Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeit vor Eintritt in ein Beschäftigungsverhältnis
Orientierungssatz
Mit der Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs werden nur Fälle erfaßt, bei denen der zu Versichernde die Arbeit tatsächlich aufgenommen hat. Wer bereits in dem frühesten Augenblick, der für die Arbeitsaufnahme in Betracht kommt, nach objektiver Feststellung arbeitsunfähig ist, tritt nicht in die Beschäftigung ein.
Normenkette
RVO §§ 206, 306
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 26.11.1980; Aktenzeichen L 4 Kr 78/79) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 27.06.1979; Aktenzeichen S 7 Kr 10/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin am 1. September 1978 versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Betriebskrankenkasse geworden ist und ab 13. Oktober 1978 Krankengeld zu beanspruchen hat.
Die Klägerin war seit 1966 bei der beigeladenen Betriebskrankenkasse über ihren Ehemann familienversichert. Am 11. Mai 1978 schloß sie mit der Firma K AG (K.) einen Anstellungsvertrag als Verkäuferin, in welchem der 1. September 1978 als Beschäftigungsbeginn vereinbart wurde. Zur Aufnahme der Tätigkeit kam es aber nicht, denn die Klägerin mußte sich am 11. August 1978 zu einer Operation ins Krankenhaus begeben und war danach bis zum Jahresende und darüber hinaus arbeitsunfähig krank. Mit einem am 30. August 1978 bei der Firma K. eingegangenen Schreiben teilte die Klägerin mit, daß sie ihre Beschäftigung wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht zum vereinbarten Termin aufnehmen könne, daß sie aber nach Wiederherstellung der Gesundheit an der Arbeitsaufnahme sehr interessiert sei. Die Firma K. zahlte der Klägerin den vereinbarten Lohn bis zum 12. Oktober 1978, führte auch Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte ab und kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1978. Den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld ab 13. Oktober 1978 lehnte die Beklagte ab.
Mit der Klage hatte die Klägerin keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung zurückgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin sei nicht Mitglied der Beklagten geworden. Nach § 306 der Reichsversicherungsordnung (RVO) beginne die Mitgliedschaft mit dem Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung. Die Klägerin habe aber am 1. September 1978 nicht in die Beschäftigung eintreten können, denn sie sei schon vorher arbeitsunfähig gewesen und auch weiterhin geblieben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei allerdings nicht unbedingt erforderlich, daß die Arbeit tatsächlich aufgenommen wird; es genüge vielmehr, daß der Arbeitnehmer sich der Verfügungsmacht des neuen Arbeitgebers unterstellt. Das BSG habe aber nicht auf das grundsätzliche Erfordernis der tatsächlichen Arbeitsaufnahme verzichtet. Insbesondere genüge die Einordnung unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers dann nicht, wenn bereits mehrere Wochen vor dem vereinbarten Arbeitsbeginn feststehe, daß der Betreffende die Beschäftigung wegen Arbeitsunfähigkeit nicht wird aufnehmen können und auch weiterhin ungewiß ist, ob und wann die Arbeitsaufnahme erfolgen kann.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und macht geltend, nach der Rechtsprechung des BSG stehe es dem Beginn der Mitgliedschaft nicht entgegen, daß der Versicherte im Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme arbeitsunfähig ist. Es genüge, daß er sich der Verfügungsmacht des Arbeitgebers unterstellt und damit Angehöriger des Betriebs wird. Der Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung sei anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfähigen anweist, ein ärztliches Attest vorzulegen. Die Klägerin habe sich auf das Schreiben der Firma K. vom 6. September 1978 unverzüglich mit der Firma in Verbindung gesetzt und auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 26. November 1980 und des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg
vom 27. Juni 1979 sowie des Bescheides der Beklagten vom
30. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11. Januar 1979 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin
ab 13. Oktober 1978 bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit
im Rahmen der gesetzlich zulässigen Höchstdauer Krankengeld
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt ihren ablehnenden Standpunkt auf die Rechtsprechung zum mißglückten Arbeitsversuch.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit zutreffender Begründung hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klage war abzuweisen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Krankengeld.
Nach § 206 RVO entsteht der Anspruch auf die Regelleistungen der Kasse erst mit der Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaft von Versicherungspflichtigen beginnt nach § 306 RVO mit dem Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung. In die versicherungspflichtige Beschäftigung ist aber die Klägerin am 1. September 1978 und später nicht eingetreten.
Ihrem Eintritt in die Beschäftigung hat entgegengestanden, daß sie bereits bei Beginn des vereinbarten Tages des Dienstantritts zur Verrichtung der im Anstellungsvertrag vorgesehenen Tätigkeit als Verkäuferin nicht fähig war. Wer bereits in dem frühesten Augenblick, der für die Arbeitsaufnahme in Betracht kommt, nach objektiver Feststellung arbeitsunfähig ist, tritt nicht in die Beschäftigung ein (Urteil des Senats vom 3. Juni 1981 - 3 RK 24/80). Deshalb braucht im vorliegenden Fall, da die Klägerin bereits bei Beginn des 1. September 1978 arbeitsunfähig war, nicht geklärt zu werden, wann im einzelnen eine Arbeitsaufnahme vorliegt. Der Rechtsgedanke, der diesem Ergebnis zugrundeliegt, findet seinen Ausdruck auch in der Rechtsprechung des BSG zum mißglückten Arbeitsversuch. Danach begründet ein mißglückter Arbeitsversuch keine Leistungsansprüche gegen die im Fall der Beschäftigung zuständige Krankenkasse. Ein mißglückter Arbeitsversuch liegt vor, wenn objektiv feststeht, daß der Beschäftigte bei Aufnahme der Arbeit zu ihrer Verrichtung nicht fähig war oder die Arbeit nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit würde verrichten können und wenn er die Arbeit entsprechend der darauf zu gründenden Erwartung vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aufgegeben hat (BSG SozR 2200 § 165 RVO Nr 33 und 34 mwN). Mit der Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs werden also nur Fälle erfaßt, bei denen der zu Versichernde anders als die Klägerin die Arbeit tatsächlich aufgenommen hat. Der Grundsatz dieser Rechtsprechung, daß, wer bereits bei Aufnahme der Arbeit arbeitsunfähig ist, grundsätzlich kein Krankenversicherungsverhältnis begründet (BSG SozR 2200 § 165 RVO Nr 2 = KVRS 1020/13), muß aber erst recht gelten, wenn die Arbeit wegen der Arbeitsunfähigkeit überhaupt nicht aufgenommen wurde.
War die Arbeit trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit tatsächlich aufgenommen, so entsteht lediglich die Frage, ob aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit die Versicherung wirksam wird. Darum geht es beim mißglückten Arbeitsversuch (BSG aaO). Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf einen Vertrauensschutz stützen. Arbeit hat sie nicht verrichtet und aus der Beitragszahlung konnte sich der Krankengeldanspruch ebenfalls nicht ergeben. Hat eine Kasse für eine Person nach vorschriftsmäßiger und nicht vorsätzlich unrichtiger Anmeldung drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Beiträge angenommen und stellt sich nach Eintritt des Versicherungsfalles heraus, daß die Person nicht versicherungspflichtig und nicht versicherungsberechtigt gewesen ist, so muß ihr die Kasse gem § 213 RVO gleichwohl die satzungsmäßigen Leistungen gewähren. Der Anspruch der Klägerin kann aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden, auch wenn die Beklagte drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Beiträge angenommen haben sollte. Für die Annahme der Leistungspflicht nach § 213 RVO muß nämlich die dreimonatige Beitragsannahme dem Versicherungsfall vorausgegangen sein (BSGE 40, 104 = SozR 2200 § 213 RVO Nr 1). Die Krankheit der Klägerin und ihre Arbeitsunfähigkeit haben aber bereits vor Beginn der Beschäftigung und vor der ersten Annahme eines Beitrages bestanden.
Dieses Urteil steht nicht im Widerspruch zu der von der Klägerin erwähnten Rechtsprechung des BSG. Zu Unrecht stützt sich die Klägerin für ihren Anspruch auf das Urteil in BSGE 26, 124 (= SozR Nr 3 zu § 306 RVO). Das BSG hat in dieser Entscheidung allerdings ausgeführt, für den Eintritt in die Beschäftigung sei es nicht erforderlich, daß die Arbeit tatsächlich aufgenommen wird. Es genüge vielmehr, daß sich der Arbeitnehmer der Verfügungsmacht des Arbeitgebers unterstellt und damit ein Angehöriger des Betriebes wird. Wenn er die Arbeit wegen einer Erkrankung nicht aufnehmen könne, werde er mit dem für den Dienstantritt vereinbarten Tag Angehöriger des Betriebes - es sei denn, daß er durch sein Verhalten zu erkennen gibt, daß er den Dienst nicht antreten, nicht Angehöriger des neuen Betriebes werden will. Allerdings beschränke sich die Verfügungsmacht des Arbeitgebers dann auf Weisungen, die der Arbeitnehmer nach seinem körperlichen Zustand ausführen könne, zB auf die Weisung, ein ärztliches Attest vorzulegen. Auf diese Ausführungen hat aber das BSG nicht seine Entscheidung gestützt. Die Anspruchstellerin war nämlich im damaligen Fall zu Beginn des Tages des vereinbarten Dienstantritts noch arbeitsfähig. Arbeitsunfähig wurde sie erst durch einen Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstelle. Gerade aus dem Umstand, daß die Verletzte den Weg zur Arbeitsstelle schon angetreten hatte, hat der Senat geschlossen, sie habe dem Arbeitgeber zur Verfügung gestanden. Die Klägerin des hier zu entscheidenden Rechtsstreits war hingegen schon vor Beginn des Tages, an dem sie die Beschäftigung antreten sollte, arbeitsunfähig.
Das Urteil weicht auch nicht von der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 28. Juni 1979 - 8b/3 RK 80/77 - (BSGE 48, 235 = SozR 2200 § 306 Nr 5) ab. Allerdings hat der 8. Senat darin ausgesprochen, es stehe dem Beginn der Mitgliedschaft bei der zuständigen Krankenkasse nicht entgegen, daß der Versicherte im Zeitpunkt des vereinbarten Beginns der Beschäftigung arbeitsunfähig ist; der Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung erfolge nicht grundsätzlich erst mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme. Es genüge, daß sich der Arbeitnehmer der Verfügungsmacht des Arbeitgebers unterstellt. Der 8. Senat hat aber entscheidend darauf abgestellt, daß der arbeitsunfähige Arbeitnehmer schon vor der vorgesehenen Aufnahme der Beschäftigung im selben Betrieb als Auszubildender beschäftigt war und die Vertragsparteien die Zugehörigkeit zum Betrieb in Kenntnis der Arbeitsunfähigkeit ohne Unterbrechung fortsetzen wollten. Damit sei der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstellt geblieben. Nach der vom 8. Senat in Bezug genommenen Rechtsprechung liegt eine solche Unterstellung zwar schon vor, wenn der vertragsgebundene Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitspapiere übersendet und dieser von seinem Dispositionsrecht in der Weise Gebrauch macht, daß er ihn von der Arbeit freistellt (BSGE 36, 161, 164 = SozR Nr 23 zu § 3 AVG). Das BSG hat aber auf diese Ausführungen nicht seine Entscheidung gestützt.
Dagegen hat das BSG in keinem Fall entschieden, daß auch ein vor Beginn des vereinbarten Beschäftigungsverhältnisses nicht Beschäftigter und vor diesem Zeitpunkt und weiterhin arbeitsunfähiger Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis mit dem Beginn des Tages des vereinbarten Dienstantritts aufnehme. Versicherungsschutz kann er in diesen Fällen vielmehr nur erwerben, wenn er trotz Arbeitsunfähigkeit tatsächlich eine wirtschaftlich ins Gewicht fallende Zeit gearbeitet hat (Urteil des Senats vom 3. Juni 1981 - 3 RK 24/80 -).
Eine Verurteilung der Beigeladenen zur Gewährung des Krankengeldes kommt nicht in Betracht, da aus der Familienhilfe nach § 205 kein Krankengeld gewährt wird (§ 205 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 RVO).
Die Revision ist aus diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz zurückzuweisen.
Fundstellen