Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienheimfahrt. Wegeunfall. Unterbrechung der Heimfahrt. Kameradschaft als wehrdiensteigentümliches Verhältnis
Orientierungssatz
Ein Soldat, der während einer Wochenendheimfahrt seinen Heimweg um ca 2 Stunden unterbricht, um auf dem Bahnhof einem Zimmerkameraden bis zum Eintreffen dessen Anschlußzugs Gesellschaft zu leisten, kann für die Folge eines in dieser Zeit erlittenen Unfalls keine Versorgung beanspruchen.
Der Unfall ist auch nicht durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden, weil von einem Soldat nicht im Rahmen der nach § 12 S 2 SG bestehenden Kameradschaftspflicht erwartet werden kann, daß er in seiner Freizeit außerhalb der Kaserne seinen eigenen Heimweg um zwei Stunden verzögert, um einem wartenden Kameraden Gesellschaft zu leisten.
Normenkette
SVG § 80 S 1, § 81 Abs 1, § 81 Abs 4 S 1 Nr 2, § 81 Abs 4 S 3; SG § 12 S 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 13.01.1982; Aktenzeichen IV KOBf 12/81) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 17.02.1981; Aktenzeichen 32 Ko 191/79) |
Tatbestand
Der Kläger fuhr am 22. Oktober 1976 von Munster, wo er seinen Wehrdienst leistete, gemeinsam mit seinem Zimmerkameraden Z. mit der Bundesbahn nach Hamburg. Dort hatte der Kläger eine Wohnung bei seiner Schwester. Z. wollte zu seiner Verlobten nach Dänemark weiterfahren. Der Zug, der um 13.45 Uhr in Munster abgefahren war, kam gegen 15.30 Uhr am Hauptbahnhof in Hamburg an. Wie an früheren dienstfreien Wochenenden wartete der Kläger gemeinsam mit seinem Kameraden die Einkunft des Zuges nach Dänemark ab. Als dieser um 17.30 Uhr auf dem Bahnsteig 6 einfuhr, wurde der Kläger von ihm erfaßt. Er fiel zwischen die Waggons und die Bahnsteigkante. Dabei verlor er den rechten Arm. Die Beklagte lehnte die im März 1977 und erneut nach der Entlassung im Juni 1977 beantragte Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) ab, weil der Unfall durch Trunkenheit des Klägers verursacht worden sei (Bescheid vom 26. Oktober 1977; Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1980). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 17. Februar 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 13. Januar 1982). Im Unterschied zur Verwaltung und zum SG hält es einen Vollrausch des Klägers, der als wesentliche Unfallursache zu bewerten sei, nicht für erwiesen. Aber der Kläger habe sich zur Zeit des Unglücks nicht mehr auf seinem versorgungsrechtlich geschützten Weg zur Familienwohnung befunden. Der Heimweg sei unterbrochen gewesen, weil der Aufenthalt auf dem Hauptbahnhof zur Zeit des Sturzes nicht mehr mit dem Wehrdienst zusammengehangen habe. Ein solcher "innerer" Zusammenhang sei nicht durch die dem Dienst eigentümliche Pflicht zur Kameradschaft begründet worden. Im Frieden könne einem Soldaten - wie dem Stubenkameraden des Klägers - zugemutet werden, zwei Stunden allein in der Hamburger Innenstadt zur Geschäftszeit zu verbringen. Mit einer unverzüglichen Fortsetzung des Heimweges hätte sich der Kläger nicht dem Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit ausgesetzt.
Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 81 SVG. Er habe den Heimweg nicht mit der Folge unterbrochen, daß sein Unfall nicht versorgungsrechtlich geschützt sei. Diese Wirkung habe ein zweistündiger Aufenthalt auf dem Bahnhof nach der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung, die hier entsprechend gelte, nicht gehabt. Darüber hinaus habe das LSG die Pflicht zur Kameradschaft nicht ausreichend berücksichtigt. Unter Zimmerkameraden müsse es als üblich angesehen werden, daß der eine dem anderen während eines längeren Aufenthaltes auf einem Bahnhof Gesellschaft leiste.
Der Kläger beantragt, die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung des Verlustes des rechten Armes als Wehrdienstbeschädigung ab Mai 1977 Beschädigtenversorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Kläger kann keine Versorgung wegen des Armverlustes entsprechend den BVG-Vorschriften aufgrund des § 80 Satz 1 SVG beanspruchen. Entgegen seiner Ansicht hat er keine anspruchsbegründende Wehrdienstbeschädigung iS dieser Bestimmung erlitten. Die gesundheitliche Schädigung, die er sich durch den Sturz unter den Eisenbahnzug zugezogen hat, ist weder durch einen Unfall während des Wehrdienstes noch durch dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden (§ 81 Abs 1 SVG).
Zum Wehrdienst in diesem Sinn gehört, nach neuer Gesetzesfassung gilt als solcher ua das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges von und nach der Dienststelle und als Sonderfall die Familienheimfahrt, d.h. der Weg von und nach einer ständigen Familienwohnung, die ein Soldat außerhalb des Dienstortes hat (§ 81 Abs 3 Satz 1 Nr 4 und Satz 2 SVG in der zur Zeit des Unfalles maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1976 - BGBl I 457 -, § 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 und Satz 3 SVG idF der Bekanntmachung vom 9. Oktober 1980 - BGBl I 1957). Das LSG hat nicht erläutert, was es unter einem "inneren Zusammenhang" mit der Familienheimfahrt versteht. Es hat aber im Ergebnis zutreffend den Unfall des Klägers nicht als Wehrdienstbeschädigung im bezeichneten Sinn beurteilt. Wenn ein anspruchsbegründender Unfall bloß im zeitlichen Zusammenhang mit dem Dienst des Soldaten zu stehen und nicht durch diesen verursacht zu sein braucht, so muß der Soldat doch während des Ereignisses tatsächlich Dienst geleistet haben (BSGE 41, 153, 154 = SozR 3200 § 81 Nr 5; SozR 3200 § 81 Nrn 6, 7, 8, 11 und 14; BSG 17. November 1981 - 9 RV 20/81). Gleiches gilt für einen Familienheimfahrtweg, den das Gesetz dem Dienst zurechnet (BSG 24. August 1982 - 9a RV 3/82). Der Soldat muß sich zur Zeit des Unfalles, den er nach Verlassen der Dienstunterkunft erleidet, auf einem solchen Weg befunden, dh er muß die Familienwohnung direkt angestrebt haben (vgl zur örtlichen Beziehung zwischen Dienstort und Familienwohnung: BSGE 33, 239, 242 = SozR Nr 2 zu § 81 SVG vom 8. August 1964; BSG 5. März 1980 - 9 RV 40/78; BSG 24. April 1980 - 9 RV 82/78; BSG 6. Oktober 1981 - 9 RV 23/81). Das war beim Kläger gerade nicht der Fall, als er auf dem Hamburger Hauptbahnhof verweilte. Dieser Aufenthalt war - wie schon bei früheren Wochenendheimfahrten - von vornherein auf mindestens zwei Stunden bemessen; er sollte erst mit der Abfahrt des Kameraden oder frühestens mit dem Eintreffen seines Zuges enden. In dieser Zeit setzte der Kläger nicht seinen Heimweg - innerhalb von Hamburg - fort.
Er verkennt die Rechtswirkung der "Unterbrechung" eines versorgungs- oder versicherungsrechtlich geschützten Weges. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sozialen Unfallversicherung sowie zur Kriegsopfer- und Soldatenversorgung kann der gesetzliche Unfallschutz auf einem Weg gerade nicht während einer Unterbrechung, die anderen Zwecken dient, fortdauern, sondern allenfalls nach einer Unterbrechung bis zu zwei Stunden in der Zukunft erneut beginnen, sobald der früher eingeschlagene Weg fortgesetzt wird (vgl zB für die Unfallversicherung: BSGE 49, 16, 17 f = SozR 2200 § 550 Nr 41; 2200 § 550 Nrn 42 und 44; für die Versorgung: BSGE 33, 239, 243).
Während des zweistündigen Aufenthaltes auf dem Hauptbahnhof stand der Kläger auch nicht etwa deshalb unter Versorgungsschutz, weil er wegen wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse seinem Kameraden hätte Gesellschaft leisten müssen und weil solche Umstände das Beisammensein in der gebotenen Weise umgestaltet und auf den Dienst bezogen hätten (vgl dazu BSG SozR 3200 § 81 Nr 14). Dem Wehrdienst eigentümlich in diesem Sinn ist ua die Kameradschaft, die die Soldaten nach § 12 Satz 2 Soldatengesetz vom 19. März 1956 (BGBl I 114 - ohne einschlägige Änderung) -SG- zu beachten haben (vgl dazu BSGE 33, 239, 244 ff; SozR 3200 § 81 Nr 7; BSG 17. November 1981; OVG Rheinland-Pfalz, Die öffentliche Verwaltung 1967, 66). Der Kläger beruft sich aber zu Unrecht auf diese gesetzliche Pflicht. Welches Verhalten kraft Rechtspflicht kameradschaftlich geboten ist, ist nicht nach den - beliebigen - subjektiven Vorstellungen und Übungen einzelner Soldaten zu beurteilen. Maßgebend ist vielmehr, ob demjenigen, der sich einem bestimmten Ansinnen entzieht oder sonstwie erwartungswidrig verhält, allgemein nach Wertungen, die unter den vernünftig denkenden Angehörigen der Streitkräfte herrschen und die billigenswert sind, berechtigterweise eine Unkameradschaftlichkeit vorgeworfen werden könnte und ob er wegen seines Verhaltens von seinen Kameraden nachteilig behandelt werden dürfte (BSGE 33, 239, 244 f, 247). § 12 Satz 2 SG verpflichtet die Soldaten, Würde, Ehre und Rechte der Kameraden zu achten sowie ihnen in Not und Gefahr beizustehen. Diese gesetzliche Pflicht betrifft den gegenwärtigen Fall nicht. Ob es sich bei ihr nur um eine Mindestanforderung handelt und ob darüber hinaus weitere Rechts- oder Sozialnormen kameradschaftliche Gebote enthalten (Scherer/Meyer/Panholzer/ Alff, Soldatengesetz, 5. Aufl 1976, § 12 Rz 1; die gleiche Auffassung im Urteil des OVG Rheinland-Pfalz war nicht entscheidungserheblich), kann dahinstehen. Jedenfalls kann Kameradschaft, auf der der Zusammenhalt der Bundeswehr nach § 12 Satz 1 SG beruht, nur insoweit als wehrdiensteigentümlich gewertet werden, als sie der Schlagkraft der Truppe und damit ihrem Verteidigungsauftrag dient (Art 87 a Abs 1 bis 3 Grundgesetz, § 7 SG) und sich dadurch oder wegen anderer Besonderheiten grundlegend von allgemeiner Mitmenschlichkeit sowie von zivilen Gepflogenheiten zu geselligem Zusammensein unterscheidet. Von einem Soldaten kann nicht kraft der derart zu verstehenden Kameradschaftspflicht erwartet werden, daß er in seiner Freizeit außerhalb der Kaserne seinen eigenen Heimweg um zwei Stunden verzögert, um einem wartenden Kameraden Gesellschaft zu leisten. Bei der Entscheidung, ob ein solches Ansinnen durch kameradschaftliche Verbundenheit gerechtfertigt wäre, ist zu bedenken, daß nicht durch entsprechende beliebige Entschließungen einzelner Soldaten ein an sich ausgeschlossener Versorgungsschutz begründet werden kann. Im gegenwärtigen Fall ist besonderes bedeutsam der Zusammenhang des zum Unfall führenden Verhaltens mit der Freizeit, die grundsätzlich nicht versorgungsrechtlich geschützt ist. Jeder einzelne Soldat ist bloß gerade auf seinem individuellen Weg zu seiner Familienwohnung, der eigentlich zur Freizeit gehört, geschützt, also ohne einen Zusammenhang mit anderen Wegen seiner Kameraden. Nicht einmal während des Aufenthaltes in der Kaserne, der weniger den zivilen Verhältnissen gleichkommt, ist ein Fußballspiel in der Mittagspause als wehrdiensteigentümlich zu werten, auch nicht kraft einer kameradschaftlichen Pflicht zur Beteiligung (BSG 17. November 1981).
Der Kläger bezieht sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung, die bei der Mitnahme eines verkehrsmäßig ungünstig wohnenden Kameraden im Kraftwagen eine kameradschaftliche Verbundenheit voraussetzt (BSGE 33, 329). Solche Fahrgemeinschaften bei Wochenendheimfahrten sind inzwischen auch für den Fall eines Umweges gesetzlich unter Versorgungs- und Versicherungsschutz gestellt worden (zum Versorgungsrecht: § 81 Abs 3 Satz 3 SVG 1976, § 81 Abs 4 Satz 2 Buchstabe b SVG 1977 und 1980; für die Unfallversicherung: § 550 Abs 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung). Damit ist indes eine Ausnahme von dem zuvor genannten Grundsatz über den Versorgungsschutz bei individuellen Familienheimfahrten geregelt; sie trifft hier nicht zu. Darüber hinaus soll nach der Rechtsprechung ein Unfall, den ein Soldat infolge einer unfallversicherungsrechtlich geschützten Hilfeleistung auf der Straße erleidet, einen Versorgungsanspruch begründen; der geschützte Weg soll dann nicht als unterbrochen anzusehen sein (BSGE 50, 80, 81 f = SozR 3200 § 81 Nr 13). Aber solche rechtlich geordnete Hilfe hat der Kläger seinem Stubenkameraden während des Aufenthaltes im Hauptbahnhof nicht zukommen lassen.
Schließlich scheidet ein kameradschaftliches Verhalten, das als wehrdiensteigentümlich zu werten wäre, aus den dargelegten Gründen als selbständiger Versorgungstatbestand aus (vgl dazu zB Urteil vom 24. August 1982). Außerdem müßte ein solcher Umstand - im Unterschied zum Dienstunfall - das Unglück wesentlich verursacht haben, was für den gemeinsamen Aufenthalt auf dem Hauptbahnhof nicht zutrifft. Der Kläger wurde vielmehr vom Zug erfaßt, weil er zu nahe an der Bahnsteigkante stand. Deswegen muß die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen