Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandskraft von Bewilligungsbescheiden. Verfassungsmäßigkeit von Übergangsvorschriften. Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Übergangsgeldes durch das AFKG. Übergangsregelung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Bescheid, mit dem Sozialleistungen bewilligt werden, unterliegt dem Vertrauensschutz nach Maßgabe des § 45 SGB 10; das gilt auch für Bewilligungsbescheide im Rahmen des AFG.
2. Regelungen, die dem Antragsteller nur hinsichtlich des Anspruchsgrundes den früheren Besitzstand gewährleisten und die Gewährleistung des Besitzstandes sowohl daran knüpfen, daß der Antragsteller vor einem bestimmten Zeitpunkt (hier: 1.1.1982) in eine Maßnahme eingetreten ist und Leistungen beantragt hat, als auch daran, daß die Leistungen aus einem vom Antragsteller nicht zu vertretenden Grund vor dem bestimmten Zeitpunkt (hier: 1.1.1982) nicht bewilligt wurden, sind nicht verfassungswidrig.
Orientierungssatz
1. Die Herabsetzung des Übergangsgeldes um ein Viertel durch das AFKG ist unter dem Blickpunkt des Art 14 GG nicht zu beanstanden.
2. Die Übergangsvorschrift (Art 1 § 2 Nr 3 AFKG) ist nicht insoweit gleichheitswidrig (Verletzung von Art 3 Abs 1 GG), als sie bereits bewilligte Leistungsansprüche bei fehlendem Hinweis auf die Rechtsänderung von der Kürzung ausnimmt, bei noch ausstehender Bewilligung die Kürzung aber auch dann eintreten läßt, wenn dies der Versicherte nicht zu vertreten hat.
Normenkette
AFKG Art. 1 § 2 Nr. 3 S. 1 Fassung: 1981-12-22, S. 2 Buchst. b Fassung: 1981-12-22; AFG § 59 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1981-12-22; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; SGB 10 § 45
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.07.1984; Aktenzeichen L 3 Ar 1266/82) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 16.06.1982; Aktenzeichen S 12 Ar 713/82) |
Tatbestand
Im Prozeß geht es um die Frage, ob das dem Kläger vom 19. November 1981 an zustehende Übergangsgeld (ÜG) für die Zeit vom 1. Januar 1982 an aufgrund des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes -AFKG- niedriger bemessen werden durfte.
Der im Jahr 1959 geborene ledige Kläger war gelernter Betriebsschlosser. Als er aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, stellte das Arbeitsamt Gelsenkirchen am 12. September 1980 einen Gesamtplan zur Rehabilitation auf, der eine 18 Monate dauernde Umschulung zum Datenverarbeitungskaufmann/Programmierer und - vorher - zur Verbesserung der Rechtschreibkenntnisse eine Vorförderung in einem Fernlehrgang vorsah.
Der Kläger nahm von Februar bis Mai 1981, während er in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis als Kraftfahrer stand, an dem Fernlehrgang teil. Vom 1. Juni bis 18. November 1981 bezog er Arbeitslosengeld. Die Umschulung erfolgte vom 19. November 1981 bis 4. Mai 1983.
Der Kläger reichte am 29. Juni 1981 bei dem Arbeitsamt Gelsenkirchen den "Fragebogen zur Berechnung des ÜG und der Leistungen zu den Kosten der Maßnahme" ein. Das später zuständig gewordene Arbeitsamt Heidelberg bewilligte, nachdem es am 5. Januar 1982 eine Abschlagszahlung von 2.000,-- DM gezahlt hatte, mit Bescheid vom 5. Februar 1982 ÜG, das für die Zeit vom 19. November bis 31. Dezember 1981 mit 58,79 DM (entgangenes regelmäßiges Nettoarbeitsentgelt), für die anschließende Zeit aber nur noch mit 75 vH davon = 44,09 DM - und späteren Anpassungen - berechnet wurde. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Mannheim im Urteil vom 16. Juni 1982 den Bescheid geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch ab 1. Januar 1982 ÜG nach dem bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Recht zu gewähren. Es hat die Sprungrevision zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen sowie die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Das ÜG sei für die Zeit vom 1. Januar 1982 an nach § 59 Abs 2 Satz 2 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des AFKG zu berechnen. Der Kläger sei vor dem 1. Januar 1982, aber nach dem 2. September 1981 in die Maßnahme eingetreten. Es habe kein "laufender Fall" und damit auch keine die Vorförderung und die Umschulung umschließende einheitliche Maßnahme vorgelegen, da die beiden Teil-Maßnahmen nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang gestanden hätten, der Kläger während der Vorförderung kein ÜG bezogen habe und berufliche oder persönliche Dispositionen des Klägers im Zusammenhang mit der späteren Hauptmaßnahme nicht ersichtlich seien. Eines Hinweises auf die zum 1. Januar 1982 beabsichtigte Rechtsänderung habe es weder nach dem Gesetz noch aus verfassungsrechtlichen Überlegungen bedurft.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 1 § 2 Nr 3 Satz 2 Buchst b des AFKG und trägt vor: Für die Frage des Vertrauensschutzes komme es nicht auf den Zeitpunkt der Bescheiderteilung, sondern allein darauf an, wann der Betroffene die Maßnahme angetreten habe; dies sei vor Inkrafttreten des AFKG gewesen. Wäre der ÜG-Bescheid vor dem 1. Januar 1982 erlassen worden, so wäre er, da ein Hinweis nicht gegeben worden sei, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 4150 Art 1 § 2 Nr 1) aufzuheben.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Mannheim vom 16. Juni 1982 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
Da die Revision gegen die rechnerische Richtigkeit der ÜG-Beträge keine Einwendungen erhebt, geht es im Prozeß nur um die Frage, ob das Arbeitsamt das ÜG für die Zeit nach dem 31. Dezember 1981 zu Recht herabgesetzt hat. Das ist zu bejahen.
Nach § 59 Abs 2 Satz 1 AFG idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation betrug das ÜG 80 vH des Regellohnes und durfte das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen; nach § 59 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG idF des am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen AFKG betrug es bei einem ledigen Behinderten nur noch 75 vH des vorher zustehenden Betrages.
Welches Recht in Übergangsfällen anzuwenden ist, ist in Art 1 § 2 Nr 3 AFKG abschließend geregelt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die dort bezeichneten Regelungen des AFG, darunter § 59 Abs 1 und 2, deren Neufassung den Förderungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach einschränkte, sowohl hinsichtlich des Anspruchsgrundes als auch hinsichtlich der Höhe in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden alten Fassung weiter anzuwenden, wenn die in Satz 1 bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Unter weiteren, in dem folgenden Satz 2 genannten Voraussetzungen sind die genannten Vorschriften ebenfalls in der alten Fassung weiter anzuwenden, hier jedoch mit der Maßgabe, daß die Höhe der Leistungen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1981 nach der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung festzusetzen ist; in diesen Fällen bleibt somit auch für die Zeit ab 1. Januar 1982 für den Grund des Anspruchs das alte Recht maßgebend, während sich die Höhe des Anspruchs nach neuem Recht richtet. Fehlen sowohl die Voraussetzungen des Satzes 1 als auch die des Satzes 2, muß angenommen werden, daß der Förderungsanspruch für die Zeit ab Januar 1982 sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach dem neuen Recht folgt. Diese erschöpfende Übergangsregelung läßt keine entsprechende Anwendung auf andere Sachverhalte zu.
Die vom Kläger hinsichtlich der Höhe begehrte Anwendung des alten Rechts setzt nach Satz 1 voraus, daß der Antragsteller vor dem 1. Januar 1982 in eine Maßnahme eingetreten ist und ihm Leistungen ohne einen Hinweis auf die Änderungen in diesem Gesetz bewilligt wurden (1. Alternative) oder daß der Antragsteller vor dem 2. September 1981 in eine Maßnahme eingetreten ist und Leistungen beantragt hat (2. Alternative). Gemeint sind damit diejenigen "Maßnahmen " und "Leistungen", die von der Rechtsänderung betroffen sein könnten. Das sind beim Kläger die Umschulung zum Datenverarbeitungskaufmann und das während der Teilnahme hieran zustehende ÜG (der Kläger macht nicht mehr geltend, die Maßnahme habe schon mit dem Beginn der Vorförderung begonnen, deshalb braucht der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des LSG, daß Vorförderung und Umschulung keine einheitliche Maßnahme darstellten, nicht mehr einzugehen). Insoweit ist aber Satz 1 weder in der 1. noch in der 2. Alternative erfüllt. Da die Umschulung am 22. November 1981 begonnen hat, kommt nur die 1. Alternative in Betracht. Sie fordert nach ihrem Zusammenhang, daß nicht nur der Eintritt in die Maßnahme, sondern auch die Leistungsbewilligung vor dem 1. Januar 1982 erfolgt sein muß, auch wenn dies das Gesetz nicht mit der wünschenswerten Klarheit sagt. Hieran fehlt es, da der Bewilligungsbescheid über das ÜG erst am 5. Februar 1982 und der Vorschußbescheid erst am 4. Januar 1982 ergangen ist; im übrigen wäre auch eine vor dem 1. Januar 1982 erfolgte Vorschußzahlung nicht als Leistungsbewilligung im Sinne der Übergangsregelung anzusehen, wie der 1. Senat zu der entsprechenden Vorschrift des Art 4 § 2 Satz 1 und 2 AFKG entschieden hat (SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1). Ob beim Eintritt in die Maßnahme ein Hinweis auf die beabsichtigte Rechtsänderung unterblieben ist, ist für Satz 1 unerheblich; eine entsprechende bzw "verfassungskonforme" Auslegung mit Erstreckung auf diesen Sachverhalt ist nicht zulässig.
Daß der Kläger den Tatbestand des Art 1 § 2 Nr 3 Satz 2 Buchst b AFKG erfüllt, kann den Klageanspruch auf Weiterzahlung des ÜG in der bisher zustehenden Höhe nicht stützen. Denn in dieser Vorschrift ist als Rechtsfolge die weitere Anwendung der alten Vorschriften nur mit der Maßgabe angeordnet, daß die Höhe der Leistungen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1981 nach der ab dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung festzusetzen ist. Auf den ersten Blick mag es zwar verwundern, daß die Voraussetzung des Buchst b, daß der Antragsteller vor dem 1. Januar 1982 in eine Maßnahme eingetreten ist, Leistungen beantragt hat und die Leistungen aus einem "von ihm nicht zu vertretenden" Grund vor dem 1. Januar 1982 nicht bewilligt wurden, mit der ungünstigen Rechtsfolge der niedrigeren Leistungshöhe nach neuem Recht verbunden ist. Die Vorschrift begünstigt indes den dort genannten Personenkreis insoweit, als wenigstens für den Anspruchsgrund das alte Recht maßgebend bleibt (entsprechend zu Art 4 § 2 Satz 2 Buchst b AFKG SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1).
Die gesetzliche Regelung, daß denjenigen Antragstellern, die vor dem 1. Januar 1982 in eine Maßnahme eingetreten sind, Leistungen beantragt haben und denen Leistungen aus einem von ihnen nicht zu vertretenden Grund vor dem 1. Januar 1982 nicht bewilligt wurden, nur hinsichtlich des Anspruchsgrundes der frühere Besitzstand gewährleistet bleibt, ist nicht verfassungswidrig, wie der 1. Senat (SozR 4150 Art 4 § 2 Nr 1) und der 4. Senat (Urteil vom 30. November 1983 - 4 RJ 105/82 - nicht veröffentlicht) zu der entsprechenden Regelung in Art 4 § 2 AFKG und der 7. Senat in Anwendung der hier streitigen Vorschrift, allerdings zum Buchstaben c (Urteil vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 19/83 - AuB 1984, 157) entschieden haben. Insoweit kann dahinstehen, ob der Rechtsanspruch auf ÜG nach dem AFG (aufgrund einer ebenfalls kraft Rechtsanspruchs durchgeführten Rehabilitation) verfassungsrechtlich Eigentum iS des Art 14 Grundgesetz (GG) deshalb darstellt, weil die Leistung aus Beitragsmitteln der Versicherten finanziert wird; denn selbst bei unterstelltem Eigentumsschutz ist Art 14 GG nicht verletzt. Hierbei ist davon auszugehen, daß ein Anspruch auf ÜG immer erst mit der Teilnahme für die jeweiligen Zeiten entsteht (§ 59 Abs 1 AFG), so daß der Kläger bei Erlaß des AFKG vom 22. Dezember 1981 für Zeiten ab dem 1. Januar 1982 erst eine Anwartschaft auf ÜG-Leistungen besaß. Bei solchen Anwartschaften hat der Gesetzgeber weitgehende Freiheit, den Inhalt und die Schranken nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zu bestimmen; wenn es dem Gemeinwohl dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, darf er auch Leistungen für zukünftige Zeiträume kürzen (vgl BVerfGE 53, 257, 293; 58, 81, 110). Da dies hier der Fall war, ist die Herabsetzung des ÜG um ein Viertel durch das AFKG unter dem Blickpunkt des Art 14 GG nicht zu beanstanden; das gleiche gilt, wenn die Kürzung verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes zu würdigen wäre. Zu Recht hat schon der 5b Senat eine Kürzung des ÜG um 25 vH als nicht verfassungswidrig angesehen, weil sie die Rechtsstellung nicht "im Ganzen entwerte" (SozR 2200 § 1241 Nr 24).
Die Übergangsvorschrift ist auch nicht insoweit gleichheitswidrig (Verletzung von Art 3 Abs 1 GG), als sie bereits bewilligte Leistungsansprüche bei fehlendem Hinweis auf die Rechtsänderung von der Kürzung ausnimmt, bei noch ausstehender Bewilligung die Kürzung aber auch dann eintreten läßt, wenn dies der Versicherte nicht zu vertreten hat. Der Leistungsbescheid ist ein Vertrauen begründender Tatbestand, dem steht das Unterlassen eines Bescheides auch dann nicht gleich, wenn der Versicherte dies nicht zu vertreten hat. Der zu einem kaum vergleichbaren Zusammenhang in der vom LSG zur Zulassung der Berufung angeführten Entscheidung des 12. Senats vom 25. März 1976 (SozR 4460 § 24 Nr 2) angenommene Verstoß gegen Art 3 GG ist dort damit begründet worden, daß damals § 151 AFG einen Vertrauensschutz für Bewilligungsbescheide ausschloß; nunmehr gilt der Vertrauensschutz nach Maßgabe des § 45 SGB X auch im Rahmen des AFG.
Die Revision des Klägers war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen