Leitsatz (amtlich)

Mit GG Art 3 Abs 1 vereinbar sind RVO § 728 Abs 3 sowie die Satzung einer Bau-BG, die als Beitrag für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten einheitlich den in dieser Vorschrift bezeichneten Höchstsatz bestimmt.

 

Orientierungssatz

GG Art 80 bezieht sich nicht auf die Befugnis von Selbstverwaltungskörperschaften, autonomes Recht (Satzungsrecht) zu setzen.

 

Normenkette

RVO § 728 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 80 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Mai 1966 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger ließ 1964 ein 2-Familienhaus in eigener Regie erbauen. Er meldete der Beklagten die bei diesen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten in der Zeit von Mai bis August 1964 tätigen 22 Personen - davon 7 Maurer, 3 Zimmerleute und 12 Hilfsarbeiter -, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und die Bruttolöhne im Gesamtbetrag von DM 7.679,-. Mit Heberollenauszug vom 14. September 1964 verlangte die Beklagte vom Kläger einen Unfallversicherungs(UV)-Beitrag in Höhe von DM 598,96. Dieser Betrag ergab sich aus der Lohnsumme, vervielfältigt mit der Gefahrklasse (13) und dem Beitragsfuß (0.006). Dieser Beitragsfuß war nach der Satzung der Beklagten (§ 15 Abs. 5 in der genehmigten, seit 1.7.1963 geltenden Fassung) iVm § 728 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG - für die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten anstelle des sonst maßgebenden Beitragsfußes von 0,0015 vorgeschrieben. Den Widerspruch, mit dem der Kläger die Anwendung des erhöhten Beitragsfußes bemängelte, wies die Beklagte durch Bescheid vom 28. Oktober 1964 zurück, in dem sie eingehend darlegte, aus welchen Gründen die Erhöhung des Beitragsfußes auf das Vierfache des Normalsatzes gemäß § 728 Abs. 3 RVO Rechtens sei.

Der Kläger begehrt mit der hiergegen erhobenen Klage Aufhebung des Beitrags- und des Widerspruchsbescheids sowie Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung von DM 449,22 zuzüglich 4 % Prozeßzinsen. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage mit Urteil vom 6. April 1965 abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 9. Mai 1966 die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 728 Abs. 3 RVO widerspreche nicht höherrangigen Rechtsnormen, insbesondere nicht dem Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Die beitragsmäßige Unterscheidung zwischen gewerbsmäßigen und nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten sei gerechtfertigt, da bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten das Unfallrisiko ungleich höher sei. Es komme nicht darauf an, ob die allgemein gefahrerhöhenden Umstände im Einzelfall auch wirklich vorlägen; daher sei es unerheblich, daß der Kläger auch geschulte Kräfte beschäftigt und einen Bauingenieur mit der verantwortlichen Leitung beauftragt habe. Möge nun auch das höhere Unfallrisiko für sich allein eine so starke Beitragserhöhung nicht rechtfertigen, so sei doch noch zu berücksichtigen, daß die gewerblichen Bauunternehmer mit ihren regelmäßigen Beiträgen den Aufbau der UV - insbesondere auch des technischen Überwachungsdienstes - überhaupt erst ermöglichten, woraus die nicht gewerblichen Unternehmer während ihrer kurzen Tätigkeit Nutzen zögen; ein entsprechender Ausgleich hierfür sei durchaus sinnvoll. Die Regelung des § 728 Abs. 3 RVO sei auch genügend bestimmt im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Wegen des der Berufsgenossenschaft (BG) durch § 728 Abs. 3 RVO eingeräumten Ermessens (BSG 13, 189, 194) könne die Satzung der Beklagten vom Gericht nur beanstandet werden, wenn sie dem zugrunde liegenden Gesetz oder höherrangigem Recht zuwiderliefe. Dies sei hier nicht der Fall. Zu einer Abstufung der Beitragserhöhung innerhalb des gesetzlichen Rahmens nach weiteren Merkmalen - z. B. der Art der Bauleitung - ergebe sich aus § 728 Abs. 3 RVO keine Verpflichtung. Mit der generellen Vervierfachung des Beitragsfußes habe die Beklagte ihren Ermessensspielraum nicht überschritten. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 14. Juli 1966 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. August 1966 Revision eingelegt und sie am 6. September 1966 folgendermaßen begründet: Die vom LSG angeführten Gesichtspunkte zur Unterscheidung des Unfallrisikos bei gewerbsmäßigen und bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten seien nicht schlüssig. Die nur vorübergehende Mitgliedschaft bei der Bau-BG habe ein entsprechend viel geringeres Unfallrisiko zur Folge. Auch gewerbliche Baufirmen könnten nach kurzer Tätigkeit, während der sich ein schwerer Unfall ereignet habe, ihren Betrieb einstellen. Schließlich sei die Gleichbehandlung auch dadurch verletzt, daß nicht ein Fall berücksichtigt werde, in welchem - wie hier - die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten von einem Baufachmann geleitet würden, wodurch im Ergebnis die Gleichheit zu gewerblichen Bauunternehmen hergestellt sei. Auf solche gefahrmindernden Umstände komme es wesentlich an. § 728 Abs. 3 RVO und § 15 Abs. 5 der BG-Satzung verhinderten geradezu, indem sie es allein auf die Unterscheidungsmerkmale "gewerbsmäßig" und "nicht gewerbsmäßig" abstellten, eine Differenzierung nach dem echten Unfallrisiko. Hiernach verstoße das angefochtene Urteil gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Aus den gleichen Gründen erscheine § 728 Abs. 3 RVO auch unvereinbar mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, Zweck und Ausmaß der Norm seien nicht hinreichend begrenzt und bestimmt. § 15 Abs. 5 der BG-Satzung - eine in anderen Bundesländern gleich oder ähnlich gefaßte Regelung - setze pauschal und schematisch den in § 728 Abs. 3 RVO bestimmten Höchstbetrag fest, ohne von der im Gesetz vorgesehenen Differenzierung Gebrauch zu machen. Hierin liege ein Ermessensmißbrauch der Beklagten. Schließlich sei § 15 Abs. 5 der BG-Satzung auch deshalb unwirksam, weil die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten auf die Festsetzung des Beitragsfußes durch die - allein aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehende - Vertreterversammlung keinen Einfluß gehabt hätten. Der Kläger beantragt,

unter Änderung der angefochtenen Urteile die Beklagte gemäß dem Klagebegehren zu verurteilen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1; 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie hat jedoch keinen Erfolg.

Mit der Revision wird u. a. geltend gemacht, § 15 Abs. 5 der Satzung der beklagten BG verstoße gegen höherrangige Rechtsnormen. Da der Inhalt dieser Bestimmung - offensichtlich bewußt und gewollt - mit den Satzungen der anderen Bau-BGen übereinstimmt, handelt es sich bei ihr um revisibles Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG (vgl. BSG 13, 189, 191, 192 mit weiteren Nachweisen). Daß sich bei den übrigen BGen die Regelung, wonach für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten das Vierfache des nach dem Gefahrtarif errechneten Beitrags erhoben wird, an anderer Stelle der Satzung, nämlich in § 63 Abs. 1 findet, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Die seit dem 1. Juli 1963 geltende Vorschrift des § 728 Abs. 3 RVO ermächtigt die BG, in ihrer Satzung den Beitrag für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten auf ein Mehrfaches des nach dem Gefahrtarif errechneten Beitrags zu erhöhen. Eine derartige Sonderregelung für längere nicht gewerbsmäßige gegenüber den gewerbsmäßig betriebenen Bauarbeiten war schon dem früheren Recht bekannt. Die Prämien, die von den vor dem 1. Juli 1963 zuständigen Zweiganstalten (§§ 783 ff RVO aF, insbesondere §§ 798 bis 804) erhoben wurden, überschritten regelmäßig die für vergleichbare gewerbsmäßige Bauarbeiten zu entrichtenden Beiträge (vgl. z. B. LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1967, 389). Das UVNG, das unter Beseitigung der Zweiganstalten die UV der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten - soweit diese länger als sechs Tage dauern - unmittelbar den Bau-BGen zugewiesen hat, ist diesem überlieferten Prinzip der Beitragserhöhung gefolgt. Maßgebend hierfür war, wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, die Erwägung, die Sonderregelung in § 728 Abs. 3 RVO sei deshalb notwendig, weil die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten, die bisher bei den Zweiganstalten nach besonderen Prämientarifen zu Beiträgen herangezogen wurden, nur kurzfristig Mitglieder der BG seien und deshalb für die Belastung aus Arbeitsunfällen in späterer Zeit nicht mehr herangezogen werden könnten (vgl. BT-Drucks. III/758 S. 64 zu § 726 des Entwurfs; BT-Drucks. IV/120 S. 67 zu § 725 des Entwurfs; s. auch Linthe in BG-Sonderheft vom 27.5.1963 S. 32).

Dies reicht nach der Auffassung des Senats aus, um die in § 728 Abs. 3 RVO getroffene Regelung zu rechtfertigen und zugleich die von der Revision hiergegen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken zu entkräften. Mit ihrem Einwand, auch gewerbliche Baufirmen könnten schon bald nach ihrer Gründung - bereits mit schweren Arbeitsunfällen belastet - den Betrieb schließen, verkennt die Revision, daß ein solcher Vorgang bei Baufirmen zweifelsfrei als Ausnahmeerscheinung erachtet werden muß, wogegen es für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten gerade typisch ist, daß ihre Unternehmer nur vorübergehend als Beitragsschuldner der BG erreichbar sind, anschließend jedoch - trotz ihrer evtl. hinterlassenen Unfallbelastung - mit der Aufbringung der für die UV erforderlichen Mittel nichts mehr zu tun haben. Auf längere Sicht tragen vielmehr die gewerblichen Bauunternehmer mit ihren im Wege des Umlageverfahrens erhobenen Beiträgen auch diejenigen Aufwendungen mit, die auf den bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten eingetretenen Unfällen beruhen. Wie das LSG mit Recht dargelegt hat, ermöglichen die gewerblichen Bauunternehmer mit ihren regelmäßigen Umlagebeiträgen auch die Schaffung und Unterhaltung der für die UV erforderlichen ständigen Einrichtungen, zumal auf dem Gebiet der Unfallverhütung. Unter diesen Umständen ist die der Beitragsbemessung zugrundeliegende Differenzierung nach den Merkmalen "gewerbsmäßig" und "nicht gewerbsmäßig" sachgerecht und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der vom LSG ferner hervorgehobene Gesichtspunkt des unterschiedlichen Gefahrenrisikos ist demgegenüber nach Meinung des Senats weitaus weniger bedeutsam, so daß die hierauf bezüglichen Revisionsangriffe einer Stellungnahme im einzelnen nicht bedürfen.

Bei ihren Darlegungen, die in § 728 Abs. 3 RVO enthaltene Ermächtigung zum Erlaß von Satzungsbestimmungen genüge nicht den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, übersieht die Revision, daß sich Art. 80 GG nicht auf die Befugnis von Selbstverwaltungskörperschaften bezieht, autonomes Recht zu setzen (vgl. BVerfG 12, 319, 325; Maunz/Dürig/Herzog, GG-Komm., Randnote 31 zu Art. 80; Leibholz/Rinck, GG-Komm., 3. Aufl., Anm. I 2 zu Art. 80; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 6. Aufl., S. 190 p XIII); auch eine analoge Anwendung des Art. 80 GG kommt bei der Prüfung autonomen Satzungsrechts nicht in Betracht (Maunz/Dürig/Herzog aaO Randnote 34).

Die auf der in § 728 Abs. 3 RVO erteilten Ermächtigung beruhende Satzung der Beklagten hat in § 15 Abs. 5 - ebenso wie die Satzungen der übrigen Bau-BGen jeweils in § 63 Abs. 1 - den für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten zu entrichtenden Beitrag einheitlich auf das Vierfache des nach dem Gefahrtarif errechneten Beitrags festgesetzt. Damit hat die Beklagte ohne irgendwelche Abstufungen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstbegrenzung gewählt. Eine Abstufung der Beitragserhöhung innerhalb des gesetzlichen Rahmens wäre allerdings möglicherweise denkbar, jedoch ist die BG, wie das LSG mit Recht angenommen hat, hierzu auf Grund des § 728 Abs. 3 RVO nicht verpflichtet. Gerade der dem Kläger vorschwebende Differenzierungsmaßstab - fachliche Qualifikation des bei den nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten mitwirkenden Bauleiters - würde übrigens in der Praxis so unübersehbare Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen, daß der Beklagten die Nichtheranziehung dieses Maßstabs keinesfalls als Ermessensfehlgebrauch anzulasten ist. Soweit schließlich die Revision den § 15 Abs. 5 der BG-Satzung deshalb für unwirksam hält, weil die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten auf die Festsetzung des Beitragsfußes durch die Vertreterversammlung keinen Einfluß hätten, übersieht sie, daß diese Unternehmer wegen der meist nur verhältnismäßig kurzen Dauer ihrer Bautätigkeit in der Regel der BG zu fern stehen, um organisatorisch an Beratungen und Beschlüssen der Selbstverwaltungsorgane beteiligt werden zu können (vgl. § 664 Abs. 4 RVO; Lauterbach, Ges. UV, 3. Aufl, Anm. 11 zu § 664).

Die Revision ist somit unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324502

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