Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährleistete Versorgungsanwartschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzungen des WGSVG § 14 Abs 2 liegen dann nicht vor, wenn Beiträge deswegen nicht entrichtet worden sind, weil Versicherungsfreiheit wegen gewährleisteter Versorgungsanwartschaft bestand.
2. Ein Feststellungsantrag ist zulässig, wenn dem Kläger nicht mehr zuzumuten ist, die begehrte Feststellung durch einen Verwaltungsakt der Beklagten zu erwirken und diese zudem im Verfahren keinen Zweifel daran läßt, daß sie dem Begehren des Klägers nicht entsprechen wolle.
Normenkette
WGSVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1970-12-22, § 14 Abs. 2 Fassung: 1970-12-22; BerBG § 7 Fassung: 1933-04-07, § 8 Fassung: 1933-04-07; BeitrNachentrV § 2 Fassung: 1930-10-04; AKG § 99; G131 § 72; FANG Art. 6 § 18 Fassung: 1960-02-25; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 23.03.1976; Aktenzeichen L 12 An 95/75) |
SG Berlin (Entscheidung vom 17.04.1975; Aktenzeichen S 1 An 903/73) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. März 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Verfahren vor dem Bundessozialgericht sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1906 geborene Kläger ist rassisch Verfolgter. Der Preußische Justizminister hatte ihn 1931 zum Gerichtsassessor ernannt und ab 2. Januar 1933 als juristischen Hilfsarbeiter zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) beurlaubt. Dort mußte er zum 31. Mai 1933 wegen Widerrufs des Urlaubs aus dem Dienst ausscheiden. Später versetzte ihn der Preußische Justizminister unter Berufung auf § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (RGBl I 175) zum 1. November 1933 in den Ruhestand; er verfügte gleichzeitig, daß dem Kläger kein Ruhegehalt zustehe. Die als versicherungsfrei erachtete Dienstzeit bei der RfA ist nicht nachversichert worden.
Der Kläger ist im Juni 1933 aus Deutschland ausgewandert; er lebt seit 1947 in den USA. Der Bundesminister der Justiz hat ihm mit Wirkung vom April 1951 ein Ruhegehalt nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWGöD) bewilligt; der Berechnung wurden Dienstzeiten vom 3. Mai 1933 bis 31. März 1951 zugrunde gelegt.
Im Juli 1970 beantrage der Kläger bei der Beklagten die Durchführung der Nachversicherung für die Zeit seiner Tätigkeit bei der RfA. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage wurde vom Sozialgericht (SG), das das Klagevorbringen als Antrag auf Gestattung der Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 2. Januar bis 31. Mai 1933 deutete, abgewiesen. Mit der Berufung beantragte der Kläger, "die Beklagte zu verurteilen,
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ihn für den Zeitraum vom 30. Januar bis 31. Mai 1933 als versichert zu betrachten, |
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hilfsweise, ihm für diesen Zeitraum die Nachversicherung zu gestatten, |
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3. |
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ihm die Weiterversicherung zu gestatten". |
Das Landessozialgericht (LSG) hat hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. die Berufung zurückgewiesen, hinsichtlich des Antrages zu 3. die Klage, die insoweit erst in der Berufungsinstanz erhoben worden sei, abgewiesen. Seine Entscheidung über den Antrag zu 1. hat es damit begründet, daß es insoweit an einem vorgängigen Verwaltungsverfahren fehle und daß sonach für eine Entscheidung zur Sache kein Raum sei.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Klägers hat der Senat durch Beschluß vom 4. Februar 1977 (unter Zurückweisung im übrigen) hinsichtlich des Berufungsantrags zu 1. stattgegeben, weil insoweit ein Verfahrensmangel vorliege. Mit der daraufhin eingelegten Revision beantragt der Kläger,
die Beklagte zu verurteilen, ihn für den Zeitraum vom 30. Januar bis 31. Mai 1933 als versichert zu betrachten, und insoweit das Berufungsurteil aufzuheben,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Er rügt, das LSG habe sein Begehren zu Unrecht nicht als Feststellungsklage gewertet. Er hält eine solche Feststellungsklage für zulässig und sachlich die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) für gegeben. Nur formal habe das Unterbleiben der Beitragsleistung auf der Vorschrift des § 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a.F. über Versicherungsfreiheit beruht; in Wahrheit sei die dort vorausgesetzte Versorgungsanwartschaft nicht mehr gewährleistet gewesen; die Politik Hitlers habe von seiner Machtergreifung an auf die Entfernung aller jüdischen Beamten aus dem öffentlichen Dienst abgezielt. Zumindest sei eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 WGSVG geboten.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hätte zwar, wie der Senat bereits im Beschluß vom 4. Februar 1977 dargelegt hat, über den in Wahrheit auf eine Feststellung gerichteten Berufungsantrag zu 1. sachlich entscheiden müssen. Allerdings hat der Kläger noch in seinem Revisionsantrag eine "Verurteilung" der Beklagten, ihn "als versichert zu betrachten", beantragt. An den Wortlaut dieses Antrages ist der Senat jedoch ebensowenig gebunden, wie das LSG an den damit übereinstimmenden Wortlaut des Berufungsantrages zu 1. gebunden war (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Was der Kläger erstrebt, ist die Feststellung, daß für ihn aufgrund von § 14 Abs. 2 WGSVG "Beiträge als entrichtet gelten". Er begehrt damit die Feststellung eines fiktiven Versicherungsverhältnisses, das ebenso wie ein durch tatsächliche Beitragsentrichtung zustande gekommenes Versicherungsverhältnis ein Rechtsverhältnis i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG darstellt. Für ein solches Rechtsschutzbegehren ist die Feststellungsklage vorgesehen. Eine solche Klage kann zwar wegen fehlenden berechtigten Interesses unzulässig sein, wenn die Feststellung schon von der Verwaltung durch (bindend werdenden) Verwaltungsakt getroffen werden könnte. Im vorliegenden Falle war dem Kläger jedoch nicht zuzumuten, vor Erhebung seiner Feststellungsklage diesen Weg zu beschreiten. Die Beklagte hatte in dem Rechtsstreit um die Nachversicherung der streitigen Zeit keinen Zweifel daran belasse, daß sie § 14 Abs. 2 WGSVG nicht für anwendbar hält. Bei dieser Sachlage konnte die Herbeiführung eines entsprechenden (negativen) Verwaltungsaktes die nicht zu vermeidende gerichtliche Entscheidung nur unnötig verzögern.
Gleichwohl kann die Revision - im Haupt- wie im Hilfsantrag - keinen Erfolg haben. Denn in der Sache ist die Klage nicht begründet; die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 WGSVG sind hinsichtlich der streitigen Zeit nicht erfüllt.
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 WGSVG gelten für Zeiten, in denen der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat und für die aus Verfolgungsgründen Beiträge nicht entrichtet sind, Beiträge als entrichtet. Dabei ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nur eine Beschäftigung zu verstehen, deren Ausübung im konkreten Fall Versicherungspflicht begründet hat; etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn eine Ausnahme von der Versicherungspflicht Verfolgungscharakter trug (vgl. SozR 5070 § 14 Nr. 4). Der Kläger war jedoch weder versicherungspflichtig, noch aus Verfolgungsgründen von der Versicherungspflicht ausgenommen; er war vielmehr nach § 11 AVG a.F. in Verbindung mit der vom Preußischen Justizminister ausgesprochenen Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft (vgl. PrJMBl 1922, 215; 1926, 232) versicherungsfrei.
Es mag zwar sein, daß der Kläger bereits vor dem 31. Mai 1933 bei Fortdauer des nationalsozialistischen Regimes nicht mehr ernsthaft damit rechnen konnte, später in den Genuß von Versorgungsbezügen zu gelangen. Die Gewährleistung von Versorgungsanwartschaft gegenüber jüdischen Beamten blieb jedoch in dieser Zeit aufrechterhalten; die mit der Machtergreifung Hitlers eingeleitete Entwicklung war auch nicht so weit fortgeschritten, daß die Gewährleistung jede Wirkung eingebüßt hatte und damit ohne weiteres Versicherungspflicht eingetreten war. In diesem Zusammenhang kann nicht unbeachtet bleiben, daß das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 selbst davon ausging, daß die Beamtenverhältnisse der nach § 3 Abs. 1 zu entlassenden Beamten bis zur förmlichen Beendigung im Einzelfalle fortbestanden (§§ 7, 8) und daß den ausgeschiedenen Beamten grundsätzlich Versorgung zugebilligt wurde (§ 8); für die Nachversicherung beim Ausscheiden ohne Versorgung galten die allgemeinen Vorschriften (vgl. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, 2. und 3. Aufl., Band I, Anm. VI 6d zu § 18). Im Falle des Klägers ist die Nachversicherung offenbar nach § 2 der Aufschubverordnung vom 4. Oktober 1930 (RGBl I S. 459) unterblieben.
Aber auch die weitere Voraussetzung des § 14 Abs. 2 WGSVG, daß Beiträge aus Verfolgungsgründen nicht entrichtet worden sind, ist nicht erfüllt. Beiträge sind dann aus Verfolgungsgründen nicht entrichtet worden, wenn die Beitragsleistung wegen konkreter Verfolgungsmaßnahmen gegen den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer unterblieben ist (SozR 5070 § 14 Nr. 1). Für den Kläger wurden aber Beiträge allein deswegen nicht entrichtet, weil er nach § 11 AVG a.F. als versicherungsfrei erachtet wurde; diese Annahme war ebenso wie die Versicherungsfreiheit selbst nicht durch Verfolgungsmaßnahmen (Verfolgungsgründe) bedingt.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch für eine entsprechende Anwendung von § 14 Abs. 2 WGSVG kein Raum. Nach Sinn und Zweck liegt zwar der Gedanke nahe, die Vorschrift auch beim Unterbleiben einer Nachversicherung aus Verfolgungsgründen anzuwenden, soweit nicht bereits § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes oder Art. 6 § 18 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes Abhilfe schaffen; im Falle des Klägers ist aber, wie erwähnt, auch die Nachversicherung nicht aus Verfolgungsgründen, sondern offenbar aufgrund von § 2 der Aufschubverordnung unterblieben. Der entsprechenden Anwendung von § 14 Abs. 2 WGSVG schließlich auf den Fall, daß das Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung durch Verfolgungsmaßnahmen bedingt ist, steht entgegen, daß hierfür das BWGöD abschließende Regelungen getroffen hat. Nach diesem Gesetz bezieht der Kläger auch Ruhegehalt; wenn bei dessen Bemessung die streitige Zeit nur zu einem Teil berücksichtigt worden ist, so kann das nicht zur Folge haben, daß er für die nicht einbezogene Zeit in der Rentenversicherung als versichert betrachtet werden müßte, zumal es insoweit an einem Schaden in der Sozialversicherung (vgl. § 1 Abs. 1 WGSVG) überhaupt fehlt.
Nach alledem war die Revision zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung, die sich auf die Kosten des Revisionsverfahrens und die des vorangegangenen Beschwerdeverfahrens bezieht, ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen