Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsbegründung. Revision hinsichtlich eines selbständigen Anspruchs
Leitsatz (amtlich)
Ein Rentenbescheid, der während des Rechtsstreits über eine Vormerkung von Zeiten erlassen wird, bleibt aufgrund entsprechender Anwendung des SGG § 96 (vgl BSG 1978-11-24 11 RA 9/78 = SozR 1500 § 96 Nr 13) auch dann Gegenstand des Verfahrens, wenn der Versicherte gegen den Rentenbescheid Widerspruch einlegt.
Orientierungssatz
Betrifft die Entscheidung des LSG verschiedene prozessual selbständige Ansprüche (hier Vormerkungsstreit und Altersruhegeldbescheid) und wird die Revision nur hinsichtlich der Entscheidung über einen der Ansprüche in der Form des SGG § 164 Abs 2 S 2 begründet, so wird dadurch die Revision gegen die Entscheidung über die anderen Ansprüche nicht zulässig (vgl BSG 1958-03-04 9 RV 126/55 = BSGE 7, 35).
Normenkette
SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 25.05.1978; Aktenzeichen L 2 An 22/77) |
SG Bremen (Entscheidung vom 24.05.1977; Aktenzeichen S An 257/76) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 25. Mai 1978 aufgehoben, soweit es den Altersruhegeldbescheid vom 14. Oktober 1977 nicht als Gegenstand des Verfahrens behandelt hat; der Rechtsstreit wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.
Gründe
I
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab, sein Praktikum beim Staatlichen Materialprüfungsamt Berlin von Dezember 1934 bis März 1936 als Ausfallzeit vorzumerken, weil das Praktikum weder einer Hoch- oder Fachschulzeit noch einer Lehrzeit gleichgestellt werden könne (Bescheid vom 30. März 1976; Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1976). Die hiergegen erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wurde durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 24. Mai 1977 abgewiesen.
Nachdem der Kläger Berufung eingelegt hatte, gewährte die Beklagte antragsgemäß Altersruhegeld für die Zeit ab 1. September 1977 (Bescheid vom 5. August 1977); auf den Widerspruch des Klägers berechnete die Beklagte das Altersruhegeld neu, wiederum ohne die strittige Ausfallzeit zu berücksichtigen (Bescheid vom 14. Oktober 1977).
Das Landessozialgericht (LSG) gab den Beteiligten hierauf Gelegenheit, sich zur prozeßrechtlichen Situation zu äußern. Der Kläger erklärte, daß sich die Klage bzw Berufung letztlich gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1976 richte; sofern eine Änderung des Antrages notwendig sei, werde um entsprechenden Hinweis gebeten.
Das LSG hat die Bescheide vom 30. März und 11. Oktober 1976 aufgehoben und die Klage im übrigen - dh hinsichtlich der Verpflichtungsklage - abgewiesen (Urteil vom 25. Mai 1978). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, mit dem Antrag auf Altersruhegeld sei ein berechtigtes Interesse des Klägers an dem feststellenden Verwaltungsakt der Vormerkung entfallen. In diesem Zeitpunkt habe die Beklagte mit der Begründung des entfallenen Feststellungsinteresses die noch nicht bindenden Bescheide über die Ablehnung der Vormerkung aufheben und eine Sachentscheidung ablehnen müssen. Auf die Berufung des Klägers sei dies durch Urteil des LSG auszusprechen. Die Anrechnung der streitigen Ausfallzeit müsse nun im Streit über die Höhe des Altersruhegeldes geltend gemacht werden. Die Bescheide über die Höhe des Altersruhegeldes seien nicht gem § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie dessen Streitgegenstand nicht beträfen.
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragte die Beklagte zunächst, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Zur Begründung rügte sie in der Revisionsbegründungsschrift vom 22. Februar 1979 eine Verletzung des § 96 SGG. Das LSG hätte in entsprechender Anwendung des § 96 SGG auch über den Rentenbescheid entscheiden müssen.
In dem Schriftsatz vom 11. Mai 1979 bat die Beklagte sodann, ihren Revisionsantrag dahin zu verstehen, daß sie beantrage,
das Urteil des LSG abzuändern, soweit es die Berufung des Klägers nicht zurückgewiesen, vielmehr ihre Bescheide vom 30. März und 11. Oktober 1976 aufgehoben hat, und daß sie weiterhin die Zurückverweisung der Sache an das LSG begehre.
Zur Begründung ist in dem Schriftsatz vom 11. Mai 1979 ua ausgeführt, daß sie auch durch die Aufhebung der genannten Bescheide beschwert sei.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet.
Mit der Revision wendet die Beklagte sich, wie durch ihren Schriftsatz vom 11. Mai 1979 klargestellt ist, einerseits gegen die im Tenor des Berufungsurteils ausgesprochene Aufhebung ihrer Bescheide vom 30. März und 11. Oktober 1976, und andererseits gegen die aus dem Tenor des Berufungsurteils nicht ersichtliche Nichteinbeziehung des Altersruhegeldbescheides in das Verfahren durch das LSG; in beider Hinsicht beantragt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das LSG. Durchdringen kann die Beklagte jedoch nur mit ihrem zweiten Begehren.
1. Soweit das LSG der Klage stattgegeben und die eine Vormerkung ablehnenden Bescheide der Beklagten aufgehoben hat, ist die Revision unzulässig. Denn die Beklagte hat ihre Revision insoweit nicht innerhalb der bis zum 1. März 1979 verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet. Betrifft die Entscheidung des LSG verschiedene prozessual selbständige Ansprüche (hier Vormerkungsstreit und Altersruhegeldbescheid) und wird die Revision nur hinsichtlich der Entscheidung über einen der Ansprüche in der Form des § 164 Abs 2 Satz 2 SGG begründet, so wird dadurch die Revision gegen die Entscheidung über die anderen Ansprüche nicht zulässig (BSGE 7, 35). Die Revisionsbegründungsschrift der Beklagten beschäftigt sich ausschließlich mit dem Altersruhegeldbescheid und einer Verletzung des § 96 SGG.
"Ergänzend" hat die Beklagte in Bl 6 ihrer Revisionsbegründungsschrift zwar noch auf ihr Vorbringen zur Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen; dort hatte sie der Frage grundsätzliche Bedeutung beigemessen, ob das mit einem Vormerkungsstreit befaßte Gericht auf das Rechtsbehelfsverfahren gegen einen mittlerweile erlassenen Rentenbescheid verweisen dürfe, weil der im Vormerkungsverfahren erteilte negative Bescheid mangels weiteren Feststellungsinteresses aufzuheben sei. Diese Bezugnahme kann jedoch nicht als Begründung der Revision auch hinsichtlich des selbständigen Begehrens zum Vormerkungsstreit verstanden werden. Dem steht nicht entgegen, daß die Rechtsprechung (vgl SozR 1500 § 164 Nrn 3 und 4) bei sachlich-rechtlichen Rügen eine Bezugnahme auf das Vorbringen in der Nichtzulassungsbeschwerde zuläßt. Denn bei einem Streit um mehrere prozessuale Ansprüche muß jedenfalls klar ersichtlich sein, welchen Anspruch die Bezugnahme betrifft. Aus der Formulierung und dem Zusammenhang der vorliegenden Bezugnahme läßt sich diese jedoch allein als "ergänzender" Hinweis zur beanstandeten Nichteinbeziehung des Altersruhegeldbescheides auslegen.
2. Soweit das LSG den Altersruhegeldbescheid nicht als Gegenstand des Verfahrens angesehen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Senat hat nach Erlaß des Berufungsurteils mit Urteil vom 24. November 1978 - 11 RA 9/78 - (SozR 1500 § 96 Nr 13) ausgesprochen, ein Rentenbescheid, der während eines Vormerkungs-, Herstellungs- oder Wiederherstellungsstreits erlassen wird, werde in entsprechender Anwendung von § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens (vgl auch Urteil vom 15. März 1979 - 11 RA 48/78 -, RV 1979, 134). Der Senat ließ dabei dahingestellt, ob dies auch dann gilt, wenn die Einbeziehung dem Willen der Beteiligten widerspricht, etwa wenn der Kläger den Rentenbescheid noch aus anderen Gründen beanstandet und nicht durch seine Einbeziehung die Nachprüfung im Widerspruchsverfahren und in der ersten Tatsacheninstanz einbüßen möchte; in diesem Falle sei möglicherweise ein Wahlrecht des Klägers in Betracht zu ziehen.
Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die vom LSG gegebene Begründung, der angefochtene Bescheid befinde nur über die Feststellung einer Ausfallzeit, der Rentenbescheid aber über die Rentenleistung selbst, betrifft nur die vom Senat ebenfalls abgelehnte unmittelbare Anwendung des § 96 Abs 1 SGG, nicht aber die vom Senat in der angeführten Entscheidung für geboten gehaltene entsprechende Anwendung dieser Vorschrift und die hierfür gegebene Begründung. Soweit die Beklagte Bedenken wegen des erwogenen "Wahlrechts'" hat, braucht der Senat hierauf nicht näher einzugehen, weil der Kläger, wie noch ausgeführt wird, kein Wahlrecht beansprucht hat. Immerhin sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Einräumung eines Wahlrechts nicht zu Schwierigkeiten bei der Rechtsmittelbelehrung führen müßte. Der Senat hat in diesem Zusammenhang an ein Wahlrecht als Alternative zu dem immer möglichen Verzicht auf die Einbeziehung des Bescheides gedacht (SozR aaO Bl 21). Wie über einen Verzicht nicht belehrt zu werden braucht, wäre die Beklagte dementsprechend auch nicht zur Belehrung über ein Wahlrecht verpflichtet. Es auszuüben, bliebe allein dem jeweiligen Kläger überlassen.
Der Kläger hat jedoch im Rechtsstreit vor dem LSG nicht zu erkennen gegeben, daß er der Einbeziehung des Rentenbescheides in das Verfahren widerspreche. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen den Rentenbescheid ist nicht in diesem Sinne zu verstehen, zumal diese Erklärung in einem selbständigen Verfahren und nicht im vorliegenden Rechtsstreit abgegeben wurde. Der Altersruhegeldbescheid ist darum auch nach dem eingelegten Widerspruch Gegenstand des Rechtsstreits geblieben. Die Äußerungen des Klägers auf die vom LSG gewünschte Erklärung zur prozeßrechtlichen Situation ergeben schließlich ebenfalls nicht, daß er sich einer Klageerweiterung durch Einbeziehung des Rentenbescheides widersetzen wollte.
Das LSG hätte daher über die in entsprechender Anwendung des § 96 SGG zu unterstellende Klage gegen den Rentenbescheid entscheiden und dabei davon ausgehen müssen, daß sie sich nach Erlaß des letzten Bescheides vom 14. Oktober 1977 gegen diesen richtete. Da eine solche Entscheidung unterblieben ist, muß das Urteil des LSG somit aufgehoben werden, soweit es den genannten Rentenbescheid nicht als Gegenstand des Verfahrens behandelt hat; da dem Senat weder alle Einwendungen des Klägers gegen diesen Bescheid bekannt noch ausreichende tatsächliche Feststellungen hierzu getroffen sind, muß er den Rechtsstreit ferner aus diesen Gründen im bezeichneten Umfang an das LSG zurückverweisen. Dabei ist für die neue Entscheidung des LSG klarzustellen, daß das LSG bei der Klärung der strittigen Ausfallzeit von 1934 bis 1936 nicht an die eine Vormerkung dieser Zeit ablehnenden Bescheide der Beklagten gebunden ist; denn diese Bescheide sind im - ersten - Urteil des LSG vom 25. Mai 1978, wie jetzt feststeht, rechtskräftig aus den dort vom LSG angegebenen Gründen aufgehoben worden; ob diese Gründe die Aufhebung rechtfertigten, war weder vom erkennenden Senat zu prüfen noch kann dies im weiteren Verfahren mehr geprüft werden.
In der neuen Entscheidung hat das LSG schließlich noch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 1665198 |
Breith. 1980, 431 |