Leitsatz (amtlich)
Die Anwartschaftsvergünstigung des EEG § 18 Abs 1 S 2 steht - wie die des EEG § 18 Abs 1 S 1 - nur Angestellten und versicherungspflichtigen Selbständigen zu, die früher versicherungspflichtig gewesen, dann infolge einer Erhöhung ihres Jahresarbeitsverdienstes aus der Versicherungspflicht ausgeschieden und am 1952-09-01 wegen der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze wieder versicherungspflichtig geworden sind; die Anwartschaftsvergünstigungen kann nicht erhalten, wer wegen der Aufnahme einer versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit aus der Versicherungspflicht ausgeschieden, also nicht durchgehend Angestellter oder versicherungspflichtiger Selbständiger geblieben ist.
Normenkette
EGG § 18 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1952-08-13, S. 1 Fassung: 1952-08-13
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1959 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. August 1957 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt als geschiedene Frau eine Hinterbliebenenrente aus der Angestelltenversicherung ihres im Februar 1955 gestorbenen früheren Ehemannes. Ihre Ehe mit dem Versicherten ist im Jahre 1948 ohne Schuldausspruch nach § 48 Ehegesetz (EheG) geschieden worden. Die Eheleute lebten seit 1939 getrennt. Im Juli 1939 erwirkte die Klägerin gegen ihren damaligen Ehemann ein Versäumnisurteil, durch das dieser verurteilt wurde, an die Klägerin und den gemeinsamen Sohn eine monatliche Unterhaltsrente von 130,- RM zu zahlen. Aus diesem Titel erwirkte sie im Oktober 1948 - nach der Scheidung der Ehe - einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß gegen den Versicherten. Dieser bezog - mit unwesentlichen Unterbrechungen - seit 1949 bis zu seinem Tode (1955) Sozialunterstützung; seit September 1954 war er krank.
Die Beklagte lehnte den nach Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze wiederholten Rentenantrag der Klägerin ab, weil keine der Voraussetzungen des § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nF erfüllt sei. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) hob das erstinstanzliche Urteil auf und verurteilte die Beklagte zur Gewährung der begehrten Rente: Der in der Zeit vor der Ehescheidung erwirkte Unterhaltstitel stelle eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes "aus sonstigem Grunde" im Sinne des § 42 AVG nF dar. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 23. November 1959).
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Sie begründete die Revision mit der Rüge, das Berufungsgericht habe § 42 AVG nF nicht richtig angewandt.
Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision ist zulässig und begründet. Der Rechtsauffassung des LSG, wonach der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin aus einem "sonstigen Grund" Unterhalt zu leisten hatte, konnte der erkennende Senat nicht folgen.
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß der Rentenanspruch der Klägerin nach § 42 AVG nF zu beurteilen ist (Art. 2 § 18 AnVNG). Hiernach wird der geschiedenen Frau eines verstorbenen Versicherten - vorausgesetzt, daß die Wartezeit erfüllt ist (§ 40 AVG nF) - Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte, oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt tatsächlich geleistet hat. Nach den - nicht angegriffenen und deshalb für das Bundessozialgericht bindenden - Feststellungen des Berufungsgerichts war der Versicherte nicht in der Lage, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts (§ 63 EheG) eine Unterhaltszahlung an die Klägerin zu leisten. Das LSG hat demzufolge mit Recht geschlossen, daß der Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten nach den Vorschriften des EheG vom 20. Februar 1946 kein Unterhaltsanspruch zustand (§ 61 EheG). Da zwischen den Beteiligten kein Streit darüber besteht, daß der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt tatsächlich nicht geleistet hat, bleibt demnach allein die Frage zu entscheiden, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt "aus sonstigen Gründen" zu leisten hatte. Das LSG leitet eine solche Unterhaltspflicht des früheren Ehemannes aus dem von der Klägerin im Juli 1939 gegen ihn erwirkten Versäumnisurteil her, das für die Scheidung und deren Rechtsfolgen seine rechtliche Wirkung nicht verloren habe, wenn auch der Versicherte von den Rechtsbehelfen der §§ 323, 767 Zivilprozeßordnung (ZPO) hätte Gebrauch machen können, dies aber nicht getan habe. Es kann dahinstehen, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß im Oktober 1948 nach inzwischen erfolgten Rechtskraft der Scheidung zu Recht ergangen ist oder nicht. Das LSG beruft sich nämlich insoweit irrigerweise auf das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Juli 1958 (BSG 8, 24), nach dessen Sachverhalt - im Gegensatz zu dem vorliegenden Fall - die geschiedene Frau im Anschluß an die Scheidung der Ehe einen Vollstreckungstitel über ihren Unterhaltsanspruch erwirkt hat. Wie der Senat in einem späteren Urteil vom 6. September 1962 (SozR § 1265 RVO Nr. 11) nochmals ausdrücklich klargestellt hat, kann ein auf Unterhalt gerichteter Vollstreckungstitel, der vor der Ehescheidung erwirkt wurde und auf die Verhältnisse während der Ehe abgestellt ist, später nicht als eine Unterhaltsverpflichtung aus einem "sonstigen Grund" im Sinne des § 42 AVG nF angesehen werden.
Das im Juli 1939 ergangene Versäumnisurteil war aber auch noch aus einem weiteren Grund nicht geeignet, eine Unterhaltspflicht des Versicherten "aus sonstigem Grund" herbeizuführen. Wie nämlich inzwischen der Große Senat des Bundessozialgerichts mit Beschluß vom 27. Juni 1963 entschieden hat, kann zwar ein vollstreckbarer Unterhaltstitel grundsätzlich "ein sonstiger Grund" im Sinne des § 42 AVG nF sein; er ist es aber dann nicht mehr, wenn der Versicherte "zur Zeit seines Todes" die Wirkungen des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können. Das LSG hat aus den von ihm festgestellten Tatsachen mit Recht gefolgert, daß diese Voraussetzungen erfüllt waren. Dem LSG ist auch darin zuzustimmen, daß in dem Schreiben der Firma Z., der damaligen Arbeitgeberin des Versicherten, vom 27. Oktober 1948 keine rechtsverbindliche Willenserklärung des geschiedenen Mannes erblickt werden kann. Die Voraussetzung für die Gewährung der von der Klägerin begehrten Hinterbliebenenrente ist demnach nicht gegeben.
Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen