Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung irrtümlicher Leistung
Leitsatz (amtlich)
1. Gewährt eine KK irrtümlich über einen Auftrag der LVA hinausgehende Leistungen, dann gilt für deren Rückforderung der allgemeine Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß zu Unrecht geleistete Zahlungen der öffentlichen Hand zu erstatten sind (öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch).
2. Der Empfänger einer zu Unrecht gewährten Leistung, der infolge Verbrauchs des ihm zugeflossenen Betrags nicht mehr bereichert ist, muß den Betrag zurückerstatten, wenn er den dem Leistenden unterlaufenen Irrtum erkannt hat oder hätte erkennen müssen.
Leitsatz (redaktionell)
Der RVO § 1301 ist in der KV auch nicht entsprechend anwendbar.
Normenkette
RVO § 1301 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. März 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung einer irrtümlich erbrachten Geldleistung.
Der 1942 geborene Kläger wurde vom 1. Oktober 1971 bis 31. März 1973 auf Kosten der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz zum Großhandelskaufmann umgeschult. Er erhielt damals Übergangsgeld, das ihm vom 3. Februar 1972 an durch die Beklagte per Post überwiesen wurde. Wegen der Geburt eines Kindes erhöhte die LVA mit Änderungsbescheid vom 5. Januar 1973 das Übergangsgeld ab 21. November 1972 von 14.40 DM auf 23.40 DM kalendertäglich. Die Beklagte berücksichtigte bei der nächsten Überweisung die Erhöhung irrtümlich bereits vom 3. Februar 1972 an. Sie überwies dem Kläger deshalb am 21. Februar 1973 statt 1.690,20 DM 4.070,70 DM, also 2.380,50 DM zuviel. Einschließlich dieser Überweisung wurden dem Kläger in der Zeit vom 4. Mai 1972 bis 21. Februar 1973 folgende Beträge überwiesen:
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am |
4. |
Mai 1972 |
1.143,00 DM |
am |
25. |
Mai 1972 |
368,30 DM |
am |
17. |
Juli 1972 |
558,90 DM |
am |
30. |
August 1972 |
609,60 DM |
am |
24. |
Oktober 1972 |
826,70 DM |
am |
25. |
Oktober 1972 |
648,00 DM |
am |
15. |
Dezember 1972 |
720,00 DM |
am |
21. |
Februar 1973 |
4.070,70 DM |
Mit Bescheid vom 4. Juli 1973 forderte die Beklagte die Rückzahlung des zuviel überwiesenen Betrages. Der Kläger erhob Widerspruch mit der Behauptung, er habe das Geld bereits verbraucht. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10.12.1973). Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach den allgemeinen Grundsätzen über die Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen sei die Beklagte befugt, die Rückzahlung des zuviel gezahlten Übergangsgeldes zu verlangen. Die Überzahlung sei nicht durch den Auftrag der LVA gedeckt gewesen. Aufgrund ihres Änderungsbescheides sei auch für den Kläger erkennbar gewesen, daß ihm das erhöhte Übergangsgeld erst ab 21. November 1972 zu zahlen gewesen sei und die Überzahlung nur auf einem Versehen beruhen konnte. Falls er das nicht erkannt haben sollte, beruhe seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit; denn der Betrag von 4.070,70 DM sei im Vergleich zu den früher empfangenen Zahlungen schon der Höhe nach völlig aus dem Rahmen gefallen. Außerdem habe der Kläger aufgrund des Änderungsbescheides selbst bei nur überschlägiger Schätzung mit höchstens 2.000,- DM rechnen können und sei von seinen Fähigkeiten her eindeutig in der Lage gewesen, die Überzahlung zu erkennen.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger, die Nichtanwendung des § 1301 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei fehlerhaft. Der geltend gemachte Anspruch lasse sich auch nur im ordentlichen Rechtsweg durchsetzen. Schließlich habe das LSG den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt; er habe weder gewußt, daß ihm die empfangene Leistung nicht in der gewährten Höhe zugestanden habe, noch habe er dies wissen müssen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen; hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Aus den in vollem Umfang zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils ist die Beklagte berechtigt, die dem Kläger irrtümlich zuviel gezahlten 2.380,50 DM zurückzufordern.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist hier weder der ordentliche Rechtsweg gegeben, noch § 1301 RVO - auch nicht entsprechend - anwendbar. Diese Vorschrift bezieht sich ausschließlich auf Leistungen aus der Arbeiterrentenversicherung. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar bei dem in einem förmlichen Verfahren ergangenen und auch rechtmäßigen Bescheid der LVA um einen die Arbeiterrentenversicherung betreffenden Verwaltungsakt. Auch erfolgte die Überzahlung anläßlich einer von der Beklagten im Auftrag der LVA durchgeführten Überweisung des dem Kläger von dieser gewährten Übergangsgeldes. Die Beklagte hat aber - statt dem Änderungsbescheid der LVA vom 5. Januar 1973 entsprechend dem Kläger wegen der Geburt eines Kindes ab 21. November 1972 ein höheres Übergangsgeld zu zahlen - dieses bereits ab 3. Februar 1972 berechnet und demgemäß erheblich zuviel gezahlt. Das Versehen, das zum Empfang der dem Kläger nicht zustehenden öffentlich-rechtlichen Leistungen führte, lag mithin im Verantwortungsbereich der Krankenkasse.
Für das Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen keine besonderen Vorschriften über die Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen (BSG SozR Nr 3 zu § 223 RVO, BSGE 32, 52, 53 = SozR Nr 4 zu § 223 RVO). Auszugehen ist deshalb von dem allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß zu Unrecht geleistete Zahlungen der öffentlichen Hand zu erstatten sind (vgl ua BSGE 16, 151, 156; 29, 6, 7; 32, 52, 54 = SozR Nr 4 zu § 223 RVO).
Das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, das eine mit der Rechtslage nicht übereinstimmende Vermögenslage zum Ausgleich bringen soll, kann vom Versicherungsträger durch einen Rückforderungsbescheid, also durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden (BSGE 29, 6, 7). Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Rückforderungsbescheides sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ausschließlich zuständig (BSGE 15, 14, 15; BSG SozEntsch nF Bd I BSG I/4 SGG Nr 17 zu § 51).
Allerdings ist bei dieser Prüfung der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Das bedeutet, daß der Empfänger einer zu Unrecht gewährten Leistung, der gleich dem Kläger infolge Verbrauchs des ihm zugeflossenen Betrages nicht mehr bereichert ist, diesen Betrag zurückerstatten muß, wenn er den dem Leistenden bei der Leistung unterlaufenen Rechts- oder Tatsachenirrtum zwar nicht verursacht, jedoch erkannt und damit bewußt ausgenutzt hat oder ihn wegen seiner Offensichtlichkeit hätte erkennen müssen (BSGE 32, 52, 55 = SozR Nr 4 zu § 223 RVO). Daß letzteres hier zutrifft, steht aufgrund der ausführlichen Begründung des angefochtenen Urteils außer Zweifel. Angesichts des Änderungsbescheides der LVA vom 5. Januar 1973 und des der Höhe nach im Vergleich mit den bisherigen Überweisungen der Beklagten völlig aus dem Rahmen fallenden, sie um das Vier- bis Sechsfache übersteigenden Betrages von 4.070,70 DM hätte auch derjenige, der im Gegensatz zum Kläger nicht die für eine Umschulung zum Großhandelskaufmann erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besaß, erkennen müssen, daß die Höhe dieser am 21. Februar 1973 erfolgten Überweisung nur auf einem der Beklagten unterlaufenen Irrtum beruhen konnte.
Nach alledem hat der Kläger der Beklagten die zu Unrecht empfangenen 2.380,50 DM zurückzuzahlen. Das LSG hat mithin die gegen den Rückforderungsbescheid erhobene Klage zu Recht abgewiesen. Der Revision des Klägers ist deshalb der Erfolg versagt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen