Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 20.02.1959) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1959 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I.
Durch Vertrag vom 15. Mai 1954 wurde der Ehemann der Klägerin als Deputant in einem Gutsbetrieb eingestellt. Nach § 2 des Vertrages verpflichtete sich die Klägerin mit Zustimmung ihres Mannes, zu jeder Zeit des Jahres auf Verlangen in der Landwirtschaft zu dem tariflichen Lohn zu arbeiten. Auf Grund dieses Vertrages war die Klägerin vom 8. August 1954 bis 13. Dezember 1957 tätig. Ihr Arbeitsverhältnis wurde wegen vorübergehenden Arbeitsmangels gelöst. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld lehnte das Arbeitsamt durch Bescheid vom 3. Februar 1958 mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Anwartschaft nicht erfüllt, weil die nachgewiesene Arbeitszeit in den letzten zwei Jahren durchschnittlich nur 14 Stunden wöchentlich betragen, damit den Rahmen der Geringfügigkeit nicht überschritten habe und deshalb versicherungsfrei gewesen sei (§ 66 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung –AVAVG–). Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 15.3.1958), Daraufhin erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, ihre Tätigkeit sei nicht von vornherein durch Arbeitsvertrag auf weniger als 24 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen, auch ergebe sich diese Beschränkung nicht aus der Natur der Sache, weil die Tätigkeit einer Landarbeiterin grundsätzlich nicht auf weniger als 24 Stunden beschränkt sei; eine Durchschnittsberechnung der Arbeitszeit sei nicht zulässig. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 12.8.1958), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück (Urteil vom 20.2.1959). Zur Begründung führte es aus, die Anwartschaft nach § 85 AVAVG sei nicht erfüllt, weil die Tätigkeit der Klägerin als geringfügige nach § 66 AVAVG versicherungsfrei gewesen sei. Sie habe in den letzten beiden Jahren im Durchschnitt nur 21 Stunden in der Woche gearbeitet. Die Wochen, in denen sie mehr als 24 Stunden gearbeitet habe, fielen in Zeiträume, in denen in der Landwirtschaft ein besonderer Bedarf an Arbeitskräften vorliege, wie Frühjahrsbestellung, Getreide- und Hackfruchtbearbeitung und -ernte. Da somit die Arbeitszeit der Klägerin schwankend gewesen und nur während der Arbeitsspitzen die Grenze von 24 Stunden überschritten habe, müsse geschlossen werden, daß die Vertragsparteien grundsätzlich die Arbeitszeit vertraglich auf weniger als 24 Stunden beschränkt hätten. Zum mindesten sei sie der Natur der Sache nach auf weniger als 24 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen, da die Klägerin nicht als ständige landwirtschaftliche Arbeitskraft beschäftigt gewesen sei. Ein solches Arbeitsverhältnis könne nur nach seinem gesamten Ablauf beurteilt werden, so daß es auf die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit ankomme; diese sei aber weniger als 24 Stunden wöchentlich gewesen. Das LSG ließ die Revision zu.
Gegen das am 21. Juli 1959 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 11. August 1959 Revision ein und begründete sie am 20. August 1959.
Sie trägt vor, das LSG. habe nicht geprüft, welcher Art der zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin abgeschlossene Vertrag gewesen sei, ob es nur ein Vorvertrag oder bereits ein Arbeitsvertrag gewesen sei. Es handele sich bei dem mit der Gutsverwaltung abgeschlossenen Vertrag um einen in der Landwirtschaft durchaus üblichen Vertrag, der den Wechsel des Bedarfs in der Landwirtschaft berücksichtige. Auch wenn man einen einheitlichen Arbeitsvertrag annehme, sei es nicht zulässig, nachträglich festzustellen, die Klägerin habe wöchentlich weniger als 24 Stunden gearbeitet, da eine rückwirkende Feststellung der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit mit den Grundsätzen der Sozialversicherung nicht zu vereinbaren sei. Es komme vielmehr auf die voraussichtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, gemessen an größeren Zeiträumen, an. Da in der Landwirtschaft die Frühjahrsbestellung und die Ernte Zeiten der Höchstarbeit zu sein pflegten, hätte geprüft werden müssen, ob mit Blick in die Zukunft für bestimmte Zeitabschnitte Versicherungspflicht zu bejahen gewesen wäre. Denn der Arbeitsvertrag sei ja gerade auf diese Umstände unmittelbar abgestellt gewesen. Wenn das Urteil auf einen Wochendurchschnitt von 21 Stunden innerhalb von zwei Jahren komme, so ergebe sich daraus, daß die Klägerin während der Frühjahrsbestellung und während der Erntearbeiten wesentlich mehr als 24 Stunden wöchentlich gearbeitet haben müsse.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 20. Februar 1959 und des SG Schleswig vom 12. August 1958 sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar und 15. März 1958 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vom 19. Dezember 1957 bis 4. Mai 1958 Arbeitslosengeld zu gewähren,
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, schon das erste Jahr der Beschäftigung habe ergeben, daß die Klägerin nur in geringfügigem Umfang zu Arbeiten herangezogen worden sei. An dieser Vertragsgestaltung habe sich in der Folgezeit nichts geändert, so daß spätestens Mitte Mai 1955 angenommen werden konnte und mußte, an einer durchschnittlichen Arbeitszeit von weniger als 24 Stunden wöchentlich werde sich nichts ändern.
Entscheidungsgründe
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.
Das LSG hat angenommen, die Tätigkeit der Klägerin sei als geringfügige nach § 66 AVAVG versicherungsfrei gewesen und habe somit nicht zum Erwerb der Anwartschaft dienen können, weil diese eine versicherungspflichtige Tätigkeit voraussetze (§ 85 AVAVG). Die tatsächlichen Feststellungen reichen jedoch für diese Schlußfolgerung nicht aus. Nach § 66 AVAVG sind geringfügige Beschäftigungen versicherungsfrei. Als geringfügig gilt dabei eine Beschäftigung, wenn sie auf nicht mehr als wöchentlich 24 Stunden nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist. Bei der Prüfung, ob die Tätigkeit der Klägerin hiernach als geringfügig anzusehen ist oder nicht, muß zunächst geklärt werden, wie die vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerin und der Gutsverwaltung waren, ob mit dem Vertrag vom 15. Mai 1954 bereits ein einheitliches Arbeitsverhältnis abgeschlossen worden war oder ob es sich nur um einen Vorvertrag gehandelt hat, auf Grund dessen jeweils bei Bedarf Arbeitsverträge abgeschlossen wurden. Handelt es sich um ein einheitliches Arbeitsverhältnis, für dessen Vorliegen erhebliche Gesichtspunkte sprechen, so kann die gesamte Beschäftigung der Klägerin von 1954 bis 1957 nicht in eine Reihe von Einzelbeschäftigungen zerlegt werden, die jeweils auf Grund der Anforderung der Arbeitgeberin zustande kamen und je nach ihrer Bauer geringfügig waren oder nicht. Vielmehr ist dann ein einheitliches Arbeitsverhältnis anzunehmen, für das im Einklang mit der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4722 des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) – AN 1934 S. 24 – eine Durchschnittsberechnung der Arbeitszeit zulässig ist, da für die Arbeitsleistungen im wesentlichen die gleichen Arbeitsbedingungen galten, Dieses einheitliche Beschäftigungsverhältnis war dann in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei, wenn es entweder im voraus durch einen Arbeitsvertrag auf nicht mehr als 24 Stunden wöchentlich beschränkt war oder wenn es nach der Natur der Sache auf diese Arbeitszeit beschränkt zu sein pflegte. In beiden Fällen ist Voraussetzung, daß die der Vereinbarung der Parteien oder der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses entsprechende Arbeitszeit voraussichtlich wöchentlich unter 24 Stunden bleiben sollte. Diese Prüfung ist daher bei Beginn des Arbeitsverhältnisses anzustellen. Denn wie auch das frühere RVA in der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4722 (AN 1934 S. 24; vgl. auch grunds. Entsch. Nr. 4734 AN 1934 So 34) ausgeführt hat, muß zu Beginn geklärt werden, ob Versicherungspflicht besteht oder nicht, Davon hängt nicht nur die Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen ab, sondern auch, ob diese Tätigkeit zur Erfüllung der Anwartschaft für Arbeitslosengeld dienen kann. Deshalb ist die voraussichtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses für die Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit maßgebend. Auch bei wechselnder Arbeitszeit bzw. wechselndem Entgelt ist das voraussichtliche durchschnittliche Entgelt oder die voraussichtliche durchschnittliche Arbeitszeit zugrunde zu legen (vgl. grunds. Entsch. Nr. 4722; AN 1934 S. 24). Es ist nicht angängig, die Frage, ob Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht gegeben ist, nur der späteren Entwicklung des Vertragsverhältnisses zu überlassen oder gar erst bei Eintritt von Arbeitslosigkeit festzustellen, daß rückwirkend gesehen keine Versicherungspflicht bestanden hat, weil im Durchschnitt eine Arbeitszeit von weniger als 24 Stunden erreicht worden ist. Dies steht auch im Einklang mit einer ähnlichen Vorschrift der Krankenversicherung. Nach § 168 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sind unter bestimmten Umständen gelegentliche Dienstleistungen versicherungsfrei. Eine Beschäftigung gilt hier als gelegentliche Dienstleistung, wenn sie auf weniger als drei Monate nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Auch hier ist bei der Prüfung der Versicherungspflicht darauf abgestellt, ob bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses mit einer Beschäftigungsdauer von mehr oder weniger als drei Monaten zu rechnen war. Daß diese vorausschauende Betrachtung des Beschäftigungsverhältnisses für die Versicherungspflicht maßgebend sein muß, ergibt sich auch aus der weiteren Vorschrift des § 168 RVO: Wenn die Beschäftigung wider Erwarten länger als drei Monate dauert, so beginnt die Versicherungspflicht erst nach Ablauf der drei Monate. Umgekehrt wird die Versicherungspflicht nicht rückwirkend beseitigt, wenn man zunächst eine Beschäftigung von mehr als drei Monaten angenommen hatte, die Beschäftigung aber später tatsächlich kürzer war (vgl. ZfS 1948 S. 44).
Es mußte daher auch bei der Anwendung des § 66 AVAVG grundsätzlich von der Gestaltung der Beschäftigung ausgegangen werden, wie sie sich bei Beginn derselben erwarten ließ.
Das LSG hat angenommen, die Arbeitszeit der Klägerin sei schwankend gewesen und habe nur in den Arbeitsspitzen 24 Stunden wöchentlich überschritten; daraus müsse geschlossen werden, daß die Vertragsparteien die Arbeitszeit der Klägerin von vornherein vertraglich auf weniger als 24 Stunden beschränkt hätten. Diese Begründung steht jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht im Einklang mit dem Sinn des § 66 AVAVG und vor allem nicht mit dem Zweck der Sozialversicherung, schon zu Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses klarzustellen, ob Versicherungspflicht gegeben ist oder nicht. Es kann daher nicht lediglich rückwirkend aus der tatsächlichen Gestaltung der Beschäftigung geschlossen werden, sie sei vertraglich auf weniger als 24 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen. Die Klägerin war nach dem Vertrag verpflichtet, zu jeder Zeit des Jahres auf Verlangen in der Landwirtschaft zu arbeiten. Daraus ist zunächst nur zu entnehmen, daß es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis mit normaler Arbeitszeit gehandelt hat. Über den vereinbarten Umfang der Arbeit ergibt sich daraus jedoch nichts. Es müßte daher geklärt werden, was bei Vertragsabschluß von den Vertragsparteien abgesprochen oder erörtert worden ist, in welchem Umfang die Klägerin, im Durchschnitt gesehen, voraussichtlich zur Arbeit herangezogen werden sollte. Dabei könnte von Bedeutung sein, ob ihre Vorgängerin in der Deputantenstelle ein ähnliches Vertragsverhältnis hatte, in welchem Umfang diese zur Arbeit herangezogen wurde und ob die Klägerin und der Arbeitgeber etwa ausdrücklich oder stillschweigend eine ähnliche Ausgestaltung im Auge gehabt haben.
Weiter könnte die Tätigkeit der Klägerin versicherungsfrei sein, wenn sie auf nicht mehr als 24 Stunden wöchentlich nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegte. Das LSG hat angenommen, zum mindesten sei diese Alternative des § 66 AVAVG gegeben, weil die Klägerin keine ständige Arbeitskraft gewesen sei, nur gelegentlich und in geringfügigem Umfang zur Arbeit herangezogen worden sei und ein verstärkter Einsatz nur während der Arbeitsspitzen stattgefunden habe; das Beschäftigungsverhältnis müsse nach dem Durchschnitt der geleisteten Arbeitszeit betrachtet werden. Auch hier hat das LSG eine für sich allein unzulässige rückwärtige Betrachtung des Vertragsverhältnisses vorgenommen. Es hätte auch hier prüfen müssen, ob bei Beginn im Hinblick auf die Zukunft auch ohne ausdrückliche Vereinbarung eine durchschnittliche Arbeitszeit von weniger als 24 Stunden zu erwarten war. Ob dies der Fall war, müßte nach den gesamten damals vorliegenden Umständen beurteilt werden. Eine Beschäftigung ist der Natur der Sache nach auf weniger als 24 Stunden beschränkt, wenn sie nach ihrer ganzen Art und ihrem Umfang nur eine solche Arbeitszeit erfordert, ohne daß es einer ausdrücklichen Vereinbarung in dieser Hinsicht bedürfte. Anhaltspunkte dafür, ob eine solche Beschäftigung vorlag, wären, in welchem Umfang die Arbeitgeberin andere Arbeitskräfte zu gleichen Arbeiten heranzog, wielange sie jeweils beschäftigt waren oder sind (insbesondere die etwaige Vorgängerin der Klägerin), ob diese Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig waren oder nicht, ob in der Gegend ähnliche Arbeitsverhältnisse üblich waren und wie diese versicherungsrechtlich betrachtet wurden. Wenn bei diesen Beschäftigungsverhältnissen eine durchschnittliche Arbeitszeit von weniger als 24 Stunden wöchentlich üblich war, wäre der Schluß gerechtfertigt, die Beschäftigung der Klägerin sei der Natur der Sache nach auf weniger als 24 Stunden beschränkt gewesen.
Diese Ansicht schließt nicht ein, daß die tatsächliche Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, wie sie sich aus der rückwärtsschauenden Betrachtung ergibt, völlig unberücksichtigt zu bleiben hat. Sie kann vielmehr bei der Beweiswürdigung als Beweismittel mit verwertet werden, wenn von Anfang an wesentliche Merkmale die Beschäftigung als geringfügig kennzeichnen, eine geringfügige Beschäftigung also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dann darf als Beweismittel für die Feststellung, weicher Art das Vertragsverhältnis war, auch die nachherige tatsächliche Gestaltung der Arbeitszeit mit herangezogen werden. Die rückwärtige Betrachtungsweise kann also nur als ein zusätzliches Beweismittel verwertet werden, wenn die bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses vorliegenden Umstände schon auf eine geringfügige Beschäftigung hindeuten, ohne daß sie für eine ausreichende Feststellung in dieser Hinsicht genügen.
Unerheblich für die Entscheidung ist jedoch, ob Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden sind oder nicht, da die Arbeitslosenversicherung keine Formalversicherung wie § 315 RVO kennt; es kommt vielmehr nur darauf an, ob nach §§ 56 ff. AVAVG Versicherungspflicht besteht oder nicht.
Die Revision ist daher begründet.
Da die Feststellungen des LSG zu einer abschließenden Entscheidung des Senats nicht ausreichen, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 und 4 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil überlassen.
Unterschriften
Dr. Berndt, Dr. Kläß, Dr. Krebs
Fundstellen