Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger, Inhaber eines Unternehmens zur Herstellung ausgewählter Süßwaren in Berlin, ist Mitglied der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten und der bei ihr errichteten Familienausgleichskasse. Auf Grund des § 29 des Kindergeldgesetzes (KGG) in Verbindung mit § 738 der Reichsversicherungsordnung (RVO) war er von deren Geschäftsstelle Berlin zur Selbsterrechnung und Überweisung der Vorauszahlung auf den Beitrag für das Jahr 1955 aufgefordert worden. Da er dem nicht nachgekommen war, hatte die Familienausgleichskasse ihm mit Erinnerung vom 26. September 1955 mitgeteilt, daß sie die Vorauszahlung auf der Grundlage der Beitragsberechnung zur Berufsgenossenschaft für 1954 für den Kläger selbst und seine 16 Betriebsangehörigen auf 17 mal 27 = 459 DM festgesetzt habe. Auf die Erwiderung des Klägers, er habe eine Veranlagung bisher nicht erhalten, schickte ihm die Familienausgleichskasse mit Schreiben vom 10. Oktober 1955 eine Zweitschrift ihrer Erinnerung als Zahlungsaufforderung im Sinne der Reichsversicherungsordnung.
Den Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle mit Bescheid vom 22. November 1955 zurück, stellte dabei aber fest, daß er selbst nach der finanzamtlichen Bescheinigung über ein Einkommen unter 4800 DM von der Beitragspflicht befreit sei und die Vorauszahlung somit 432 DM betrage.
II. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin mit der Begründung, das Kindergeldgesetz und das Kindergeldanpassungsgesetz verstießen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Die Verpflichtung zur Aufbringung der Mittel gemäß den §§ 10, 11 KGG stelle eine unzulässige Sonderbelastung eines begrenzten Kreises von Staatsbürgern für allgemeine Zwecke dar.
Das Sozialgericht Berlin wies mit Urteil vom 8. Mai 1956 die Klage ab. Nach seiner Auffassung gibt es keinen verfassungsmäßig geschützten Rechtssatz, daß Mittel für „staatsnotwendig erkannte” Aufwendungen zu Gunsten einzelner oder bestimmter Bevölkerungsschichten gleichmäßig durch die Allgemeinheit aufzubringen seien. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG wurde verneint.
In seiner Berufung hiergegen wies der Kläger des weiteren auf das Gutachten der Hans-Soldan-Stiftung hin und machte auch dessen Ausführungen insbesondere zu der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes sowie der Stellung und Funktion des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen zu seinen eigenen.
Das Landessozialgericht Berlin wies mit Urteil von 18. Oktober 1956 die Berufung zurück.
Es hat die Verfassungsmäßigkeit des Kindergeldgesetzes bejaht und die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes hierzu aus Art. 74 Nr. 7 und 11 GG hergeleitet. In Nr. 7 sei das Verfassungsrecht nicht an den engeren verwaltungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Fürsorge im Sinne einer vom Staat getragenen und aus staatlichen Mitteln gewährten Fürsorge, die immer an materielle Not anknüpfe, gebunden. Auf Nr. 11, wonach das Recht der Wirtschaft zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zähle, könne das Kindergeldgesetz gestützt werden, da nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1954 diese Vorschrift auch Bundesgesetze umfasse, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingriffen. Das Kindergeldgesetz verwirkliche im übrigen den im Art. 6 GG ausgesprochenen Grundsatz des besonderen Schutzes der Familie, indem es durch Hinführung des Leistungslohnes auf einen gerechten Soziallohn einen Ausgleich der Lasten kinderreicher Familien schaffe.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes hat das Landessozialgericht mit dem Hinweis verneint, daß der Sinn des Kindergeldgesetzes, dem schaffenden Menschen einen gewissen Ausgleich der Familienlasten zu gewähren, es rechtfertige, daß dafür Leistungen von seiner Berufsgemeinschaft gefordert werden. Die geldliche Stärkung der im Wirtschaftsleben stehenden Personen komme letzten Endes den Trägern der Wirtschaft zu Gute und rechtfertige damit die Auferlegung der Mehrlast an sie. Die Mehrbelastung der Industrie zu Gunsten der Landwirtschaft sei durch deren „konjunkturmäßig schwächere” Stellung berechtigt, deren Ausgleich eine dem Gesetzgeber zuzubilligende Wirtschaftslenkungsmaßnahme darstelle.
Die Ausdehnung des Kreises der Bezugsberechtigten auf die Personen, die aus einer mindestens ein Jahr ununterbrochen ausgeübten Erwerbstätigkeit ausgeschieden seien, lasse sich aus dem Gesichtspunkt der Ausstrahlung rechtfertigen.
Der Gleichheitssatz sei nicht dadurch verletzt, daß die Beitragserhebung auf die Entgeltsumme oder die Kopfzahl der Versicherten abgestellt sei, weil das Kindergeldgesetz dies der Satzung der Familienausgleichskasse überlasse, sie aber grundsätzlich an die für die Berufsgenossenschaften geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung und ihre Änderungs-, Ergänzungs- und Durchführungsbestimmungen binde. Daß diese verfassungswidrig seien, sei bisher nicht behauptet worden. Die streitige Vorschußerhebung gründe sich auf den Beschluß der Vertreterversammlung und beruhe auf § 29 KGG in Verbindung mit § 738 RVO. Eine Überschreitung oder ein Mißbrauch des Ermessens sei nicht ersichtlich.
Revision ist zugelassen worden.
III. Der Kläger hat gegen das ihm am 22. November 1956 zugestellte Urteil durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1956 – beim Bundessozialgericht eingegangen am 20. Dezember – Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Berlin und die Bescheide der Beklagten vom 10. Oktober und 22. November 1955 aufzuheben. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1957 – beim Bundessozialgericht eingegangen am 19. Februar – hat er die Revision nach Verlängerung der Begründungsfrist begründet (§ 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).
Er bestreitet darin zunächst die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gemäß Art. 74 Nr. 7 GG, da die öffentliche Fürsorge stets eine Notlage zur Voraussetzung habe, die Gewährung des Kindergeldes jedoch nicht von der Hilfsbedürftigkeit abhänge. Die Fürsorge sei schlechthin ein ethischer Begriff, der keine Aufspaltung in eine verwaltungsrechtliche und verfassungsrechtliche Betrachtungsweise vertrage. Das Kindergeldgesetz könne aber auch nicht auf Art. 74 Nr. 11 GG gestützt werden, da es ein soziales Problem außerhalb des Wirtschaftslebens behandele. Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, die der Bevölkerungspolitik einen besonderen Platz eingeräumt habe, sehe das Grundgesetz einen Schutz kinderreicher Familien nicht vor. Ebensowenig könne die Gesetzgebungsbefugnis aus Art. 74 Nr. 12 GG hergeleitet werden, weil das Kindergeldgesetz nicht zum Bereich der Sozialversicherung im überkommenen Sinne und nicht zum Arbeitsrecht gehöre. Sie Zuständigkeitszuweisungen an den Bundesgesetzgeber seien eng auszulegen. Auch unter Art. 6 und 105 GG könne das Kindergeldgesetz nicht eingereiht werden.
In jedem Falle verstoße es aber gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Es sei als willkürlich zu bezeichnen, daß die Lasten statt der Allgemeinheit allein den Unternehmern aufgebürdet würden. Sie trügen im übrigen schon durch ihre Steuern zur Besserstellung kinderreicher Familien bei. Als Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei auch die Befreiung der Arbeitnehmer von der Beitragspflicht anzusehen. Eine „absolut willkürliche Behandlung” sei darin zu erblicken, daß im öffentlichen Dienst Kinderzulagen schon vom ersten Kind an gewährt würden, das Kindergeld, in der Privatwirtschaft dagegen erst von dritten Kind an zustehe.
Willkürlich sei weiter die Art der Aufbringung der Mittel nach der Kopfzahl der Beschäftigten wie die Bemessung nach der Lohnsumme. Auch die Bevorzugung der Landwirtschaft verstoße gegen Art. 3 GG.
Im übrigen sei durch das Gesetz eine nach dem Grundgesetz unzulässige Mischverwaltung geschaffen worden.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 7. März 1957 beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auf Grund des Art. 74 Nr. 7, 11 und 12 GG für gegeben und einen Verstoß gegen Art. 3 GG für unbegründet.
Mit Schriftsatz vom 14. Juni 1957 hat der Kläger seine Auffassung durch weitere Ausführungen ergänzt und Abschrift eines Schreibens des Bundesministers für Familienfragen vom 8. Januar 1957 beigefügt.
IV. Nach § 28 KGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten des Kindergeldgesetzes. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich hier. Die Revision ist durch das Landessozialgericht zugelassen worden und demgemäß nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, konnte aber keinen Erfolg haben.
Die Revision hält die Verwaltungsakte der Beklagten für rechtswidrig, weil das Kindergeldgesetz gegen das Grundgesetz verstoße.
Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Der Richter ist deshalb, bevor er seine Entscheidung auf eine Vorschrift stützt, nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu prüfen, ob sie rechtens ist. Bei der Frage, ob ein Bundesgesetz verfassungswidrig ist, hat das Grundgesetz als Maßstab zu gelten. Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit als Incidentfrage ist der erkennende Senat im Wege der konkreten Normenkontrolle zuständig (vgl. Beschl. des BVerfG. vom 19.2.1957, DÖV 1957 S. 712, und Geiger, Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, Vorbemerkung vor § 76 Nr. 2). Nur wenn das Gericht das Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig halten würde, müßte es gem. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGBl. I S. 243) das Verfahren aussetzen und im Wege der abstrakten Normenkontrolle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen. Der Senat ist aber der Auffassung, daß die Kindergeldgesetzgebung zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gehört, und hat auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes, die ggf. zur Unwirksamkeit der Kindergeldgesetze hätte führen müssen, verneint. Deshalb konnte er in der Sache selbst entscheiden.
Er war daran auch nicht durch den Umstand gehindert, daß der Kläger in West-Berlin ansässig ist und damit der Kindergeldgesetzgebung für das Land Berlin unterfällt. Denn nach der Berlin-Klausel (§ 38 KGG) gilt das Kindergeldgesetz auch im Lande Berlin und ist durch das Übernahmegesetz vom 26. November 1954 (GVBl. Berlin S. 656) in Berlin als anwendbar erklärt worden, demnach revisibles Recht. Eines näheren Eingehens auf die Ausführungen des Urteils des Landessozialgerichts bedurfte es deshalb insoweit nicht, auch nicht im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Oktober 1951 (BVerfGE 1 S. 70), der den Grundrechtsteil des Grundgesetzes als für West-Berlin gültig bezeichnet.
V. Hinsichtlich der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ist von zwei wesentlichen Grundsätzen auszugehen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat: „Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Denn es spricht nicht nur eine Vermutung dafür, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern das in dieser Vermutung zum Ausdruck kommende Prinzip verlangt auch im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes” (Beschluß vom 7.5.1953, BVerfGE. 2 S. 266 [282]) und weiter: „Die einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, denen die einzelnen Verfassungsbestimmungen untergeordnet sind. Diese sind deshalb so auszulegen, daß sie mit den elementaren Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers vereinbar sind” (Südweststaat – Urt v. 23.10.1951, BVerfGE. 1 S. 15, 4. Leitsatz).
Unzweifelhaft gehören die Kindergeldgesetze nicht zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach Art. 73 GG, da sie nicht unter die dort aufgezählten Gebiete fallen. Dagegen ist nach Auffassung des Senats die Befugnis des Bundes aus der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 GG gegeben, und zwar aus den Nummern 7 (öffentliche Fürsorge) und 12 (hier: Sozialversicherung).
VI. Zu prüfen ist deshalb zunächst, welchen Inhalt der Begriff „öffentliche Fürsorge” hat.
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung (BVerfGE. 1 S. 299 ff [312]).
Allein aus dem Wortlaut der Nr. 7 ist der Wille des Gesetzgebers allerdings nicht eindeutig zu erkennen.
Der Kläger ist in Übereinstimmung mit dem Gutachten der Hans-Soldan-Stiftung und dem Ergänzungsgutachten dazu (bei Schmelcher, Beitragspflicht des Chefarztes nach dem Kindergeldgesetz?, in „Der Krankenhausarzt”, 1957 S. 22), mit Schnitzler (MDR 1956, S. 712) und Sievers (NJW 1957 S. 441) der Auffassung, das Kindergeldgesetz könne nicht zum Begriff der öffentlichen Fürsorge gerechnet werden, da hierunter nur die staatlich geleitete und aus staatlichen Mitteln gewährte Hilfe bei Einzelnotlage verstanden werden könne. Richtig ist, daß diese Abgrenzung auf die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 100) mit den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. August 1931 (RGBl. I S. 441) – beide in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. August 1953 (BGBl. S. 967) – zutrifft, Sie war das Ergebnis einer Fortentwicklung der früheren Armenpflege ohne deren diskriminierende Wirkungen (Verlust des Wahlrechts) und hatte seit dem ersten Weltkrieg zu einer wesentlichen Ausweitung dieses Aufgabenkreises geführt. Aber der ihr zu Grunde liegende verwaltungsrechtliche Begriff der öffentlichen Fürsorge mit dem Grundsatz der Subsidiarität und der Voraussetzung der Hilfsbedürftigkeit deckt sich nicht mit dem verfassungsrechtlichen im Art. 74 Nr. 7 GG. Dieser geht weiter.
Zutreffend hat Klumker schon 1927 in seinem Artikel „Fürsorgewesen” im Handwörterbuch der Staatswissenschaften (Bd. 4 S. 534) darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung „Fürsorge” ein buntes Gemisch von Armen-, Kulturpflege und Sozialpolitik darstelle. Und auch jetzt ist dieser Begriff kein einheitlicher.
Seine Bedeutung ergibt sich jedoch aus dem Sinnzusammenhang, in den die Vorschrift im Art. 74 GG hineingestellt ist.
In den Nrn. 6, 7, 10 und 12 dieses Artikels wird dem Bunde die Gesetzgebungsbefugnis u.a. auf den Gebieten der Sozialversicherung, der Versorgung und der öffentlichen Fürsorge gegeben, also für die Materien, die jetzt gemeinhin unter dem Sammelbegriff „soziale Sicherheit” zusammengefaßt werden. Ihrem auf „Hilfe” im weitesten Sinne ausgerichteten Wesen nach ist es nur natürlich, daß sie nicht schroff abgesondert nebeneinander stehen, sondern sich ergänzen und ineinander übergreifen. Ein Beispiel hierfür ergibt sich schon aus Art. 74 Nr. 10 GG, nach dem die Gesetzgebungsbefugnis die Versorgung wie die Fürsorge für die Kriegsopfer umfaßt (vgl. dazu die Entstehungsgeschichte im Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Bd. 1 – JöR – S. 514). Zutreffend weist deshalb Bogs (Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, S. 141) darauf hin, daß die deutsche Sozialversicherung von Anbeginn an keine eigentliche „Versicherung” gewesen ist, „sie ist vielmehr ihrer Rechtsform nach eine Sicherung eigener Art, in der Elemente der Versicherung und Versorgung, gelegentlich auch der Fürsorge, aufs engste und … unlöslich miteinander verflochten sind”, und Muthesius führt im Gesamtbericht über den Deutschen Fürsorgetag 1955 (Fürsorge und Sozialreform, S. 27) aus: „Auch Sozialversicherungsträger und Versorgungsträger leisten in größtem Umfange Fürsorge.Fürsorge ist nicht beschränkt auf die eigentlichen Fürsorgeträger”. Die öffentliche Fürsorge umfaßt mehr als das, was die Fürsorgepflichtverordnung darunter versteht. Die in ihr geregelte Fürsorge ist ein Teilgebiet der öffentlichen Fürsorge. Das hat dann aber auch zur Folge, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen und die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel verschiedenartig geregelt werden können, wobei noch berücksichtigt werden muß, daß vom Gesetz nur dieöffentliche Fürsorge erfaßt wird, nicht aber das umfangreiche Gebiet derprivaten Fürsorge, die nicht zur Hilfeleistung verpflichtet ist.
VII. Für die Erkenntnis des Begriffs „öffentliche Fürsorge” im Sinne der Nr. 7 bedarf es eines Zurückgehens auf die Weimarer Reichsverfassung (WR); denn üblicherweise baut eine Verfassung auf einer vorhergehenden auf. Dies gilt auch für das Grundgesetz, das nicht nur von der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 ausgeht, sondern im Art. 140 sogar vorschreibt, daß die Art. 136 bis 139 und 141 WR. „Bestandteile dieses Grundgesetzes” sind, also Teile der Weimarer Reichsverfassung unmittelbar übernimmt. Bei der Auslegung des Wortlauts des Grundgesetzes darf und muß daher auf diese Verfassung zurückgegriffen werden (vgl. auch BVerfGE. 3 S. 415).
Nach Art. 7 WR. stand dem Reiche die konkurrierende Gesetzgebung u.a. für das Armenwesen und die Wandererfürsorge (Nr. 5), ferner für die Bevölkerungspolitik, die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge (Nr. 7) zu. Soweit einBedürfnis für den Erlaß einheitlicher Vorschriften vorhanden war, hätte nach Art. 9 WR. das Reich die Gesetzgebung über die Wohlfahrtspflege (Nr. 1) sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Nr. 2). Diese Ausdrucksweise war so weitgreifend, daß sie der Ermächtigung des Art. 9 den Charakter einer Generalklausel verlieh (Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., Anm. 2 zu Art. 9).
Die Bezeichnung „Wohlfahrtspflege” ist inzwischen weitgehend durch den Begriff „Fürsorge” ersetzt worden.
Bei einer Gegenüberstellung der entsprechenden Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung (Art. 7 Nr. 5 und Nr. 7 sowie Art. 9 Nr. 1) mit Art. 74 Nr. 7 GG könnte es zunächst scheinen, als ob hier ein Unterschied bestünde. Dies trifft aber nicht zu. Daß das „Armenwesen” und die Wandererfürsorge unter den Begriff der öffentlichen Fürsorge auch im Sinne des Art. 74 Nr. 7 GG fallen, ist nicht zweifelhaft. Das muß aber ebenfalls für die in Art. 7 Nr. 7 WR aufgezählten Gebiete – ggf. mit Ausnahme der Bevölkerungspolitik – gelten, da diese insgesamt Maßnahmen der Fürsorge darstellen, allerdings nicht ausschließlich im Sinne der Fürsorgepflichtverordnung, und gilt ebenso für Art. 9 Nr. 1 WR. Es ergibt sich kein Anhalt dafür, daß das ganze Gebiet der „Wohlfahrtspflege” etwa ersatzlos aus der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes wegfallen sollte.
Gerade unter diesen Gesichtspunkten kann Art. 74 Nr. 7 GG aber nur dahin verstanden werden, daß der Begriff „öffentliche Fürsorge” im verfassungsrechtlichen Sinne anders und jedenfalls wesentlich weiter ausgelegt werden muß als im verwaltungsrechtlichen und daß unter diese Vorschrift alle die Gebiete gehören, die entsprechenden Charakter haben, wobei es nicht allein darauf ankommt, individuelle Not zu lindern, sondern auch vorbeugend und helfendin einem weiteren, allgemeineren Sinne zu handeln.
Dies allein entspricht auch der sozialstaatlichen Norm. Denn das Grundgesetz bekennt sich in den Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz 1 zum sozialen Rechtsstaat; die Sozialstaatlichkeit ist zu den tragenden Grundsätzen des Staates erklärt worden (BVerfGE. 1 S. 105; 4 S. 102). Diese Erklärung ist als Rechtsbegriff, als positive Verfassungsnorm anzusehen (vgl. die entsprechenden Ausführungen insbesondere von Abendroth, Nipperdey und Ipsen auf der Bonner Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Oktober 1953, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1954 S. 90, 98, 119, und weiter das Hausarbeitstagsurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.7.1954 – BAG. 1, 51 [56]). Sie ist nicht lediglich eine programmatische Forderung (so Wernicke im Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Erl. II 1 d zu Art. 20), sondern mit Bachof (vgl. die vorgenannten Veröffentlichungen S. 80, Leitsatz I 2) als Ermächtigung und Auftrag zur Gestaltung der Sozialordnung anzusehen, gerichtet auf Herstellung und Wahrung sozialer Gerechtigkeit und auf Abhilfe sozialer Bedürftigkeit. Dies gerade ist der Gegensatz zum sogen. „bürgerlichen” Rechtsstaat, der ggf. Notstände abänderte, aber die Sozialordnung nicht grundsätzlich selbst gestaltete (a.a.O. S. 122; vgl. auch von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Erl. VII zu Art. 20).
Die Befürchtung, daß sich hieraus eine unangemessene Ausweitung der Gesetzgebungsbefugnis ergeben könne, ist unbegründet. Denn durch Art. 72 Abs. 2 GG hat die konkurrierende Gesetzgebung des Art. 74 GG im Gegensatz zu der des Art. 7 WR. schon mehr den Charakter einer Bedarfsgesetzgebung wie im Art. 9 WR. erhalten (so auch Herrfahrdt im Bonner Komm., Art. 72 Anm. II 3).
VIII. Daß die weite Auslegung des Art. 74 Nr. 7 GG dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich auch aus derEntstehungsgeschichte des Grundgesetzes.
Ihr kommt nach dem oben erwähnten Urteil (BVerfGE. 1 S. 299 [312]) für die Auslegung einer Vorschrift insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer Auslegung nach Wortlaut und Sinnzusammenhang bestätigt oder Zweifel behebt, die auf diesem Wege allein nicht ausgeräumt werden können.
Dem Parlamentarischen Rat als der verfassungsgebenden Versammlung lag der sog. Herrenchiemsee-Grundgesetz-Entwurf der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder vor (vgl. dazu den Bericht über den Verfassungskonvent und JöR, Neue Folge, Bd. 1). Im Art. 36 dieses Entwurfs war unter Nr. 10 für die „Vorranggesetzgebung” des Bundes vorgesehen: „Grundsätze für die öffentliche Fürsorge”, wobei der Begriff „Grundsätze” nicht eindeutig erschien und an anderen Stellen durch den Ausdruck „Rahmenvorschriften” ersetzt wurde (Bericht über den Verfassungskonvent S. 30 und JöR S. 454, 465). Über das Verhältnis des Zuständigkeitskatalogs zu dem der Weimarer Verfassung wurde ausgeführt, einige Ziffern hätten gestrichen werden können, weil sie überholt oder in anderen Bereichen aufgegangen seien. An einigen Stellen hätte sich dagegen eine Vermehrung des Katalogs wegen der fortgeschrittenen und fortschreitenden wirtschaftlichen und technischen Entwicklung als notwendig erwiesen. Es war also hier nicht von einer Verschiebung der Zuständigkeit auf die Länder die Rede. Die „Bevölkerungspolitik” (Art. 7 Nr. 7 WR.) war gestrichen worden, weil der Begriff als zu wenig faßbar angesehen wurde und die Ziele der Bevölkerungspolitik auf einzelnen Gebieten zu verwirklichen seien, deren Zuständigkeit anderweit geregelt sei, z.B. auf dem Gebiet des Finanzwesens. Also auch der Begriff „Bevölkerungspolitik” war nicht ersatzlos weggefallen, sondern sollte als aufgeteilt betrachtet werden. Allgemein betrachtete es der Konvent als sein Anliegen, die Rechtseinheit „auf all den Gebieten zu wahren und herzustellen, auf denen das Bedürfnis nach gleichmäßigem Inhalt der Rechtsnormen im Bundesgebiet vordringlich erscheint” (Bericht S. 33).
Auch im Parlamentarischen Rat wurde die Auffassung vertreten, die moderne Entwicklung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens erfordere es,dem Bund eine weite Spanne von Gesetzgebungszuständigkeit zu geben unter der Voraussetzung, daß die Vollziehung der Gesetze bei den Ländern liege und die Länder bei der Willensbildung des Bundes angemessen beteiligt würden (JöR S. 486).
Vom Zuständigkeitsausschuß des Parlamentarischen Rates wurden Bedenken gegen den Ausdruck „Grundsätze für die öffentliche Fürsorge” geäußert, da sie mit den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge verwechselt werden könnten (JöR S. 509, 510). Deshalb wurde später als Nr. 15 in den Katalog aufgenommen „die öffentliche [xxxxx] des Verfassungsgesetzgebers ergab sich unzweifelhaft sein Wille, den Begriff „öffentliche Fürsorge” nicht mehr nur im bisherigen engen verwaltungsrechtlichen, sondern im weitesten Sinn auszulegen, umfassend die gesamte Öffentliche Wohlfahrtspflege einschließlich Mutterschutz, Kinder- und Jugendfürsorge (ebenso Herrfahrdt im Bonner Komm. Nr. II 2 zu Art. 74 Nr. 7 und Hamann, das Grundgesetz, Anm. C 6 zu Art. 74).
Als weiterer Beweis dafür, daß der Begriff „öffentliche Fürsorge” ausdehnend ausgelegt werden muß, sei noch auf folgendes hingewiesen:
Bei der Beratung des Begriffs „Sozialversicherung” in Nr. 12 des späteren Art. 74 wurde festgestellt, „daß die Arbeitslosenfürsorge unter den Begriff der öffentlichen Fürsorge falle” (JöR S. 521). Mit dieser hatte sie jedoch nur gemein, daß sie aus öffentlichen Mitteln geleistet wurde. Im übrigen aber – hier sei stellvertretend nur die für die ehemals brit. Zone geltende MilRegVO Nr. 117 erwähnt – bestand ein Rechtsanspruch auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, was bei den Fürsorgeleistungen nach der Fürsorgepflichtverordnung zu dieser Zeit noch nicht anerkannt wurde (vgl. dazu auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 1954, BVerwGE. 1, 159). Ihre Gewährung hing auch nicht davon ab, daß Hilfsbedürftigkeit vorlag, sondern wurde nur insoweit eingeschränkt, daß bei ihr auf Grund besonderer Anrechnungsvorschriften Bedürftigkeit gegeben sein mußte. Aber besonders bedeutsam war, daß auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nach Art. III MilRegVO Nr. 117 die Bestimmungen über Arbeitslosenunterstützung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) anzuwenden waren, damit also auch § 203 AVAVG, der besagt, daß diese Leistungen „keine Leistungen der öffentlichen Fürsorge” sind. Wie sich aus Satz 2 dieser Vorschrift: „Sie begründen nicht die Verpflichtungen, denen die Empfänger von Fürsorgeleistungen auf Grund der Verordnung über Fürsorgepflicht …. unterworfen sind oder unterworfen werden können” ergibt, sollte sie also nicht wie öffentliche Fürsorge im Sinne der Fürsorgepflichtverordnung behandelt werden.
IX. Aus diesen Darlegungen heraus kann der Auffassung des Klägers, die Zuständigkeitszuweisungen seien als Ausnahmevorschriften eng auszulegen, nicht gefolgt werden. Denn hier handelt es sich lediglich um eine Verteilung der Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Gesetzgebungsbefugnis zwischen Bund und Ländern. Zuständigkeitsvorschriften dieser Art müssen immer in gewissem Sinne Rahmenvorschriften sein. Sie umfassen stets größere Sachgebiete und müssen aus ihren Grundzügen heraus auf die fortschreitende Entwicklung hin ausgelegt werden. Was darunter im einzelnen eingeordnet wird oder werden kann, ist jeweils Angelegenheit des Gesetzgebers. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob er damit die Zuständigkeitsgrenzen überschritten hat.
Soweit die konkurrierende Gesetzgebung in Frage kommt, schränkt sie Art. 72 Abs. 2 GG auf dasBedürfnis unter bestimmten Voraussetzungen ein. Darüber hinaus nun auch noch jede einzelne Katalognummer als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, ist nicht angängig. Bei der Beratung gerade dieser Vorschriften hatte der Berichterstatter des Zuständigkeitsausschusses des Parlamentarischen Rates darauf hingewiesen, daß für das Grundgesetz die sorgfältige Ausarbeitung des Katalogs wichtiger sein werde als nach der Weimarer Reichsverfassung, weil jede Erweiterung der Zuständigkeit des Bundes künftig einer Ergänzung dieses Katalogs bedürfen würde (JöR S. 486). Auch bei den anderen sozial- (und arbeits-) rechtlichen Vorschriften ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, daß der Gesetzgeber, wie es ein Abgeordneter z.B. bei Nr. 6 zum Ausdruck gebracht hatte, „bis zur vollen Ausschöpfung der Möglichkeit” (JöR S. 507 ff) gehen wollte.
Als öffentliche Fürsorge im Sinne des Art. 74 Nr. 7 GG muß deshalb eine durch Gesetz verordnete und geordnete allgemein fürsorgerischen Zwecken dienende Maßnahme verstanden werden, ohne daß im Einzelfall unmittelbar ein Gefährdungstatbestand vorzuliegen braucht. Nicht ausschlaggebend ist, wer die Mittel hierfür aufzubringen hat.
In diesem weiteren Sinne ist Nr. 7 bisher auch vom Gesetzgeber behandelt worden, ohne daß irgendwelche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit geltend gemacht worden wären. Hier sei nur auf das Mutterschutzgesetz vom 24. Januar 1952 verwiesen. Allerdings gehört es nicht in seiner Gesamtheit unter Art. 74 Nr. 7 GG, da es auch Regelungen enthält, die unter Nr. 12 (Arbeitsrecht) fallen. – Daß die Gesetzgebungszuständigkeit aus mehreren Gebieten des Art. 74 hergeleitet werden kann, ist nicht zweifelhaft. – Aber die in den §§ 3 und 4 des Mutterschutzgesetzes (MuschG.) vorgesehenen Beschäftigungsverbote gehen jedenfalls vom Gesichtspunkt allgemeiner Fürsorge für die werdende Mutter aus. Weiter ist hinzuweisen auf die Vorschrift des § 11 MuschG., wonach Hausgehilfinnen und Tagesmädchen, falls ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung seitens des Arbeitgebers nach Ablauf des fünften Schwangerschaftsmonats aufgelöst worden ist, vom Zeitpunkt der Auflösung an bis zum Einsetzen des Wochen- und Stillgeldes eine Sonderunterstützung in Höhe des Durchschnittsverdienstes der letzten 13 Wochen (3 Monate) erhalten. Diese Unterstützung wird zwar den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung vom Bund erstattet. Aber eine Prüfung etwaiger Einzelnotlage erfolgt nicht. Vielmehr wird die Sonderunterstützung auch gegeben, wenn ein Bedürfnis hierfür nicht besteht, soweit nicht die besonderen Anrechnungsvorschriften bei Gewährung einer Abfindung, Entschädigung oder von Arbeitsentgelt in Betracht kommen.
Im übrigen hat der verwaltungsrechtliche Begriff der Öffentlichen Fürsorge dadurch an Bedeutung verloren, daß durch die Gesetzgebung der letzten Jahre im Rahmen der sozialstaatlichen Entwicklung der Katalog der im § 1 der Fürsorgepflichtverordnung angeführten Gebiete eingeschränkt und ein Teil der dort angegebenen Materien neu geregelt sowie zum Teil anderen Behörden oder Körperschaften zur Durchführung übertragen worden ist.
X. Die Bedenken gegen die Zuständigkeit des Bundes liegen in Wahrheit nicht an der Einordnung unter Art. 74 Nr. 7 GG, sondern daran, daß die Mittel hierfür nicht von der Allgemeinheit aufgebracht werden.
Vor dem Erlaß des Kindergeldgesetzes mußte, worauf Goldschmidt, Das Kindergeldgesetz (BArbBl. 1954 S. 726) hinweist, in nicht wenigen Fällen auf dem Wege der individuellen Fürsorge geholfen werden, obwohl der Familienvater in Arbeit stand. Und Achinger (in: Reicht der Lohn für Kinder? S. 45) sagt: „Es zeigt sich, daß für die Schicht der Ungelernten, sofern die Familie nur einen Verdiener hat, die Elendsgrenze beim zweiten oder dritten Kind erreicht wird” und weiter (in: Zur Neuordnung der sozialen Hilfe, 1954 S. 62): „Familien mit drei und mehr Kindern, die nur einen gering verdienenden Ernährer haben, haben – zumindest in großstädtischen Verhältnissen – nicht mehr oder weniger zur Verfügung, als ihnen nach den Bedarfssätzen der öffentlichen Fürsorge zustände” (beide angeführt bei Münke, Die Armut in der heutigen Gesellschaft, Sozialpolitische Schriften, Heft 1 S. 9).
Aber diesen Weg der Abstellung auf den individuellen Notfall wollte der Gesetzgeber vermeiden. Deshalb hat sich der Bundesminister für Familienfragen, u.a. auch in dem vom Kläger vorgelegten Schreiben an den Bund für Sozialreform, durchaus zutreffend dagegen verwahrt, die Zahlung von Kindergeld als eine staatliche Fürsorgeleistung für die Familie zu betrachten, „die Sie weder ist noch sein soll”. Dagegen kann insoweit nicht auf die Denkschrift dieses Ministeriums „Der Familienlastenausgleich” (abgedruckt bei Tiede-Bürger-Wingen, „Das Kindergeldgesetz” S. 564 ff.) Bezug genommen werden, da sie erst im Herbst 1955 vorgelegt worden ist.
Der Gesetzgeber hat deshalb diese Familienfürsorge anstelle des Staates einer kleineren Gemeinschaft, nämlich der Wirtschaft, auferlegt. Ob dies zweckmäßig war oder es besser gewesen wäre, das Gesetz anders aufzubauen, sind Fragen politischer Art, über die zu befinden nicht zur Zuständigkeit des Gerichts gehört. Es hat hier nur zu prüfen, ob die Zuständigkeit des Bundes für diese Gesetze gegeben war. Das ist zu bejahen, da sie unter den erweiterten verfassungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Fürsorge im Art. 74 Nr. 7 GG einzureihen sind.
Dagegen spricht nicht, daß die Kindergeldgesetzgebung bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht berücksichtigt worden ist, ebenso nicht, daß im Ausland Kindergeldgesetze bereits erlassen waren und mit einer entsprechenden Regelung für die Bundesrepublik hätte gerechnet werden müssen. Denn dabei ist auch zu berücksichtigen, daß diese erst am 12. Juni 1951 wieder in die Internationale Arbeitsorganisation (IOA) aufgenommen worden ist (vgl. BArbBl. 1951 S. 406). Eine entsprechendeVerpflichtung aus dieser Zugehörigkeit konnte sich erst ergeben, nachdem von deren Allgemeiner Konferenz in Genf am 28. Juni 1952 das Übereinkommen Nr. 102 „über Soziale Sicherheit (Mindestnormen)”, das im Teil VII Normen für Familienleistungen aufgestellt hat (vgl. Übereinkommen und Empfehlungen 1919 – 1952, herausgegeben vom Internationalen Arbeitsamt in Genf, 1954, S. 864), angenommen und von der Bundesrepublik ratifiziert worden war. Dazu hat jedoch erst das Gesetz vom 18. September 1957 (BGBl. II S. 1321) die Rechtsgrundlage geschaffen.
XI. Nach alledem ist der Senat der Auffassung, daß das Kindergeldgesetz unmittelbar zum Aufgabengebiet der öffentlichen Fürsorge im weiteren – verfassungsrechtlichen – Sinne gehört, nicht etwa nur im Wege des Sachzusammenhanges, der Natur der Sache nach oder im Sinne eines Bedeutungswandels (vgl. BVerfGE. 3 S. 407 [421, 422]). Beim Begriff „öffentliche Fürsorge” liegt allerdings ein weitgehender Bedeutungswandel vor, aber er zeigte sich bereits bei Schaffung des Grundgesetzes. „Fürsorge” ist nicht, wie der Kläger meint, ein ethischer, sondern ein Rechtsbegriff, der auf dem ethischen Begriff der allgemeinen Hilfsverpflichtung beruht. Sie greift, im sozialstaatlichen Sinne durch, wenn sich erhebliche soziale Ungleichheiten ergeben oder zeigen können, ohne daß es im Einzelfalle bis zur Notlage kommen muß. Daß aber eine kinderreiche Familie erhebliche Mehrlasten jeder Art gegenüber einer kinderlosen oder kinderarmen Familie oder gar einem Unverheirateten auf sich nehmen muß, bedarf keiner näheren Erörterung. Das Kindergeld soll sie davor bewahren, daß sie in eine Notlage kommt oder in ihrer sozialen Stellung absinkt. Als „Versorgung” kann die Gewährung des Kindergeldes nicht angesehen werden.
XII. Einen Rechtsgrundsatz, daß Maßnahmen der öffentlichen Fürsorge stets aus öffentlichen, d.h. aus staatlichen Mitteln getragen werden müßten, gibt es nicht. Wohl entspricht es der Übung und ist verständlich, daß für Maßnahmen, welche die Allgemeinheit betreffen, diese auch einzustehen hat, und zweifellos ist der Schutz kinderreicher Familien grundsätzlich als Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft anzusehen. Wenn gleichwohl der Gesetzgeber die Lasten hierfür nicht ihr, sondern einem kleineren Kreis, nämlich der Wirtschaft, aufgebürdet hat, so ist er von der Überlegung ausgegangen, daß zwischen den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung insoweit erhebliche Unterschiede bestehen. Soweit es sich um Arbeitslose, Kriegsbeschädigte und Sozialrentenempfänger handelt, war bei ihnen der Familienstand bereits bisher durch Gewährung von Familienzuschlägen u. dgl. berücksichtigt worden. Das gleiche gilt für den nicht unerheblichen Kreis der im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Außer den sogenannten Berufslosen blieben nur die in der privaten Wirtschaft Tätigen übrig, bei denen – mit einigen Ausnahmen – der Familienstand bei der Entlohnung nicht entsprechend berücksichtigt wurde. Das veranlaßte den Gesetzgeber, die Aufbringung der Mittel für diese kinderreichen Familien den in der Wirtschaft Tätigen aufzuerlegen. Auf den weiteren Grund, der bei den parlamentarischen Beratungen angeklungen ist, daß nämlich die Wirtschaft von den kinderreichen Familien lebe und die Kinder von heute die Arbeiter von morgen seien, kann jedoch eine solche Maßnahme nicht gestützt werden.
Mithin entspricht die Einschaltung der Wirtschaft als Lastenträger dem Grundsatz, daß die Allgemeinheit nur dann Träger von Maßnahmen sein soll, wenn diese Aufgabe nicht auch von einer kleineren Gemeinschaft ebenso gut erfüllt werden könnte (vgl. dazu auch Sievers, a.a.O., I Nr. 5). Dieser Gedanke kann nicht als abwegig oder gar verfassungswidrig bezeichnet werden. Das Kindergeldrecht sieht die Aufbringung der Mitteldurch die Wirtschaft für die in der Wirtschaft Tätigen und im Wege der Ausstrahlung für die unter bestimmten Voraussetzungen aus ihr Ausgeschiedenen sowie für deren Witwen oder Witwer (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 KGEG) vor. Soweit dagegen die übrigen oben genannten Gruppen in Betracht kommen, sind durch das Anpassungs- und das Ergänzungsgesetz andere Leistungsverpflichtete, z.T. der Bund selbst, als Lastenträger vorgesehen. Hierauf wird bei der Frage, ob der Gleichheitssatz verletzt worden ist, noch einzugehen sein.
XIII. Nicht für zutreffend hält der Senat die vom Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Bundestages vertretene Auffassung, das Kindergeldgesetz könne außer auf Art. 74 Nr. 7 GG auch auf Nr. 11 – Recht der Wirtschaft – gestützt werden (vgl. Stenographische Berichte, 2. Wahlperiode 1953, Bd. 21 S. 2114 B). Diese Vorschrift umfaßt nicht die gesamte Wirtschaft, wie sich aus dem Klammerzusatz in Nr. 11 ergibt; denn er erläutert die einzelnen Bestandteile dieses Gebietes (BVerfGE. 3 S. 413) und schränkt sie hiermit zugleich ein. Gerade die Landwirtschaft ist in dem Klammerzusatz nicht mit aufgeführt, ihre Beteiligung ist aber im Kindergeldgesetz mit geregelt worden. Im übrigen fällt das Kindergeldrecht auch nicht unter das Recht der Wirtschaft als solcher. Das Bundesverfassungsgericht hat im Investitionshilfeurteil (BVerfGE. 4 S. 7 [13]) erklärt, Wortlaut und Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung böten keinen Anhalt, die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auf Gesetze zu beschränken, die lediglich organisatorischen Inhalt hätten oder die nur Rechtsbeziehungen der im Art. 74 Nr. 11 GG einzeln aufgeführten Wirtschaftszweige regelten. Nach dieser Vorschrift könnten Bundesgesetze erlassen werden, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingriffen. Im Gegensatz auch zu der Auffassung des Landessozialgerichts kann das Kindergeldgesetz zu dieser Art von Gesetzen nicht gerechnet werden. Wenn es sich auch letztlich in der Wirtschaft durch Entziehung von Mitteln in Form von Beitragszahlungen auswirkt, so stellt es doch kein wirtschaftsordnendes oder -lenkendes Gesetz dar. Es regelt eine soziale oder gesellschaftliche Angelegenheit und fällt deshalb nicht unter Nr. 11.
XIV. Weiter war zu prüfen, ob das Kindergeldgesetz auf die Zuständigkeitsverleihung im Art. 74 Nr. 12 GG gestützt werden kann, und zwar entweder auf das Arbeitsrecht oder die Sozialversicherung, weil gewisse sachliche Zusammenhänge hierzu bestehen.
Der Begriff „Arbeitsrecht” ist schon immer weit ausgelegt worden. Auch der Parlamentarische Rat wollte ihn „in weitem Sinne” verstanden wissen (JöR. S. 519, 520). Bei den Verhandlungen im Bundestag (vgl. Stenographische Berichte, 2. Wahlperiode 1953, Bd. 19 S. 717 ff.) wurde (S. 720) als entscheidender Grund für den „Familienlastenausgleich” angegeben, „daß unsere Tarifverträge auf dem Leistungslohn basieren und daß man immer davon ausgegangen ist und auch heute noch davon ausgeht, der Leistungslohn müsse der sogenannten Normalfamilie, also einer Familie mit zwei Kindern das Existenzminimum sichern”. Um „die soziale Deklassierung der Mehrkinderfamilien abzustellen bezw. zunächst zu mildern”, sollte deshalb, ohne an dem Tarifgefüge zu rütteln, der Leistungslohn auf einen familiengerechten Lohn ausgerichtet werden. Zu diesem Zweck sollten zum Leistungslohn durch Zahlung aus der Wirtschaft, also nicht vom eigenen Betrieb her, Zuschläge in Form von Kindergeld gewährt werden. Diese Art der Regelung fällt jedenfalls nicht unmittelbar in das Gebiet des Arbeitsrechts, auch nicht, soweit es sich um Kindergelder für Arbeitnehmer handelt. Denn das Kindergeldgesetz regelt insoweit nicht Fragen der Entlohnung als solcher und damit auch nicht des Arbeitsrechts. Die Ausdrücke „Familienlastenausgleich” und „Ausrichtung auf familiengerechten Lohn” weisen nur darauf hin, unter welchen Gesichtspunkten die Hilfe für kinderreiche Familien, gestaltet werden sollte.
Als Zuständigkeitsgrundlage aus Nr. 12 kommt dagegen aber das Gebiet der „Sozialversicherung” in Betracht. Wenn dies mitunter in Zweifel gezogen wird, so deshalb, weil verkannt wird, daß ein Unterschied zwischen der sogenannten Privat- und der Sozialversicherung besteht. Die reine Form der Versicherung ist nicht in der Sozialversicherung, sondern in der sogenannten Privatversicherung zu finden. Sie bedeutet die Sicherung vor Gefahren durch Gefahrengemeinschaften der Gefährdeten. DieSozialversicherung dagegen ist eine Sicherung besonderer Art, bei der neben dem Risikoausgleich von wesentlicher Bedeutung der soziale Ausgleich ist, weshalb Beiträge und Leistungen nach sozialen Gesichtspunkten gestaffelt werden (vgl. Bogs, a.a.O., S. 15, 23, 25 mit Schrifttumsangaben).
Wie bei jeder sozialen Versicherung sind auch bei der jetzigen Regelung des Kindergeldrechtes Leistungsempfänger, Beitragspflichtige und ein Träger vorgesehen. Richtig ist, daß die Kreise der Leistungsempfänger und der Beitragspflichtigen sich nicht immer decken. Das ist jedoch bei der Sozialversicherung auch nicht unbedingtes Erfordernis. Im Gegensatz zur reinen Versicherung, bei der grundsätzlich (als Ausnahme vgl. z.B. die Studienversicherung) nur beitragspflichtig ist, wer auch als Leistungsempfänger in Betracht kommen kann, ist charakteristisch für die Sozialversicherung, daß die Beitragspflicht nicht nur die Berechtigten trifft, sondern in jeder Sozialversicherungssparte auch die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, einen Teil der Beiträge zu tragen, ohne daß sie jemals in den Genuß der Leistungen einer dieser Sparten kommen könnten. In der Unfallversicherung werden die Beiträge sogar regelmäßig vom Unternehmer getragen (Ausnahmen in §§ 825, 1163 RVO, vgl. zur Unfallversicherung Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 469 ff.), wobei davon ausgegangen wird, daß die Unfallversicherung sich zugleich als Haftpflichtversicherung für den Unternehmer darstellt. Aber auch das trifft nur zum Teil zu; denn es werden z.B. nach § 543 RVO als Arbeitsunfälle auch die sogenannten Wegeunfälle entschädigt, für die eine Haftpflicht des Unternehmers grundsätzlich nicht in Frage kommt. Ebenso schließt verbotswidriges Handeln des Versicherten die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht aus (§ 542 Abs. 2 RVO). Weiter tritt die Unfallversicherung z.B. auch ein für Personen, die ohne besondere rechtliche Verpflichtung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten und in anderen dort angeführten Fällen (§ 537 Nr. 5 RVO).
Wenn im übrigen auch juristische Personen als Unternehmer oder Arbeitgeber Beiträge zu leisten haben, so ist dies in dem Wesen der Sozialversicherung begründet, so daß also insofern ihre Heranziehung zur Beitragspflicht nach dem Kindergeldgesetz keine Ausnahmeregelung bedeutet.
Daß dagegen die empfangsberechtigten Arbeitnehmer nach dem Kindergeldgesetz nicht beitragspflichtig sind, ist eine Sonderheit, die auf dem Gebiet der Sozialversicherung nur der Regelung in der Unfallversicherung entspricht, aber, wie bei der Behandlung des Gleichheitssatzes zu zeigen sein wird, nicht verfassungswidrig ist.
Träger des Kindergeldes sind die bei den Berufsgenossenschaften errichteten Familienausgleichskassen.
Im Rechtsausschuß des Bundesrates wurde die Auffassung vertreten, das Kindergeldgesetz könne der Sozialversicherung nicht zugerechnet werden, da keine Versicherung gegen die Belastungen finanzieller Art bei Kinderreichtum stattfinde (vgl. Soldan-Gutachten S. 5). Schieckel, Kindergeldgesetz S. 8, drückt es so aus, daß keine Versicherung „für den Fall des Kinderkriegens” erfolge. Dem kann nicht gefolgt werden. Jede Sparte der Sozialversicherung hat ihren besonderen Aufgabenkreis und ihren eigenständigen Versicherungsbereich. Die Sozialversicherung kann nach Bogs (a.a.O., S. 24) in Übereinstimmung mit Manes (Versicherungswesen, 5. Auflage 1932, S. 3) als „gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit” verstanden werden. Beim Kindergeldrecht sind die Mittel für den Bedarf an Beihilfen für das dritte und jedes weitere Kind aufzubringen. Demnach besteht hier kein Unterschied zu anderen Zweigen der Sozialversicherung. Soweit es sich um den Kreis der Beitragspflichtigen (§ 10 KGG) handelt, entspricht die Regelung ebenfalls derjenigen der sonstigen Sozialversicherung – auf die Heranziehung der Selbständigen wird beim Gleichheitssatz noch eingegangen werden –, die grundsätzlich eine Zwangsversicherung ist und sein muß, um zu verhüten, daß günstige Risiken abwandern. Sinn der Zwangsversicherung ist es gerade, einen Ausgleich der Belastung innerhalb der Gemeinschaft der Versicherten herbeizuführen, anstatt sie der Allgemeinheit aufzuerlegen (vgl. Bogs, a.a.O., S. 26, 27).
Demnach kann die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unbedenklichauch auf Art. 74 Nr. 12 „Sozialversicherung” gestützt werden. Dabei ist es nicht erforderlich, die Einordnung mit einem „Bedeutungswandel” des Begriffs Sozialversicherung zu erklären. Denn diese befindet sich seit ihrem Bestehen in einem ständigen Wandel.
XV. Dagegen ist es nicht angängig, die Gesetzgebungsverleihung etwa aus Art. 6 GG zu folgern. Er stellt zwar Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, und Hamann (Das Grundgesetz, Art. 6 Erl. C 2) will darum aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit der Sozialstaatserklärung des Art. 20 Abs. 1 GG den Rechtsanspruch auf finanzielle Beihilfen und andere wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen zu Gunsten kinderreicher Familien herleiten, der seinen sichtbarsten Ausdruck im Kindergeldgesetz gefunden habe. Aber damit ist noch nichts für die hier zu entscheidende Frage gewonnen; denn Art. 6 ist keine Zuständigkeitsvorschrift.
Ebensowenig kann die Befugnis des Bundes auf Art. 105 GG über die Steuergesetzgebung gestützt werden. Die Beitragsregelung des Kindergeldgesetzes weist zwar „einige einer Steuer verwandte Züge auf” (BVerfGE. 4 S. 13). Aber der wahre Rechtscharakter dieses Gesetzes ist, wie oben eingehend dargelegt, ein wesentlich anderer, so daß sich eine weitere Erörterung erübrigt.
Der Senat ist aus alledem der Auffassung, daß dem Bund die Befugnis zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Kindergeldrechts aus Art. 74 Nr. 7 in Verbindung mit Nr. 12 GG zustand und insoweit die vom Kläger behauptete Verfassungswidrigkeit zu verneinen war.
XVI. Der Kläger hat weiter geltend gemacht, daß das Kindergeldgesetz gegen den Gleichheitssatz verstoße. Für seine Person ist er zwar auf Grund seines Einkommens gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG als beitragsfrei erklärt worden. Er hält sich aber insofern noch für beschwert, als er Beiträge an die Familienausgleichskasse für seine Arbeitnehmer zahlen muß. Ohne Rücksicht hierauf bedarf es einer Prüfung, ob durch das Kindergeldgesetz oder einzelne seiner Vorschriften der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird.
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind nach Art. 1 Abs. 3 GG durch die nachfolgenden Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Damit ist zugleich auch der Gleichheitssatz als unmittelbar bindendes Recht anzusehen (vgl. BVerfGE. 1 S. 16, Leitsatz 18, und von Mangoldt-Klein, a.a.O., Erl. III 2 zu Art. 3).
Aus dem natürlichen Inhalt dieses Grundrechts ergibt sich jedoch nicht, daß damit eine „schematische Gleichmacherei” gemeint sein sollte (so auch Wernicke im Bonner Kommentar, Erl. II 1 b zu Art. 3). Dies war jedenfalls nicht die Absicht des Verfassungsgesetzgebers. Der Parlamentarische Rat hatte deshalb im Art. 3 Abs. 1 als Ergänzung zu Satz 1 folgende beiden Sätze vorgesehen: „Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden”. In der dritten Lesung des Hauptausschusses wurden zwar diese Sätze ohne nähere Begründung gestrichen (JöR S. 68, 72), mit Recht weist aber Wernicke (a.a.O.) darauf hin, daß die Streichung keine tiefere Bedeutung habe. Diese beiden Sätze sollten nur eine Erläuterung zum ersten Satz darstellen. Jedenfalls darf der Gesetzgeber künstlich weder Ungleichheiten noch Gleichheiten schaffen, er muß vor allem auch Ungleichheiten auf dem Gebiet des sozialen Lebens berücksichtigen.
Zutreffend vertritt Bachof („Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats” in den Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, Heft 12 S. 54) bei der Auslegung der Verfassung die Meinung: „Verfassungsnormen müssen, sollen sie nicht angesichts der im steten Flusse befindlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse rasch veralten und zur Erschwerung führen, notwendig von einer gewissen Elastizität sein. Sie müssen demgemäß auch elastisch interpretiert werden. Sie lassen oft mehr als eine Auslegung zu, von denen weder die eine noch die andere als „falsch” bezeichnet werden darf.”
Dies gilt insbesondere auch für den vielfach überforderten Gleichheitssatz. Zu seiner Auslegung hat das Bundesverfassungsgericht Grundsätze aufgestellt, die den nachfolgenden Ausführungen zu Grunde zu legen sind. Im Südweststaat-Urteil wird als Sinngehalt des Art. 3 Abs. 1 festgestellt, der Gleichheitssatz verbiete nur, daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht dagegen, daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt werde. „Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß” (BVerfGE. 1 S. 14 [16, Leitsatz 18; 52]). Der Gedanke des Willkürverbots kehrt auch in späteren Entscheidungen immer wieder (vgl. Bd. 2 S. 340; 3 S. 380; 4 S. 155). Im Investitionshilfeurteil (BVerfGE. 4 S. 7 [18]) hat das Bundesverfassungsgericht weiter erklärt, der Gleichheitssatz dürfe nicht dazu benutzt werden, den weiten Ermessensspielraum einzuschränken, den das Grundgesetz dem Gesetzgeber einräume. Nur die Überschreitung oder der Mißbrauch des gesetzgeberischen Ermessens verstoße gegen den Gleichheitssatz.
Der Auffassung Hamanns (NJW 1957 S. 2), daß der überpositive Charakter des Gleichheitssatzes diesen der Verfügung des Gesetzgebers wie auch des Verfassungsgesetzgebers schlechthin entziehe, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist insoweit Ipsen (in seinem Artikel „Gleichheit” in Neumann-Nipperdey-Scheuner, die Grundrechte, 2. Band 1954 S. 113) zuzustimmen, daß der Gleichheitssatz keinen zeitlos-absoluten, sondern einen notwendig variablen Gehalt besitze und heute entscheidend geprägt werde durch sein soziales Substrat (a.a.O. S. 113, 175).
XVII. Die Prüfung, ob das Kindergeldgesetz gegen den Gleichheitssatz verstößt, mußte sich sowohl auf die Abgrenzung der Empfänger des Kindergeldes wie auch auf jene der Beitragspflichtigen erstrecken.
Es ist geltend gemacht worden (vgl. Gutachten der Soldan-Stiftung bei Schmelcher a.a.O. S. 30), das Kindergeldgesetz erfasse nur einen begrenzten Kreis von Empfängern, während den übrigen das Kindergeld vorenthalten worden sei. Bei einer unter Verletzung des Gleichheitssatzes vorgenommenen Auswahl der Normadressaten durch Nichteinbeziehung anderer Personenkreise habe der Gesetzgeber in Wahrheit nicht eine gesetzliche Regelung unterlassen, sondern materiell den Gleichheitssatz verletzt, so daß das Gesetz nichtig sei, und zwar ausnahmslos. Die Nichtigkeit könne auch nicht durch nachträgliche Einbeziehung der nicht angesprochenen Personen mittels eines Ergänzungsgesetzes geheilt werden. Vielmehr sei dieses Ergänzungsgesetz wiederum verfassungswidrig, weil es eine unterlassene Teilregelung enthalte (so auch Sievers, a.a.O., S. 444 III 1a).
Dieser Auffassung kann jedenfalls, soweit es sich um das Kindergeldrecht handelt, nicht beigetreten werden. Es ist allerdings unerwünscht und kann ggf. verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, wenn ein Rechtsstoff durch mehrere einander ergänzende Gesetze gewissermaßen stufenweise geregelt wird. Beim Kindergeldrecht muß jedoch beachtet werden, daß der Gesetzgeber, nachdem im ersten Bundestag trotz jahrelanger Auseinandersetzungen eine Einigung nicht zustande gekommen war, im zweiten Bundestag zur Beschleunigung zunächst – und zwar bewußt – eine Teilregelung für die kinderreichen Familien der in der Wirtschaft Beschäftigten schaffen wollte, bei denen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Gegensatz zu den Angehörigen des öffentlichen Dienstes, den Rentenempfängern usw. der Familienstand bisher nicht berücksichtigt worden war. Als am 14. Oktober 1954 das Kindergeldgesetz in dritter Lesung vom Bundestag angenommen wurde, lag ihm in derselben Sitzung aber bereits ein Initiativantrag vom 8. Oktober 1954 vor, der das Kindergeldanpassungsgesetz zum Gegenstand hatte (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Bd. 21 S. 2355 B). Dadurch sollten die Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in den gesetzlichen Rentenversicherungen, in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz angepaßt werden. Während das Kindergeldgesetz am 13. November 1954 erlassen wurde, folgte das Kindergeldanpassungsgesetz am 7. Januar 1955. Nach § 40 KGG traten die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel, die Anspruchsberechtigung und die Zahlung des Kindergeldes ab 1. Januar 1955 in Kraft. Das Kindergeldanpassungsgesetz wurde – mit einer hier nicht einschlägigen Ausnahme – ebenfalls am 1. Januar 1955 in Kraft gesetzt, so daß diese beiden Gesetze zunächst als einheitliche Regelung angesehen werden müssen.
Das gleiche muß aber auch für das Kindergeldergänzungsgesetz angenommen werden. Denn schon bei der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes am 14. Oktober 1954 hatte der Bundestag eine Entschließung angenommen, in der die Bundesregierung ersucht wurde, „in eine beschleunigte Prüfung darüber einzutreten, in welcher Weise den Familien mit drei und mehr Kindern, die von dem Kindergeldgesetz nicht erfaßt werden konnten und auch von dem noch zu verabschiedenden Kindergeldanpassungsgesetz nicht erfaßt werden, die in dem Kindergeldgesetz festgelegten Leistungen ebenfalls gewährt werden können”. Die Bundesregierung wurde ersucht, bis zum 1. April 1955 über das Ergebnis zu berichten bezw. einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen (vgl. Stenographische Berichte Bd. 21 S. 2355 A, 2381 B). Das dem entsprechende Kindergeldergänzungsgesetz ist zwar erst am 23. Dezember 1955 erlassen worden. Aber nach seinem § 20 war, „soweit ein Anspruch auf Kindergeld oder auf eine andere Leistung durch dieses Gesetz begründet wird”, das Kindergeld oder die Leistung auch für die zurückliegenden Monate, in denen die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, frühestens jedoch – wie bei dem Kindergeldgesetz und dem Kindergeldanpassungsgesetz – vom 1. Januar 1955 an auf Antrag zu gewähren. Da demnach grundsätzlich vom selben Zeitpunkt an allen kinderreichen Familien vom dritten und jedem weiteren Kinde an eine entsprechende Leistung zugebilligt wurde, müssen die drei Gesetze als zusammengehörige einheitliche Regelung angesehen werden. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann insoweit nicht festgestellt werden. Allenfalls könnte von einer zunächst bewußt unvollständigen Regelung gesprochen werden, deren Ergänzung vorgesehen war und nachgeholt worden ist.
Anpassungs- und Ergänzungsgesetz sind ebenfalls als in West-Berlin anwendbar erklärt worden (GVBl. Berlin 1955 S. 81 1956 S. 49).
XVIII. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann auch nicht darin erblickt werden, daß das Kindergeld erst vom dritten Kinde ab gewährt wird, während die Angehörigen des öffentlichen Dienstes es bereits vom ersten ab erhalten. Bei den Angehörigen des öffentlichen Dienstes ist der Kinderzuschlag seit jeher ein Bestandteil des Gehalts oder Entgelts und als Einkommen zu versteuern. Das Kindergeld dagegen ist, auch wenn die Entwicklung des Leistungslohnes auf den familiengerechten Lohn hin bezweckt wird, nicht Lohnbestandteil. Es wird deshalb auch nicht in den Tariflohn eingebaut, sondern als besondere, beim Empfänger steuerfreie Beihilfe gewährt. Ein Vergleich beider Leistungen ist deshalb nicht möglich. Soweit aber ein Ausgleich für die ersten beiden Kinder vermißt wird, hat der Gesetzgeber ihn darin erblickt, daß die Tariflöhne für eine Normalfamilie mit zwei Kindern gelten (vgl. Nr. XIV).
Nach diesen Ausführungen kann aber Art. 3 GG auch nicht dadurch verletzt sein, daß gewisse Gruppen, z.B. die Angehörigen des öffentlichen Dienstes (§ 3 Abs. 2 KGG), von der Gewährung des Kindergeldes ausgeschlossen sind. Soweit es sich dabei um die im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen handelt, liegt auch nicht ein Verstoß gegen Art. 75 Nr. 1 GG vor. Zwar hat danach der Bund nur die Befugnis, über deren RechtsverhältnisseRahmenvorschriften zu erlassen. Aber das Kindergeldgesetz regelt auch nicht dieRechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, vielmehr schließt es nur diese Personengruppen vom Kindergeldbezug aus, weil für sie auf Grund der besoldungsrechtlichen Regelung bereits Kinderzuschläge gewährt werden.
Der Gleichheitssatz wird auch nicht dadurch verletzt, daß das Kindergeld ohne Rücksicht auf etwaige Bedürftigkeit gewährt wird. Auch soweit als Grundlage für das Kindergeldgesetz Art. 74 Nr. 7 GG angenommen wird, ist doch der Wille des Gesetzgebers gewesen, es nicht als Fürsorgeleistung im Sinne des verwaltungsrechtlichen Begriffs, also nur bei individueller Notlage, zu gewähren. Ausgangspunkt war vielmehr, daßin jedem Falle eine Familie mit drei und mehr Kindern eine wesentliche Mehrbelastung gegenüber kinderarmen oder kinderlosen Familien oder gegenüber Unverheirateten zu tragen hat und diese in etwa ausgeglichen werden sollte. Zugleich war damit auch beabsichtigt, eine Deklassierung der Familie in ihrem sozialen Stand zu verhüten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz würde dagegen leicht angenommen werden können, wenn die einzelnen Familien nach ihrem Einkommen verschieden behandelt worden wären.
Verstöße gegen Art. 3 GG, die den Bestand des Kindergeldgesetzes berühren könnten, sind demnach auf der Seite der Empfänger nicht festzustellen.
XIX. Von wesentlicherer Bedeutung sind dagegen die Bedenken, die auf der Beitragsseite hinsichtlich der angeblichen Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht werden. Hier handelt, es sich um drei Fragenkreise, nämlich die einseitige Belastung der Wirtschaft, die Einbeziehung der Selbständigen und die Nichtheranziehung der Arbeitnehmer zur Beitragspflicht.
Die Aufbringung der Mittel als solche ist hier nicht zu behandeln. Sie ist, wie schon oben (XII) dargelegt, ein Teil der Gesetzgebungszuständigkeit; denn ohne ihre Regelung würde das Kindergeldrecht seiner finanziellen Grundlage entbehren. Dabei ist es insoweit ohne ausschlaggebende Bedeutung, ob die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Nr. 7 oder Nr. 12 GG oder aus beiden gemeinsam hergeleitet wird.
Wogegen sich aber der Kläger und das oben angegebene Schrifttum wenden, ist der Umstand, daß die Mittelaufbringungeinseitig der Wirtschaft auferlegt wird. Hierin erblicken sie eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Der leitende Gedanke bei dieser Regelung war, daß die für die Wirtschaft, benötigten Kindergeldmittel durch die Wirtschaft selbst aufgebracht werden sollten. Zwischen der Eigenverantwortung der Familie und der Gesamtverantwortung des Staates sollte der Verantwortungsbereich der Wirtschaft als mittlerer Verantwortungsbereich eingeschaltet werden (vgl. Stenographische Berichte Bd. 21 S. 2329 C). An Stelle der Allgemeinheit sollte ein kleinerer Kreis herangezogen werden, von dem man erwartete, daß er der Durchführung dieser Aufgabe ebenso gewachsen sein würde. Die Regelung ist also als eine rein berufsständische gedacht und beruht – wie bereits erwähnt – auf der Erwägung, daß im Gegensatz zu den im öffentlichen Dienst Tätigen, den Rentenempfängern, Arbeitslosen usw. bei den in der Wirtschaft Beschäftigten der Familienstand durch die Tarifverträge mittelbar nur bis zum zweiten Kind berücksichtigt wird. Wenn man den Standpunkt einnehmen wollte, daß es Aufgabe der Allgemeinheit gewesen sei, für diese Mehrkinder zu sorgen, so hätte dies wohl nur unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungspolitik geschehen können. Diese ist aber, wie bereits oben dargelegt, mit besonderer Absicht nicht unmittelbar in den Zuständigkeitskatalog aufgenommen worden. Das Gegenteil einer solchen Regelung wäre gewesen, den einzelnen Unternehmer zu verpflichten, für die kinderreichen Arbeitnehmer seines Betriebes zu sorgen, etwa wie dies im Mutterschutzgesetz für die werdende Mutter vorgesehen ist. Die Folge davon wäre aber eine Beschränkung der Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen Betriebes gewesen, die dazu geführt hätte, daß er sich der kinderreichen Arbeitnehmer möglichst bald entledigen würde. Deshalb hat der Gesetzgeber den Mittelweg gewählt, die Wirtschaft als solche zu belasten. Die gewerbliche Wirtschaft ist, wie das Bundesverfassungsgericht in dem Investitionshilfeurteil ausgeführt hat, von jeher als besonderes Objekt öffentlicher Lasten anerkannt, es sind sogar in der Rechtsprechung Sondersteuern für einzelne Berufsstände und Gewerbezweige als mit dem Gleichheitssatz vereinbar angesehen worden, wenn sie mit der Eigenart des Sachverhalts begründet werden können (BVerfGE. 4 S. 19).
Aufgabe des Gesetzgebers ist es, bei der Auswahl der Tatbestände, für die eine gesetzliche Regelung getroffen wird, sachgemäß zu verfahren, also nach Gesichtspunkten, die sich aus der Art der zu regelnden Lebensverhältnisse ergeben, d.h. nicht willkürlich sind, und weiter, daß die vom Gesetz geregelten Tatbestände in sich gleichartig geregelt sind (BVerfGE. 4 S. 219 [243]). Wenn hier der Gesetzgeber die Wirtschaft als solche belastet hat, so kann nach dem bisher Ausgeführten daraus nicht wohl der Schluß gezogen werden, daß diese Regelung etwa willkürlich gewesen sei. Die Maßnahmen sind eingehend durchdacht, entsprechen – bei der derzeitigen Regelung – vernünftiger Überlegung und verletzen nicht den Gleichheitssatz.
XX. Die Belastung der Wirtschaft mit der Aufbringungspflicht besagt nun allerdings noch nichts darüber, ob etwa bei der Auswahl der Personen, die beitragspflichtig sind, der Gleichheitssatz verletzt sein könnte. Nach § 10 KGG ist beitragspflichtig, wer für Arbeitnehmer, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaften …. aufzubringen hat oder hätte, wenn diese Personen versichert wären. Damit ist gemeint, daß alle Unternehmer für sich, für ihre Arbeitnehmer und für ihre mithelfenden Familienangehörigen Beiträge aufzubringen haben, soweit nicht Ausnahmevorschriften dem entgegenstehen.
Der Gesetzgeber hatte die verschiedensten Möglichkeiten, die Wirtschaft zu belasten. Er konnte die Betriebe als solche je nach Größe, Umsatz usw. zur Beitragspflicht heranziehen, er konnte die Unternehmer nur nach der Zahl der Arbeitnehmer, aber auch die Unternehmer selbst und ggf. auch die Arbeitnehmer mit als beitragspflichtig erklären. Wie sich aus § 10 KGG ergibt, hat er den Weg gewählt, die Selbständigen zu belasten, aber nicht nur für ihre Arbeitnehmer und mithelfenden Familienangehörigen, sondern auch für sich selbst. Unter Selbständigen versteht er nach § 2 Abs. 3 KGG alle Unternehmer im Sinne des Dritten Buches der RVO, einschließlich der Hausgewerbetreibenden und Zwischenmeister, mit Ausnahme der Haushaltungsvorstände. Anknüpfungspunkt ist damit der Unternehmerbegriff des § 633 Abs. 1 RVO: „Unternehmer eines Betriebes oder einer Tätigkeit ist derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb oder die Tätigkeit geht”. Dabei werden Unterschiede weder zwischen natürlichen und juristischen Personen noch hinsichtlich des Betriebes oder der Tätigkeit gemacht.
Sievers (a.a.O. S. 445 III 2a) meint, die leichte organisatorische Erfaßbarkeit gerade dieses Kreises vermöge die Auswahl nicht zu rechtfertigen, weil hier die Auferlegung von Pflichten in Frage komme. Dem kann nicht beigetreten werden. Wenn der Gesetzgeber die Durchführung des Kindergeldrechts Familienausgleichskassen übertragen wollte, die bei den Berufsgenossenschaften errichtet werden sollten – den Grund dafür sah er, und zwar nicht abwegig oder willkürlich, darin, daß die Berufsgenossenschaften über die umfangreichsten Unterlagen der einzelnen Betriebe verfügen –, dann blieb ihm ein anderer Weg als der im § 10 KGG gewählte kaum übrig. Jede andere Regelung würde eine anders geartete systematische Ordnung vorausgesetzt haben.
Daß die Unternehmer für die Mehrkinder im Bereiche ihrer Familienausgleichskasse als beitragspflichtig erklärt werden, kann – immer die jetzige Regelung vorausgesetzt – nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz angesehen werden. Denn insoweit werden sie auf dem Boden berufsständischer Solidarität alle gleichartig herangezogen. Die Einwendungen des Klägers können deshalb nicht als berechtigt angesehen werden.
Zweifel sind weiter hinsichtlich des Kreises der Unternehmer, insbesondere wegen der Heranziehung der nach § 541 Nr. 5 und Nr. 6 RVO Versicherungsfreien, geltend gemacht worden. Aber auch sie sind nicht begründet. In der Unfallversicherung sind diese Berufskreise von der Versicherungspflicht ausgenommen, weil es der Gesetzgeber nicht für richtig gehalten hat, sie dem Schutz der Unfallversicherung zu unterstellen (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 478). Im Kindergeldrecht handelte es sich aber darum, daß in erster Linie für dieberufstätigen kinderreichen Arbeitnehmer – soweit sie nicht, wie die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, schon anderweit versorgt waren – das Kindergeld aufgebracht werden sollte, also auch für die im Bürodienst Beschäftigten. Ob die Arbeitnehmer, die bei den insoweit Beitragspflichtigen des § 541 Nr. 5 RVO tätig sind, die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes erfüllen, konnte dabei nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, da dies bei den übrigen Unternehmern auch nicht berücksichtigt wird. Die Beantwortung der weiteren Frage, ob diese Kreise zur Wirtschaft zu rechnen sind, ergibt sich daraus, daß sie jedenfalls unter den Unternehmerbegriff des § 633 RVO fallen und der Begriff Wirtschaft im Sinne der Unfallversicherung und demgemäß auch des Kindergeldgesetzes im weitesten Sinne aufzufassen ist.
Die Belastung der Selbständigen mit der Entrichtung von Kindergeld auch für ihre Person beruht auf der Regelung, daß sie für ihre Person auch empfangsberechtigt sind, wenn sie mehr als zwei Kinder haben. Ihre Heranziehung kann nicht als unbillig angesehen werden; denn würde man sie zwar allgemein als empfangsberechtigt bezeichnen – daß sie ausgenommen wurden, wäre nicht zu rechtfertigen gewesen –, aber für ihre Person beitragsfrei lassen, so würde allgemein für sie eine Entlastung dadurch kaum eintreten. Die Beiträge richten sich nach dem Bedarf, d.h. also nach der Zahl der Mehrkinder im Bereiche der Familienausgleichskasse. Die Befreiung der Selbständigen selbst von der Aufbringungspflicht würde nur eine Verschiebung insofern darstellen, als dann je Kopf der Arbeitnehmer ein höherer Beitrag gezahlt werden müßte. Das gilt ebenso für die juristischen Personen, wenn sie auch der ganzen Sachlage nach als Empfänger nicht in Frage kommen können,
Da somit die Unternehmer in gleicher Weise herangezogen, also gleich behandelt werden, ist ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht gegeben. Das Grundgesetz hat, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE. 4 S. 15) ausgeführt hat, die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. „Der einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt.” In diesem Rahmen aber hält sich das Kindergeldrecht.
XXI. Anders liegt die Frage, ob es zu vertreten ist, daß die unselbständig Beschäftigten zu Beiträgen nicht herangezogen werden, und zwar ohne Rücksicht auf ihr Einkommen, das zum Teil das eines Selbständigen weit übersteigt. Wollte man sie ebenfalls mit Beiträgen belasten, so würde damit für diesen Kreis der Grundgedanke der Kindergeldregelung verfälscht werden, den Leistungslohn in gewissem Sinne zu einem sozialgerechten Familienlohn hinzuführen. Denn der Leistungslohn des einzelnen Arbeitnehmers, den das Kindergeldgesetz unangetastet läßt, würde dann in der Wirkung unmittelbar um die Beträge gekürzt werden, die von ihm als Beiträge aufzubringen wären. Daß dies nicht nur unberechtigt, sondern auch ungerecht wäre, bedarf bei der jetzigen Regelung keiner weiteren Begründung. Dabei kann es im Einzelfall nicht auf die Höhe des Entgelts ankommen, da unbestreitbar die Aufziehung und Versorgung von Mehrkindern in jedem Falle entsprechende Mehrlasten zur Folge hat. Ob das Kindergeld bei höherem Einkommen notwendig, angebracht oder überhaupt wirksam ist, braucht deshalb hier nicht untersucht zu werden. Die Prüfung des Gerichts hat sich nur darauf zu erstrecken, ob der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seines Ermessens innegehalten und dieses nicht mißbraucht hat (BVerfGE. 4 S. 18). Davon kann aber hier nicht gesprochen werden. Umgekehrt könnte aber jede Ausnahmeregelung zur Annahme einer Verletzung des Gleichheitssatzes führen. Im übrigen wird die Rüge eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz mit der Absicht, ein Gesetz zu Fall zu bringen, jedenfalls nicht schon dann geltend gemacht werden können, wenn damit – wie bei der Nichtheranziehung hochbezahlter Arbeitnehmer – lediglich nicht erheblich ins Gewicht fallende Auswirkungen berührt werden, sondern die angebliche Verletzung mehr oder weniger theoretischer Natur ist.
XXII. Unzutreffend ist auch die Auffassung, Art. 3 Abs. 1 GG sei dadurch verletzt, daß die bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften und der See-Berufsgenossenschaft errichteten Familienausgleichskassen 2/3 des Bedarfs der bei landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften errichteten Familienausgleichskassen aufzubringen hätten (§ 11 Abs. 2; § 14 Abs. 1, 2 KGG). Es ist eine statistisch nachzuweisende Tatsache, daß Mitglieder der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und damit ihrer Familienausgleichskassen zu einem sehr erheblichen Teil kleine und kleinste Unternehmer sind, die zwar in größerem Umfang als sonst zu den Kinderreichen gehören, wegen der geringen Größe ihrer Wirtschaft aber finanziell besonders leistungsschwach sind. Daß die Landwirtschaft seit längerer Zeit staatlicher Unterstützungen bedurfte und noch bedarf, ist bekannt. Die Belastung dieser Unternehmer in der gleichen Weise wie die der gewerblichen Wirtschaft würde zu einer ungerechtfertigten Überforderung führen. Hier liegt eine naturgegebene Ungleichheit im wirtschaftlichen und sozialen Leben vor, die der Gesetzgeber berücksichtigen mußte. Hätte er die landwirtschaftlichen Unternehmer mit den anderen gleich behandelt, so hätte er damit gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Denn die gesetzliche Regelung muß der Eigenart des Sachverhalts entsprechen, durch sie gerechtfertigt werden und am Gedanken der Gerechtigkeit orientiert sein (BVerfGE. 4 S. 18).
XXIII. Der Kläger sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz auch in der Art, wie die Mittel aufgebracht werden, wobei er die Bemessung nach der Kopfzahl der Arbeitnehmer für ebenso ungerecht und willkürlich hält wie die nach der Lohnsumme. Diese Rüge ist nicht gerechtfertigt. Ein Maßstab muß für die Berechnung der Beiträge zugrunde gelegt werden. § 11 KGG enthält hierfür bestimmte und Ermessensvorschriften, wobei letztere dazu dienen sollen, eine unzumutbare Belastung auszuschließen. Diese Grundsätze an sich verstoßen nicht gegen Art. 3 GG. Das würde nur anzunehmen sein, wenn ein Ermessensmißbrauch vorliegen würde, und zwar bei den Beschlüssen und Maßnahmen der einzelnen Familienausgleichskassen und gegebenenfalls des Gesamtverbandes.
Die Berechnungsweise nach § 11 KGG beruht auf dem Gedanken der Selbsthilfe und Selbstverwaltung innerhalb der berufsständischen Gemeinschaft. Daß sich im Einzelfall Härten ergeben können, mag zutreffen. Sie können aber bei jeder gesetzlichen Regelung eintreten, ohne daß diese damit gegen den Gleichheitssatz verstößt. Im übrigen werden sich gewisse Anlaufschwierigkeiten immer zeigen, später aber nach Möglichkeit beseitigen oder ausgleichen lassen. Der Kläger hätte das Rügerecht deshalb nur, wenn er geltend machen könnte, daß die für ihn zuständige Familienausgleichskasse willkürlich ihre Maßnahmen getroffen hätte. Hierfür ergeben sich aus seinem Vorbringen keine Anhaltspunkte.
Das gleiche gilt, soweit er sich darauf beruft, daß die Familienausgleichskassen die Selbständigen verschieden behandeln; denn auch dies liegt in ihrer Ermessensbefugnis.
XXIV. Unzutreffend ist die weitere Rüge einer unzulässigen Mischverwaltung. Sie würde nur gegeben sein, wenn der als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtete Gesamtverband der Familienausgleichskassen (§ 19 KGG) als übergeordnetes Bundesorgan eine Weisungsbefugnis nicht nur gegenüber den bundes-, sondern auch den landesunmittelbaren Familienausgleichskassen haben würde. Denn diese teilen wegen ihrer Anschließung an die Berufsgenossenschaften auch deren staatsrechtlichen Stand. Der Gesamtverband ist zwar rechtlich eine selbständige Körperschaft, aber seine Mitglieder sind nur die Familienausgleichskassen, deren (je zwei) Mitglieder die Vertreterversammlung bilden und aus deren Mitte den Vorstand wählen. (§§ 21 bis 23 KGG). Der Geschäftsführer selbst gehört diesem nur mit beratender Stimme an (§ 24 KGG). Daraus ergibt sich, daß der Gesamtverband lediglich eine Zusammenfassung der Familienausgleichskassen darstellt und in dieser Form als besondere Aufgaben die Umlegung von Zuschüssen für die landwirtschaftlichen Familienausgleichskassen auf die übrigen und den Ausgleich unter bedürftigen Kassen (§§ 14 Abs. 2 und 3, 23 Abs. 3 KGG) durchführt. Jedenfalls ist damit nicht ein Dritter als weisungsbefugt anzusehen. Das kann auch nicht für die Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 2 KGG angenommen werden, wonach der Gesamtverband für die Antragstellung die Verwendung eines einheitlichen Antragsvordrucks für alle Familienausgleichskassen vorschreiben kann, da es sich hier um eine der Vereinfachung dienende, rein büromäßige Maßnahme handelt. Die im Gesamtverband zusammengeschlossenen Familienausgleichskassen treffen die Entscheidungen in eigener Zuständigkeit. Als eine unzulässige Mischverwaltung kann diese Organisationsform nicht angesehen werden. Abgesehen davon würde sie nicht dazu führen, die Rechtsgültigkeit des Kindergeldgesetzes als solchen in Zweifel zu ziehen.
XXV. Demnach ist zusammenfassend festzustellen:
Das Kindergeldgesetz ist auf Grund der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ordnungsmäßig zustande gekommen. Verstöße gegen den Gleichheitssatz liegen nicht vor.
Die angefochtenen Verwaltungsakte sind rechtens.
Die Revision ist inbegründet, sie mußte deshalb zurückgewiesen werden (§ 17 Abs. 1 Satz [xxxxx] SGG).
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 707828 |
NJW 1958, 1252 |