelehnt hat, kommt den Merkmalen „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” eine besondere Bedeutung zu.
Der dargestellten Systematik entsprechend liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nur dann vor, wenn die Fähigkeit der Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist. Dazu hat nach Auffassung des erkennenden Senats der GS in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 hinreichend deutlich gemacht, daß die Frage, ob im konkreten Fall eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung anzunehmen ist, nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitswelt, insbesondere auch der dort an Arbeitnehmer gestellten Anforderungen, zutreffend beantwortet werden kann (vgl bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81).
Unter dem Begriff „schwere spezifische Leistungsbehinderung” werden vom BSG diejenigen Fälle erfaßt, wo bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hingegen trägt das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” dem Umstand Rechnung, daß auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Jede qualitative Leistungseinschränkung, zB der Ausschluß von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, versperrt der Versicherten eine bestimmte Gruppe von Arbeitsplätzen, dh alle Tätigkeiten, bei denen – und sei es auch nur gelegentlich – die nicht mehr mögliche Leistungserbringung gefordert wird. Jede weitere Leistungseinschränkung schließt ihrerseits einen anderen Bereich des Arbeitsmarktes aus, wobei sich diese Bereiche überschneiden, aber auch zu einer größeren Einengung des Arbeitsmarktes addieren können. Mit jeder zusätzlichen Einengung steigt die Unsicherheit, ob in dem verbliebenen Feld noch ohne weiteres Beschäftigungsmöglichkeiten unterstellt werden können. In diesem Sinne kann letztlich auch eine größere Summierung „gewöhnlicher” Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen.
„Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung nur schwer zugänglich sind. Denn zum einen sind die verschiedenen Leistungsanforderungen der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Arbeitsplätze kaum überschaubar und zudem ständigen Veränderungen unterworfen. Zum anderen können sich qualitative Leistungseinschränkungen je nach ihrer bei einer Versicherten vorliegenden Anzahl, Art und Schwere ganz unterschiedlich auf deren betriebliche Einsetzbarkeit auswirken. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff „leichte Arbeiten”, auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit der Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten. Nur so erscheint eine „vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe” gewährleistet, wie sie der GS in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 (vgl zB GS 2/95 Umdr S 19) vorausgesetzt hat.
Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Die vom BSG jeweils vorgenommenen Beurteilungen mögen zwar – auch wenn sie weder näher begründet noch berufskundlich oder arbeitswissenschaftlich belegt worden sind – im allgemeinen nachvollziehbar sein, ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen; allenfalls können sie – soweit sie auf aktuellen Erkenntnissen zu den Verhältnissen der Arbeitswelt beruhen – Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen liefern.
Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden. Auch der Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, um so eingehender und konkreter muß das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen.
Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des (noch) unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muß aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben. Zwar wird der Richter in vielen Fällen anhand allgemeinkundiger Tatsachen, seiner Berufserfahrung oder durch Beiziehung von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren über eine Beurteilungsgrundlage verfügen, die eine Beweisaufnahme im Einzelfall erübrigt. Wegen der großen Beurteilungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten ist dann regelmäßig eine eingehende Erörterung der Einschätzungen mit den Beteiligten erforderlich. Dort, wo dies nicht ausreicht – was vor allem in Grenzfällen so sein wird –, ist jedoch eine Beweisaufnahme erforderlich, zB durch Anhörung eines Sachverständigen der Arbeitsverwaltung, um aufzuklären, ob noch ein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt oder, falls dies nicht der Fall ist, eine geeignete Tätigkeit konkret benannt werden kann.
Nach diesen Grundsätzen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus, um im vorliegenden Fall eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit verneinen zu können. Das LSG hat insoweit lediglich festgestellt, bei der Klägerin liege weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, weil das Maß der qualitativen Leistungseinschränkungen bei der Klägerin nicht ausgeprägter sei als in den (von ihm zitierten) vom BSG entschiedenen Fällen. Eine solche pauschale Feststellung reicht im Hinblick auf den Umfang der Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht aus.
Das LSG hat insoweit bindend (vgl § 163 SGG) festgestellt, die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne Zeitdruck, häufiges Bücken und ohne Schichtarbeit verrichten und dürfe nicht auf Leitern oder Gerüsten arbeiten; zudem seien eine besondere geistige Beanspruchung und erhöhte Verantwortung nicht zu erwarten. Die von der Klägerin mit der Revision zusätzlich geltend gemachten – allerdings über die im Berufungsurteil festgestellten kaum hinausgehenden – Einschränkungen mögen den von ihr jeweils zitierten Gutachten zu entnehmen sein, sind vom LSG jedoch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht festgestellt worden. Mit der Wendung, das Berufungsgericht schließe sich dem vom SG festgestellten Leistungsvermögen auf der Grundlage der vom SG erhobenen Sachverständigengutachten an, wird lediglich auf die Gutachten als Entscheidungsgrundlage der erstinstanzlichen Feststellungen Bezug genommen, ohne daß diese damit in allen Einzelheiten zum Gegenstand der eigenen Feststellungen gemacht würden. Zulässige und begründete Verfahrensrügen hinsichtlich dieser Feststellungen hat die Klägerin indes nicht erhoben.
Diese festgestellten Leistungseinschränkungen, von denen hier auszugehen ist, bewegen sich allerdings weitgehend in dem Rahmen, der ohnehin regelmäßig von körperlich leichten Tätigkeiten eingehalten wird. Sie weisen jedoch auch einige Besonderheiten auf, deren Auswirkungen auf dem allgemeinen Arbeitsfeld näher hätten geprüft werden müssen, zumal die Klägerin im Berufungsverfahren bestritten hatte, daß sie ihr verbleibendes Leistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt noch verwerten könne.
Insbesondere wäre zu untersuchen gewesen, welche Bedeutung der Umstand hat, daß eine „besondere geistige Beanspruchung” oder eine „erhöhte Verantwortung” nicht zu erwarten seien. Da diese Leistungseinschränkungen im Rahmen der Fähigkeit zur Leistung leichter Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu beachten sein sollen, kann es sich dabei nicht um die – bei solchen Tätigkeiten nie erforderliche – Fähigkeit etwa zu hochqualifizierter Kopfarbeit handeln, sondern sie beziehen sich von vornherein auf das dort übliche (niedrige) Anforderungsniveau. Es erscheint daher immerhin denkbar, daß durch diese Leistungseinschränkungen zB Arbeiten an Maschinen, am Fließband oder etwa als einfache Pförtnerin ausgeschlossen sind, die bei der Klägerin angesichts ihrer vermutlich geringen beruflich verwertbaren Kenntnisse und Fähigkeiten einen erheblichen Teil der für sie noch in Betracht kommenden leichten Arbeiten ausmachen könnten.
Da der erkennende Senat die somit noch erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Kommt das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu dem Ergebnis, daß eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, bleibt weiter zu prüfen, ob für die dann zu benennende Verweisungstätigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen ist (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139; Beschluß des GS vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 14). Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, daß es sich um Schonarbeitsplätze handeln könnte.
Kommt das LSG bei seiner erneuten Behandlung der Sache zu dem Ergebnis, daß die Klägerin keinen Anspruch auf EU-Rente hat, wird es bei der Prüfung des mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von BU-Rente noch festzustellen haben, welches der „bisherige Beruf” der Klägerin und wie dessen Wertigkeit zu beurteilen ist. In Betracht kommen hierfür nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des SG, auf die sich das LSG bezogen hat, nur die Tätigkeiten als Maschinenarbeiterin und als Eisenbahnwaggonreinigerin. Es ist nicht erkennbar, auf welche Tatsachen das SG die Einordnung (offenbar) dieser Tätigkeiten als „ungelernt” gestützt hat. Weder finden sich Ausführungen darüber, ob für diese Tätigkeiten oder eine von ihnen eine Einarbeitungszeit erforderlich war noch ob und wie zB die Tätigkeit als Waggonreinigerin tarifvertraglich eingestuft war (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14).
Die Beantwortung dieser Fragen kann nicht offenbleiben, weil mangels einer sicheren Einordnung des maßgeblichen bisherigen Berufs der Klägerin in das vom BSG zur Erleichterung der Prüfung der sozialen Zumutbarkeit anderer Tätigkeiten entwickelte Mehrstufenschema (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140) nicht beurteilt werden kann, ob der Klägerin überhaupt eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist und welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine solche ggf zugehören muß. Ist die Klägerin nämlich zumindest dem oberen Bereich der Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitbild der angelernten Arbeiterin zuzuordnen, muß ihr eine Tätigkeit, an die bestimmte Anforderungen zu stellen sind, konkret bezeichnet werden (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45 mwN).
Das LSG wird in seinem abschließenden Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen