Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung einstufige/zweistufige Juristenausbildung

 

Orientierungssatz

1. Absolventen der einstufigen Juristenausbildung sind für die Zeiten der Praktika und die abschließende Prüfungszeit nicht in der Angestelltenversicherung nachzuversichern.

2. Die unterbleibende Nachversicherung verletzt nicht Art 3 Abs 1 GG. Wenn die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung anders als der Vorbereitungsdienst in der zweistufigen Juristenausbildung nicht nachversichert werden, so rechtfertigt sich das aus unterschiedlichen Sachverhalten; da die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung auch während der Praktika Studentenstatus behalten, ist es nicht willkürlich, sie wie alle sonst ein Praktikum ableistende Studenten zu behandeln.

3. § 6 Abs 1 Nr 2 AVG (§ 1229 Abs 1 Nr 2 RVO) ist nicht analog auch auf Rechtspraktikanten der einstufigen Juristenausbildung anzuwenden.

 

Normenkette

AVG § 9 Abs 1; RVO § 1232 Abs 1; AVG § 6 Abs 1; AVG § 6 Abs 1 Nr 3; AVG § 6 Abs 1 Nr 2; RVO § 1229 Abs 1 Nr 2; RVO § 1229 Abs 1 Nr 3; AVG § 2 Abs 1 Nr 1; RVO § 1227 Abs 1 Nr 1; AVG § 4 Abs 1 Nr 4; RVO § 1228 Abs 1 Nr 3; SGB 4 § 7; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 21.03.1985; Aktenzeichen S 14 An 318/83)

 

Tatbestand

Streitig ist die Nachversicherung von Zeiten der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen.

Der 1954 geborene Kläger war als Teilnehmer der einstufigen Juristenausbildung vom Sommersemester 1976 bis zum Sommersemester 1982 an der Universität Hannover immatrikuliert. Mit Beginn seines ersten Pflichtpraktikums wurde er ab dem 16. März 1980 in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zum Lande Niedersachsen als Rechtspraktikant berufen, das bis zum Abschluß seiner Ausbildung am 31. Juli 1982 fortbestand; für die Zeit vom 16. März 1980 bis Ende Juli 1982 erhielt er vom Lande Niedersachsen Anwärterbezüge.

Die Nachversicherung des Klägers vom 16. März 1980 bis 31. Juli 1982 lehnte die Beklagte ab, da der Kläger als Rechtspraktikant weder Beamter gewesen noch ihm Versorgungsanwartschaften gewährleistet gewesen seien; auch habe er keine dem Grunde nach versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt (Bescheid vom 2. Juni 1983, Widerspruchsbescheid vom 29. September 1983).

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 21. März 1985 abgewiesen. Nach seiner Ansicht entfällt eine Nachversicherung, weil die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Nr 2 und Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht vorlägen. Auch für eine analoge Anwendung der Nr 2 sei kein Raum. Nach § 2 Abs 1 des Gesetzes über die vorläufige Regelung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses der einstufigen Juristenausbildung in Niedersachsen (Statusgesetz) vom 2. Februar 1977 seien die Vorschriften für Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst auf das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis als Rechtspraktikant zwar sinngemäß anzuwenden, um eine weitgehende Gleichstellung herzustellen; doch scheide die Gleichstellung dort aus, wo - wie im Falle der Nachversicherung - die Regelung unmittelbar an den Beamtenstatus anknüpfe. Demgemäß habe der Landesgesetzgeber eine Nachversicherung nicht für möglich gehalten und sei davon ausgegangen, daß die Rechtspraktikanten der Rentenversicherung unterlägen.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Bei richtigem Verständnis der mit der einstufigen Juristenausbildung verfolgten Ziele, sachgerechter Würdigung der Gesetzesgeschichte und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie bei gebotener Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze (Art 3, 20 des Grundgesetzes -GG-) hätte das SG eine im Wege der Analogie zu schließende Regelungslücke annehmen müssen. Das beigeladene Land Niedersachsen habe zunächst Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, dann aber aufgrund des BSG-Urteils vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 10/79 -, wonach Studenten auch während der Praktika versicherungsfrei seien, die Versicherung annulliert; seither stünden die Rechtspraktikanten ohne sozialversicherungsrechtlichen Schutz da. Eine am Gebot der Gleichbehandlung orientierte Auslegung erfordere es daher, § 6 Abs 1 Nr 2 AVG analog auf die Rechtspraktikanten anzuwenden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 16. März 1980 bis zum 31. Juli 1982 die Nachversicherung in der Rentenversicherung der Angestellten vorzunehmen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision kann keinen Erfolg haben; das SG hat zutreffend entschieden, daß eine Nachversicherung nicht stattzufinden hat.

Die Nachversicherung würde nach § 9 Abs 1 AVG voraussetzen, daß der Kläger - ohne Versorgung, was zutrifft - aus einer Beschäftigung ausgeschieden ist, während der er nach § 6 Abs 1 Nrn 2 bis 5 oder § 8 Abs 1 versicherungsfrei war und daß er sonst, dh ohne diese Versicherungsfreiheit versicherungspflichtig gewesen wäre. Insoweit ist hier schon die erste Voraussetzung nicht erfüllt.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger in der gesamten streitigen Zeit, zu der im angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen, in einer Beschäftigung iS des § 7 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) gestanden hat. Die Rechtsprechung des BSG hat dies für Zwischenpraktika während eines Studiums bisher ebenfalls offen gelassen (so der 12. Senat für Praxissemester in SozR 2200 § 172 Nr 5, und der 7. Senat für ein Unterrichtspraktikum in der einphasigen Lehrerausbildung im Urteil vom 14. November 1985 - 7 RAr 123/84 - und für ein Wahlpraktikum in der einstufigen Juristenausbildung im Urteil vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 137/84 -). Gleichwohl könnte für Zeiten der Praktika, die ähnlich wie die entsprechenden Stationen des Vorbereitungsdienstes der zweistufigen Juristenausbildung abliefen, eine Beschäftigung iS der §§ 2 Abs 1 Nr 1, 6 Abs 1, 9 Abs 1 AVG iVm § 7 SGB 4 bejaht werden. Anders verhält es sich dagegen mit den reinen Studienzeiten und wohl auch der abschließenden Prüfungszeit, die nicht die Praktika, sondern die Gesamtausbildung abschließt. Zu dem in der Gesamtausbildung zeitlich überwiegenden reinen Studium hat der 7. Senat des BSG bereits entschieden, daß hier keine Beschäftigung im sozialrechtlichen Sinne vorliegt (Urteile vom 14. November und 12. Dezember 1985; die Bejahung eines Dienstverhältnisses während des Wahlstudiums der einstufigen Juristenausbildung durch den Bundesfinanzhof in NJW 1986, 455 hat nur steuerrechtliche Bedeutung).

Der Senat braucht diesen Bedenken nicht weiter nachzugehen, weil der Kläger selbst bei Annahme einer "Beschäftigung" in der gesamten streitigen Zeit nicht nach § 6 Abs 1 Nrn 2 bis 5 oder § 8 Abs 1 AVG versicherungsfrei war. In Betracht kämen allein die Nrn 2 und 3 von § 6 Abs 1. Nr 2 gilt jedoch nur für die Berufsausbildung von Beamten, was der Kläger nicht war; die auch sonstige Beschäftigte der in Nr 2 genannten Körperschaften erfassende Nr 3 verlangt die Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft, woran es im Falle des Klägers gefehlt hat.

Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich die Nr 2 hier nicht analog anwenden. Wie schon der Vergleich mit der Nr 3 zeigt, ist die Nr 2 bewußt auf in der Berufsausbildung stehende Beamte beschränkt. Davon abgesehen wäre zur Erreichung eines sozialversicherungsrechtlichen Schutzes keine analoge Anwendung der Nr 2 geboten. Denn wenn Nr 2 nicht eingreift, wäre die Beschäftigung (in der Regel) versicherungspflichtig; das führte zu einer unmittelbaren Einbeziehung in die Rentenversicherung, so daß es einer erst späteren nachträglichen im Wege der Nachversicherung nicht bedürfte.

Darüber hinaus ist aber ergänzend zu den Ausführungen des SG festzustellen, daß der Kläger selbst dann nicht nachversichert werden könnte, wenn er in einer nach § 6 Abs 1 Nr 2 oder 3 AVG versicherungsfreien Beschäftigung gestanden hätte. Dann würde der Nachversicherung nämlich entgegenstehen, daß er ohne diese Versicherungsfreiheit in der Beschäftigung nicht versicherungspflichtig, vielmehr (außerdem) nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG versicherungsfrei gewesen wäre.

Nach dieser Vorschrift ist versicherungsfrei, wer "während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule ... gegen Entgelt beschäftigt ist". Dieser Tatbestand ist bei Annahme einer Beschäftigung in der streitigen Zeit erfüllt. Die Beschäftigung fand während der Dauer des Studiums des Klägers als ordentlicher Studierender an einer Hochschule statt; der Kläger war in der gesamten Zeit an der Universität Hannover immatrikuliert.

Für die Anwendung des § 4 Abs 1 Nr 4 AVG stellt die Rechtsprechung des BSG allerdings noch darauf ab, ob der Betreffende während der Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student geblieben oder als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer anzusehen ist. Dies beruht auf der Erwägung, daß ein Student seinem Status nach grundsätzlich nicht zu dem von der Sozialversicherung (hier: Rentenversicherung) erfaßten Personenkreis gehört und deshalb auch nicht aufgrund meist kurzfristiger Beschäftigung vorübergehend in diese einbezogen werden soll. Insoweit soll entsprechend dem Gedanken der versicherungsrechtlichen Kontinuität ein Wechsel zwischen Versicherungsfreiheit und Versicherungspflicht möglichst vermieden werden.

Ein fortdauerndes Erscheinungsbild als Student hat die Rechtsprechung für berufspraktische Tätigkeiten innerhalb eines Studiums schon mehrfach bejaht (SozR 2200 § 172 Nr 12: in Semesterferien; Nr 15: in Praxissemestern; Urteile vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 8/83 -, 12. April 1984 - 7 RAr 34/83 -, 14. November 1985 - 7 RAr 123/84 -: während der einphasigen Lehrerausbildung; Urteile vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 122/84, 137/84, 31/85: während der einstufigen Juristenausbildung). Dabei hat der 7. Senat für die berufspraktischen Tätigkeiten innerhalb der einstufigen Lehrer- bzw Juristenausbildung hervorgehoben, daß es nicht darauf ankomme, ob diese in Art und Ausgestaltung mit Zeitabschnitten des Referendariats vergleichbar sind. Entscheidend sei, ob die berufspraktische Tätigkeit geeignet ist, das bisher vom Status des Studenten geprägte Erscheinungsbild in das eines abhängig Beschäftigten zu verändern. Das sei nicht der Fall. Die einstufige Ausbildung unterscheide sich von der zweistufigen durch die andersartige Zuordnung des Praktikums. Bei ihm liege das Praktikum im Studiumsabschnitt und nicht erst nach ihm. Der Absolvent bleibe weiter immatrikuliert; die Bindung an die Hochschule bleibe bestehen; im Zeitvergleich trete die berufspraktische Tätigkeit gegenüber dem übrigen Teil des Studiums zurück.

Der erkennende Senat hält diese Ausführungen für zutreffend und schließt sich ihnen an. Auch im vorliegenden Falle war der Kläger während der gesamten Ausbildung als Student immatrikuliert. Im Hinblick hierauf war er auch in der streitigen Zeit seinem Erscheinungsbild nach als Student selbst dann anzusehen, wenn die gesamte streitige Zeit mit berufspraktischer Tätigkeit ausgefüllt war. Unter dem Gedanken der versicherungsrechtlichen Kontinuität muß dann der Studentenstatus den Vorrang haben. Dafür spricht auch, daß die Verneinung der Versicherungsfreiheit eines "ordentlichen Studierenden" nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG wegen eines Erscheinungsbildes als abhängiger Arbeitnehmer eine Ausnahme vom Wortlaut der Vorschrift bewirkt; eine solche läßt sich nur rechtfertigen, wenn ein studentisches Erscheinungsbild eindeutig nicht mehr gegeben ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Eine zusätzliche Stütze für die Auffassung des Senats ist im weiteren die durch das 7. Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl I, 2484) in § 241a AFG geschaffene Regelung (Abs 1 Nr 1), daß einer beitragspflichtigen Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG (vgl Urteil vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 137/84 -) die Zeiten einer einstufigen Juristenausbildung vom Beginn des vierten Jahres der Ausbildung gleichstehen. Diese Bestimmung ist in dieser Weise nur sinnvoll, wenn die Zeiten der einstufigen Juristenausbildung einschließlich der Praktika nicht als beitragspflichtige Beschäftigungen angesehen werden. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, daß die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung "wie andere Studierende" (BT-Drucks 10/3923 S 19) nach der § 4 Abs 1 Nr 4 AVG entsprechenden Regelung des § 172 Abs 1 Nr 5 RVO iVm § 169 Nr 1 AFG beitragsfrei (versicherungsfrei) sind.

Die unterbleibende Nachversicherung des Klägers verletzt nicht Art 3 Abs 1 GG. Wenn die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung anders als der Vorbereitungsdienst in der zweistufigen Juristenausbildung nicht nachversichert werden, so rechtfertigt sich das aus unterschiedlichen Sachverhalten; da die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung auch während der Praktika den Studentenstatus behalten, ist es nicht willkürlich, sie wie alle sonst ein Praktikum ableistenden Studenten zu behandeln.

Zutreffend weist die Beklagte im übrigen darauf hin, daß die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung als Ausfallzeiten der Hochschulausbildung in der Rentenversicherung berücksichtigt werden könnten. Dabei läge wegen des durchgehenden Studentenstatus wohl kein Fall wie der in SozR 2200 § 1259 Nr 69 entschiedene vor, in dem der Senat bei einer aus Fachschulausbildung und praktischem Ausbildungsabschnitt bestehenden Gesamtausbildung für letzteren trotz der späteren sich auf die Gesamtausbildung beziehenden Prüfung das Vorhandensein einer Ausfallzeit verneint hat. Allerdings ist die Ausfallzeit der Hochschulausbildung auf die Zeit von fünf Jahren beschränkt, was bei der einstufigen Juristenausbildung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen könnte. Hier gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen, muß jedoch dem Gesetzgeber überlassen bleiben; die Rechtsprechung kann dies nicht durch Ausweitung der Nachversicherung entgegen der derzeitigen Gesetzeslage tun.

Die Revision gegen das Urteil des SG war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664008

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