Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz, daß in den Übergangsfällen des SGG § 215 Abs 3 das LSG für die Zulässigkeit der Berufung stets zu prüfen hat, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hatte und die Berufung nach SGG § 150 Nr 1 zuzulassen gewesen wäre, erleidet in den Übergangsfällen des SGG § 218 Abs 6 in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung keine Ausnahme, obwohl das Berliner Verfahrensrecht in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung eine eigene Zulassung kraft Anspruchs kannte.
Normenkette
SGG § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 218 Abs. 6 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 6. August 1954 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts ... vom 26. Oktober 1953 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin, deren erster Ehemann am 24. Oktober 1945 im Lazarett verstorben war, beantragte am 11. August 1952 Witwenabfindung, nachdem sie sich am 19. Juni 1952 wieder verheiratet hatte. Das Versorgungsamt ... lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. November 1952 ab. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos, und auch ihre Klage wurde durch Urteil des Versorgungsgerichts ... vom 26. Oktober 1953 abgewiesen, weil sie bis zur Wiederverheiratung im Ostsektor Berlins gewohnt und daher im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt habe. In der Rechtsmittelbelehrung zu diesem Urteil führte das Versorgungsgericht aus, daß gegen das Urteil gemäß § 41 Abs. 3 des Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstgeschädigten (Berliner KVG) vom 24. Juli 1950 (VOBl. für Berlin I S. 318) binnen eines Monats nach Zustellung Berufung beim Oberversorgungsgericht ... eingelegt werden könne. Die rechtzeitig eingelegte Berufung verwarf das Landessozialgericht Berlin mit Urteil vom 6. August 1954 als unzulässig. Es behandelte die beim Oberversorgungsgericht ... anhängige Sache mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als eine gemäß § 218 Abs. 6 SGG übergegangene Berufung, deren Zulässigkeit sich allein nach den Vorschriften des SGG richte. Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG sei aber die Berufung bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen, zu denen auch der Anspruch auf Heiratsabfindung gehöre, nicht zulässig. Eine sinngemäße Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG komme nicht in Betracht.
Die Revision wurde zugelassen, weil es sich bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung um die Entscheidung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele. In der Rechtsmittelbelehrung ist ein Hinweis darauf, daß die Revision einen bestimmten Antrag enthalten müsse, nicht enthalten.
II.
Gegen das der Klägerin am 1. September 1954 zugestellte Urteil hat diese mit Schriftsatz vom 21. September 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht am 23. September 1954, Revision eingelegt. Der Schriftsatz enthält außer der Bezeichnung des angefochtenen Urteils nur die Erklärung, daß Revision eingelegt werde. Erst in der am 20. Oktober 1954 eingegangenen Revisionsbegründung vom 18. Oktober 1954 stellt die Klägerin dem Sinne nach den Antrag,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 6. August 1954 und des Urteils des Versorgungsgerichts Berlin vom 26. Oktober 1953 den Beklagten kostenpflichtig zu verurteilen, an die Klägerin die Witwenabfindung von 1350,- DM zu zahlen.
Sie ist der Ansicht, daß die Vorschriften des SGG über die Zulässigkeit der Berufung, insbesondere die Vorschriften des § 144 SGG, in denjenigen Sachen keine Anwendung fänden, die gemäß § 218 Abs. 6 SGG vom Oberversorgungsgericht auf das Landessozialgericht übergegangen seien. Dies gehe daraus hervor, daß der § 218 Abs. 6 SGG im Gegensatz zu § 215 Abs. 7 und 8 die Vorschriften über die Zulässigkeit der Berufung nicht ausdrücklich für anwendbar erkläre. Für Übergangsfälle in Berlin habe der Gesetzgeber im § 218 SGG eine besondere Regelung treffen wollen, wie er eine solche für Übergangsfälle im übrigen Bundesgebiet im § 215 SGG getroffen habe. Wenn der Gesetzgeber der Ansicht gewesen wäre, daß sich das Verfahren in jedem Übergangsfall nach den Vorschriften des SGG zu richten habe, so wären die Vorschriften der §§ 215, 218 überflüssig; denn die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGG würde sich allein aus § 224 Abs. 1 SGG ergeben.
Aber selbst bei Anwendung der Vorschriften des SGG wäre die Berufung deshalb zulässig gewesen, weil das Versorgungsgericht sie in seinem Urteil ausdrücklich zugelassen hatte. Der Umstand, daß die Zulassung in der Rechtsmittelbelehrung ausgesprochen sei, könne auf die Wirksamkeit der Zulassung keinen Einfluß haben.
Im übrigen glaubt die Klägerin einen Anspruch auf Heiratsabfindung zu haben, weil sie seit ihrer Wiederverheiratung ihren Wohnsitz nicht mehr im Ostsektor von Berlin hatte, sondern den Wohnsitz ihres Ehemannes in West-Berlin teilte.
III.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zu verwerfen,
hilfsweise, sie zurückzuweisen.
Er hält die Revision für unzulässig, weil die Revisionsschrift der Klägerin keinen bestimmten Antrag enthält. Er verweist ferner auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin und anderer Landessozialgerichte, wonach beim Übergang der in der Rechtsmittelinstanz anhängigen Sachen auf die nunmehr nach dem SGG zuständigen Gerichte die Zulässigkeit der Berufung sich nach den Vorschriften des SGG richtet. Bei der gemäß § 218 Abs. 6 SGG auf das Landessozialgericht Berlin übergegangenen Sache der Klägerin sei deshalb die Verwerfung der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu Recht erfolgt.
Im übrigen wird zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Schriftsätze der Klägerin vom 21. September 1954, 18. Oktober 1954 und 28. März 1955 und des Beklagten vom 28. Februar 1955 verwiesen.
IV.
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt worden. Zwar enthält die Revisionsschrift vom 21. September 1954 keinen bestimmten Antrag und kann daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht als rechtswirksame Revisionseinlegung angesehen werden. Jedoch erfüllt die Revisionsbegründung vom 18. Oktober 1954 insoweit die Erfordernisse der Revisionsschrift, als sie einen bestimmten Antrag enthält und auch noch innerhalb der Revisionsfrist eingegangen ist. Die Revisionsfrist betrug im vorliegenden Falle nämlich nicht nur einen Monat, sondern ein Jahr gemäß § 66 Abs. 2 SGG, weil in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils nicht darauf hingewiesen ist, daß die Revisionsschrift einen bestimmten Antrag enthalten muß. Fehlt dieser Hinweis, so entspricht die Rechtsmittelbelehrung, wie der 3. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 23. September 1955 (3 RRJ 26/55) eingehend ausgeführt hat, nicht den Erfordernissen des § 66 Abs. 1 SGG. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an. Die verlängerte Revisionsfrist von einem Jahr, die mit der Zustellung des angefochtenen Urteils am 1. September 1954 begonnen hatte, war daher bei Eingang des Schriftsatzes vom 20. Oktober 1954, der den gemäß § 164 Abs. 2 SGG erforderlichen Revisionsantrag enthielt, noch nicht abgelaufen.
Die Revision ist auch statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1. SGG). Sie ist jedoch nur insoweit begründet, als das Landessozialgericht sie als unzulässig verworfen hat, anstatt sie als unbegründet zurückzuweisen.
V.
Mit Recht geht zunächst das Berufungsgericht davon aus, daß die Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts ... nach den bis zum Inkrafttreten des SGG in Berlin geltenden §§ 41 Abs. 3 und 45 Berliner KVG zulässig war. Ihm ist auch darin zu folgen, daß nach Inkrafttreten des SGG die weitere Zulässigkeit der Berufung sich grundsätzlich nach den Vorschriften dieses Gesetzes richtete. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1955 (10 RV 15/54) eingehend dargelegt hat, finden beim Übergang rechtshängiger Sachen auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach dem Inkrafttreten des SGG grundsätzlich die Vorschriften dieses Gesetzes über die Zulässigkeit der Berufung Anwendung (so auch BSG 1 S. 62 und S. 78). Es müssen daher bei dem gemäß § 218 Abs. 6 SGG erfolgten Übergang der bisher beim Oberversorgungsgericht ... anhängig gewesenen Sache der Klägerin auf das Landessozialgericht Berlin auch die Vorschriften des SGG über die Zulässigkeit der Berufung Anwendung finden. Für Berlin sind insoweit durch den § 218 SGG keine Sondervorschriften getroffen worden (BSG 1, S. 78 und Urteil v. 20.9.1955 - 9 RV 78/54 -). Die Sonderreglung im § 218 SGG hat nicht den Sinn, daß damit abweichend von dem allgemeinen Grundsatz, wonach auf anhängige Verfahren bei Änderung der Verfahrensgesetze die neuen Vorschriften anzuwenden sind, für Berlin die bisherigen Verfahrensvorschriften maßgebend bleiben sollen. Die Einfügung des § 218 in das SGG war vielmehr deshalb erforderlich, weil die sozialgerichtlichen Instanzen festgelegt werden mußten, auf welche die bei den Berliner Verwaltungs- und Gerichtsbehörden anhängigen Sachen übergehen sollten (vgl. BSG 1, S. 78). Durch den § 224 Abs. 1 SGG in Verbindung mit dem Berliner Gesetz zur Übernahme des Sozialgerichtsgesetzes (SGG-Berliner-Übernahmegesetz) vom 20. November 1953 (GVOBl. S. 1419) wurde dagegen lediglich der Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGG in Berlin-West bestimmt. Die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGG auf anhängige Verfahren ergibt sich nicht aus dieser Bestimmung, sondern aus einem allgemeinen Verfahrensgrundsatz. Daher ist die Schlußfolgerung der Klägerin, daß deshalb, weil die Anwendbarkeit des SGG auf anhängige Verfahren sich bereits aus § 224 Abs. 1 SGG ergebe, die Regelung der Berliner Verhältnisse im § 218 SGG etwas anderes bezweckt haben müsse, unzutreffend. Auch der Hinweis der Klägerin auf die Vorschriften des § 215 Abs. 7 und 8 SGG, die im Gegensatz zu § 218 Abs. 6 SGG ausdrücklich bestimmen, daß sich die Zulässigkeit der Berufung nach dem SGG richtet, läßt eine andere Auslegung des § 218 Abs. 6 SGG nicht zu. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Oktober 1955 (10 RV 15/54) ausgeführt hat, brauchte das SGG im § 215 Abs. 3 - und dasselbe muß für § 218 Abs. 6 gelten - nicht besonders hervorzuheben, daß die neuen Verfahrensvorschriften für die Zulässigkeit der Berufung anzuwenden sind. Die alten Verfahrensvorschriften - und zu diesen gehören auch die im Berliner KVG enthaltenen und nach Inkrafttreten des BVG-Übernahmegesetzes vom 12. April 1951 (GVOBl. S. 217) zunächst noch weitergeltenden Vorschriften über das Verfahren vor dem ... Versorgungs- und Oberversorgungsgericht - waren nämlich durch § 224 Abs. 3 aufgehoben, und damit konnten überhaupt nur noch die neuen Verfahrensvorschriften Anwendung finden. Dagegen mußte das Gesetz beim Übergang der bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten anhängig gewesenen Sachen auf die Anwendung der Vorschriften des SGG über die Zulässigkeit der Berufung hinweisen, weil die für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltenden Vorschriften auch nach dem Inkrafttreten des SGG noch allgemein weiterhin Geltung behielten. Im § 214 Abs. 4 SGG war ein Hinweis auf die §§ 143 bis 159 SGG aber deshalb erforderlich, um damit klarzustellen, daß diese Rekurse nicht den engen Beschränkungen des § 214 Abs. 1 SGG unterliegen sollten, welche Annahme ohne diesen Hinweis nahegelegen hätte. Nachdem das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung für die Übergangsfälle des § 215 Abs. 3 SGG entschieden hat, daß sie als Berufungen auf die nunmehr zuständigen Landessozialgerichte übergegangen sind und daß sich die Zulässigkeit dieser Berufungen nach den Vorschriften des SGG richtet, muß dieser Grundsatz auch bei dem für Berlin geltenden entsprechenden § 218 Abs. 6 Anwendung finden (BSG 1 S. 78 (81). Es besteht kein Grund, dieser Vorschrift eine andere Auslegung zu geben. Vielmehr verlangt der erkennbare Wille des Gesetzgebers, alle gleichgelagerten Fälle beim Inkrafttreten des SGG auch gleich zu behandeln, nämlich so, daß in den noch rechtshängigen Sachen sich die Zulässigkeit der Berufung gegen erstinstanzliche Entscheidungen nach den Vorschriften des SGG richtet, gleichgültig ob es sich um Berufungen gegen Urteile der Oberversicherungsämter des Landes Bayern und des früheren Landes Württemberg-Baden (§ 215 Nr. 3 SGG), um Berufungen gegen Entscheidungen der sonstigen Oberversicherungsämter und Versorgungsgerichte in der Bundesrepublik (§ 214 Abs. 4 Satz 1 SGG), um Berufungen in den von den allgemeinen Verwaltungsgerichten übergegangenen Sachen (§ 215 Abs. 6 und Abs. 7) oder um Berufungen gegen erstinstanzliche Berliner Entscheidungen handelt (§ 218 Abs. 6 SGG). Finden demnach auch bei der als Berufung vom Oberversorgungsgericht ... auf das Landessozialgericht Berlin gemäß § 218 Abs. 6 SGG übergegangenen Sache der Klägerin die Vorschriften des SGG über die Zulässigkeit der Berufung Anwendung, so war die Berufung der Klägerin gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unzulässig, da es sich bei dem Anspruch der Klägerin auf Heiratsabfindung, wie das Landessozialgericht dazu richtig ausführt, um einen Anspruch auf eine einmalige Leistung handelt.
VI.
Gegen das Urteil des Versorgungsgerichts ... war auch nicht, wie die Klägerin ausführt, die Berufung besonders zugelassen worden. Nach der bei Erlaß dieses Urteils in West-Berlin geltenden Vorschrift des § 41 Abs. 3 Berliner KVG war die Berufung gegen Urteile des Versorgungsgerichts stets zulässig. Ausgenommen war sie nur in den im § 45 Abs. 2 Berliner KVG erwähnten Fällen, zu denen aber Entscheidungen über Ansprüche auf einmalige Leistungen oder Heiratsabfindungen nicht gehören. In diesen in § 45 Abs. 2 Berliner KVG aufgeführten Fällen konnte das Versorgungsgericht bei grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zulassen. Da aber bei der von der Klägerin geltend gemachten Heiratsabfindung die Berufung nicht ausgeschlossen war, lag für das Versorgungsgericht keine Veranlassung vor, die Berufung besonders zuzulassen. Abgesehen davon hatte das Versorgungsgericht dadurch, daß es sagte, das Urteil könne gemäß "§ 41 Abs. 3 Berliner KVG" mit der Berufung angefochten werden, klar zum Ausdruck gebracht, daß es damit nur eine Rechtsmittelbelehrung geben, nicht aber eine besondere Zulassung aussprechen wollte. Einmal lag dazu keine Veranlassung vor, zum anderen wäre dann ein Hinweis auf § 45 Abs. 2 anstatt auf § 41 Abs. 3 Berliner KVG erforderlich gewesen. Es kann daher in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob eine vom Versorgungsgericht ausgesprochene besondere Zulassung einer gemäß § 150 Nr. 1 SGG ausgesprochenen Zulassung für die Übergangsfälle gleichgesetzt werden kann, da im Falle der Klägerin eine solche besondere Zulassung nicht ausgesprochen war.
VII.
Obwohl die Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts Berlin nicht besonders zugelassen war, hätte das Landessozialgericht sie jedoch wie eine gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassene behandeln müssen. Die Kriegsopfersenate des Bundessozialgerichts haben in übereinstimmender Rechtsprechung den Grundsatz ausgesprochen, daß in Übergangsfällen die Berufung dann zulässig ist, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Berufung in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen gewesen wäre (BSG 1, S. 62 und S. 78 und Urteile vom 20.9.1955 - 9 RV 78/54 - und vom 20.10.1955 - 10 RV 15/55 -). Dieser Grundsatz kann für Berufungen gegen Entscheidungen des Versorgungsgerichts ... keine Ausnahme finden, auch wenn für das Versorgungsgericht ... gemäß § 45 Abs. 2 des Berliner KVG die Möglichkeit bestand, in gewissen Fällen die Berufung besonders zuzulassen. Einmal war die besondere Zulassung nach dem Berliner KVG allein auf Fälle grundsätzlicher Bedeutung beschränkt im Gegensatz zu § 150 Nr. 1 SGG, der daneben auch die besondere Zulassung bei abweichender Entscheidung von einer Entscheidung der übergeordneten Instanz kennt. Zum anderen war die besondere Zulassung gemäß § 45 Abs. 2 Berliner KVG auf die dort erwähnten Fälle an sich unzulässiger Berufungen beschränkt, die nicht die gleichen sind wie die in den §§ 144, 148, 149 SGG aufgezählten Fälle unzulässiger Berufungen, soweit es sich um Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung handelt. Unter diesen Fällen sei nur beispielsweise der Anspruch der Klägerin auf Heiratsabfindung erwähnt, der wohl eine besondere Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, nicht aber gemäß § 45 Abs. 2 Berliner KVG ermöglicht hätte. Abgesehen aber von diesen Erwägungen, die die Verschiedenheit der einzelnen Zulassungsfälle betreffen, besteht ein grundsätzlicher allgemeiner Unterschied für die besondere Zulassung zwischen § 45 Abs. 2 Berliner KVG und § 150 Nr. 1 SGG selbst für die Fälle, in denen nach beiden Vorschriften die an sich unzulässige Berufung nur kraft besonderen Ausspruchs hätte zugelassen werden können. Während nach § 45 Abs. 2 Berliner KVG die Berufung zugelassen werden "kann", "ist" sie nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen. Während also in den Berliner Fällen die Zulassung der Berufung in das freie Ermessen des Versorgungsgerichts gestellt war, hätte ein Sozialgericht bei gleicher Voraussetzung die Berufung zulassen müssen. Selbst wenn das Versorgungsgericht daher eine an sich unzulässige Berufung nicht zugelassen hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß es der Sache keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat, weil es selbst bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Berufung nicht zuzulassen brauchte. Deshalb ist trotz der Nichtzulassung der Berufung durch das ... Versorgungsgericht in Übergangsfällen immer eine nochmalige Prüfung durch das Landessozialgericht erforderlich, ob nicht ein Sozialgericht die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG hätte zulassen müssen. Dieser von den Kriegsopfersenaten des Bundessozialgerichts entwickelte Grundsatz erleidet für das Landessozialgericht Berlin in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung keine Ausnahme, obwohl auch das frühere Berliner Verfahrensrecht in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung eine besondere Zulassung der Berufung kannte.
VIII.
Diese Prüfung hat das Landessozialgericht nicht vorgenommen. Es hätte sonst zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Rechtsstreit der Klägerin grundsätzliche Bedeutung hatte und die Berufung daher als zugelassen zu behandeln war. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache stets dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, daß die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder daß für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt. Ob allein die wirtschaftliche Bedeutung einer Rechtssache es rechtfertigt, ihr grundsätzliche Bedeutung beizumessen, kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da hier bereits die Klärung der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung erheischt, ob eine Heiratsabfindung gewährt werden kann, wenn diese zwar innerhalb der Jahresfrist nach der Wiederverheiratung beantragt worden ist, die Wiederverheiratung jedoch bereits vor dem 11. August 1952 stattgefunden hat. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Entscheidung ergibt sich dabei sowohl im Hinblick auf die Einheit der Rechtsentwicklung bei der Auslegung des § 44 BVG in der Fassung der zweiten Novelle als auch im Hinblick auf die Vielzahl der in gleichgelagerten Fällen zu treffenden Entscheidungen.
Daran ändert der Umstand nichts, daß inzwischen das BSG jene Rechtsfrage entschieden hat. Die Beurteilung einer Rechtsfrage daraufhin, ob ihr grundsätzliche Bedeutung zukommt oder nicht, kann immer nur, jedenfalls wenn es sich um die Frage der Zulässigkeit der Berufung handelt, nach dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung beurteilt werden. Das ist für den Normalfall des § 150 Nr. 1 SGG, in welchem zugleich mit der Entscheidung des Rechtsstreits auch über die Frage der Zulässigkeit der Berufung zu befinden ist, gar nicht anders möglich und darf bei der Prüfung des Landessozialgerichts in Übergangsfällen, ob der Vorderrichter die Berufung hätte zulassen müssen, nicht anders beurteilt werden. Die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Zulässigkeit der Berufung und insbesondere die entsprechende Anwendbarkeit des § 150 Nr. 1 SGG in Übergangsfällen verlangt, daß auch hierbei die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung beurteilt werden muß, da anderenfalls der § 150 Nr. 1 SGG unterschiedlich angewendet werden würde, je nachdem ob er im Berufungsverfahren gegen Urteile der Sozialgerichte oder im Berufungsverfahren in Übergangsfällen entsprechend angewendet werden würde. Nach den erwähnten Entscheidungen des Bundessozialgerichts soll aber der Rechtsmittelkläger durch die Anwendung der Vorschriften über die Zulässigkeit der Berufung in Übergangsfällen dieselbe Rechtsstellung erhalten wie der Berufungskläger im Verfahren gegen Urteile der Sozialgerichte. Das Landessozialgericht hätte daher prüfen müssen, ob die Rechtssache der Klägerin im Augenblick der Entscheidung durch das Versorgungsgericht ... am 26. Oktober 1953 grundsätzliche Bedeutung hatte. Das traf deshalb zu, weil kurz vor der Entscheidung der § 44 BVG durch Artikel 1 Nr. 17 des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862) - in Berlin in Kraft getreten durch das entsprechende Übernahmegesetz vom 18. September 1953 (GVOBl. für Berlin, S. 1127 - geändert worden war. Nunmehr konnte, abweichend von den bisherigen Vorschriften, die wiederverheiratete Witwe unabhängig von einer vorherigen Geltendmachung eines Witwenrentenanspruchs den Antrag auf Heiratsabfindung noch innerhalb eines Jahres nach der Wiederverheiratung stellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Versorgungsgerichts hatte die Entscheidung somit grundsätzliche Bedeutung, und das Landessozialgericht hätte demnach die Berufung der Klägerin wie eine gem. § 150 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung behandeln müssen. Es hat daher zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen. Auf die entsprechende Rüge der Klägerin mußte das angefochtene Urteil daher insoweit aufgehoben werden.
IX.
Dem Senat erschien es aber nicht tunlich, die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG), da der Sachverhalt, auf den es für die Entscheidung der Klage auf Heiratsabfindung ankommt, feststeht. Die Klägerin lebte bis zu ihrer Wiederverheiratung am 19. Juni 1952 im Ostsektor Berlins und beantragte am 11. August 1952 die Heiratsabfindung. Der § 44 BVG findet in solchen Fällen nicht in der Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes zum BVG Anwendung. Wie der 9. Senat in seinem Urteil vom 24. August 1955 - 9 RV 184/55 - ausgeführt hat, müssen nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen, die das Gesetz für die Entstehung eines Rechtsanspruchs aufstellt, während der zeitlichen Geltungsdauer des Gesetzes verwirklicht sein. Daher müßte, um den § 44 BVG in seiner neuen Fassung anwenden zu können, der zur Gewährung der Heiratsabfindung erforderliche Antrag im zeitlichen Geltungsbereich des Zweiten Änderungsgesetzes gestellt sein, und damit müßte die bis zu einem Jahr zurückliegende Wiederverheiratung frühestens am 11. August 1952 erfolgt sein. Dies ist auch, wie der 9. Senat in dem erwähnten Urteil ausführt, der Wille des Gesetzgebers bei Erlaß des Zweiten Änderungsgesetzes zum BVG gewesen. Da die Klägerin sich aber bereits am 19. Juni 1952 wieder verheiratet hat, ist der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Heiratsabfindung nicht nach der Vorschrift des § 44 BVG in der durch das Zweite Änderungsgesetz geschaffenen Fassung zu beurteilen, sondern in der zur Zeit ihrer Wiederverheiratung gültigen alten Fassung vom 20. Dezember 1950 (vgl. auch Urteil vom 20.9.1955 - 9 RV 78/54 -). Bei Anwendung des § 44 BVG in seiner ursprünglichen Fassung hat die Klägerin aber keinen Anspruch auf Heiratsabfindung. In Übereinstimmung mit der im Schrifttum und in der Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts erfolgten Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 RVG, des Vorläufers des § 44 BVG, sowie in Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die das frühere Reichsversicherungsamt für den Abfindungsanspruch der rentenberechtigten Witwe bei ihrer Wiederheirat aufgestellt hat, ist auch für § 44 BVG in der alten Fassung zu fordern, daß der Witwe zur Zeit der Wiederverheiratung ein Anspruch auf Witwenrente zustand. Der Anspruch auf Heiratsabfindung ist, jedenfalls nach der alten Fassung des § 44 BVG, kein selbständiger, sondern ein von einem bestehenden Witwenrentenanspruch abhängiger Anspruch, der durch die Heiratsabfindung abgelöst werden kann. Die Klägerin hatte aber bei ihrer Wiederverheiratung keinen Witwenrentenanspruch im Sinne des § 38 BVG. In diesem Zusammenhang kann die Frage, ob Voraussetzung für das Bestehen des Witwenrentenanspruchs die Stellung eines Antrages ist, dahingestellt bleiben. Selbst wenn das Bestehen des Witwenrentenanspruchs unabhängig von der Antragstellung wäre, würde die Klägerin bis zu ihrer Wiederverheiratung allein schon deswegen keinen Anspruch gehabt haben, weil sie bis dahin ihren ständigen Aufenthalt und Wohnsitz im Ostsektor Berlins hatte. Sie gehörte deshalb nicht zu dem Personenkreise, auf den das Bundesversorgungsgesetz gemäß seinem § 7 anzuwenden ist. Erst durch die Heirat mit ihrem in West-Berlin wohnenden Ehemann erwarb sie einen Wohnsitz gemäß § 10 BGB im Lande Berlin und fiel nunmehr unter § 7 Abs. 1 BVG. Vor ihrer Wiederverheiratung hatte sie noch keinen Witwenrentenanspruch, der bei ihrer Wiederheirat durch eine Heiratsabfindung hätte abgelöst werden können.
Ist aber Voraussetzung für die Entstehung des Witwenrentenanspruchs die Stellung eines Antrages, so konnte auf Grund des Antrages der Klägerin vom 11. August 1952 deren Rentenanspruch gemäß § 61 Abs. 2 BVG frühestens mit dem 1. August 1952 entstehen. In diesem Zeitpunkt war sie jedoch nicht mehr Witwe des ersten Ehemannes und konnte keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG in Verbindung mit § 1 Abs. 5 BVG erwerben.
X.
Da die Klägerin sonach bei ihrer Wiederverheiratung in keinem Falle einen Witwenrentenanspruch hatte, entfällt auch ein Anspruch auf Heiratsabfindung, der im zeitlichen Geltungsbereich des § 44 BVG alter Fassung das Bestehen eines Witwenrentenanspruchs im Augenblick der Wiederverheiratung voraussetzte. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts ... das ihren Heiratsabfindungsanspruch ebenfalls abgelehnt hatte, mußte daher zurückgewiesen werden.
Es war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG, wie geschehen, zu erkennen.
Fundstellen