Leitsatz (amtlich)
1. Eine Hilfeleistung auf dem Wege zur Arbeit (hier: Öffnen einer Straßenbahntür für einen anderen Fahrgast) ist dann Teil des mitversicherten Arbeitsweges und unterbricht den Unfallversicherungsschutz nicht, wenn sie zeitlich und räumlich nur einen geringfügigen Bewegungsaufwand erfordert, für den Versicherten erkennbar den Interessen seines Beschäftigungsbetriebes nicht zuwiderläuft und in der Art und Weise der Ausführung nicht in hohem Maße vernunftswidrig ist.
2. Zum Unfallversicherungsschutz von Hilfeleistungen, die nach dem Willen und den Vorstellungen des Verletzten den Interessen seines Beschäftigungsbetriebes dienen.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1975 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der 1908 geborene Kläger macht wegen der Folgen eines am 24. November 1970 erlittenen Unfalls Entschädigungsansprüche gegen die Beklagte geltend. An dem genannten Tag benutzte der Kläger, der damals als Hilfsreferent in einem Bonner Ministerium beschäftigt war, für die Fahrt von seiner Wohnung zur Dienststelle die Straßenbahn. Nachdem er in einem schaffnerlosen Wagen kurz vor der planmäßigen Abfahrt um 7,52 Uhr Platz genommen hatte, bemerkte er draußen eine Frau, die noch mitfahren wollte. Bevor sie die Straßenbahn erreicht hatte, wurden die Türen vom Fahrer automatisch geschlossen. Als die Bediensteten der Straßenbahn es unterließen, den hydraulischen Türöffner zu betätigen, trat der Kläger zur Tür und öffnete diese von innen gewaltsam mit erheblicher Kraftanstrengung, um die Frau, die bis dahin vergeblich versucht hatte, in den geschlossenen Straßenbahnwagen zu gelangen, einsteigen zu lassen. Infolge der Kraftanstrengung beim Aufreißen der Tür verdrehte er sich das rechte Kniegelenk und befand sich wegen eines dadurch verursachten Kniegelenksergusses vom 24. November 1970 bis zum 11. Oktober 1971 in ambulanter und stationärer Behandlung.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten habe (Bescheid vom 8.3.1972). Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger u. a. vorgetragen, er habe der Frau, die er irrtümlich für eine Arbeitskollegin gehalten habe, helfen wollen, ihre Dienststelle rechtzeitig (um 8,00 Uhr) zu erreichen; seine Hilfe sei deshalb betriebsbedingt gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens abgewiesen: Zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Weg des Klägers zu seiner Dienststelle habe kein ursächlicher Zusammenhang bestanden; die Schädigung sei auch nicht während einer nur geringfügigen, vom Versicherungsschutz noch mitumfaßten Unterbrechung des Arbeitsweges eingetreten (Urteil vom 14.3.1974).
Das Landessozialgericht (LSG) ist der Auffassung des SG gefolgt: Die Hilfeleistung des Klägers sei seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Daran ändere es nichts, daß er angeblich einer Arbeitskollegin habe helfen wollen; abgesehen davon, daß diese Absicht nicht bewiesen sei, habe das gewaltsame Öffnen der Tür weder im Interesse des Dienstherrn gelegen noch seinem mutmaßlichen Willen entsprochen. Auch sei die Unterbrechung des versicherten Weges - anders als etwa das Hineinheben eines Kinderwagens in einen Autobus oder das Holen von Zigaretten aus einem nahen Automaten - nach Art und Dauer nicht so geringfügig gewesen, daß sie rechtlich noch als Teil des Weges angesehen werden könne. Hier habe es sich vielmehr "um einen schwerwiegenden, entgegen der Regelung der zuständigen Bahnbediensteten erfolgten unberechtigten Eingriff in den Straßenbahnbetrieb gehandelt, der nach der Art seiner Durchführung erheblich gegenüber den sonstigen Risiken des versicherten Weges ins Gewicht fällt und auch die eigentliche Ursache für den Unfall war". Schließlich sei der Kläger nicht "wie" ein Versicherter gegenüber der Straßenbahn oder der Frau, der er geholfen habe, tätig geworden (Urteil vom 19.3.1975).
Der Kläger hat die - vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene - Revision eingelegt und eine Verletzung des § 550 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie unzureichende Sachaufklärung durch das LSG gerügt: Mit dem Öffnen der Tür sei er uneigennützig und schon deswegen nicht "eigenwirtschaftlich" tätig geworden. Jedenfalls habe eine belanglose Unterbrechung des versicherten Arbeitsweges vorgelegen. Dem stehe die angebliche, von ihm im übrigen bestrittene Betriebswidrigkeit seines Verhaltens nicht entgegen. Es gehöre "zum allgemeinen Benutzungsbild" der Bonner Straßenbahn, daß bereits verschlossene Türen haltender Bahnen von Fahrgästen wieder geöffnet würden, einem entsprechenden Beweisantrag sei das LSG zu Unrecht nicht gefolgt. Das gleiche gelte für die von ihm beantragte Befragung des Dienstherrn, ob dieser die Hilfeleistung des Klägers gutgeheißen hätte, und für seinen Antrag auf Einholung eines ärztlichen Gutachtens darüber, daß er sich den Schaden auch schon bei einem Versuch, die Tür zu öffnen, hätte zuziehen können. Wenn er ein Verbot, geschlossene Türen zu öffnen, gekannt oder die mit der Hilfeleistung verbundene Gefahr "auch nur geahnt" hätte, hätte er die Tür nicht angefaßt. Wäre das LSG diesem Vorbringen nachgegangen, hätte es ein betriebswidriges Verhalten des Klägers oder einen unberechtigten Eingriff in den Straßenbahnbetrieb nicht festgestellt. Im übrigen hätte es ihm den Versicherungsschutz nur bei einem im hohen Grade vernunftwidrigen, "völlig widersinnigen" Verhalten versagen dürfen. Davon könne aber bei ihm nicht die Rede sein; allenfalls habe er unbesonnen gehandelt. Er habe die Tür geöffnet, um den rechtswidrigen Ausschluß eines Dritten von der Mitfahrt zu verhindern. Von besonderer Bedeutung sei schließlich, daß er einer Arbeitskollegin habe helfen und damit dienstliche Belange habe fördern wollen. Wenn das LSG sein diesbezügliches Vorbringen als unbewiesen angesehen habe, so nur aufgrund einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1975 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. März 1974 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 24. November 1970 als Arbeitsunfall anzuerkennen und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen;
hilfsweise,
unter Aufhebung des Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1975 die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie sieht in dem Verhalten des Klägers eine vorsätzliche Transportgefährdung, die der Annahme einer unbeachtlichen Unterbrechung des versicherten Weges in jedem Falle entgegenstehe. Sie hält ferner den Versuch des Klägers, eine hydraulisch schließende Tür gewaltsam zu öffnen und damit in automatisch ablaufende Vorgänge einzugreifen, für ebenso sinnlos und vernunftwidrig wie etwa das Abspringen von einem fahrenden Zug. Verfahrensmängel lägen nicht vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das angefochtene Urteil kann so, wie es vom LSG begründet worden ist, nicht aufrechterhalten werden. Für eine eigene abschließende Entscheidung des Senats reichen aber die bisher getroffenen Feststellungen nicht aus.
Daß der Sachverhalt, aus dem der Kläger seine Entschädigungsansprüche herleitet (Verdrehung des Kniegelenks beim Öffnen einer Straßenbahntür), ein Unfall, d. h. ein den Körper von außen schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis war, wird nun auch von der Beklagten - anders noch der angefochtene Bescheid - nicht mehr in Zweifel gezogen.
Ob der Unfall schon nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO, der u. a. Hilfeleistungen bei Unglücksfällen betrifft, unter Versicherungsschutz gestanden hat, ist in den Vorinstanzen nicht erörtert worden. Auch der Senat hält diese Vorschrift hier nicht für anwendbar, weil die Hilfe, die der Kläger einem anderen Fahrgast beim Einsteigen in die Straßenbahn geleistet hat, nicht durch einen - eingetretenen oder drohenden - Unglücksfall ausgelöst worden ist. Ein Unglücksfall braucht zwar kein Ereignis zu sein, das einen Personenschaden zur Folge hat, sondern kann auch lediglich Sachgüter betreffen (vgl. BSG 35, 140, 141 = SozR RVO § 539 Nr. 39). Der Schaden, der hier ohne die Hilfe des Klägers dem anderen Fahrgast entstanden wäre, hätte aber allenfalls in einem geringfügig - bis zur Abfahrt der nächsten Straßenbahn - verzögerten Antritt der Fahrt bestanden.
Das LSG hat den Unfall auch nicht als einen Wegeunfall im Sinne des § 550 Abs. 1 RVO angesehen. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall ein Unfall auf einem Weg nach und von dem Ort einer versicherten Tätigkeit, wenn der Weg mit dieser Tätigkeit zusammenhängt. Der hiernach erforderliche Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit setzt nicht nur eine äußere - zeitliche und räumliche - Beziehung zwischen Weg und Tätigkeit voraus, die durch Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Richtung des Weges nach und von dem Tätigkeitsort begründet wird. Es muß darüber hinaus auch ein innerer, ursächlicher Zusammenhang des Weges mit der Tätigkeit vorliegen, der in der Regel darin zum Ausdruck kommt, daß der Weg wesentlich Interessen desjenigen Betriebes dient oder zu dienen bestimmt ist, für den die versicherte Tätigkeit verrichtet wird.
An diesem inneren Zusammenhang fehlt es im allgemeinen, wenn der Versicherte auf seinem Arbeitsweg für andere Personen tätig wird und seine Hilfeleistung weder objektiv noch subjektiv betrieblichen Interessen dient. Eine solche Hilfeleistung ist - als sog. eigenwirtschaftliche Tätigkeit - dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Daran ändert - entgegen der Ansicht der Revision - auch der Umstand nichts, daß einer Hilfeleistung in der Regel uneigennützige Motive zugrunde liegen. Der Begriff der "Eigenwirtschaftlichkeit" ist nicht gleichbedeutend mit dem der "Eigennützigkeit"; er umfaßt vielmehr jede betriebsfremde, d. h. nicht wesentlich betrieblichen Interessen dienende Tätigkeit. Das trifft grundsätzlich auch für Hilfeleistungen gegenüber Dritten auf dem Arbeitswege zu.
Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung jedoch für solche Hilfeleistungen gemacht, die den Arbeitsweg nur geringfügig unterbrechen und deshalb bei natürlicher Betrachtungsweise noch als Teil des versicherten Weges anzusehen sind (vgl. das Urteil des 2. Senats vom 31. Januar 1974, 2 RU 165/72: Hineinheben eines Kinderwagens in einen Autobus). Damit ist auch bei Hilfeleistungen auf dem Arbeitsweg ein Grundsatz angewendet worden, der allgemein für private, in versicherte Tätigkeiten eingeschobene Besorgungen gilt, insbesondere für Betätigungen, die eigenen Interessen dienen und nicht den Arbeitsweg betreffen (vgl. das Urteil des 2. Senats vom 29. Februar 1972, SozR RVO § 548 Nr. 31 mit weiteren Nachweisen, dort entschieden für das Besorgen von Zigaretten aus einem nahegelegenen Automaten während der Arbeitszeit).
Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, dieser Rechtsprechung nicht zu folgen. Zwar mag es auf den ersten Blick nicht ganz systemgerecht erscheinen, den Versicherungsschutz ohne eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift auch auf Betätigungen auszudehnen, die, da sie keinen betrieblichen Interessen dienen, nicht in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, obwohl ein solcher Zusammenhang sonst allgemein als Voraussetzung des Versicherungsschutzes verlangt wird. Dieses Bedenken verliert jedoch an Gewicht, wenn Versicherungsschutz nur für solche betriebsfremden Betätigungen gewährt wird, die zeitlich und räumlich nur einen ganz geringen (geringfügigen) Bewegungsaufwand erfordern, so daß jedenfalls der äußere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gewahrt ist, die private Betätigung mithin bei natürlicher Betrachtung als Teil der versicherten - im Rechtssinne nicht unterbrochenen - Tätigkeit erscheint. Zu fordern ist ferner, daß die an sich betriebsfremde Betätigung, wenn sie schon keinen betrieblichen Interessen dient, solchen wenigstens nicht - für den Handelnden erkennbar - zuwiderläuft. Der Unfallversicherung auch das Risiko von "eindeutig betriebswidrigen" (vgl. SozR RVO § 548 Nr. 31 Bl. Aa 38 Rs) Betätigungen aufzubürden, wäre nach Ansicht des Senats nicht zu rechtfertigen (die Frage ist in dem zuletzt genannten Urteil nicht abschließend entschieden worden). Eine rechtlich belanglose Unterbrechung der versicherten Tätigkeit liegt schließlich dann nicht mehr vor, wenn die private Verrichtung in der Art und Weise der Ausführung mit so großen Risiken verbunden war, daß der Handelnde mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, daß es zu einem Unfall kommen würde, wenn also ein einigermaßen vernünftiger Versicherter die Betätigung unterlassen hätte (Ausschluß eines in hohem Maße vernunftwidrigen und gefährlichen Verhaltens, vgl. die zuletzt genannte Entscheidung und das Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1976, 8 RU 64/75).
Ob auch das angefochtene Urteil von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, läßt sich den Entscheidungsgründen nicht mit Sicherheit entnehmen. Offenbar hat das LSG in dem Öffnen der Straßenbahntür deswegen keine unerhebliche Unterbrechung des versicherten Weges mehr gesehen, weil der Kläger dabei unberechtigt in den Straßenbahnbetrieb eingegriffen und durch das gewaltsame Öffnen der Tür eine gegenüber den sonstigen Risiken des versicherten Weges erhebliche neue Gefahr geschaffen habe, die auch die eigentliche Unfallursache gewesen sei. Das LSG scheint mithin einen Versicherungsschutz für den Kläger wegen eines betriebswidrigen und zugleich in hohem Maße vernunftwidrigen Verhaltens verneint zu haben. Ein "betriebswidriges" Verhalten hätte indessen nur vorgelegen, wenn der Kläger - für ihn erkennbar - den Interessen seines Dienstherrn (nicht der Straßenbahn) zuwider gehandelt hätte. Daß dies der Fall war, ist jedoch den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Zeitliche Verzögerungen bei der Zurücklegung des eigenen Dienstweges waren mit der Hilfeleistung des Klägers nicht verbunden. Daß ein Arbeitgeber ein Interesse daran haben kann, daß Verletzungen seiner Bediensteten vermieden werden, mag zwar zutreffen. Für den Kläger lag jedoch die Gefahr einer Verletzung bei dem - selbst gewaltsamen - Öffnen der Tür nicht so nahe, daß dies ohne nähere Begründung unterstellt werden kann. Das gleiche gilt für die Frage, ob der Kläger mit dem gewaltsamen Öffnen der Tür in hohem Maße vernunftwidrig gehandelt und deswegen den Versicherungsschutz verloren hat. Er selbst behauptet, die mit dem Öffnen hydraulisch geschlossener Straßenbahntüren verbundenen Gefahren nicht "geahnt" zu haben, zumal sein Verhalten zum "allgemeinen Benutzungsbild" der Bonner Straßenbahn gehöre, ohne daß diese bisher dagegen wirksame Maßnahmen ergriffen habe. Dieses, durch Beweisanträge konkretisierte Vorbringen kann nicht ohne weiteres als unerheblich abgetan werden. Denkbar ist andererseits, daß der Kläger, als er die geschlossene Tür zu öffnen versuchte und dabei Widerstand verspürte, mit der gewaltsamen Fortsetzung des Öffnungsversuches - nunmehr auch für ihn erkennbar - ein so hohes Unfallrisiko einging, daß sein weiteres Verhalten als grob vernunftwidrig zu werten wäre. Auch insoweit bedarf es jedoch noch einer näheren Aufklärung des Sachverhalts. Diese erübrigt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht deswegen, weil der Kläger mit dem Öffnen der Tür eine "vorsätzliche Transportgefährdung" begangen habe und schon deshalb nicht in den Genuß des Versicherungsschutzes kommen könne. Verbotswidriges und selbst strafbares Verhalten allein schließt hier ebensowenig wie sonst (vgl. § 548 Abs. 3 RVO) die Annahme eines versicherten Arbeitsunfalles aus.
Begründet wäre die Klage im übrigen auch dann, wenn sich bei den weiteren Ermittlungen des LSG ergeben sollte, daß das Öffnen der Straßenbahntür durch den Kläger zwar nicht mehr als eine rechtlich unerhebliche Unterbrechung seines Dienstweges angesehen werden kann, jedoch nach dem Willen und den Vorstellungen des Klägers wesentlich den Zweck hatte und geeignet war, dienstliche Interessen seiner Behörde zu fördern. Daß es zur Bejahung des Versicherungsschutzes genügt, wenn der Handelnde von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, die Tätigkeit sei geeignet, den Interessen seines Betriebes zu dienen, ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand November 1975, S. 480 p mit Nachweisen). Sollte also der Kläger, wie er vorgetragen hat, die Frau, der er die Tür der Straßenbahn öffnete, für eine Bedienstete seines Ministeriums gehalten und zugleich mit seiner Hilfeleistung den Zweck verfolgt haben, der vermeintlichen Arbeitskollegin einen - sonst nicht gewährleisteten, aber für den Dienstherrn wichtigen - rechtzeitigen Dienstantritt zu ermöglichen, so würde ein wesentlicher innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln des Klägers und seiner versicherten Tätigkeit vorliegen, zumal die Absicht, einer Arbeitskollegin den rechtzeitigen Dienstantritt zu ermöglichen, den Rahmen vernünftigen Verhaltens nicht offensichtlich überschreitet (vgl. BSG 30, 282, 283). Liegen einer Handlung wesentlich betriebsbezogene Motive zugrunde, so wird der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit weder durch ein leichtsinniges noch durch ein grob fahrlässiges oder gar in hohem Maße unvernünftiges Verhalten gelöst (vgl. § 553 RVO, der einen Entschädigungsanspruch des Verletzten nur bei absichtlicher Verursachung des Arbeitsunfalls ausschließt, und das schon genannte Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1976). Daß das Verhalten des Klägers nicht sein eigenes Zuspätkommen, sondern das einer vermeintlichen Arbeitskollegin verhindern sollte, ist nicht erheblich, sofern nur die Tätigkeit des Klägers nach den ihm bekannten Umständen den Interessen derjenigen Behörde entsprach, bei der er beschäftigt war.
Ein Versicherungsschutz des Klägers ist auch - entgegen der Ansicht des LSG - nicht schon deswegen entfallen, weil die mit seinem Verhalten verbundene Gefährdung in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem Vorteil gestanden habe, der dem Dienstherrn aus einem früheren Arbeitsbeginn einer Bediensteten erwachsen wäre. Bei der Prüfung, ob ein bestimmtes Verhalten betrieblichen Interessen gedient hat, ist der Standpunkt des Handelnden mit in Betracht zu ziehen; dies muß insbesondere dann gelten, wenn verschiedene Interessen des Betriebes miteinander konkurrieren. Unter ihnen "richtig" im Sinne einer objektiven Betrachtungsweise abzuwägen, wird einerseits selbst einem Versicherten vom Bildungsstand des Klägers jedenfalls dann nicht zuzumuten sein, wenn es sich - wie hier - um Spontanreaktionen handelt, deren gesundheitsschädliche Folgen nicht ohne weiteres vorauszusehen sind. Vor allem aber bot sich hier - anders als in dem vom Senat am 25. Februar 1976 (8 RU 108/75) entschiedenen Fall - zur Erreichung des vorgestellten Betriebszwecks keine andere Möglichkeit.
Das LSG wird somit im Anschluß an das Vorbringen des Klägers noch einmal prüfen müssen, ob die fragliche Handlung, die zum Unfall geführt hat, nach den Vorstellungen und dem Willen des Klägers wesentlich betriebliche Interessen seines Dienstherrn fördern sollte, oder - wenn sich das LSG nicht davon überzeugen kann - ob durch das Verhalten des Klägers unter Würdigung der genannten Umstände und des Revisionsvorbringens sein Dienstweg nur geringfügig und damit rechtlich unerheblich unterbrochen worden ist, was allerdings bei einem in hohem Grade vernunftwidrigen Verhalten, wie es oben unter Hinweis auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Januar 1976 näher umrissen wurde, nicht anzunehmen wäre.
Daß ein Versicherungsschutz des Klägers hier nicht über § 539 Abs. 2 RVO (Versicherung von Personen, die "wie" ein nach § 539 Abs. 1 Versicherter tätig werden) begründet werden kann, hat das LSG zutreffend entschieden: Im Verhältnis zur Straßenbahn ist der Kläger schon deswegen nicht "wie" ein Beschäftigter tätig geworden, weil er nicht in ihrem Interesse und mit ihrem mutmaßlichen Willen, sondern eigenmächtig gehandelt hat. Der Frau, der er die Tür geöffnet hat, hat er nur eine Gefälligkeit erweisen wollen und keine arbeitnehmerähnlichen Dienste geleistet.
Über die Kosten - auch des Revisionsverfahrens - wird das LSG zugleich mit der abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits befinden.
Fundstellen