Leitsatz (amtlich)
1. Auch eine ungewöhnliche Verzögerung in der Absetzung der Gründe eines Berufungsurteils - hier: 8 Monate nach der Verkündung des Urteils - begründet im sozialgerichtlichen Verfahren keinen wesentlichen Verfahrensmangel iS des ZPO § 551 Nr 7.
2. Wird einem Vertragsarzt die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis wegen gröblicher Pflichtverletzungen widerrufen, so haben die Gerichte, wenn die sofortige Vollziehung nicht angeordnet worden ist (SGG § 97 Abs 1 Nr 4, Abs 3), bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs eine Änderung der Sachlage während des Rechtsstreits grundsätzlich zu berücksichtigen. Jedoch hat dabei ein Wohlverhalten des Anfechtungsklägers während des Anfechtungsprozesses weniger Gewicht als das vorwerfbare Verhalten vor dem Widerruf der Beteiligung (Ergänzung zu BSG 1958-03-28 6 RKa 1/57 = BSGE 7, 129).
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein an der Ersatzkassenpraxis beteiligter Arzt in erheblichem Umfange bei der Honorarabrechnung Leistungen angesetzt, die von ihm gar nicht oder nicht mit dem angegebenen Schwierigkeitsgrad erbracht worden sind, so kann seine Beteiligung nach EKV § 7 Abs 2 wegen grober Verletzung seiner Vertragspflichten widerrufen werden.
2. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Arzt, dessen Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis widerrufen worden ist, für die vertragsärztliche Tätigkeit wieder geeignet ist und die erneute Beteiligung verlangen kann, ist nicht allein sein Wohlverhalten während des Widerrufsverfahrens, sondern in erster Linie sein Verhalten in der Folgezeit entscheidend; dabei ist mangels Beurteilungsmöglichkeiten aus dem vertragsärztlichen Bereich vornehmlich auf seine sonstige ärztliche Tätigkeit abzustellen.
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7 Fassung: 1950-09-12; SGG § 97 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1953-09-03, Abs. 3 Fassung: 1955-08-17; RVO § 368a Fassung: 1955-08-17; EKV-Ä § 7 Abs. 2
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Mai 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger zu Recht die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis widerrufen worden ist.
Der 1918 geborene Kläger ist Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe. Am 1. Februar 1961 ließ er sich in Eckernförde als Frauenarzt nieder, nachdem er dort die Zulassung zur Behandlung von RVO- und Ersatzkassenpatienten erhalten hatte. Am 1. September 1963 eröffnete er in E eine Privatklinik. Seit Anfang 1962 beschäftigte er als Sprechstundenhilfe H R (R), der er sofort die Anfertigung der Krankenkassenabrechnungen übertrug. Seine nach Eröffnung der Privatklinik abgegebenen Honorarforderungen erschienen der Barmer Ersatzkasse von vornherein hoch. Am 17. September 1965 machte die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein den Kläger auf die Unrichtigkeit der Berechnung von Assistenzgebühren aufmerksam, da er zu den Geburten keinen zweiten Vertragsarzt hinzugezogen habe. Der Kläger erwiderte unter dem 19. September 1965, daß er diesen Ansatz nicht mehr vornehmen werde.
Mit Beschluß vom 4. Januar 1967 widerrief die Beteiligungskommission die Beteiligung des Klägers an der Ersatzkassenpraxis als Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe in Eckernförde. In der Begründung heißt es, der Kläger habe vorsätzlich falsche Positionen in Rechnung gestellt, und zwar ganz offensichtlich stets die höchstbewerteten. Durch seine falsche Rechnungslegung habe er seine Pflichten nach dem Ersatzkassenvertrag gröblich verletzt. Sein ganzes Verhalten habe so schwerwiegende, in seiner Person liegende Mängel aufgezeigt, daß er ungeeignet für die weitere Tätigkeit als Vertragsarzt der Ersatzkassen sei. Unter anderem habe er bei 59 klinischen Fällen im II. Quartal 1966 in der Ersatzkassenpraxis zwanzigmal die Ziff. 102 a Adgo (Kombinationsnarkose unter Anwendung von Muskelrelaxantien und künstlicher Beatmung) berechnet, obwohl, wie er selbst zugegeben habe, in seiner Klinik rein einrichtungsmäßig die Möglichkeiten für eine derartige Narkose gar nicht gegeben seien. Weiter sei in den meisten Fällen eine ärztliche Assistenz abgerechnet worden, obgleich ein Assistenzarzt damals in der Klinik nicht tätig gewesen sei. Auch sei die Häufung der von ihm als regelwidrig angegebenen Geburtslagen ebenso wie diejenige der Dammrisse dritten Grades dem statistischen Vergleich nach völlig unglaubwürdig. Die Befragung von elf Ersatzkassen-Patientinnen habe dann auch bestätigt, daß falsche Berechnungen vorgenommen worden seien.
Der Kläger erhob Widerspruch. Die Berufungskommission hörte in der Sitzung am 30. Mai 1967 die Sprechstundenhilfe des Klägers, Heidrun R., und wies dann mit Beschluß vom selben Tage den Widerspruch des Klägers zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat den Verband der Angestellten-Krankenkassen beigeladen und nach Vernehmung der Sprechstundenhilfe R. die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat nach erneuter Anhörung der Zeugin R. die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 22. Mai 1970). Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Beteiligung an der vertragsärztlichen Tätigkeit sei nach § 7 Abs. 2 des Arzt/Ersatzkassenvertrages (AEV) zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorlägen oder wenn der Vertragsarzt seine Pflichten aus dem Vertrag gröblich verletze. Das sei hier der Fall. Die Vertrauensgrundlage für den Abrechnungsverkehr der Ersatzkassen mit dem Arzt sei weggefallen. Der Kläger habe in einem die Norm ganz erheblich übersteigendem Maße die Ziff. 361 der Adgo (Naht eines vollkommenen Dammrisses dritten Grades) sowie die Ziff. 338 (Beistand bei regelwidrigen Kopflagen, Beckenendlage oder engem Becken) und die Ziffern 102 a und 102 b (Kombinationsnarkose) in Ansatz gebracht. Dabei handele es sich jeweils um die höchstdotierte von mehreren in Betracht kommenden Positionen der Gebührenordnung, Ferner seien Hilfeleistungen bei Operationen (Ziffern 13 a und 13 b) berechnet worden, obwohl der Kläger keinen anderen Arzt, sondern nur eine Hebamme herangezogen habe.
Bei 209 Entbindungsfällen sei die Ziff. 338 127-mal berechnet worden, während in der Literatur die Häufigkeit derartiger regelwidriger Lagen nur mit 6% angegeben werde. Diese Differenz könne auch nicht mit dem großen Einzugsgebiet der Klinik des Klägers und für sein ausgewähltes Krankengut erklärt werden. Auf 209 Entbindungen entfielen allein 131 Dammrisse dritten Grades, während nach dem statistischen Material der Universitäts-Frauenklinik K nur etwa zwei derartige vollkommene Dammrisse zu erwarten gewesen seien. Der Kläger habe auch eingeräumt, daß ein Dammriß dritten Grades ein seltener Fall gewesen sei.
Weiter habe der Kläger im IV. Quartal 1963 bei insgesamt 103 von 460 Behandlungsfällen die Ziffern 102 a und 102 b der Adgo abgerechnet (Kombinationsnarkose unter Anwendung von Muskelrelaxantien und künstlicher Beatmung). Auch hier sei in der Mehrzahl der Fälle (62) die wesentlich höher bewertete, erst bei einer Operationsdauer von mehr als einer Stunde zuständige Ziff. 102 b in Ansatz gebracht worden. Außerdem sei der Kläger lediglich im Besitz eines halbgeschlossenen Narkosesystems, nicht eines geschlossenen Systems.
Schließlich habe der Kläger in 246 von insgesamt 295 Behandlungsfällen die Gebührenziffer 13 für die Assistenz gefordert, obwohl kein Arzt zugezogen worden sei. Der Kläger habe im Hinblick auf die bei der Honorarabrechnung nur geringen Kontrollmöglichkeiten der Krankenkassen bedenkenlos die Honorierung möglichst hoch bewerteter Leistungen gefordert, er habe etwaige Beanstandungen und Verstöße gegen seine Vertragspflicht in Kauf genommen. Er habe damit seine Pflicht, sich auch auf dem Gebiet der Honorarabrechnung besonderer Sorgfalt und Korrektheit zu befleißigen, verletzt. Dem stehe auch nicht entgegen, daß auch einmal im Jahre 1965 ein geringer Fehler zu Ungunsten des Klägers vorgekommen sei.
Das Gewicht dieser Verfehlungen werde noch dadurch wesentlich verstärkt, daß er die Fertigung der Abrechnungen nach einer nur kurzen Einweisung seiner Sprechstundenhilfe, der Zeugin R., zur selbständigen Erledigung übertragen habe, ohne sich ausreichend um die Abrechnung zu kümmern und der Zeugin vollständige Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Diese gröblichen Vertragsverletzungen berührten die Eignung des Klägers als Vertragsarzt (§ 5 Abs. 5 c AEV). Dieses Verhalten sei prinzipieller Natur. Der Kläger habe von vornherein die Fehlerhaftigkeit der auf eigenen finanziellen Vorteil abgestellten Abrechnungen in Kauf genommen und sich praktisch nicht mehr um die Abrechnung und damit um seine Vertragspflichten gekümmert. Den Vertragspartnern sei nicht mehr zuzumuten, die vertraglichen Beziehungen fortzusetzen. Die Ersatzkassen könnten nur in geringem Umfang eine Kontrolle des Vertragsarztes ausüben; sie müßten ihm deshalb vertrauen, in eigener Sache richtig abzurechnen.
Bei dem vorliegenden Sachverhalt stelle die Annahme einer gröblichen Pflichtverletzung keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Auch könnte diese gröbliche Pflichtverletzung nicht dadurch wieder ausgeglichen werden, daß der Kläger seit vier Jahren keinen Anlaß mehr zu Beanstandungen in seiner Abrechnungsweise gegeben und zur Zufriedenheit der Kassen abgerechnet habe Denn es sei nicht zulässig, durch die Einlegung von Rechtsmitteln die Entwicklung durch Zeitabläufe zugunsten des Betreffenden zu beeinflussen.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor: Tatbestand und Gründe des angefochtenen Urteils seien erst nach über sechs Monaten ausgefertigt worden. Dies rechtfertige die Revision schon deshalb, weil nach so langer Zeit der Inhalt der Verhandlung nicht mehr gegenwärtig sein könne. Es sei fehlerhaft, wenn das LSG nicht die Weiterentwicklung bei der Frage berücksichtigt habe, ob die Beteiligung zu widerrufen sei.
Das LSG verletze nachweisbar Erfahrungsgrundsätze, wenn es meine, es sei eine Selbstverständlichkeit, daß der Betroffene nach der Entdeckung der fehlerhaften Abrechnungsweise keinen Anlaß mehr zu Beanstandungen gebe. Im Gegenteil sei gerichtsbekannt, daß ein nicht unerheblicher, wenn nicht gar überwiegender Teil der fehlerhaften Abrechnungen aus Praxen stamme, denen gegenüber auch schon früher Beanstandungen erfolgt seien. Zumindest hätte das LSG darüber tatsächliche Feststellungen treffen müssen.
Bei dem vom LSG als geringfügig beurteilten Fehler zu Ungunsten des Klägers handele es sich um 100 nicht berechnete Narkosen; darüber hinaus seien über drei Jahre keine Nachtbesuche berechnet worden, obwohl Hunderte durchgeführt worden seien.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. Februar 1970 und des SG Kiel vom 26. Februar 1968 sowie die Beschlüsse der Beteiligungskommission vom 4. Januar 1967 und der Berufungskommission vom 30. Mai 1967 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Der Auffassung des Klägers, das Urteil des LSG müsse schon deshalb aufgehoben werden, weil die Begründung des Urteils erst später als acht Monate nach der Verkündung der Entscheidung schriftlich niedergelegt worden sei, kann sich der Senat nicht anschließen. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGHZ 7, 155) ausgesprochen: Wenn das Berufungsgericht Tatbestand und Gründe seines Urteils nicht binnen einer Woche oder wenigstens alsbald nach der Verkündung des Urteils ausgefertigt habe, so sei dies jedenfalls dann ein absoluter Revisionsgrund nach § 551 Nr. 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO), wenn die Urteilsgründe fünf Monate nach der Verkündung des Urteils noch nicht vorlägen. Diese Folgerung ergibt sich jedoch aus der besonderen Fristenregelung der ZPO. Die Revisionsfrist beträgt nach § 552 ZPO einen Monat; sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils. Die Revisionsbegründungsfrist beträgt nach § 554 Abs. 2 ZPO einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Revision. Mit Recht weist der Bundesgerichtshof bei dieser Rechtslage darauf hin, eine Partei werde durch eine ungebührliche Verzögerung in der Abfassung der Urteilsgründe so stark in ihren Rechten beeinträchtigt, daß es jedenfalls dann gerechtfertigt sei, das Urteil nach § 551 Nr. 7 ZPO aufzuheben, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die Revisionsfrist auch ohne Zustellung des Urteils schon in Lauf gesetzt worden sei, die Urteilsgründe noch nicht vorlägen. Einer Partei könne nicht zugemutet werden, mit Rücksicht auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist ein Rechtsmittel einlegen zu müssen, ohne die Urteilsgründe zu kennen.
Eine solche Zwangslage kann aber nach der Regelung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht eintreten. Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Revision binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und binnen eines weiteren Monats zu begründen. Hier ist ein Rechtsmittelkläger nicht genötigt, das Rechtsmittel vor Kenntnis der Urteilsgründe einzulegen oder gar zu begründen, weil die Rechtsmittelfrist in jedem Falle erst mit der Zustellung des Urteils beginnt. Damit aber ist den berechtigten Interessen des Rechtsmittelklägers genügend Rechnung getragen; das Bedenken der Revision, bei relativ später schriftlicher Niederlegung der Urteilsgründe seien die Eindrücke der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr voll gegenwärtig, ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Der Umstand, daß die Urteilsgründe erst mit ungewöhnlicher Verspätung abgesetzt worden sind, führt deshalb nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Wenn der Kläger einige tatsächliche Feststellungen des LSG für unrichtig hält, so kann er damit keinen Erfolg haben. Diese vermeintlichen Unrichtigkeiten hätte der Kläger im Berichtigungsverfahren nach § 139 SGG klären lassen können. Das ist nicht geschehen. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind daher nach § 163 SGG für den Senat bindend.
In der Sache selbst hat das LSG mit Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für einen Widerruf an der Beteiligung der Ersatzkassenpraxis vorliegen, weil der Kläger seine Pflichten gröblich verletzt hat. Im einzelnen hat der Kläger in einem die Norm ganz erheblich übersteigendem Maße die Nr. 361 der Adgo (Naht eines vollkommenen Dammrisses dritten Grades), die Nr. 338 (Beistand bei regelwidrigen Kopflagen, Beckenendlage oder engem Becken) und ferner die Nrn. 102 a und 102 b (Kombinationsnarkose) in Ansatz gebracht, wobei es sich jeweils um die höchstdotierte von mehreren in Betracht kommenden Positionen der Gebührenordnung gehandelt hat. Ferner hat der Kläger Hilfeleistungen bei der Operation (Nrn. 13 a und 13 b) berechnet, obwohl er keinen anderen Arzt, sondern nur eine Hebamme beigezogen hatte. Weiter hat das LSG als Verfehlung festgestellt, daß der Kläger die Fertigung der Abrechnungen nach einer nur kurzen Einweisung seiner Sprechstundenhilfe zur selbständigen Erledigung übertragen hat, ohne sich bis 1966 mehr als nur rein zufällig um die Abrechnungen zu kümmern und ohne der Zeugin für die Vornahme der Abrechnungen ausreichende vollständige Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Wenn das LSG bei diesen erheblichen Verfehlungen zu der Schlußfolgerung gekommen ist, das Vertrauensverhältnis zu den Ersatzkassen sei gestört, diesen könne eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Zu Unrecht hat das LSG es jedoch dabei bewenden lassen, die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids allein nach der Sachlage zur Zeit des Erlasses dieses Bescheids zu beurteilen. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Zulassungsentziehungsbescheids, dessen Gestaltungswirkung infolge Nichtvollziehung des Verwaltungsakts nicht eingetreten ist, grundsätzlich eine Änderung der Sachlage bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht zu berücksichtigen ist (BSG 7, 129; Urteil vom 28. Mai 1968 - 6 RKa 9/67 - in SozR § 368 b RVO Nr. 5).
Dieser Auffassung kann nicht entgegengehalten werden, daß der Entziehungsbescheid schon deswegen allein nach der ursprünglichen Sachlage beurteilt werden müsse, weil sonst der "renitente" Bürger besser dastände als derjenige, der diesen Verwaltungsakt ohne Widerspruch hingenommen habe (vgl. Bähr, Die maßgebliche Rechts- und Sachlage für die gerichtliche Beurteilung von Verwaltungsakten, S. 60 mit weiteren Nachweisen). Dieses Argument hätte dann Gewicht, wenn sich der Adressat des Verwaltungsakts, dessen Zulassung mit Recht widerrufen wurde, gegenüber einem einsichtigen Berufsangehörigen in gleicher Lage, der in Erkenntnis der Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids diesen hingenommen hat, durch Erhebung einer Anfechtungsklage, gegebenenfalls durch eine möglichst lange Hinauszögerung des Prozesses einen ihm der Sache nach nicht zukommenden Vorteil verschaffen würde. Das könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn der Anfechtungskläger dergestalt den Weg der Wiedererteilung der Zulassung über eine Ermessensvorschrift umgehen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1965 - I C 7462 - in DVBl 1965, 402, 403; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1969 - I C 33.67 - in JZ 1970, 348).
Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis und Widerruf der Beteiligung sind jedoch streng rechtsgebundene Verwaltungsakte, die von den gleichen Verwaltungsstellen erlassen werden (vgl. § 7 Abs. 2 AEV). Ein Vertragsarzt, der seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt und deswegen die Eignung zur vertragsärztlichen Tätigkeit verloren hat (vgl. BSG 15, 177, 181), diese jedoch später wiedergewonnen hat, hat Anspruch auf Wiederbeteiligung. Ist diese Veränderung der Sachlage während des Anfechtungsprozesses vor der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht eingetreten, so ist sie bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Wie das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf einen anerkannten Rechtsgrundsatz und die Entscheidung des Senats in BSG 7, 129 ausgeführt hat, wäre es sinnlos, etwas zu nehmen, was sogleich wieder gewährt werden muß (DVBl 1965, 403, wobei das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) diesen Grundsatz auch dann gelten läßt, wenn die Wiedergewährung der Berufserlaubnis im Ermessen der Verwaltung steht, sofern nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung übrig bleibt). Will die Verwaltung den unter Umständen möglichen nahtlosen Übergang aus der trotz rechtmäßigen Widerrufs der Beteiligung - infolge Nichtvollziehung - erlaubten vertragsärztlichen Betätigung vermeiden, so müssen die Beteiligungsstellen den Weg des sofortigen Vollzugs ihrer Widerrufsentscheidung beschreiten (vgl. BSG vom 28. Mai 1968 in SozR § 368 b RVO, Nr. 5).
Bei der Prüfung, ob ein Vertragsarzt, dessen Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis wegen gröblicher Pflichtverletzung zu Recht widerrufen worden ist, seine Eignung für die vertragsärztliche Tätigkeit wiedergewonnen hat, genügt jedoch das Wohlverhalten während des Widerrufsverfahrens einschließlich des Anfechtungsprozesses grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, DVBl 1965; 403 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG). Mit Recht hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, daß von einem Gewerbetreibenden, der sich dagegen wehrt, daß ihm die Ausübung des Gewerbes untersagt wird, erwartet werden darf, daß er sich während des Widerspruchsverfahrens ordnungsgemäß verhält: Ordnungsgemäßes Verhalten nach Untersagung der Berufsausübung sei daher weniger bedeutsam als ordnungswidriges Verhalten vor Ergehen dieser Maßnahme (BVerwG 28, 202, 210). Entsprechendes gilt auch für den Vertragsarzt. Ob der Kläger seine Eignung für die vertragsärztliche Tätigkeit wiedergewonnen hat, kann erst abschließend aus seinem Verhalten nach dem Prozeß beurteilt werden, wobei die Beteiligungsgremien mangels Beurteilungsmöglichkeiten aus dem vertragsärztlichen Bereich in erster Linie auf Indizien auf Grund seiner sonstigen ärztlichen Tätigkeit angewiesen sind; in diesem Rahmen kann auch das jahrelange "Wohlverhalten" des Klägers im Abrechnungsverkehr während der Prozeßdauer einbezogen werden.
Die Revision des Klägers muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen