Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Verfügbarkeit. Arbeitsunfähigkeit. Leistungsfortzahlung. Urlaubsabgeltung. Gleichwohlgewährung
Leitsatz (redaktionell)
Die Fortzahlung von Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitslose bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit einen realisierbaren Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Daran fehlt es, wenn zu diesem Zeitpunkt sein Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Urlaubsabgeltung ruht.
Normenkette
AFG § 100 Abs. 1, § 103 Abs. 1 Nr. 1, §§ 105b, 117 Abs. 1a, 4; SGG § 75 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 19. Januar bis zum 24. Februar 1995 zusteht.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete am 31. Dezember 1994 durch Kündigung des Arbeitgebers. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde dem Kläger eine Urlaubsabgeltung gezahlt. Wäre der Urlaub im Anschluss an sein Arbeitsverhältnis genommen worden, hätte ihm Urlaub bis einschließlich 20. Januar 1995 zugestanden. Bereits im Dezember 1994 hatte sich der Kläger mit Wirkung zum 1. Januar 1995 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Vom 19. Januar 1995 bis 24. Februar 1995 wurde der Kläger stationär im Bezirkskrankenhaus L. behandelt. In der Zeit vom 19. bis 31. Januar 1995 erhielt er Krankengeld.
Mit Bescheid vom 17. Februar 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung von Alg ab, da der Anspruch wegen Urlaubsabgeltung bis einschließlich 20. Januar 1995 ruhe. Ab 19. Januar 1995 sei ein Alg-Anspruch wegen der stationären Behandlung des Klägers nicht gegeben. Nach erneuter Antragstellung bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg in Höhe von wöchentlich 277,80 DM ab dem 28. Februar 1995 für 156 Tage. Das Widerspruchsverfahren verlief erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. September 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg für den Zeitraum der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit vom 19. Januar bis 24. Februar 1995 zu gewähren (Urteil vom 23. Februar 1999). Der Kläger habe trotz Arbeitsunfähigkeit auf Grund des § 105b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einen Anspruch auf Alg. Das Tatbestandsmerkmal „während des Bezugs von Alg” erfordere zwar grundsätzlich einen realisierbaren Anspruch auf Zahlung von Alg vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, davon sei aber eine Ausnahme für den Fall zu machen, wenn die Arbeitsunfähigkeit während des Ruhens des Anspruchs nach § 117 Abs 1a AFG wegen einer Urlaubsabgeltung eintrete.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. Mai 2001). Der Kläger sei in der Zeit vom 19. Januar bis 24. Februar 1995 arbeitsunfähig erkrankt bzw in stationärer Behandlung gewesen. Da er in diesem Zeitraum somit grundsätzlich nicht verfügbar gewesen sei, habe ihm Alg nicht zugestanden. § 105b AFG könne keine Anwendung finden, da dieser nur dann die wegen einer Arbeitsunfähigkeitserkrankung fehlende Verfügbarkeit für Arbeitslose fingiere, wenn im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit Alg zu zahlen und weiter zu zahlen sei. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sowie dem Zweck der Regelung, bei nur kurzfristigen Erkrankungen einen Wechsel des Leistungsträgers zu vermeiden. Der Kläger habe am 19. Januar 1995 kein Alg bezogen, da dieser Anspruch wegen seiner Urlaubsabgeltung geruht habe. Ab dem 19. Januar habe er Krankengeld erhalten. Dem habe auch nicht die Ruhensvorschrift des § 49 Abs 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aF, jetzt § 49 Abs 1 Nr 3a SGB V entgegengestanden, da das Ruhen vom Bezug der sonst verdrängenden Lohnersatzleistung abhänge. Wegen des tatsächlichen Bezuges von Krankengeld habe auch auf Grund des § 118 Abs 1 Nr 2 AFG kein Anspruch auf Alg entstehen können. Die vom SG herangezogene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (SozR 3-4100 § 117 Nr 4) könne keine Anwendung finden, da in dem dort entschiedenen Fall dem Berechtigten Alg schon für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bewilligt worden sei, die Arbeitsunfähigkeit also erst nach Beginn des Alg-Anspruchs eingetreten sei.
Der Kläger rügt mit der – vom LSG zugelassenen – Revision eine Verletzung des § 105b AFG iVm § 117 Abs 1a AFG. Es dürfe nicht allein auf den Wortlaut des § 105b AFG abgestellt werden, sondern auch Sinn und Zweck der Vorschrift sei zu berücksichtigen. Bei der Anwendung des § 105b AFG sei unbeachtlich, dass Alg bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit weder bewilligt noch ausgezahlt sei, es reiche vielmehr aus, dass der Anspruch auf Zahlung von Alg für eine Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entstanden sei. Bei dem Kläger hätten alle Voraussetzungen für den Bezug von Alg vorgelegen, der Anspruch habe somit bereits dem Grunde nach bestanden. Das Ruhen des Alg-Anspruchs auf Grund der vom Arbeitgeber des Klägers gezahlten Urlaubsabgeltung stehe dem nicht entgegen. Das SG habe zutreffend ausgeführt, das Tatbestandsmerkmal der Vorschrift „während des Bezugs von Alg” erfordere grundsätzlich einen realisierbaren Anspruch auf Zahlung von Alg. Dies sei zB bei einer Sperrzeit nicht gegeben, etwas anderes müsse aber gelten, wenn der Anspruch auf Alg lediglich gemäß § 117 Abs 1a AFG wegen Urlaubsabgeltung ruhe und während des Ruhenszeitraums die Arbeitsunfähigkeit eintritt. Sinn und Zweck des § 117 Abs 1a AFG sei, Doppelzahlungen von Urlaubsabgeltung und Alg zu vermeiden. Die Ruhensregelung des § 117 Abs 1a AFG sei auf das nach § 105b AFG zu zahlende Alg nicht anzuwenden, da dieses wie ein Anspruch auf Krankengeld zu behandeln sei. Es hänge allein vom Zufall ab, ob die Arbeitsunfähigkeit noch während des Ruhens eintrete oder erst später. Nur wenn man die Regelung des § 117 Abs 1a AFG wie dargelegt eingeschränkt anwende, sei die Abhängigkeit des Alg-Anspruchs von diesem Zufall zu vermeiden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Mai 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Rechtsverletzung.
1. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger vom 19. Januar bis 24. Februar 1995 kein Alg beanspruchen kann.
Gemäß § 100 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat.
Der Kläger stand der Arbeitsvermittlung in der Zeit vom 19. Januar bis 24. Februar 1995 nicht zur Verfügung. Gemäß § 103 Abs 1 Nr 1 AFG (idF vom 18. Dezember 1992, BGBl I, 2044) steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer ua eine zumutbare Beschäftigung ausüben kann. Nach den Feststellungen des LSG wurde der Kläger ab dem 19. Januar 1995 bis zum 24. Februar im Bezirkskrankenhaus L. stationär behandelt. Während des stationären Aufenthalts war, was keiner näheren Darlegung bedarf, die Verfügbarkeit jedenfalls ausgeschlossen.
Die fehlende Verfügbarkeit kann auch nicht gemäß § 105b AFG hergestellt werden. Ein Bezug iS des § 105b AFG lag nicht vor, da der Anspruch des Klägers auf Alg wegen einer Urlaubsabgeltung gemäß § 117 Abs 1a AFG im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit geruht hat. Nach § 105b Abs 1 Satz 1 AFG (idF vom 20. Dezember 1988, BGBl I, 2477) verliert der Arbeitslose für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung bis zur Dauer von sechs Wochen den Anspruch auf Alg nicht dadurch, dass er während des Bezuges von Alg ua infolge Krankheit arbeitsunfähig wird. Dies setzt voraus, dass vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit alle Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg vorgelegen haben. Denn nur dann kann der Arbeitslose seinen Anspruch auf Alg auch verlieren (SozR 4100 § 105b Nr 6). Die Anwendbarkeit der Regelung über die Leistungsfortzahlung bei Krankheit ist jedoch nur gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit während des Bezuges von Alg eintritt. Das Merkmal Bezug ist von der Rechtsprechung des BSG bereits in der Weise konkretisiert worden, dass ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestehen muss (BSG SozR 4100 § 105b Nr 3 und 6).
Hieran fehlt es auch, wenn der Anspruch auf Alg ruht und nicht zur Auszahlung kommen kann (BSG SozR 4100 § 105b Nr 1, 3 und 6). Ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung ist nicht gegeben, wenn der Anspruch auf Alg vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen einer Urlaubsabgeltung ruht (Urteil vom 2. November 2000, B 11 AL 25/00 R – Personalrecht 2001, 256, 257; Urteile des 7. Senats des BSG vom 29. März 2001 – B 7 AL 14/00 R – DBlR Nr 4673a zu § 105b AFG und vom 7. Februar 2002 – B 7 AL 28/01 R –). Vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ruhte der Anspruch des Klägers wegen einer Urlaubsabgeltung vom 1. Januar bis einschließlich 20. Januar 1995. Gemäß § 117 Abs 1a Satz 1 AFG (eingefügt durch Gesetz vom 22. Dezember 1981, BGBl I, 1497) ruht der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs, wenn der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat. Der Ruhenszeitraum beginnt mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses (§ 117 Abs 1a Satz 2 AFG). Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen hat der Kläger wegen der Beendigung des bis zum 31. Dezember 1994 bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten, die den ansonsten bis zum 20. Januar 1995 bestehenden Urlaubsanspruch ersetzt hat. Die Beklagte hat die bei der Berechnung des Ruhenszeitraums geltenden Maßgaben (vgl zur Berechnung des Ruhenszeitraums eingehend Urteil vom 29. März 2001 – B 7 AL 14/00 R – DBlR 4673a zu § 105b AFG) beachtet.
Der Kläger kann hiergegen nicht einwenden, dass zur Vermeidung von Zufallsergebnissen § 105b AFG dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass ein nach § 117 Abs 1a AFG ruhender Alg-Anspruch bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit als Bezug iS des § 105b AFG anzusehen ist. Aus der Ruhensregelung folgt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nicht zusteht, weil er nicht während es Leistungsbezugs arbeitsunfähig erkrankt ist und damit ein Anspruch auf Fortzahlung der Leistung nicht bestand. Die Leistungsfortzahlung bezweckt – wie das BSG mehrfach mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt hat – weder eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten Arbeitslosen noch eine Entlastung der für die Zahlung des Krankengeldes zuständigen Krankenkasse. Vielmehr soll Leistungsberechtigten wie Leistungsverpflichteten bei kurzfristigen Erkrankungen die „Unzuträglichkeit” erspart bleiben, dass an Stelle der Bundesanstalt für Arbeit eine Krankenkasse Krankengeld in der gleichen Höhe wie die bisher gewährte Leistung wegen Arbeitslosigkeit zu zahlen hat (Begründung des Regierungsentwurfs: BT-Drucks 8/4022 S 89 f; BSG SozR 4100 § 105b Nr 3, 7; SozR 3-4100 § 105b Nr 2; BSG Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 25/00 R – Personalrecht 2001, 256, 258). Dies setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit die Leistung zu zahlen ist und weiterzuzahlen wäre, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht eingetreten wäre (SozR 4100 § 105b Nr 3 S 11).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der im Urteil des BSG vom 26. Juni 1991 – 10 RAr 9/90 – (= SozR 3-4100 § 117 Nr 4) entwickelten Grundsätze. Zutreffend hat das LSG die Anwendbarkeit der vom Revisionskläger herangezogenen Rechtsprechung verneint (so bereits der erkennende Senat: Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 25/00 R – Personalrecht 2001, 256, 258). In dem vom 10. Senat zu entscheidenden Fall befand sich der Arbeitslose vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Bezug von Alg. Jenem Kläger stand nach Beendigung seines Arbeitverhältnisses noch Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung zu. Da er beides vom Arbeitgeber nicht erhielt, bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger Alg im Wege der Gleichwohlgewährung gemäß § 117 Abs 4 AFG. Der 10. Senat hat in seinem Urteil ausdrücklich ausgeführt, der Kläger habe im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit daher einen realisierbaren Anspruch auf Zahlung von Alg für eine Zeit gehabt, in der der Anspruch auf Alg gemäß § 117 Abs 1a AFG geruht habe. Zur Begründung wurde entscheidend darauf abgestellt, dass die Ruhensregelung nicht auf das nach § 105b AFG aktuell gezahlte Alg anzuwenden sei, weil dieses hinsichtlich der Urlaubsabgeltung wie ein Krankengeldanspruch zu behandeln sei.
2. Der Senat ist auch nicht im Hinblick auf eine fehlende Beiladung der für den Anspruch auf Krankengeld zuständigen Krankenkasse an einer Sachentscheidung gehindert. Zwar kommt für den streitigen Zeitraum ein Anspruch auf Krankengeld in Betracht (vgl BSG, Urteil vom 7. Februar 2002 – B 7 AL 28/01 R – mit Hinweisen auf die bis zur Änderung des § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 ≪BGBl I 3443≫ auftretenden Sicherungslücken), jedoch hat der Kläger diese Leistung zu keinem Zeitpunkt beantragt. Der Kläger hat die fehlende Beiladung auch nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) gerügt. Es handelt sich jedenfalls um einen Fall der „unechten notwendigen Beiladung”, die vorliegt, wenn sich im Verfahren ergibt, dass ein anderer Versicherungsträger als leistungspflichtig in Betracht kommt (§ 75 Abs 2 Alt 2 SGG). Die Unterlassung der „unechten notwendigen Beiladung” ist nach stRspr des BSG nur auf Rüge hin zu beachten (BSGE 59, 284, 290 = SozR 2200 § 539 Nr 114; BSGE 61, 197, 199 = SozR 7323 § 9 Nr 1). Von der Möglichkeit, eine Beiladung selbst vorzunehmen (§ 168 SGG), hat der Senat schon deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil eine derartige Beiladung in der Revisionsinstanz dem angestrebten Zweck der Verfahrenskonzentration zuwiderliefe. Es kann deshalb offen bleiben, ob eine Beiladung in der Revisionsinstanz in den Fällen des § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ohne Rüge überhaupt zulässig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen