Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei Gesamtschuldverhältnis
Orientierungssatz
Ist darüber zu befinden, ob der Unfallversicherungsträger den Kläger wegen einer Beitragsforderung als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen darf, werden die Rechte des anderen Gesamtschuldners unmittelbar betroffen. Dieser ist notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 421 S 1, § 422 Abs 1 S 1, § 426 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.09.1982; Aktenzeichen L 3/6 U 169/81) |
SG Stade (Entscheidung vom 29.06.1981; Aktenzeichen S 7 U 162/80) |
Tatbestand
Der Kläger und sein Geschäftspartner (H.) wurden von der Beklagten durch gleichlautende Bescheide vom 28. August 1978 als Gesamtschuldner für Beitragsschulden in Anspruch genommen. Der Kläger meint, daß er zur Zahlung nicht verpflichtet ist.
Der Kläger und H. gründeten die Firma B-B und B, welche am 26. Oktober 1976 ihre Tätigkeit aufnahm. Gegenüber der Beklagten wurde sie als "GmbH in Gründung" (11. Februar 1977) bzw "GmbH & Co KG in Gründung" (ohne Datum, Bl 30 R der Bekl-Akten) bezeichnet. Der Kläger und sein Geschäftspartner wurden in das Unternehmerverzeichnis sowie das Verzeichnis der pflichtversicherten Unternehmer der Beklagten aufgenommen und für einen Beitragsvorschuß in Anspruch genommen (Bescheide vom 18. April 1977).
Mit Schreiben vom 9. Juni 1977 wurde der Beklagten angezeigt, daß der Kläger und H. durch notariellen Vertrag vom 4. Mai 1977 die Firma B-B- und B mit beschränkter Haftung gegründet hatten. Diese GmbH wurde am 4. Oktober 1977 in das Handelsregister des Amtsgerichts L eingetragen. Vor dieser Eintragung hatten der Kläger und H. ihre Stammeinlagen an den Kaufmann Hi veräußert, welcher die Tätigkeit der Gesellschaft am 21. Oktober 1977 einstellte. Die GmbH geriet in Konkurs.
Die Beklagte übersandte dem Kläger und H. mit ihrem Schreiben vom 28. August 1978 getrennt je einen Beitragsbescheid für das Jahr 1976 vom selben Tage, in welchem sie die Beiträge für das Jahr 1977 aus bereits ergangenen Beitragsbescheiden in Höhe von 37.245,33 DM mit aufführte. In dem Bescheid vom 28. August 1978 heißt es, die Zahlung des einen Geschäftspartners gelte für beide.
Der Kläger und H. erhoben gegen den Bescheid vom 28. August 1978 Widerspruch, weil sie der Auffassung waren, daß sie für die Verpflichtungen der GmbH nicht persönlich hafteten. Sie seien lediglich Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer gewesen; eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe zwischen ihnen nicht bestanden. Der Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 29. März 1979 zurückgewiesen. In der Begründung ist ua ausgeführt, daß eine Vor-GmbH erst durch den Vertrag vom 4. Mai 1977 zustandegekommen sei; bis dahin sei die Haftung nicht beschränkt gewesen.
Die von dem Kläger und H. gemeinsam erhobene Klage ist von dem Sozialgericht (SG) Oldenburg getrennt und zuständigkeitshalber an das SG Stade (Kläger) bzw Bremen (H.) verwiesen worden. Das SG Stade hat die Klage ohne eigene Begründung abgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1981). Die Berufung ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 28. September 1982 zurückgewiesen worden. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der Kläger und H. hätten nicht sogleich eine Vor-GmbH gegründet gehabt, weil ein entsprechender Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen worden sei. Der Beklagten habe sich das Bild einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts dargeboten. Der durch die Gründung einer Vor-GmbH eingetretene Unternehmerwechsel sei erst im Juni 1977 eingetreten, so daß der Kläger zu Recht in Anspruch genommen wurde. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er meint, daß er gegenüber der Beklagten von Anfang an wie der Vertreter einer künftigen GmbH aufgetreten sei. Mit der Eintragung in das Handelsregister sei daher seine Haftung entsprechend dem Grundgedanken des § 11 Abs 2 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) erloschen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. September 1982, das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 29. Juni 1981 und den Bescheid der Beklagten vom 28. August 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1979 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Auffassung des LSG für zutreffend, daß der Kläger nicht als Vertreter einer Vor-GmbH anzusehen gewesen sei. Im übrigen seien zivilrechtliche Grundsätze nicht unbedingt anwendbar, weil die Beklagte ihre Mitglieder nicht unter dem Gesichtspunkt des Haftungsumfanges von Gesellschaftern aussuchen könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 SGG); denn H., den die Beklagte ebenso wie den Kläger als Gesamtschuldner für die Beitragsforderung in Anspruch nimmt, wäre zum Verfahren notwendig beizuladen gewesen (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG). Dieser Verfahrensmangel ist von Amts wegen zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1 und 21).
Die Beiladung ist nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist gegeben, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines anderen unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung: s ua BSG SozR 1500 § 75 Nrn 8, 15, 21 mwN).
Im vorliegenden Streit ist auf die Anfechtungsklage des Klägers darüber zu befinden, ob die Beklagte den Kläger wegen der geltend gemachten Beitragsforderung als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen darf, wobei das Gesamtschuldverhältnis zwischen ihm und H. bestehen würde. Bei der Entscheidung dieser Streitfrage werden die Rechte des H. unmittelbar betroffen. Dies folgt aus dem Wesen des Gesamtschuldverhältnisses sowie der gesetzlichen Ausgleichungspflicht seiner Teilhaber. Ein Gesamtschuldverhältnis setzt gemäß § 421 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Verpflichtung mehrerer Personen voraus, ein und dieselbe Leistung zu erbringen. Die Erfüllung der Leistung durch einen der Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner (§ 422 Abs 1 Satz 2 BGB) und führt zu deren Ausgleichungspflicht gegenüber dem Leistenden (§ 426 Abs 1 Satz 1 BGB). Demzufolge begründete die Klageerhebung des Klägers hier die Gefahr für H., daß er durch die Entscheidung des Streites unmittelbar selbst gegenüber dem Kläger verpflichtet werde. Er war daher zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verfahren notwendig beizuladen.
Da es im Revisionsverfahren unzulässig ist, die unterbliebene Beiladung des H. nachzuholen (§ 168 SGG), mußte das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen werden.
Das LSG wird auch zu prüfen haben, ob in dem angefochtenen Bescheid vom 28. August 1978 möglicherweise keine Regelung bezüglich der Beitragszahlung für das Jahr 1977 enthalten ist, daß insoweit vielmehr evtl bereits vorher ein Beitragsbescheid der Beklagten ergangen (und möglicherweise unangefochten geblieben) war (s. auch das Schreiben der Beklagten vom 28. August 1978 - Satz 5 - und den Widerspruchsbescheid vom 29. März 1979). In der Beitragsforderung für das Jahr 1976 sind ua die Unternehmerbeiträge für H. enthalten. Ob insoweit ein Gesamtschuldverhältnis entstanden ist, bedarf der rechtlichen Überprüfung. Schließlich könnte von Bedeutung sein, daß der Kläger und H. jeweils in getrennten Bescheiden für die gesamte Forderung in Anspruch genommen sind, während der Gläubiger grundsätzlich berechtigt ist, "die Leistung nur einmal zu fordern" (§ 421 Satz 1 BGB).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen