Leitsatz (amtlich)
Geht ein Gericht erkennbar von vornherein davon aus, daß wehrdienstbedingte Einflüsse, die keinen organischen Befund hinterlassen, nicht eine wesentliche Bedingung für ein neurotisches Zustandsbild sein können, so hat es bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges "das Gesetz" iS von SGG § 162 Abs 1 Nr 3 verletzt; es hat damit der für das Gebiet der KOV maßgebenden Kausalitätsnorm einen Inhalt gegeben, den diese Kausalitätsnorm nicht hat; es handelt sich insoweit nicht nur um die Würdigung von Tatsachen.
Leitsatz (redaktionell)
Zwar muß von jedem Betroffenen erwartet werden, daß er seinen Willen gemäß den Anforderungen seiner Situation steuert und Begehrensvorstellungen Widerstand leistet; ob und wieweit er dazu entsprechend seinem seelischen Zustand und seiner möglicherweise abartigen seelischen Reaktionsweise in der Lage ist, kann aber nur im Einzelfall beurteilt werden.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 1961 aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der verheiratete Kläger, geboren am 21. September 1910, ist als Angestellter beim Arbeitsamt in H beschäftigt. Er leistete vom 15. April 1940 an Wehrdienst, geriet am 1. Mai 1945 in russische Kriegsgefangenschaft und wurde am 23. August 1945 aus dem Lazarett Wriezen, das unter russischer Verwaltung stand, entlassen. Im September/Oktober 1945 wurde der Kläger im Elisabeth-Hospital in H wegen Paratyphus behandelt. Im Anschluß daran war beim Kläger eine Schwäche der Beinmuskulatur infolge einer älteren Verwundung und dieser Infektionskrankheit zu beobachten. Am 14. November 1945 beantragte der Kläger Versorgung wegen Beinbeschwerden und einer allgemeinen Körperschwäche nach Erkrankungen in der Kriegsgefangenschaft an Ruhr, Lungenentzündung und Typhus. Die Rentenabteilung der Landesversicherungsanstalt Westfalen erkannte mit Bescheid vom 26. März 1949 die Gesundheitsstörungen
1. Restschädigung beider Wadenbeinnerven nach Infektionskrankheit,
2. Narbe am rechten Unterschenkel nach Phlegmone
als Wehrdienstbeschädigung an, lehnte jedoch die Gewährung einer Rente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 ab, weil diese Leiden eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) rentenberechtigenden Grades nicht erreichten; in diesem Bescheid, der sich auf die Gutachten des Chirurgen Dr. M vom 11. November 1948/22. Februar 1949 und des Nervenarztes Dr. C vom 7. Februar 1949 stützt, wurde ferner festgestellt, die Gangstörungen seien psychogen bedingt und stünden mit den Erkrankungen während der Kriegsgefangenschaft in keinem ursächlichen Zusammenhang. Mit seinem Einspruch begehrte der Kläger die "Anerkennung" der Gangstörungen als Schädigungsfolge und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 60 v. H. Der Beschwerdeausschuß des Versorgungsamts Gelsenkirchen wies den Einspruch am 14. November 1952 zurück.
Das Sozialgericht (SG) Münster, auf das die Berufung alten Rechts als Klage überging, holte ein Gutachten der Neurologischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten D ein. Prof. Dr. J und Dr. K kamen in ihrem Gutachten vom 22. Juli 1954 zu dem Ergebnis, die Gangstörung sei psychogen bedingt; es sei möglich, daß anfangs ein organischer Kern vorhanden gewesen sei, zu dem später die psychisch-reaktive Reaktion hinzugekommen sei; jetzt sei eine organische Störung nicht mehr nachweisbar; es sei anzunehmen, daß der Kläger aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage sei, seine psychische Fehlhaltung zu überwinden. Das SG ließ den Kläger ferner in dem Niedersächsischen Landeskrankenhaus T untersuchen und begutachten. Der Direktor des Krankenhauses, Dr. K, und Oberarzt Dr. Ma kamen in ihrem Gutachten vom 8. September 1955 zu dem Ergebnis, daß der Kläger an einer funktionellen Behinderung im Gebrauch beider Beine leide, die einer weitgehenden Lähmung mit einer MdE von mindestens 60 v. H. gleichzusetzen sei. Der zeitliche Zusammenhang dieses Leidens mit einem schweren Flecktyphus während der Kriegsgefangenschaft sei gegeben; es sei nicht wahrscheinlich, daß die schwere Gangstörung ohne den Flecktyphus aufgetreten wäre; jetzt seien objektiv weder körperlich noch psychisch erklärbare Faktoren für die funktionelle Gangstörung festzustellen. Durch Urteil vom 16. Juli 1956 änderte das SG Münster den Bescheid vom 26. März 1949 ab, hob die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 14. November 1952 auf und verurteilte den Beklagten, zusätzlich eine funktionelle Gehbehinderung beider Beine als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Entstehung anzuerkennen und dem Kläger ab 1. August 1948 Versorgungsrente nach einer MdE um 70 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte legte Berufung ein, er begehrte unter Abänderung des Urteils des SG die Klage abzuweisen. Der Kläger schloß sich der Berufung mit dem Antrag an, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger ab 1. August 1948 Rate nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen holte das Gutachten der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität B vom 14. September 1960 ein, das Oberarzt Dr. G und Dr. He erstatteten. Die Gutachter beurteilten die Gangstörung als psychogen bedingt; eine bewußte Simulation scheide mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus; das Verhalten des Klägers werde von unbewußten Impulsen geleitet; die psychologischen Bedingungen während der Kriegsgefangenschaft ließen die Ausbildung einer Neurose als wahrscheinlich erscheinen. Bei der Entstehung der Neurose sei der Kläger wenigstens zum Teil das Opfer der damaligen Verhältnisse geworden; hinsichtlich des Fortbestehens der Gangstörung handele es sich weitgehend um persönliche Faktoren; die MdE sei mit 80 v. H. zu bewerten. Am 7. Juni 1961 änderte das LSG das Urteil des SG ab. Es wies auf die Berufung des Beklagten die Klage ab, die Anschlußberufung des Klägers wies es zurück. Zur Begründung führte das LSG aus: Bei der Gangstörung handele es sich um ein funktionelles Erscheinungsbild, eine bloße Simulation des Leidenszustandes scheide mit Sicherheit aus. Es sei davon auszugehen, daß die Gangstörung in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang mit der schweren Infektionskrankheit in der Kriegsgefangenschaft aufgetreten sei und daß den jetzigen Beschwerden des Klägers ursprünglich ein organischer Kern zugrunde gelegen habe, möglicherweise im Sinne einer polyneuritischen Lähmung. Eine Anerkennung der Gangstörung als Schädigungsfolge käme jedoch nur in Betracht, wenn auch jetzt noch ein organischer Befund dieser Infektionskrankheit nachzuweisen wäre und dieser Befund auch die Gangstörung erklären würde. Dies sei nicht der Fall, seit dem Jahre 1949 habe sich ein organischer Befund für die Gehbehinderung nicht mehr erheben lassen. Es handle sich um eine Neurose. Wenn auch anzunehmen sei, daß die Neurose ohne die Gefangenschaft und die fieberhafte Erkrankung nicht aufgetreten wäre, lasse sich doch nur feststellen, daß die Kriegsverhältnisse eine Bedingung für den heutigen Zustand des Klägers sein können; die versorgungsrechtlich allein entscheidende Frage, ob sie auch die wesentliche Ursache seien, sei indes nicht zu bejahen. Daraus, daß die vielleicht mit anzuschuldigenden Kriegsverhältnisse schon kurze Zeit nach der Gefangenschaft abgeklungen waren, der Kläger auch bald wieder in seine normalen häuslichen Verhältnisse zurückgekehrt und in angemessener Weise in den Arbeitsprozeß eingegliedert worden sei, ergebe sich schon, daß die wesentliche Ursache nicht in dem Kriegserlebnis, sondern in der mangelnden Fähigkeit des Klägers begründet sei, das Erlebnis seelisch zu verarbeiten. Eine solche Neurose stehe aber mit einem schädigenden Ereignis oder einer ursprünglich als Schädigungsfolge bestehenden Gesundheitsstörung nicht in einem ursächlichen Zusammenhang; versorgungsrechtlich wesentliche Ursache sei und bleibe allein die in der Persönlichkeit des Klägers verankerte abnorme seelische Reaktionsbereitschaft.
Das Urteil wurde dem Kläger am 15. Juli 1961, dem Beklagten am 17. Juli 1961 zugestellt. Am 1. August 1961 legte der Kläger Revision ein und beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Münster vom 16. Juni 1956 zurückzuweisen und auf die Anschlußberufung des Klägers den Beklagten zu verurteilen, Rente nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Der Kläger begründete die Revision am 5. August 1961; er rügte, das LSG habe die auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung (KOV) geltende Kausalitätsnorm unrichtig angewandt. Nach der tatsächlichen Feststellung des LSG sei davon auszugehen, daß die Gangstörung, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Infektionskrankheit während der Kriegsgefangenschaft aufgetreten ist, ohne diese Erkrankung und die besonderen Verhältnisse der Kriegsgefangenschaft nicht entstanden wäre. Wunschvorstellungen als Triebmomente seien nicht wahrscheinlich zu machen, auch eine bewußte Simulation sei auszuschließen. Wenn das LSG gleichwohl den Einflüssen der Kriegsgefangenschaft keine wesentliche Bedeutung am Zustandekommen der Gangstörung beigemessen habe, so habe es dabei die Kausalitätsnorm verletzt. Die Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft müßten jedenfalls als gleichwertige Mitursache für die schwere Gangstörung angesehen werden.
Der Beklagte beantragte am 12. September 1961,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Er trug vor, die Kausalitätsnorm sei nicht verletzt; das LSG sei nicht zur Anwendung der Kausalitätsnorm gekommen, weil es den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Kriegsgefangenschaft und der Gangstörung schon auf tatsächlichem Gebiet verneint habe. Vorsorglich für den Fall, daß die Ausführungen des LSG dahin zu verstehen seien, die Kriegsgefangenschaft sei doch eine Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn für die Neurose, legte der Beklagte gleichzeitig Anschlußrevision ein mit dem Antrag,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 1961 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Mit der Anschlußrevision wandte sich der Beklagte gegen die tatsächliche Feststellung des LSG, auch die Kriegsgefangenschaft sei eine Bedingung - im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn - für den jetzigen Zustand des Klägers. Er rügte, diese Feststellung sei nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustande gekommen, sie sei unlogisch und verstoße gegen die Denkgesetze; das LSG habe dabei § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Der Kläger beantragte ferner,
die Anschlußrevision des Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG; der Kläger macht zu Recht geltend, das LSG habe bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs der Gangstörung des Klägers mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt.
Im Sinne von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist "bei der Beurteilung" des ursächlichen Zusammenhanges "das Gesetz" verletzt, wenn die Kausalitätsnorm, die für die Rechtsgebiete der KOV und der Unfallversicherung gilt, verletzt ist. Kausalitätsnormen sind die von Rechtslehre und Rechtsprechung entwickelten allgemein gültigen Rechtssätze (Ursachenlehren), die für die einzelnen Rechtsgebiete die Frage regeln, ob eine Bedingung, die im philosophischen Sinn für den Erfolg ursächlich ist, rechtlich als Ursache des Erfolgs zu werten ist. Nach der für die Rechtsgebiete der KOV und der Unfallversicherung maßgebenden Ursachenlehre ist nur diejenige Bedingung des Erfolgs rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach der natürlichen Betrachtungsweise zum Eintritt dieses Erfolgs wesentlich mitgewirkt hat (BSG 1, 268 ff und seither ständige Rechtsprechung des BSG); haben neben dieser Bedingung auch noch andere Bedingungen, die nur für die philosophische Betrachtung Ursachen sind, mitgewirkt, so scheiden diese anderen Bedingungen als Ursachen im Sinne des Versorgungsrechts und der Unfallversicherung aus; haben mehrere Bedingungen in gleicher Weise ("gleichwertig") zu dem Erfolg beigetragen, so ist jede von ihnen Ursache im Rechtsinne; ergibt sich, daß von mehreren möglichen Bedingungen schon im philosophischen Sinne nur eine Bedingung ursächlich für den Erfolg gewesen ist, so bleibt für eine rechtliche Beurteilung der anderen Bedingungen und damit für eine Anwendung der Kausalitätsnorm kein Raum.
Im vorliegenden Falle hat das LSG entgegen der Ansicht des Beklagten seine Entscheidung in Anwendung der Kausalitätsnorm getroffen. Es hat auf Grund der ärztlichen Gutachten zunächst festgestellt, die Gangbehinderung des Klägers, die einer weitgehenden Lähmung beider Beine gleichkomme, sei ein funktionelles Erscheinungsbild (eine "Neurose"), das durch einen objektiven Befund nicht zu erklären sei und mit der früheren Erkrankung des Klägers während der Gefangenschaft objektiv nicht zusammenhänge. Diese Feststellung ist für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG); der Kläger hat insoweit zwar "Bedenken" geltend gemacht, eine substantiierte Verfahrensrüge (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) ist seinem Vorbringen jedoch nicht zu entnehmen. Das LSG hat weiter ausgeführt (Urteilsgründe S. 8 Mitte), daß "die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (der Gangbehinderung) mit Kriegsereignissen nicht festzustellen ist", es sei nur festzustellen (Urteilsgründe S. 10 oben), "daß die Kriegsverhältnisse eine Bedingung für den heutigen Zustand sein können" und daß die "vielleicht mit anzuschuldigenden Kriegsverhältnisse schon kurze Zeit nach der Gefangenschaft abgeklungen waren". Diese Ausführungen könnten zwar die Annahme zulassen, das LSG habe in den Einflüssen der Kriegsgefangenschaft schon im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne nicht eine Bedingung für den "Erfolg" - die Gangbehinderung des Klägers - gesehen. Obwohl die Urteilsgründe die gebotene Feststellung, daß die Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft eine - wenn auch nach der Überzeugung des LSG nicht die wesentliche - Bedingung der Gangbehinderung gewesen sind oder daß sie überhaupt nicht eine Bedingung der Gangbehinderung gewesen sind, nicht ausdrücklich enthalten, so lassen doch die weiteren Ausführungen des LSG nur den Schluß zu, daß das LSG der Auffassung gewesen ist, Bedingungen für die Gangbehinderung seien sowohl die abnorme seelische Reaktionsbereitschaft des Klägers als auch die Einflüsse der Kriegsgefangenschaft gewesen, wesentliche Bedingung sei aber die abnorme seelische Reaktionsbereitschaft. Dies ergibt sich schon daraus, daß das LSG auf Grund der Sachverständigengutachten festgestellt hat, daß "die Neurose ohne Gefangenschaft und die fieberhafte Erkrankung nicht aufgetreten wäre" (Urteilsgründe S. 10 oben), daß es auf die "versorgungsrechtlich allein entscheidende Frage" abgehoben hat, ob die wehrdienstbedingten Verhältnisse "auch die wesentliche Ursache sind", daß es "die wesentliche Ursache" der Gangbehinderung nicht in dem Kriegserlebnis, sondern in der mangelnden Fähigkeit des Klägers gesehen hat, dieses Erlebnis seelisch zu verarbeiten, und daß es dem Gutachten der Ärzte des Landeskrankenhauses in Tiefenbrunn deshalb nicht gefolgt ist, weil auch diese Ärzte die Gefangenschaft und die Infektionskrankheit während der Gefangenschaft nicht als " wesentliche Ursache" angesehen haben, sondern zu ihrem Ergebnis "lediglich über den nur im bürgerlichen Recht, nicht aber im Versorgungsrecht maßgeblichen Ursachenbegriff der adäquaten Bedingung" gekommen seien. Das LSG hat sonach mehrere Bedingungen, die zu der Gangbehinderung geführt haben, gegeneinander abgewogen, es hat die abnorme seelische Reaktionsbereitschaft als die versorgungsrechtlich wesentliche Bedingung und damit als die Ursache im Sinne des Versorgungsrechts angesehen, es hat damit die für das Gebiet der KOV geltende "Theorie der wesentlichen Bedingungen" angewandt. Es hat aber diese Ursachenlehre nicht richtig angewandt. Es ist erkennbar davon ausgegangen, daß wehrdienstbedingte Einflüsse, die keine organischen Befunde hinterlassen, überhaupt nicht eine wesentliche Bedingung für ein neurotisches Zustandsbild sein können, es hat damit von vornherein der Kausalitätsnorm einen Inhalt gegeben, den sie nicht hat, es hat schon den "Obersatz", unter den die tatsächlichen Feststellungen zu subsumieren gewesen sind, eingeschränkt; es hat zwar auch das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere die medizinischen Gutachten, gewürdigt, und es hat insoweit nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden dürfen (§ 128 SGG), es hat aber nicht von vornherein davon ausgehen dürfen, der für die rechtliche Beurteilung maßgebliche "Obersatz" enthalte die Einschränkung, daß für einen Erfolg (die funktionelle Störung) eine im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gegebene Bedingung (schädigendes Ereignis im Sinne des Versorgungsrechts oder der Unfallversicherung) niemals die "wesentliche" Bedingung sein könne. Es hat nicht schon deshalb, weil in der medizinischen Wissenschaft erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob ein schädigendes Ereignis oder ein Unfall allein oder neben anderen Bedingungen im naturwissenschaftlichen (medizinischen) Sinne eine Bedingung für "psychogene Reaktionen" sein können, solche Reaktionen rechtlich aus dem Anwendungsbereich der "Theorie der wesentlichen Bedingung" ausschließen dürfen (vgl. hierzu auch Schubert, Das Neurosenproblem, Ärztl. Mitteilungen - ÄM - 1963, 655 ff). Wie das BSG für das Rechtsgebiet der KOV (vgl. BSG 11, 50, 55) und für das Rechtsgebiet der Unfallversicherung (vgl. zuletzt Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962, BSG 18, 163 und BSG 18, 173 mit weiteren Hinweisen) entschieden hat, darf die Prüfung, welche Bedingungen als wesentliche und damit als Ursachen im Sinne des Rechts der Unfallversicherung und der KOV anzusehen sind, nicht auf Geschehensabläufe beschränkt werden, die sich im Gebiet des Körperlich-Organischen abgespielt haben oder an organische Störungen anknüpfen oder sich untrennbar mit ihnen vermischen (siehe auch BSG 10, 209, 213); vielmehr sind auch Vorgänge im Bereich des Psychischen und Geistigen ("Neurosen") hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung zu würdigen (vgl. hierzu BGHZ 20, 137), auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis oder durch versorgungsrechtlich erhebliche Tatbestände im Sinne der §§ 1 ff BVG "verursacht" sein. Ebenso wie bei körperlichen Reaktionen auf äußere Einflüsse der etwa vorhandenen körperlichen Anlage des Betroffenen nicht von vornherein einen so überragende Bedeutung beigemessen werden darf, daß äußere Einflüsse als rechtserhebliche Bedingung ausscheiden, dürfen auch bei psychischen Reaktionen äußere Einflüsse nicht schon deshalb als wesentliche Bedingung für den Erfolg und damit als Ursache im Rechtssinne ausgeschlossen werden, weil bei dem Betroffenen eine in seiner Persönlichkeit begründete "abnorme seelische Reaktionsbereitschaft" vorliegt. In beiden Fällen kann die Frage nach der rechtlich wesentlichen Ursache vielmehr erst nach eingehender individueller Prüfung beantwortet werden; dabei sind auch psychische und neurotische Erscheinungen nicht einfach im Blick auf die normale Reaktionslage zu bewerten, sondern die Betrachtungsweise ist auf die Persönlichkeit des Betroffenen und seine Reaktionsweise abzustellen. Zwar muß von jedem Betroffenen erwartet werden, daß er seinen Willen gemäß den Anforderungen seiner Situation steuert und Begehrensvorstellungen Widerstand leistet (vgl. BGHZ aaO), ob und wieweit er dazu entsprechend seinem seelischen Zustand und seiner möglicherweise abartigen seelischen Reaktionsweise in der Lage ist, kann aber nur im Einzelfall beurteilt werden. Dies hat das LSG bei der Abwägung der versorgungsrechtlich erheblichen Bedingungen nicht ausreichend berücksichtigt. Allerdings wird der ursächliche Zusammenhang im Rechtssinne in der Regel dann zu verneinen sein, wenn "Neurosen" wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen sind, wenn es sich bei dem Erscheinungsbild um Wunsch- oder Entschädigungsreaktionen handelt (sog. "echte Rentenneurosen" nach Heuer, ÄM 1960, 2221, 2223 im Anschluß an Venzlaff, Die psychoreaktiven Störungen nach entschädigungspflichtigen Ereignissen, 1958; Schubert aaO; BSG 10, 209, 213 und Urteil des BSG vom 18. Dezember 1962, BSG 18, 173). Das LSG hat zwar auch erörtert, ob "eine unbewußt bestimmende Tendenz" - etwa die Vorstellung des Klägers im Jahre 1945, sich durch seine in der Gehbehinderung zum Ausdruck kommende Hilflosigkeit dem Zugriff der Besatzungsmacht zu entziehen, später die unbewußte Bereitschaft, fremde Hilfeleistungen entgegenzunehmen, oder auch der sich über Jahre hinziehende Verlauf des Versorgungsrechtsstreits - für das Entstehen und Fortbestehen der Neurose wesentlich sein kann; es ist aber auch insoweit von vornherein davon ausgegangen, daß "eine solche Neurose" (eine sogenannte "unechte Rentenneurose") mit einem wehrdienstbedingten schädigenden Ereignis nicht in ursächlichem Zusammenhang stehe, es hat auch insoweit erkennen lassen, daß es der Meinung ist, der Wehrdienst könne nicht eine "wesentliche" Bedingung sein, es hat die etwa in der Person des Klägers liegende Bedingung nicht abgewogen gegenüber den Einflüssen des Wehrdienstes; seine Ausführungen lassen auch nicht erkennen, ob es etwa eine "echte Rentenneurose" (s. oben) als gegeben angesehen hat.
Das LSG hat sonach nicht alle Umstände in seine Betrachtung einbezogen, die für die Anwendung der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung maßgebenden Ursachenlehre erheblich sind, es hat damit "das Gesetz" im Sinne von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzt. Die Revision ist sonach statthaft. Der Kläger hat sie auch in gehöriger Form und Frist eingelegt, sie ist damit zulässig.
Die Revision ist auch begründet; es ist möglich, daß das Urteil des LSG anders ausfällt, wenn die Kausalitätsnorm richtig angewandt wird. Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus für die Beurteilung der Frage, ob das bei dem Kläger vorliegende neurotische Erscheinungsbild im Sinne des Versorgungsrechts ursächlich mit den Einflüssen der Gefangenschaft zusammenhängt. Das LSG hat von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus auch keinen Anlaß gehabt, zu ermitteln, in welchem Grade der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit durch die Gangbehinderung - falls sie eine Schädigungsfolge ist - gemindert ist. Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Soweit es sich um die Tragweite der versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm handelt, ist das LSG nach § 170 Abs. 4 SGG an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden.
Einer Entscheidung über die "Anschlußrevision" des Beklagten bedarf es nicht. Der Beklagte hat mit der "Anschlußrevision" nur zum Ausdruck gebracht, daß er dem Hilfsantrag des Klägers, die Sache an das LSG zurückzuverweisen, nicht entgegentritt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen