Leitsatz (amtlich)
Die bei Inkrafttreten des GKAR bestehenden Gesamtverträge über die kassenärztliche Versorgung sind in vollem Umfange, auch soweit sie in Widerspruch zu neuem Recht stehen, in Kraft geblieben, bis sie durch die nach neuem Recht (RVO § 368g) abzuschließenden Verträge ersetzt worden sind.
Normenkette
RVO § 368g Abs. 2 Fassung: 1955-08-20, Abs. 3 Fassung: 1955-08-20; KARG Art. 4 § 12 Fassung: 1955-08-17
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 1963 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. September 1962 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Kassenärztliche Vereinigung E, die Rechtsvorgängerin der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), und die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) haben am 31. August 1932 einen Gesamtvertrag über die kassenärztliche Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen geschlossen. § 4 Abs. 2 dieses Vertrags bestimmt:
"Die ärztlichen Sachleistungen sind im Pauschale nicht einbegriffen. Der Anteil an den einzelnen Arten der Sachleistungen, die bisher von Kassenärzten ausgeführt wurden, darf nicht vermindert werden (s. § 25, 2 VO). Die ärztlichen Sachleistungen werden nach Anordnung der Kasse in dem Eigenbetriebe der Krankenkasse, einem Krankenhaus oder durch einen von der Kasse bestimmten Arzt ausgeführt. Alle Leistungen dieser Art bedürfen vor ihrer Ausführung der Genehmigung der Kasse (§ 10)."
Die klagende KÄV ist der Auffassung, daß diese Bestimmung in Widerspruch zu der in § 368 d Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgesehenen freien Arztwahl stehe und daher mit Inkrafttreten dieser Vorschrift - 20. August 1955 (vgl. Art. 4 § 1 des Gesetzes über Kassenarztrecht - GKAR -) - weggefallen sei. Wenn sie auch den Gesamtvertrag im Jahre 1958 gekündigt habe, so habe sie gleichwohl ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags, weil die jahrelangen Verhandlungen der Vertragsparteien bisher gescheitert seien und der gekündigte Gesamtvertrag nach § 368 h Abs. 2 Satz 4 RVO weitergelte.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) hat sie beantragt,
festzustellen, daß § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags vom 31. August 1932 nichtig sei.
Die beklagte AOK hat um
Klageabweisung
gebeten. Sie verneint das rechtliche Interesse der Klägerin an der Feststellung, weil noch die Möglichkeit der Einigung bestehe. In der Sache selbst ist sie der Auffassung, daß § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags weiterhin gültig sei, weil § 368 d Abs. 1 Satz 3 RVO den Grundsatz der freien Arztwahl zugunsten der Eigeneinrichtungen der Krankenkassen einschränke.
Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 20. September 1962).
Gegen dieses Urteil hat die beklagte AOK Berufung eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, daß die klagende KÄV kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung habe, weil der Gesamtvertrag bereits gekündigt worden sei und nach § 368 h Abs. 2 RVO mangels Einigung der Parteien das Schiedsamt einen neuen Vertrag festzusetzen habe. Zu Unrecht habe das SG den Satz 3 des § 368 d Abs. 1 RVO als eine Ergänzung, nicht als eine Einschränkung des Satzes 1 der genannten Vorschrift angesehen. Auch die für den vorliegenden Gesamtvertrag maßgebende Vertragsordnung idF vom 5. April 1933 - Vertragsordnung 1933 - (AN S. 169) habe bereits den Grundsatz der freien Arztwahl (§ 12) enthalten und trotzdem eine vertragliche Regelung über die Inanspruchnahme von Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, wie sie § 4 Abs. 2 des vorliegenden Gesamtvertrags enthalte, nicht nur für zulässig gehalten, sondern gefordert (§ 25 Abs. 2). Das GKAR habe in dieser Hinsicht, wie auch die Vorgeschichte zeige, nichts ändern wollen. Im übrigen laufe ein gekündigter Vertrag in der Form, wie er abgeschlossen sei, bis zur Entscheidung des Schiedsamts weiter (§ 368 h Abs. 2 Satz 4 RVO).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der beklagten AOK zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 3. September 1963). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die klagende KÄV habe ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung, weil der Gesamtvertrag auch nach seiner Kündigung noch fortgelte (§ 368 h Abs. 2 Satz 4 RVO) und Kassenärzte sowie die klagende KÄV wissen müßten, in welcher Gestalt der Vertrag anzuwenden sei - § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags sei wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der freien Arztwahl (§ 368 d Abs. 1 Satz 1 RVO) nichtig. Satz 3 des § 368 d Abs. 1 RVO gebe den Vertragsparteien nur die Möglichkeit, unter Wahrung des Grundsatzes der freien Arztwahl vertragliche Abmachungen über die Inanspruchnahme von Eigeneinrichtungen der Krankenkassen zu treffen.
Gegen dieses Urteil hat die beklagte AOK Revision eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG vom 20. September 1962 die Klage abzuweisen.
Sie rügt, daß das LSG nur die Übereinstimmung des § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags mit dem Grundsatz der freien Arztwahl geprüft, aber nicht zutreffend gewürdigt habe, daß § 368 d Abs. 1 Satz 3 RVO die Inanspruchnahme der Eigeneinrichtungen der Krankenkassen von den hierüber abgeschlossenen Verträgen abhängig gemacht habe. Überhaupt nicht in Betracht gezogen habe das LSG Art. 4 § 12 GKAR, wonach die geltenden Verträge in Kraft bleiben. Daß der Gesetzgeber hiermit die bestehenden Verträge in vollem Umfange gemeint habe, auch soweit sie nach neuem Recht abänderungsbedürftig gewesen seien, zeige ein Vergleich mit Art. 4 § 13 GKAR, wonach die dort genannten Bestimmungen und Richtlinien nur in Kraft bleiben, "soweit sie nicht durch die Vorschriften dieses Gesetzes überholt sind oder ihnen entgegenstehen". Nach der Kündigung des Gesamtvertrags durch die klagende KÄV ergebe sich die vorläufige Weitergeltung des Gesamtvertrags - nämlich bis zur Ersetzung durch einen neuen, notfalls vom Schiedsamt festzusetzenden Gesamtvertrag - aus § 368 h Abs. 2 Satz 4 RVO. Daraus folge auch, daß die klagende KÄV kein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung habe. Im übrigen fehle es auch deshalb am Rechtsschutzinteresse der Klägerin, weil das Recht der freien Arztwahl ein persönliches, nicht übertragbares Recht der Versicherten sei. Die Klägerin verfolge demnach mit ihrer Klage fremde Rechtsinteressen, ohne dafür eine Prozeßführungsbefugnis zu besitzen.
Die klagende KÄV hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung gelten mit Inkrafttreten des GKAR die bestehenden Verträge nur insoweit weiter, als sie nicht gegen zwingende Vorschriften des neuen Rechts verstoßen. Hierzu gehöre der in § 368 d Abs. 1 Satz 1 RVO zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der freien Arztwahl. Dieser Grundsatz habe im GKAR gegenüber der Vertragsordnung 1933, die ihn zwar auch enthalten habe (§ 12), dadurch an Gewicht gewonnen, daß die in Eigeneinrichtungen von Krankenkassen erbrachten ärztlichen Sachleistungen, die nach der Vertragsordnung 1933 (§ 10 Abs. 2) nur mit Zustimmung den Krankenkasse dem Gesamtvertrag unterlagen, nach neuem Recht Gegenstand des Gesamtvertrags seien. Auch würde eine Lenkungs- und Weisungsbefugnis der Krankenkasse bei den ärztlichen Sachleistungen in Widerspruch zu den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1960 über die unbeschränkte Zulassung niedergelassener Ärzte stehen. Dieses Recht wäre z. B. für einen Facharzt für Röntgenologie illusorisch, wenn es eine Krankenkasse in der Hand hätte, ihm die Patienten zuzuteilen.
Die Revision der beklagten AOK ist begründet.
Allerdings ergibt sich die Abweisung der Klage nicht bereits aus ihrer Unzulässigkeit. Zu Unrecht nimmt insoweit die beklagte AOK an, es liege kein berechtigtes Interesse der klagenden KÄV an der von ihr begehrten Feststellung der Nichtigkeit des § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags vor (vgl. § 55 Abs. 1 SGG). Bei dem vorliegenden Gesamtvertrag ist zwischen den Beteiligten strittig geworden, ob § 4 Abs. 2 noch gilt. Diese Bestimmung ist von unmittelbarer, einschneidender Bedeutung für die klagende KÄV und ihre Mitglieder. Ihre tägliche Praxis wird aufs stärkste davon berührt, ob die ärztlichen Sachleistungen "nach Anordnung der Kasse in dem Eigenbetriebe der Krankenkasse, einem Krankenhaus oder durch einen von der Kasse bestimmten Arzt ausgeführt" (§ 4 Abs. 2 Satz 3 des Gesamtvertrags) werden oder ob die Kassenärzte die Sachleistungen ohne diese Einschränkung erbringen können. Daß die umstrittene Bestimmung Teil eines gekündigten und somit auslaufenden Gesamtvertrags ist, ändert nichts daran, daß diese Bestimmung, wenn und solange sie noch besteht, für die Beteiligten und ihre beiderseitigen Mitgliedergruppen verbindlich ist, worauf gerade die beklagte AOK mit Nachdruck hinweist. Deshalb hat die klagende KÄV - als die berufene Sachwalterin zur Wahrnehmung der Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen (§ 368 n Abs. 1 Satz 2 RVO) - ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, ob § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags noch gültig ist. Ihre Feststellungsklage ist zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Beide Vorinstanzen haben allein geprüft, ob § 4 Abs. 2 des Gesamtvertrags mit § 368 d RVO idF des GKAR vereinbar ist. Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen. Mit Recht weist die beklagte AOK auf Art. 4 § 12 Satz 1 GKAR hin, wonach die bei Inkrafttreten des GKAR - 20. August 1955 (vgl. Art. 4 § 1 GKAR) - zwischen den bestehenden Vereinigungen der Kassenärzte und den Krankenkassen geltenden Verträge über die kassenärztliche Versorgung in Kraft bleiben. Diese Vorschrift dient der "Erhaltung des status quo" (Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Stand: Augst 1961, Art. 4 § 12 GKAR, Anm. I; vgl. daselbst auch die Vorgeschichte der Vorschrift). Die auf dem Gebiet des Vertragsrechts bestehenden Regelungen sollten in vollem Umfange weiterhin gültig bleiben, bis sie durch die nach neuem Recht (§ 368 g) abzuschließenden Verträge ersetzt worden sind.
Dieser Zweck des Gesetzes ist sowohl nach der Fassung der Vorschrift als auch nach ihrem Zusammenhang klar erkennbar. Art. 4 § 12 GKAR bestimmt in Satz 1 ohne Einschränkung die Weitergeltung der bei Inkrafttreten des GKAR geltenden Verträge und sieht in Satz 2 als einzige Änderung dieses Vertragswerks vor, daß die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihrer Errichtung entsprechend ihrer Zuständigkeit nach § 368 g Abs. 2 und 3 RVO in die Verträge eintreten. Ferner zeigt die dem Art. 4 § 12 GKAR folgende Vorschrift - die eine dem § 12 entsprechende Übergangsregelung für die Weitergeltung der Bestimmungen und Richtlinien des früheren Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen sowie der vom früheren Reichsarbeitsminister an Stelle des Reichsausschusses erlassenen Bestimmungen enthält -, daß das GKAR deutlich bei seinen Übergangsregelungen unterscheidet, ob die Weitergeltung uneingeschränkt oder nach Maßgabe des neuen Rechts eingeschränkt bestimmt ist; denn nach Art. 4 § 13 GKAR bleiben die genannten Bestimmungen und Richtlinien nur in Kraft, "soweit sie nicht durch die Vorschriften dieses Gesetzes überholt sind oder ihnen entgegenstehen". Eine solche Einschränkung fehlt aber bei Art. 4 § 12 GKAR.
Diese Vorschrift kann aber auch nach ihrem Sinngehalt nur dahin verstanden werden, daß die bei Inkrafttreten des GKAR bestehenden Verträge bis zu ihrer Ersetzung durch neue Verträge in vollem Umfange in Kraft bleiben sollten. Ein Gesamtvertrag ist ein komplexes Vertragswerk, das - nur an wenige gesetzliche Rahmenvorschriften gebunden - von den Beteiligten als Ausfluß ihrer gemeinsamen Selbstverwaltung frei vereinbart, notfalls an deren Stelle, falls diese sich nicht einigen, vom Landesschiedsamt (vgl. § 368 h i. V. m. §§ 368 g Abs. 2, 368 i Abs. 4 RVO) in gleicher Entscheidungsfreiheit festgesetzt wird (vgl. dazu BSG 20, 73, 76 ff). Seine Einzelregelungen sind vielfach aufeinander bezogen und voneinander abhängig, so daß Änderungen eines bestimmten Vertragspunkts häufig nicht ohne entsprechende Anpassungen bei anderen Regelungen des Vertrags möglich sind. Das zeigt sich gerade bei der Vertragsabrede über die ärztlichen Sachleistungen, die die Vertragsordnung 1933 unter mehreren Gesichtspunkten als regelungsbedürftig ansieht, nämlich Zustimmung der Kasse (des Kassenverbandes) für die Einbeziehung bestimmter ärztlicher Sachleistungen in den Gesamtvertrag (§ 10 Abs. 2 Satz 1), Herausnahme bestimmter ärztlicher Sachleistungen aus der Gesamtvergütung (§ 25 Abs. 2 Satz 1), Festsetzung des Anteils der von Kassenärzten auszuführenden ärztlichen Sachleistungen unter Wahrung des Besitzstands (§ 25 Abs. 2 Sätze 2 und 3).
§ 4 Abs. 2 des vorliegenden Gesamtvertrags regelt die vorstehend aufgeworfenen Fragen. Hiernach sind die ärztlichen Sachleistungen nicht in die Gesamtvergütung einbezogen; die beklagte AOK entscheidet darüber, ob und durch wen ärztliche Sachleistungen auszuführen sind, und hat dabei zu beachten, daß der Anteil an den einzelnen Arten von Sachleistungen, die bisher von Kassenärzten ausgeführt wurden, nicht vermindert werden darf.
Will man nun diese in engem, innerem Zusammenhang stehenden Bestimmungen dem durch das GKAR geschaffenen neuen Recht anpassen, so zeigt sich, daß nicht nur die von der klagenden KÄV geforderte Änderung der Anordnungsbefugnis der beklagten AOK bei ärztlichen Sachleistungen durchzuführen ist. Vielmehr müssen dabei die Auswirkungen auf die Gesamtvergütung berücksichtigt werden: Während nach § 4 Abs. 2 des Gesamtvortrags die ärztlichen Sachleistungen schlechthin nicht im Pauschale der Gesamtvergütung einbegriffen sind, werden die ärztlichen Sachleistungen nach neuem Recht (vgl. § 368 f Abs. 1 Satz 1 RVO) und vorher schon die Vereinbarung über die Einbeziehung der ärztlichen Sachleistungen in die kassenärztliche Gesamtvergütung vom 22. November 1944; siehe auch § 31 Abs. 3 Nr. 3 des Bundesmantelvertrags - Ärzte) grundsätzlich in die Gesamtvergütung einbezogen; jedoch können und sollen in der Regel ärztliche Sachleistungen, die in Eigeneinrichtungen der Krankenkassen ausgeführt werden, nicht in die Gesamtvergütung einbezogen werden (vgl. § 368 f Abs. 4 Sätze 1 und 2 RVO). Demnach hängt die Festsetzung einer angemessenen Gesamtvergütung auch davon ab, daß der Anteil der - aus der Gesamtvergütung herauszunehmenden - ärztlichen Sachleistungen, die in Eigeneinrichtungen der Krankenkassen ausgeführt werden, übersehbar ist.
Noch deutlicher zeigt sich das Bedürfnis nach einer lenkenden Regelung bei der Inanspruchnahme von Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, wenn deren Besitzstand nach dem "tatsächlichen Umfang des Jahres 1958" (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 2 des Bundesmantelvertrags - Ärzte - in Entsprechung zu der umgekehrt den Interessen der Kassenärzte Rechnung tragenden Regelung, daß Zahl und Umfang der Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nur auf Grund vertraglicher Vereinbarung vermehrt werden dürfen (§ 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO) - gewahrt werden soll. Wie immer auch eine solche Regelung aussähe, die sowohl das gegenüber den Verhältnissen von 1933 gesteigerte Bedürfnis der Versicherten nach einer wirklich freien Arztwahl als auch die auf Wahrung ihres Besitzstands bei den ärztlichen Sachleistungen gerichteten Interessen der Kassenärzte und der Krankenkassen zu berücksichtigen hätte, so liegt jedenfalls ihre Gestaltung in erster Linie bei der gemeinsamen Selbstverwaltung der Krankenkassen und Kassenärzte (vgl. dazu BSG 20, 73, 84). Erst ein neuer "Gesamtvertrag", der die durch das neue Recht aufgeworfenen Fragen in ihrer Gesamtheit regelt und die Teilregelungen aufeinander abstimmt, ist somit geeignet, die bestehende vertragliche Regelung abzulösen. Eine Vorwegnahme von Einzelregelungen müßte zu inneren Widersprüchen führen. Deshalb ist Art. 4 § 12 GKAR auch vollauf von der Sache her begründet, wenn er die bei Inkrafttreten des GKAR bestehenden Gesamtverträge bis zu ihrer Ersetzung durch neue Verträge in vollem Umfange in Kraft bleiben läßt (ebenso Jantz/Prange aaO Art. 4 § 12 GKAR, Anm. 1; Heinemann/Diebold, Kassenarztrecht, Art. 4 § 12 GKAR, Vorbemerkung zu §§ 12 und 13).
Den Bedenken dagegen, daß Verträge noch fortdauern, obwohl sie inhaltlich mit dem neuen Recht nicht übereinstimmen, ist dadurch Rechnung getragen, daß sie von den Beteiligten, insbesondere auch von den neu gebildeten Kassenärztlichen Vereinigungen nach ihrer Konstituierung (vgl. Art. 4 § 12 Satz 2 GKAR), zu den in den Verträgen vorgesehenen Zeitpunkten - beim vorliegenden Gesamtvertrag zum Ende des Kalenderjahres - gekündigt werden können. Das ist hier auch seitens der klagenden KÄV geschehen, zunächst im Jahre 1958 und erneut im Jahre 1961, nachdem die Beteiligten anscheinend die erste Kündigung auf Gegenvorstellungen der beklagten AOK hin als gegenstandslos angesehen hatten. Damit hätte der vorliegende Gesamtvertrag mit Wirkung vom 1. Januar 1962 durch einen von den Beteiligten neu vereinbarten Gesamtvertrag ersetzt werden können. Mangels einer solchen Einigung hätte das Schiedsamt den Vertragsinhalt festsetzen müssen, und zwar innerhalb einer Ordnungsfrist von drei Monaten nach Ablauf des Vertrags (§ 368 h Abs. 2 Satz 2 RVO, vgl. dazu BSG 20, 73, 79). Das ist hier nicht geschehen. Dessen ungeachtet ist der vorliegende Gesamtvertrag nach § 368 h Abs. 2 Satz 4 RVO sowohl über den 31. Dezember 1961 hinaus als auch nach Ablauf der genannten Frist von drei Monaten vorläufig weiter in Kraft geblieben (BSG aaO S. 79). Er bleibt es einschließlich seines § 4 Abs. 2, bis er durch einen neuen Gesamtvertrag abgelöst wird, den das zuständige Landesschiedsamt nach Lage der Dinge unverzüglich festzusetzen hätte, falls sich die Beteiligten nicht vorher einigen.
Demnach ist die Feststellungsklage der KÄV unbegründet.
Fundstellen