Leitsatz (amtlich)
1. Der sowjetische Sektor von Groß-Berlin ist im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland und zum Lande Berlin weder "Ausland" noch Gebiet eines auswärtigen Staates.
2. Versicherte, die vor dem Zusammenbruch eine Rente von einem jetzt innerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin befindlichen Versicherungsträger bezogen, haben für Zeiten, in denen sie im sowjetisch besetzten Gebiet ansässig waren und von dem dort herrschenden Rechtssystem auch sozialversicherungsrechtlich erfaßt wurden, keinen Anspruch auf Zahlung der Renten gegen die ursprünglich verpflichteten Versicherungsträger.
Normenkette
RVO § 1281 Fassung: 1934-05-17; SVFAG § 8
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts in Köln vom 7. Januar 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des im Armenrecht bestellten Rechtsanwalts A aus A vor dem Bundessozialgericht wird auf 150,- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Die in H bei A beheimatete Klägerin erhielt nach dem Tode ihres Ehemannes von der Beklagten seit dem 1. Oktober 1942 die Witwenrente aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung. Gegen Ende des Krieges wurde die Klägerin aus Haaren evakuiert und kam schließlich im Oktober 1944 nach Berlin; die Witwenrente wurde ihr bis zum Kriegsende (April 1945) ausgezahlt. Im Februar 1947 meldete die Klägerin sich unter Angabe ihrer Anschrift im russisch besetzten Sektor Berlins bei der Beklagten; diese teilte ihr mit, daß auf Anordnung der Militärregierung Renten in die russische Zone nicht gezahlt würden; eine Rentenzahlung könne erst erfolgen, wenn der Rentenempfänger sich in der britischen oder amerikanischen Zone polizeilich zurückmelde.
Die Klägerin war in der folgenden Zeit verschiedentlich kurz an ihrem alten Wohnsitz bei ihrer dort lebenden Schwester. Bei einer dieser Gelegenheiten erhielt sie vom Bürgermeister einen Einweisungsschein nach Haaren; auf Grund dessen nahm die Beklagte die Rentenzahlung wieder auf. Da die Klägerin aber die geplante Übersiedelung unterließ, stellte die Beklagte - nachdem ihr der Sachverhalt bekannt geworden war - mit Ende des Jahres 1948 die Zahlung der Rente, die zwischenzeitlich die Schwester der Klägerin für diese behoben hatte, wieder ein. Von einer Rückforderung dieser Beträge hat die Beklagte abgesehen.
Die Klägerin war vom Jahre 1945 bis zum Jahre 1953 als Platzanweiserin in einem Kino in Ostberlin beschäftigt.
Im Februar 1953 zog die Klägerin endgültig unter polizeilicher Anmeldung wieder nach Haaren; seit dem 1. März 1953 wird ihr von der Beklagten die Witwenrente wieder gezahlt. In einer Reihe von Eingaben beanspruchte die Klägerin die Nachzahlung der knappschaftlichen Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 28. Februar 1953, wurde jedoch von der Beklagten mit diesem Anspruch stets abgewiesen. Gegen den schließlich erteilten Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. Mai 1954 erhob die Klägerin bei dem Sozialgericht in Köln Klage.
II. Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 7. Januar 1955 ab. Es begründet seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:
1.) Nach der in der britischen Zone bis zum 1. April 1952 anzuwendenden Sozialversicherungsanordnung (SVA) 1 Ziff.1 beginne die Rentenzahlung an Personen, die bereits vor ihrem Zuzug in die britische Zone rentenberechtigt waren, frühestens mit dem Ablauf des Monats, in dem der Flüchtling erstmalig seinen Wohnsitz in der britischen Zone nehme, wobei nach Ziff.4 a.a.O. als Flüchtlinge die aus der sowjetischen in die britische Besatzungszone abgewanderten Personen gelten. Die Klägerin sei als Flüchtling im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, da sie durch ihren siebenjährigen Aufenthalt in der sowjetischen Besatzungszone, zu der auch Ostberlin gehöre, ihren Wohnsitz dort begründet habe; die endgültige Aufgabe des Wohnsitzes sei gleichbedeutend mit "abwandern".
Auch wenn man der Klägerin in der Auffassung folge, die SVA 1 gelte nur für Personen, die erstmalig in die britische Zone kämen, sei damit für sie nichts gewonnen, da vor dem Jahre 1945 von einer britischen Zone nicht gesprochen werden könne, die Klägerin also 1953 erstmals dorthin gekommen sei.
Schließlich sei dies Ergebnis auch allein geeignet, den durch die SVA 1 angestrebten Ausgleich zwischen Beiträgen und Leistungen zu erhalten.
2.) Für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) bis zum Ende Februar 1953 (1952 ist offensichtlich ein Schreibfehler des Urteils des Sozialgerichts) enthalte weder das genannte Gesetz noch die Reichsversicherungsordnung (RVO) unmittelbar auf den vorliegenden Fall anwendbare Vorschriften. Es bleibe daher nur eine entsprechende Anwendung der nach Sinn und Zweck nächstliegenden Vorschriften übrig, das seien § 1 Abs.4 und § 17 Abs. 1 FremdRG; nach diesen Bestimmungen seien die Bescheide der Beklagten zu Recht ergangen, da die Klägerin sich ohne Einwilligung der Beklagten länger als sechs Monate in Ostberlin aufgehalten habe.
3.) Das Sozialgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung nach § 150 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.
III. Die Klägerin hat - unter Beifügung einer Einverständniserklärung der Beklagten vom 10. Juni 1955 - am 18. Juni 1955 frist- und formgerecht Sprungrevision gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt und diese Revision am 11. Juli 1955 begründet. Sie rügt Verletzungen des formellen und des materiellen Rechts.
1.) Als wesentlichen Mangel des Verfahrens rügt sie die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht (§ 103 SGG), die sie darin erblickt, daß trotz entsprechender Beweisangebote weder Beweis darüber erhoben sei, daß sie 1944 aus Haaren evakuiert worden sei noch darüber, daß sie in Ostberlin keine Witwenrente von der Versicherungsanstalt Berlin-Ost erhalten habe. Die Feststellung der zwangsweisen Evakuierung hätte zu dem Ergebnis führen müssen, daß es auf die in dem angefochtenen Urteil verlangte Einwilligung oder Zustimmung der Beklagten gar nicht ankomme; auf dieser Verletzung beruhe das angefochtene Urteil demnach ebenso wie auf dem Mangel der Feststellung der Nichtzahlung einer Ost-Rente.
2.) Materiell-rechtlich greift die Klägerin die Richtigkeit der Entscheidung für die gesamten in Frage kommenden Zeiträume an.
a) Für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 1. April 1952 bestreitet die Klägerin zwar die Gültigkeit der SVA 1 nicht; sie rügt jedoch ihre unrichtige Anwendung. Unter dem Begriff "Flüchtlinge" seien im Sinne der SVA 1 nur Personen zu verstehen, die früher außerhalb der britischen Besatzungszone seßhaft gewesen seien. Es sei nicht angängig, für die SVA 1 von dem sonst in dem Gesetz benutzten Begriff "Flüchtling" abzuweichen. Auch sei die Klägerin nicht erstmals in die britische Zone gekommen, sondern dorthin wieder zurückgekehrt; sie sei daher aus der russischen Zone, zu der der Ostsektor Berlins auch nicht rechne, nicht abgewandert.
Wenn der Beklagten sogar die Zahlung an Personen zugemutet werde, die an sie gar keine Beiträge gezahlt hätten, so sei der Nachzahlungsanspruch der Klägerin, für den der Beklagten früher bereits Beiträge zugeflossen seien, erst recht gerechtfertigt.
b) Für die Zeit vom 1. April 1952 bis zum 28. Februar 1953 habe der Vorderrichter das FremdRG unzutreffenderweise entsprechend angewandt. § 1 Abs. 4 FremdRG sei eine nur für die Zukunft geltende Sondervorschrift; diese beziehe sich auch nur auf Personen, die an den in Anspruch genommenen Versicherungsträger keine Beiträge gezahlt hätten. Auch bestehe selbst bei Anwendung dieser Vorschrift bei zwangsweiser Evakuierung keine Zustimmungspflicht; schließlich sei die Zustimmung der Beklagten zu der Abwanderung in den bis zum Kriegsende geleisteten Rentenzahlungen zu erblicken.
Wenn überhaupt eine analoge Anwendung von Bestimmungen des FremdRG möglich sei, so müsse man nicht die §§ 1 und 17, sondern die §§ 8 und 9 zugrunde legen, die für Personen, die tatsächlich Beiträge zu den versicherungspflichtigen Versicherungsträgern gezahlt hätten und sich jetzt im Gebiet eines auswärtigen Staates aufhielten, die Auszahlung von Leistungen vorschrieben. Diese Vorschriften seien im übrigen auch zur Auslegung unklarer Bestimmungen der SVA 1 für die Zeit vor dem 1. April 1952 heranzuziehen.
Schließlich ergebe sich schon ohne Berücksichtigung des FremdRG die Zahlungspflicht der Beklagten aus der allgemeinen Regelung der RVO, da der Ostsektor Berlins Inland sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, die Rente vom 1. Januar 1949 bis zum 28. Februar 1953 nachzuzahlen.
IV. Die Beklagte beantragt,
die Revision kostenfällig zurückzuweisen.
Sie hält die Verfahrensrügen der Klägerin für unbegründet. Die Klägerin habe sich in der Zeit, auf die das angefochtene Urteil § 4 Abs. 1 FremdRG anwende, nämlich vom 1. April 1952 bis zum 28. Februar 1953, freiwillig in Ostberlin aufgehalten; diese Zeit stehe in keinem Zusammenhang mehr mit der 1944, also acht Jahre früher erfolgten Evakuierung. Die Frage, ob die Klägerin in Berlin eine Rente erhalten habe, sei für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich. Die Verfahrensrügen griffen demnach nicht durch.
Auch materiell weise das angefochtene Urteil keine Rechtsverletzungen auf. Die SVA 1 sei als deutsches Recht zu betrachten und vom Vorderrichter richtig ausgelegt worden. Der Flüchtlingsbegriff der SVA 1 decke sich nicht mit dem Begriff der erst später ergangenen Flüchtlingsgesetze; im Sinne der SVA 1 sei die Klägerin Flüchtling gewesen. Die Klägerin übersehe bei ihren Ausführungen, daß die Zeiten vor und nach dem Zusammenbruch rechtlich nicht als eine Einheit betrachtet werden könnten. Es hätte der Klägerin auch frei gestanden, bereits früher in die britische Zone zurückzukehren. Das FremdRG sei von dem Sozialgericht in zutreffender Weise entsprechend angewandt; eine entsprechende Anwendung der §§ 8 und 9 FremdRG scheitere daran, daß die sowjetische Besatzungszone und Ostberlin nicht als Ausland angesehen werden könnten.
Entscheidungsgründe
I. Die Sprungrevision ist frist- und formgerecht - unter Beifügung der schriftlichen Einwilligungserklärung - eingelegt und begründet worden. Da es sich um ein Urteil handelt, das in erster Instanz nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, war nach § 146 SGG die Berufung an sich nicht statthaft. Die Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht ist gemäß § 150 SGG ordnungsgemäß erfolgt; die Revision ist daher nach § 161 SGG statthaft.
Sie ist jedoch nicht begründet.
II. Zunächst rügt die Klägerin als wesentlichen Mangel des Verfahrens eine mehrfache Verletzung der nach § 103 SGG dem Sozialgericht obliegenden Amtsermittlungspflicht.
Einmal erblickt die Klägerin diesen Verstoß in der Unterlassung einer Klarstellung der Gründe, die im Jahre 1944 zu ihrem Fortzug von Haaren bei Aachen geführt hatten, zum anderen darin, daß über ihre Behauptung, sie habe in Ostberlin niemals eine Witwenrente bezogen, kein Beweis erhoben worden sei.
In beiden Fällen ist die Rüge nicht schlüssig. Das angefochtene Urteil mißt weder den Gründen, die die Klägerin ursprünglich zum Verlassen ihres Wohnsitzes Haaren veranlaßt hatten noch der Frage, ob der Klägerin in Ostberlin eine Rente gezahlt worden ist oder nicht, irgendwelche Bedeutung bei. Von dem vom Sozialgericht vertretenen Rechtsstandpunkt aus war somit eine weitere Aufklärung der von der Klägerin angedeuteten Frage überflüssig.
III. Das Sozialgericht wendet auf die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 31. März 1952 die Vorschriften der SVA 1 unmittelbar, für die anschließende Zeit bis zum 28. Februar 1953 die Bestimmungen der §§ 1 Abs. 4 und 17 Abs. 1 FremdRG an.
Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsirrtum.
Die SVA 1 ist, was auch weder das angefochtene Urteil noch die Parteien in Zweifel gestellt haben, als deutsches Recht wirksam erlassen und bis zu ihrer ausdrücklichen Aufhebung durch § 20 FremdRG rechtswirksam geblieben.
Die SVA 1 legt in ihrer Ziff. 1 für "Flüchtlinge" den Grundsatz des Wohnsitzprinzips für die Zahlung von Renten fest. Ziff. 4 a.a.O. gibt eine Legaldefinition dieses Begriffs "Flüchtling". Sicherlich ist dieser Begriff hier weiter zu verstehen als derjenige der erst später folgenden Flüchtlingsgesetzgebung des Bundes und der Länder, denn er stellt es rein auf die tatsächliche Abwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone ab, ohne dabei auf den Grund dieser Abwanderung einzugehen. Bei dieser Fassung ist als Flüchtling im Sinne der Ziff. 4 jede Person anzusehen, die ihren Wohnsitz aus der sowjetischen in die britische Besatzungszone verlegt hat, wobei es gleichgültig ist, ob und wo vor der Wohnsitzbegründung in der sowjetischen Besatzungszone etwa schon einmal ein anderer Wohnsitz bestanden hat.
Wenn die Klägerin demgegenüber einwende, daß aus dem Wortlaut der Ziff. 1 entnommen werden müsse, die SVA 1 meine nur diejenigen Personen, die erstmals ihren Wohnsitz in der britischen Zone aufnehmen, so erscheint diese Auffassung unrichtig. Die Klägerin leitet ihre Ansicht aus dem Relativsatz in Ziff. 1 ab; dieser will jedoch keine nähere Definition des Wortes "Flüchtling" geben, sondern einzig zwischen Flüchtlingen unterscheiden, die schon vor dem Zuzug rentenberechtigt waren (Ziff. 1) und solchen, die es erst nachher wurden (Ziff. 3); der Begriff "Flüchtling" im Sinne der Ziff. 1 ist daher nur aus Ziff. 4 abzuleiten. Die Erwähnung "britische Zone" in Ziff.1 dient nur der Verdeutlichung des Zeitpunktes, in dem die Rentenberechtigung jeweils vorliegen mußte.
Umfaßt der Begriff "Flüchtlinge" im Sinne der SVA 1 somit gegenüber dem gleichnamigen Begriff späterer Rechtsnormen weitere Kreise, so deckt er sich auf der anderen Seite auch nicht mit dem im § 1 Abs. 2 FremdRG bezeichneten Personenkreis, da er unabhängig von der Frage, ob "Fremd"-Beiträge im Sinne jener Vorschrift gezahlt sind, alle tatsächlich "abwandernden" Personen erfaßt.
Es mag möglich sein, daß der Bundesgesetzgeber den Begriff "Flüchtling" in der SVA 1 nicht in dieser weiten Auslegung aufgefaßt hat, da er durch die Aufhebung der SVA 1 im FremdRG offenbar zum Ausdruck bringen wollte, daß durch dessen Bestimmungen die gesamte SVA 1 ersetzt würde, was nach der eben vertretenen Auffassung tatsächlich nicht der Fall ist. Da jedoch die SVA selbst nach ihrem eindeutigen Wortlaut und Sinn zu der dargestellten abweichenden Auslegung des Begriffs "Flüchtling" führen muß, ist die möglicherweise abweichende Auffassung des Bundesgesetzgebers nicht zu berücksichtigen, auch wenn sich hieraus ergeben sollte, daß durch die wollständige Aufhebung der SVA 1 die Rechtsverhältnisse für einen bestimmten Personenkreis nunmehr gesetzlich nicht mehr unmittelbar geregelt sind.
Mit Rücksicht darauf, daß die SVA 1 bereits im Januar 1947 erlassen ist und damals Berlin noch ungeteilt verwaltet wurde, bestehen keine Bedenken, in den Begriff "sowjetische Besatzungszone" nach Beendigung der gemeinsamen Verwaltung Gesamtberlins auch Ostberlin einzubeziehen.
Es ergibt sich mithin, daß die Klägerin bei ihrer Rückkehr in ihren Wohnsitz Haaren als Flüchtling im Sinne der SVA 1 hätte angesehen werden müssen, wenn diese Vorschrift im Zeitpunkt ihrer Rückkehr - im Februar 1953 - noch anwendbar gewesen wäre.
Die SVA 1 ist jedoch durch das FremdRG bereits mit Wirkung vom 1. April 1953 aufgehoben. Sie wäre daher nur noch anzuwenden, falls eine Ausnahme im Sinne des § 20 Abs. 3 FremdRG vorläge, wie es das Sozialgericht irrtümlich annimmt.
Zwar handelt es sich im Sinne des § 20 Abs. 3 FremdRG um einen schwebenden Fall, aber die Anwendung der aufgehobenen Vorschriften ist nur vorgeschrieben "soweit (zur Verdeutlichung ist hier einzufügen: nach den aufgehobenen Vorschriften) Leistungen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des FremdRG zu gewähren sind." Da im vorliegenden Fall bis zum Außerkrafttreten der SVA 1 deren Tatbestand überhaupt noch nicht gegeben war - die Klägerin war am 1. April 1952 noch gar kein abgewanderter Flüchtling -, konnten bis zu dieser Zeit Leistungen nach der SVA 1 nicht zu gewähren sein; daher entfällt § 20 Abs. 3 FremdRG und somit auch eine unmittelbare Anwendung der SVA 1.
IV. Für die Zeit nach dem 1. April 1952 geht das Sozialgericht ebenso wie die Parteien ohne weitere Erörterungen davon aus, daß eine unmittelbare Anwendung des FremdRG nicht in Frage kommt. Diese Auffassung wäre nur zutreffend, wenn die Klägerin nicht zu dem Kreis der im § 1 Abs.2 FremdRG aufgeführten Personen gehörte. Die Beiträge, aus denen die Klägerin ihre Ansprüche herleitet, sind zumindestens zu einem großen Teil an die Reichsknappschaft entrichtet worden. Es erscheint zweifelhaft, ob die Reichsknappschaft insgesamt als "stillgelegter Versicherungsträger" anzusehen ist (so Komm. der Rentenversicherungsträger, Anm.8 zu § 1 FremdRG u.a.) oder ob, jedenfalls soweit die Knappschaften in der Bundesrepublik in Frage kommen, diese im Rahmen ihres örtlich zuständigen Bereichs als Teilnachfolger der Reichsknappschaft zu betrachten sind, wofür spricht, daß sie sich aus den Bezirksknappschaften der früheren Reichsknappschaft, die den Versicherten gegenüber stets die wesentlichen Funktionen des Versicherungsträgers ausgeübt hatten, nach dem Jahre 1945 in einer kontinuierlich verlaufenden Umbildung entwickelt haben.
Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es für den vorliegenden Fall allerdings nicht, da die Entscheidung des Rechtsstreits im Ergebnis nicht davon abhängt.
Fällt die Klägerin unter den Personenkreis des § 1 Abs.2 FremdRG, so rechtfertigt für die Zeit nach dem 1. April 1952 bereits die unmittelbare Anwendung des § 1 Abs. 2 das Ruhen ihrer Rente bis zu ihrem Zuzug in das Bundesgebiet.
Bedenken gegen die Annahme, die Klägerin habe sich freiwillig nicht nur vorübergehend in Ostberlin aufgehalten, lassen sich aus ihren Rügen nicht herleiten. Die Klägerin stand fast acht Jahre in einem festen und dauernden Arbeitsverhältnis in Ostberlin; sie ist - obwohl sie mehrfach Besuchsreisen zu ihrem früheren Wohnsitz in der Bundesrepublik unternahm und dort sogar die Zuzugsgenehmigung erwirkte - immer wieder nach Ostberlin zurückgekehrt; für sie kann daher eine echte und gewollte Wohnsitzbegründung in Ostberlin für jene Zeit angenommen werden. Daß das angefochtene Urteil in dem Verhalten der Beklagten keine Zustimmung zu dieser Aufenthaltnahme erblickt hat, ist nicht zu beanstanden.
V. Ist hingegen § 1 Abs. 4 FremdRG nicht unmittelbar anwendbar, so rechtfertigt sich gleichwohl die Ablehnung der Nachzahlung der Witwenrente, wobei die nunmehr anzustellenden Überlegungen gleichermaßen die Zeiten vor wie nach dem Inkrafttreten des FremdRG umfassen.
Mit dem angefochtenen Urteil ist zunächst festzustellen, daß die RVO unmittelbar gleichfalls keine Lösung bietet.
Der Gesetzgeber der RVO konnte den Fall nicht voraussehen, daß Deutschland durch verschiedene Gruppen von Besatzungsmächten - trotz der zunächst noch das gesamte Gebiet insgesamt umfassenden Gültigkeit der vorhandenen Gesetze und damit auch der RVO - in mehrere wirtschaftlich und politisch völlig getrennte Teile aufgespalten wurde. Die RVO enthält daher zwar Vorschriften über die Zahlung von Renten in das Ausland, die in der Folgezeit im Bundesgebiet durch das FremdRG in seinem zweiten Teil noch weiter entwickelt worden sind; über die Zahlungspflicht in Gebiete anderer Besatzungszonen ist aus der RVO aber nichts zu entnehmen. Die Vorschriften über die Rentenzahlung ins Ausland können im vorliegenden Fall unmittelbar nicht angewandt werden, weil das sowjetische Besatzungsgebiet Deutschlands einschließlich Ostberlin nicht zum "Ausland" oder zum "Gebiet eines auswärtigen Staates" im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften gehört.
Die RVO geht davon aus, daß für einen Rentenberechtigten hinsichtlich einer bestimmten Leistung auch immer nur ein einziger, von Anfang an feststehender leistungsverpflichteter Versicherungsträger innerhalb ihres gesamten Geltungsbereichs vorhanden ist, während die Verhältnisse der Nachkriegszeit gerade dazu geführt haben, daß diese Leistungen praktisch durch Eingriffe der Besatzungsmächte unmöglich gemacht und den Versicherungsträgern in mehr oder minder vollständigem Ausmaße die Leistungen für alle in ihrem Bereich wohnenden Anspruchsberechtigten nach dem reinen Wohnsitzgrundsatz aufgebürdet wurden. Eine teilweise Abmilderung dieses Zustands erfolgte nur insoweit, als nach und nach einige Zonen zu einem staatsrechtlich gemeinsamen Ganzen zusammengefaßt wurden. Es erscheint nicht angängig, diese durch Einflüsse auf überstaatlicher Ebene eingetretenen Veränderungen zu vernachlässigen und daraus, daß die RVO für derartige Fälle keine Sonderregelung vorschreibt, zu folgern, daß nach ihren Vorschriften eine Zahlungspflicht für den ursprünglich zuständigen Versicherungsträger weiter gegeben sei.
Man muß vielmehr jeden Versicherten - ohne daß ihm insofern ein Wahlrecht oder eine sonstige Einflußnahme zugestanden hatte - als schicksalsmäßig verhaftet mit der Entwicklung des Sozialversicherungsrechts an seinem Wohnsitz bei Beginn der Aufsplitterung ansehen. In allen Zonen führte diese Entwicklung im Laufe der Zeit zu neuen auf Rechtsvorschriften begründeten Ansprüchen gegen die jeweils dort zuständigen Versicherungsträger. Dann muß zwangsläufig auch davon ausgegangen werden, daß nicht gleichzeitig ein Anspruch gegen den ursprünglichen Versicherungsträger geltend gemacht werden konnte, da auf Grund eines einzigen, den Versicherungsfall begründenden Tatbestandes nicht von zwei verschiedenen Versicherungsträgern wesensgleiche Leistungen begehrt werden können und es auch nicht angängig erscheint, den Rentenberechtigten in einem solchen Fall zwischen den Versicherungsträgern verschiedener Zonen frei wählen zu lassen. Dabei wird der einzelne Versicherte auch in Kauf nehmen müssen, daß auf ihn die Rechtsvorschriften seines Wohnsitzes insgesamt angewandt werden, selbst wenn sie - wegen einer anderen Entwicklung des Sozialversicherungsrechts - dort für ihn im Einzelfall ungünstiger liegen sollten als in dem Gebiet, dem sein ursprünglicher Versicherungsträger jetzt angehört; in gleicher Weise wird der Versicherte ja auch begünstigt durch eine entsprechend vorteilhaftere Vorschrift seines Wohnsitzrechts.
Voraussetzung für die Anwendung dieser Rechtsgedanken muß danach zweierlei sein:
1.) Einmal, daß der Versicherte bzw. Rentenberechtigte in dem für ihn nunmehr in Frage kommenden Gebiet seinen Wohnsitz hat. Dabei wird man den Besonderheiten der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit in verstärktem Maße Rechnung tragen müssen und Fälle, in denen es sich offensichtlich nur um eine Evakuierung handelt, aus der der Versicherte zum frühesten ihm möglichen Zeitpunkt wieder zurückkehrte, auch dann nicht als wohnsitzbegründet im Sinne der vorstehenden Ausführungen anzusehen haben, wenn eine längere Zeitspanne davon erfaßt wird.
2.) Zum anderen muß der Versicherte von der Sozialversicherungsregelung seines Gebiets gleichberechtigt mit den übrigen dort wohnhaften Versicherten erfaßt sein, wozu auch eine gleichartige Berücksichtigung seiner nach den bisherigen allgemein gültigen Vorschriften erworbenen Mitgliedschaftsrechte gehört, gerade hierin liegt der Unterschied zu einem Auslandsaufenthalt, bei dem der Versicherte, von zwischenstaatlichen Regelungen abgesehen, in das dort bestehende Sozialversicherungssystem stets nur ohne derartige Verknüpfungen eingebaut wird, woraus - entgegen der Auffassung der Klägerin - folgt, daß eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Rentenzahlung bei Auslandsaufenthalt auf den vorliegenden Fall nicht in Frage kommt.
Zweifel können daran bestehen, von wann ab in der ersten Zeit nach dem Kriege eine solche Einordnung der Versicherten in die in der jeweiligen Zone geltende Regelung anzunehmen ist. Dabei wird, wie dies auch in den Westzonen rückblickend festzustellen ist, der abschließenden gesetzlichen Regelung fast immer ein Zeitraum vorangegangen sein, in dem ohne ausdrückliche Bestimmungen schon entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen verfahren wurde. Die gesetzliche Regelung selbst hatte daher vielfach nicht die Bedeutung, daß erst mit ihr auf den Kreis der betreffenden Versicherten das Recht des in Frage kommenden Gebiets angewandt wurde, sondern sie stellte nur die bis zu jenem Zeitpunkt fehlende ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die ohnehin bereits - auf Veranlassung der Besatzungsmächte in der verschiedensten Form, auf eigenen Entschluß der Versicherungsträger oder aus anderem Anlaß - auf Grund jener allgemeinen Rechtsgedanken angewandte Verwaltungsübung dar (vgl. die in der amerikanischen Zone schon vor dem dortigen Flüchtlingsrentengesetz, in der britischen Zone schon vor der SVA und dem FremdRG angewandte Praxis).
Diese Entwicklung läßt nach Auffassung des Senats erkennen, daß der "Wohnsitzgrundsatz" in der dargestellten Weise als tragender Grundsatz für die Entwirrung der sozialrechtlichen Beziehungen desselben Versicherten in deutschen Staatsgebieten mit verschieden gestaltetem Sozialversicherungsrecht allgemeine Gültigkeit gewonnen hat und auch dort entsprechend anzuwenden ist, wo noch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Fragen erfolgt ist (vgl. zur gesetzlichen Regelung neben dem FremdRG auch die besonders klare Vorschrift des § 45 des Berliner Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes vom 10.7.1942).
VI. Daß die Klägerin in der hier geforderten Weise ihren Wohnsitz in der in Frage kommenden Zeit in Ostberlin gehabt hat, ist bereits oben in einem anderen Zusammenhang ausgeführt worden.
Hinsichtlich ihrer Erfassung durch das Sozialversicherungsrecht ihres Wohngebiets sind zwei Zeiträume zu unterscheiden:
Bis zum 31. Januar 1949 bestand für Gesamtberlin rechtlich noch die einheitliche Versicherungsanstalt Berlin (VAB.), wenn auch das durch die Währungsreform und die Blockade deutlich erkennbar werdende Auseinanderfallen von West- und Ostberlin tatsächlich zeitlich schon etwas länger zurücklag. Für die Renten der "früheren Sozialversicherung", zu der in diesem Sinne auch die knappschaftliche Versicherung gehörte, galt damals § 78 Abs. 4 der Satzung der VAB., der seinerseits auf die bisher getroffene Regelung über die Weiterzahlung bereits festgestellter Renten verweist, die ursprünglich bereits in einer am 15. Oktober 1945 erlassenen, am 28. März 1946 noch ergänzten Anordnung vorgeschrieben war (VOBl.d.Stadt Berlin 1945 S.134; 1946 S.119).
Für die Zeit nach dem Auseinanderfallen galt für die Klägerin das Sozialversicherungsrecht für Ostberlin, das zunächst auf der eben angeführten, auch für die VAB. Berlin-Ost weiter geltenden Satzung beruhte, im Laufe der Zeit jedoch weitgehend dem Recht der sowjetischen Besatzungszone angeglichen wurde (vgl. Brackmann S. 147). In dieser Zone bestand bereits seit der Verordnung über die Sozialversicherung der Bergleute vom 19. Dezember 1946 in Verbindung mit der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 ein klagbarer Anspruch auf Rentenleistungen, darunter auch auf Witwenrenten. Darauf, ob die Klägerin im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung in ihrem Wohngebiet erfüllte oder nicht, kann es im Rahmen dieser Erwägung ebensowenig ankommen, wie darauf, ob ihr tatsächlich Leistungen gewährt wurden oder nicht.
Der Klägerin stand mithin während der Zeit ihres Aufenthalts in Ostberlin (1.1.1949 bis 23.2.1953) gegen die Beklagte kein Anspruch auf Witwenrente aus der knappschaftlichen Versicherung zu.
VII. Schließlich gibt es auch keine gesetzliche Vorschrift, durch die nach dem Wohnsitzwechsel nachträglich ein bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht entstandener Anspruch auf Nachzahlung der Rente für einen zurückliegenden Zeitraum neu begründet wird.
Das Nachzahlungsverlangen der Klägerin entbehrt mithin der gesetzlichen Grundlage, so daß sich das angefochtene Urteil zwar nicht in allen Teilen seiner Begründung, jedoch im Ergebnis als richtig erweist. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts erschien mit 150.- DM angemessen festgesetzt (§ 196 SGG),
Fundstellen