Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 30.08.1994) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. August 1994 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat dem Beklagten dessen Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der zuständige Prüfungsausschuß kürzte mit Bescheiden vom 15. Februar und 26. Juli 1990 die Honoraranforderungen des als Kassenzahnarzt zugelassenen Klägers für die Quartale II/1989 und IV/1989 wegen Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise um 61,27 DM und 758,18 DM. Die Widersprüche des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuß mit Bescheiden vom 9. September 1991 zurück. Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) hat die Bescheide des Beklagten und des Prüfungsausschusses aufgehoben, weil eine Wirtschaftlichkeitsprüfung seit dem Inkrafttreten des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) am 1. Januar 1989 nur noch auf Antrag der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) oder einer Krankenkasse zulässig gewesen sei und ein Prüfantrag für die streitbefangenen Quartale nicht vorgelegen habe (Urteil vom 24. Februar 1993).
Gegen dieses Urteil haben die zu 1) bis 4) beigeladenen Krankenkassen bzw Krankenkassenverbände Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Beklagte dem Klagebegehren teilweise entsprochen und seine Bescheide vom 9. September 1991 zurückgenommen. Das LSG hat auf die verbliebene Berufung das erstinstanzliche Urteil geändert und die gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses gerichtete Klage abgewiesen. Gegenstand des Rechtsstreits sei im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses. Nur dieser könne deshalb vom Gericht überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müsse das auch dann gelten, wenn ein Honorarkürzungsbescheid schon aus formalen Gründen, etwa wegen des Fehlens eines vorgeschriebenen Prüfantrages, gar nicht hätte ergehen dürfen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe den Umfang des Streitgegenstandes in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung verkannt. Nach der im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Rechtsprechung könne die Anfechtungsklage ausnahmsweise auch auf die Entscheidung des Prüfungsausschusses erstreckt werden, wenn bereits das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren an einem irreparablen Mangel leide, der zwingend zur Aufhebung des Prüfbescheides führen müsse. Das sei hier wegen des Fehlens eines Prüfantrags der Fall.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. August 1994 aufzuheben und die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 24. Februar 1993 zurückzuweisen.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) und 4) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Bescheid des Prüfungsausschusses habe ungeachtet der Einwände des Klägers schon deshalb nicht aufgehoben werden dürfen, weil der ursprünglich fehlende Prüfantrag wirksam nachgeholt worden sei und der vom SG angenommene Mangel des Verwaltungsverfahrens deshalb nicht vorgelegen habe.
Die Beigeladene zu 5) hält die Revision mangels ausreichender Begründung für unzulässig, stellt jedoch keinen Antrag.
Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig.
Ihre Begründung genügt noch den gesetzlichen Anforderungen. Zwar ist entgegen § 164 Abs 2 Satz 3 SGG weder die verletzte Rechtsnorm ausdrücklich bezeichnet noch die unrichtige Anwendung einer revisiblen Rechtsvorschrift präzise dargelegt worden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich aber mit genügender Klarheit, daß der Kläger eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der bisherigen, von ihm für zutreffend gehaltenen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltend machen will, was als Rüge einer Rechtsverletzung ausreicht.
Die Revision ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die Klage gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 15. Februar und 26. Juli 1990 als unzulässig abgewiesen.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats wie auch des zeitweise für das Kassenzahnarztrecht zuständig gewesenen 14a-Senats des BSG beschränkt sich bei Entscheidungen im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich auf den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid des Beschwerdeausschusses. Der Beschwerdeausschuß wird mit seiner Anrufung gemäß § 106 Abs 5 Satz 4 SGB V für das weitere Prüfverfahren, gegebenenfalls auch für dessen Wiederholung nach einer erfolgreichen gerichtlichen Anfechtung, ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 SGG im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (siehe dazu BSGE 74, 59, 60 = SozR 3-2500 § 106 Nr 22; BSGE 72, 214, 219 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 10 ff; jeweils mwN).
Von dem genannten Grundsatz sind allerdings Ausnahmen für den Fall gemacht worden, daß der Bescheid des Prüfungsausschusses wegen formaler Mängel des Verwaltungsverfahrens vom Beschwerdeausschuß ohne Prüfung in der Sache hätte aufgehoben werden müssen (BSGE 60, 69, 74 = SozR 2200 § 368n Nr 42 S 142 f ≪fehlende Zuständigkeit der Prüfgremien≫; vgl auch BSGE 72, 214, 221 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 12, wo das Fehlen des vorgeschriebenen Prüfantrags als Beispiel für einen die Aufhebung des Bescheides des Prüfungsausschusses rechtfertigenden Mangel angeführt wird). Der frühere 14a-Senat hat darüber hinaus eine Erstreckung der Anfechtungsklage auf den Bescheid des Prüfungsausschusses unter bestimmten Voraussetzungen auch bei materiell-rechtlichen Beanstandungen für zulässig gehalten. Das Gericht prüfe im Streitfall, wie der Beschwerdeausschuß hätte entscheiden müssen. Stelle sich heraus, daß eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise auch bei Berücksichtigung der den Prüfgremien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielräume unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht komme, so habe es auf entsprechenden Antrag auch den Bescheid des Prüfungsausschusses mit aufzuheben. Andernfalls beschränke es sich auf die Aufhebung des Bescheides des Beschwerdeausschusses, der seinerseits unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Widerspruch erneut zu befinden habe (so BSGE 72, 214, 220 f = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 12). Gegen diese Rechtsprechung ist verschiedentlich Kritik erhoben worden, der sich auch das LSG angeschlossen hat. Ob der Bescheid des Prüfungsausschusses der gerichtlichen Anfechtung unterliege, müsse schon aus Gründen der Rechtssicherheit allgemein und für alle Fallgestaltungen einheitlich beantwortet werden und könne nicht vom Ergebnis der rechtlichen Prüfung im Einzelfall abhängen. Werde eine Aufhebung dieses Bescheides, und sei es auch nur in Ausnahmefällen, für möglich gehalten, könne eine darauf gerichtete Klage nicht unzulässig, sondern allenfalls unbegründet sein. Auch komme eine Aufhebung des Ausgangsbescheides wegen § 70 Nr 4 SGG nur in Betracht, wenn der Prüfungsausschuß als Beklagter am Verfahren beteiligt sei. Der Kläger müsse aber vorab wissen, gegen wen er seine Klage zu richten habe und welches die sachgemäßen Anträge seien.
Der Senat läßt offen, ob angesichts dieser Einwände an der bisherigen differenzierenden Spruchpraxis festzuhalten ist. Die Frage kann auf sich beruhen, weil der Fall des Klägers entgegen der Ansicht der Vorinstanzen keine Besonderheiten aufweist, die nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen eine von der Regel abweichende prozessuale Behandlung rechtfertigen könnten. Der Auffassung, eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers sei wegen des Fehlens eines rechtswirksam gestellten Prüfantrags nicht zulässig gewesen und der Bescheid des Prüfungsausschusses deshalb schon aus formalen Gründen nicht aufrechtzuerhalten, kann nicht gefolgt werden.
Zutreffend ist allerdings, daß die Wirtschaftlichkeit der kassen(zahn)ärztlichen bzw vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit unter der Geltung des SGB V nur auf Antrag geprüft wird. Nach § 106 Abs 5 Satz 1 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) entscheidet der Prüfungsausschuß auf Antrag der Krankenkasse oder der K(Z)ÄV, ob der Kassen(zahn)arzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Das SG hat hierzu lediglich festgestellt, daß ein förmlicher Prüfantrag der KZÄV oder einer Krankenkasse bis zur Entscheidung des Prüfungsausschusses nicht gestellt worden ist. Durch wen und auf welchem Wege das auf Prüfung der Behandlungsweise des Klägers in den Quartalen II und IV/1989 gerichtete Verfahren in Gang gesetzt worden ist, hat es nicht untersucht. Auch das Urteil des Berufungsgerichts gibt dazu nichts her. Da die Prüfungseinrichtungen üblicherweise nicht selbst über die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung notwendigen Abrechnungsunterlagen und Statistiken verfügen, liegt es nahe, daß ihnen bzw ihrer Geschäftsstelle diese Unterlagen von der KZÄV zum Zwecke der Eröffnung eines Prüfverfahrens zugeleitet worden sind, was als konkludente Antragstellung ausreichen würde (zur Möglichkeit der Antragstellung durch schlüssiges Verhalten vgl Senatsurteil vom 21. Juni 1995 – 6 RKa 54/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob diese Vermutung zutrifft, kann indes dahingestellt bleiben, denn ein Prüfantrag ist jedenfalls nach Erlaß des Honorarkürzungsbescheides während des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuß von dem dazu bevollmächtigten Landesverband der Betriebskrankenkassen ausdrücklich gestellt worden. Dadurch sind die Voraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Prüfverfahren in zulässiger Weise nachträglich geschaffen worden.
Der Senat hat in dem bereits angesprochenen Urteil vom 21. Juni 1995 – 6 RKa 54/94 – entschieden, daß ein ohne den vorgeschriebenen Prüfantrag erlassener Honorarkürzungsbescheid zwar rechtswidrig ist, der dem Verwaltungsverfahren anhaftende Mangel aber gemäß § 41 Abs 1 Nr 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch nachträgliche Antragstellung geheilt werden kann. Der Rechtsansicht des SG, der Mangel der unterbliebenen Antragstellung sei so schwerwiegend, daß er zur Nichtigkeit des Bescheides führe und eine Heilung ausgeschlossen sei, kann nicht beigetreten werden.
Die Ausgestaltung des Prüfverfahrens als Antragsverfahren ist eine Folge der strukturellen Neuordnung und Umgestaltung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch das GRG. Während die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassen(zahn)ärztlichen Versorgung nach dem bis 31. Dezember 1988 geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausschließlich den K(Z)ÄVen oblag (vgl § 368n Abs 5 RVO aF), hat das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene SGB V diese Aufgabe aus dem Gewährleistungsauftrag gelöst und den K(Z)ÄVen und Krankenkassen als gemeinsame Angelegenheit übertragen (§ 106 Abs 1 SGB V). Dementsprechend sind die Prüfungseinrichtungen trotz der nach § 106 Abs 4 SGB V fortbestehenden verwaltungstechnischen Anbindung nicht mehr den K(Z)ÄVen als Rechtsträgern zugeordnet, sondern organisatorisch verselbständigt. Verfahrensrechtlich ist diesen Veränderungen dadurch Rechnung getragen worden, daß Wirtschaftlichkeitsprüfungen nunmehr von der K(Z)ÄV oder einer Krankenkasse (bzw seit der Neufassung des § 106 Abs 5 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 ≪BGBl I S 2266≫ auch von einem Krankenkassenverband) bei dem Prüfungsausschuß beantragt werden müssen. Aus alledem folgt, daß es sich bei dem Prüfantrag um eine reine Verfahrensvoraussetzung ohne materiell-rechtliche Bedeutung handelt. Dem Antrag kommt kein solches Gewicht zu, daß sein Fehlen einem dennoch erlassenen Verwaltungsakt von vornherein jede Wirksamkeit nimmt.
Die gegenteilige Auffassung läßt sich auch nicht damit begründen, daß ein aufgrund des Prüfverfahrens ergangener Kürzungsbescheid für den betroffenen Kassen(zahn)arzt bzw Vertrags(zahn)arzt belastend ist. Das in § 106 Abs 5 Satz 1 SGB V vorgesehene Antragserfordernis bezweckt weder direkt noch indirekt den Schutz des geprüften Arztes, so daß diesem Gesichtspunkt keine maßgebende Bedeutung beigemessen werden kann. Dem Interesse des Arztes an einer zeitgerechten Abwicklung der Honorarprüfung wird durch Regelungen in den Prüfvereinbarungen über die für die Antragstellung und den Ablauf des Prüfverfahrens geltenden Fristen Rechnung getragen. Bis zum Ablauf der Antragsfrist können die K(Z)ÄV und die Krankenkassen ihr Antragsrecht jederzeit ausüben, auch wenn zuvor bereits von anderer Seite ein Verfahren eingeleitet worden war. Angesichts dessen kann die Nichtigkeit eines ohne wirksamen Antrag ergangenen Prüfbescheides weder aus der Funktion des Prüfantrags noch aus der Bedeutung des Prüfverfahrens für den betroffenen Arzt gefolgert werden. Vielmehr ist der Mangel der unterbliebenen Antragstellung gemäß § 41 Abs 1 Nr 1 SGB X unbeachtlich, wenn der Prüfantrag später nachgeholt wird, wie dies hier geschehen ist.
Da nach alledem ein Sachverhalt, der nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise auch die Aufhebung des Bescheides des Prüfungsausschusses durch das Gericht rechtfertigen könnte, nicht vorliegt, konnte die anderslautende Entscheidung des SG schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben. Das Urteil des LSG erweist sich damit im Ergebnis als richtig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen