Leitsatz (amtlich)
Laufende monatliche Abschlagszahlungen auf eine den Beschäftigten eines Betriebes gewährte jährliche "Arbeitserfolgs- und Treueprämie" sind keine einmaligen Zuwendungen iS des RVO § 182 Abs 5 S 2 und deshalb bei der Berechnung des Regellohns zu berücksichtigen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Entscheidend für die Zuordnung einer Zuwendung zu den laufenden oder zu den einmaligen Bezügen ist nicht die Rechtsnatur der Zuwendung "als solche", etwa ihr besonderer Charakter als "Jahresprämie", sondern nur die vertrags- oder gewohnheitsmäßig festgelegte Art ihrer Zahlung.
2. Als einmalige Zuwendungen, die bei der Berechnung des Regellohnes außer Ansatz bleiben, sind nur solche Zuwendungen anzusehen, die auch nach der Art der tatsächlichen Zahlung die Merkmale einer einmaligen, dh nicht laufenden Leistung aufweisen.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 5 S. 2 Fassung: 1961-07-12, § 160 Fassung: 1941-07-01
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 1966, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. April 1964 und der Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 1963 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1963 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, das dem Kläger für die Zeit vom 29. November 1962 bis zum 15. Dezember 1963 zustehende Krankengeld unter Berücksichtigung der an ihn in dem maßgeblichen Abrechnungszeitraum auf die Arbeitserfolgs- und Treueprämie gezahlten Teilbeträge zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 29. November 1962 bis zum 15. Dezember 1963 zustehenden Krankengeldes.
Die Arbeitgeberin des Klägers (D A.G.) zahlt den bei ihr Beschäftigten seit 1950 eine sog. Arbeitserfolgs- und Treueprämie, deren Höhe sich nach der an die Aktionäre ausgeschütteten Dividende und dem Jahresbruttoverdienst der Beschäftigten richtet. Über ihre Gewährung entscheidet der Vorstand der Arbeitgeberin jeweils nach Aufstellung des Jahresabschlusses für das vergangene Geschäftsjahr. Bis 1955 wurde die Prämie allen Beschäftigten nach Ablauf des Geschäftsjahres in zwei Teilbeträgen ausgezahlt; seitdem werden den Lohnempfängern, zu denen auch der Kläger gehört, gewisse "Abschlagszahlungen" mit der Abrechnung für den jeweiligen Monat gewährt. Diese Zahlungen - sie betrugen während der hier maßgeblichen Zeit rund 5 % des monatlichen Bruttolohnes, während die Prämie für 1962 auf 12,5 % des Jahresbruttoverdienstes festgesetzt wurde - werden später nach Festsetzung der Prämie mit dieser verrechnet und können, wenn der Beschäftigte vorher ausscheidet, u.U. von ihm zurückgefordert werden.
Die beklagte Krankenkasse hat die "Abschlagszahlungen", wie die Prämie selbst, als einmalige Zuwendungen angesehen und deshalb bei der Berechnung des dem Kläger gewährten Krankengeldes nicht berücksichtigt (vgl. § 182 Abs. 5 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die dagegen erhobene Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat ausgeführt: Die Prämie sei eine einmalige Zuwendung, weil sie nach Art einer Gewinnbeteiligung nachträglich für das jeweils abgelaufene Geschäftsjahr gewährt werde und nach Grund und Höhe von der Ausschüttung einer Dividende an die Aktionäre sowie von einem Beschluß des Vorstandes der Arbeitgeberin abhängig sei, mithin nur aus besonderem Anlaß gezahlt werde. Die auf die Prämie geleisteten Abschlagszahlungen seien keiner gesonderten rechtlichen Beurteilung fähig und deshalb ebenfalls als einmalige Zuwendungen anzusehen. Ihr unselbständiger Charakter zeige sich vor allem darin, daß sie nach Abschluß des Geschäftsjahres gegen die dann erst festgesetzte Prämie aufgerechnet würden und bei vorzeitigem Ausscheiden des Beschäftigten zurückgefordert werden könnten, möge eine solche Rückforderung bisher auch selten oder gar nicht vorgekommen sein. Außerdem würden im Falle einer Berücksichtigung der Abschlagszahlungen beim Krankengeld die Gehaltsempfänger, die die Prämie weiterhin erst nach Ablauf des Geschäftsjahres erhielten, gegenüber den Lohnempfängern benachteiligt werden (Urteil vom 24. Februar 1966).
Der Kläger macht mit der zugelassenen Revision geltend, bei den genannten "Vorauszahlungen" auf die Prämie handele es sich in Wahrheit um eine versteckte Lohnerhöhung; sie gehörten daher zum laufenden Arbeitslohn, zumal von ihnen auch Beiträge entrichtet würden. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 21. April 1964 sowie des Bescheides der Beklagten vom 4. Juni 1963 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1963 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 29. November 1962 bis 15. Dezember 1963 Krankengeld unter Berücksichtigung einer Prämie von 5 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte hat bei der Berechnung des Krankengeldes für die streitige Zeit (29. November 1962 bis 15. Dezember 1963) auch die vorher vom Kläger empfangenen monatlichen Prämienzahlungen - als Bestandteile des Regellohnes (§ 182 Abs. 5 RVO) - zu berücksichtigen.
Entgegen der Ansicht des Klägers gehören diese Zahlungen allerdings nicht schon deshalb zum Regellohn, weil von ihnen auch Beiträge zu entrichten waren. Wie die Beklagte mit Recht ausgeführt hat, gilt in der Krankenversicherung für die Entrichtung der Beiträge und die Gewährung der Barleistungen nicht notwendig die gleiche Bemessungsgrundlage (vgl. §§ 180 Abs. 1 Satz 1, 182 Abs. 4, 385 Abs. 1 Satz 2 RVO), auch wenn die verschiedenen Bemessungsvorschriften von einem gemeinsamen Entgeltbegriff ausgehen (vgl. § 160 RVO).
Daß die fraglichen Bezüge Arbeitsentgelt waren, hat das LSG unter Hinweis auf ihre Lohnsteuerpflicht zutreffend dargelegt (vgl. § 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 22. Juli 1959, BGBl I S. 477, in Verbindung mit Abschnitt 1 des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944, AN S. 281). Daß die Bezüge - entgegen der Auffassung des LSG - auch Teile des Regellohnes waren, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Zum Regellohn gehört bei Arbeitern, deren Entgelt nicht nach Monaten bemessen ist, gemäß § 182 Abs. 5 RVO grundsätzlich das gesamte im letzten Abrechnungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt einschließlich solcher Bezüge, die nur gewohnheitsmäßig, also ohne Rechtsanspruch, neben dem Lohn oder an seiner Stelle gezahlt werden (§ 160 Abs. 1 RVO). Eine Ausnahme gilt nach § 182 Abs. 5 Satz 2 RVO für "einmalige Zuwendungen", d.h. für solche Bezüge, die nicht laufend in jedem Monat zu erwarten sind, sondern aus besonderem Anlaß oder von Fall zu Fall gewährt werden (vgl. das Urteil des Senats vom 30. April 1968, SozR Nr. 24 zu § 160 RVO). Da bei ihnen schon begrifflich von vornherein feststeht, daß sie dem Versicherten nicht in regelmäßiger Wiederkehr auch in den folgenden Lohnzahlungsperioden zufließen werden, wäre es mit der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes - einerlei ob man dabei das Gewicht mehr auf den Ersatz des tatsächlich entgangenen Lohnes oder mehr auf die Erhaltung des bisherigen Lebensstandards legt - unvereinbar, solche einmaligen Zuwendungen bei der Krankengeldberechnung zu berücksichtigen. Durch Ausscheidung der einmaligen Zuwendungen aus dem Regellohn soll vermieden werden, daß sich das Krankengeld an einem - durch eine "irreguläre" Zahlung zufällig überhöhten - Einkommensniveau orientiert und dieses für die ganze Dauer der Arbeitsunfähigkeit fortwirkt. Hierin erschöpft sich aber auch der Zweck der genannten Vorschrift. Sie gilt deshalb bei sinngemäßer Anwendung nicht für Fälle, in denen auf eine in der Zukunft erwartete einmalige Zuwendung und in Anrechnung auf sie laufende Abschlagszahlungen geleistet werden, auf deren Weitergewährung sich der Versicherte mit seiner Lebensgestaltung eingerichtet hat. In Fällen dieser Art würde ein Wegfall der genannten Zahlungen bzw. ihre Nichtberücksichtigung beim Krankengeld nicht die Rückkehr zu normalen Einkommensverhältnissen, sondern eine Minderung des bisherigen Lebensstandards bedeuten. So liegen die Dinge hier.
Die dem Kläger gezahlte Prämie war zwar einmalige Zuwendung, solange sie noch nach Ablauf des jeweiligen Geschäftsjahres in einem Betrage oder in zwei Teilbeträgen ausgezahlt wurde (bis 1955). Sie blieb auch - nach Umstellung der Zahlungsweise bei den Arbeitern im Jahre 1955 - insoweit noch einmalige Zuwendung, als nicht die gesamte Prämie in monatlichen Teilbeträgen, sondern ein erheblicher Rest erst nach Ende des Geschäftsjahres ausgezahlt wurde, sobald nämlich der Vorstand über die endgültige Höhe der Jahresprämie unter Berücksichtigung des Geschäftsergebnisses beschlossen hatte. Soweit dagegen seit 1955 ein Teil der Prämie bereits mit dem laufenden Arbeitslohn ausgezahlt wurde, verlor dieser Teil das Merkmal der Einmaligkeit und wurde Bestandteil der laufenden Bezüge; denn entscheidend für die Zuordnung einer Zuwendung zu den laufenden oder zu den einmaligen Bezügen kann entgegen der Ansicht des LSG nicht die Rechtsnatur der Zuwendung "als solche" sein, etwa ihr besonderer Charakter als "Jahresprämie", sondern nur die vertrags- oder gewohnheitsmäßig festgelegte Art ihrer Zahlung.
Wird diese, wie hier, in der Weise geregelt, daß ein bestimmter Teil der Jahresprämie vorweg in laufenden monatlichen Beträgen gewährt wird, dann handelt es sich insoweit nicht mehr um eine "einmalige", d.h. eine nicht regelmäßige Zuwendung in Gestalt einer Jahresprämie, sondern der Sache nach um wiederkehrende "Monatsprämien" (vgl. auch Hueck-Nipperdey-Dietz, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Nr. 9, 15, 20 zu § 2 ArbKrankhG). Dem steht nicht entgegen, daß diese monatlichen Prämienzahlungen später auf die noch endgültig festzusetzende Jahresprämie angerechnet werden und formell die Rückforderung für den Fall vorbehalten bleibt, daß der Arbeitnehmer zur Zeit der Auszahlung des Prämienrestes nicht mehr dem Betrieb angehört. Abgesehen von der Frage, ob ein solcher Vorbehalt überhaupt oder für einen so langen Zeitraum wirksam ist (vgl. dazu die in BSG 26, 120, 121 angeführte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Rückforderungsvorbehalt bei Weihnachtsgratifikationen), ist der Vorbehalt, wie das LSG ausgeführt hat, bisher nur selten oder gar nicht ausgeübt worden. Es trifft auch nicht zu, daß die in der gleichen Firma tätigen Angestellten, die die Prämie weiterhin in voller Höhe als Jahresprämie und damit als einmalige Zuwendung erhalten, dadurch gegenüber den Arbeitern bei der Krankengeldberechnung wesentlich benachteiligt werden. Soweit die Arbeitsunfähigkeit sechs Wochen nicht überschreitet - und dies gilt für die große Mehrzahl aller Fälle -, erhalten die Angestellten im Gegensatz zu den Arbeitern die Prämie auch für die Fehlzeiten, weil ihnen das Gehalt, das Bemessungsgrundlage der Jahresprämie ist, insoweit fortgezahlt wird und damit in die Prämienabrechnung eingeht. Daß die Prämie schließlich, wie das LSG meint, als Anreiz zur Leistungssteigerung geschaffen worden ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Was zum "Regellohn" gehört, ergibt sich aus dem Gesetz. Bezüge, die danach als Teile des "regelmäßigen" Arbeitsentgelts anzusehen und bei der Berechnung des Krankengeldes zu berücksichtigen sind, können die Parteien des Arbeitsvertrages nicht ausscheiden, auch wenn sie damit das Ziel einer "Leistungssteigerung" verfolgen, d. h. erreichen wollen, daß die Beschäftigten möglichst wenig krankfeiern (auch das Bundesarbeitsgericht hat aaO Nr. 16 für eine "Anwesenheits- und Pünktlichkeitsprämie", die in Krankheitsfällen nicht gewährt wurde, die Unterschiede zum Versicherungsrecht anerkannt).
Die Beklagte hatte somit die fraglichen Prämienzahlungen bei der Berechnung des Krankengeldes für die streitige Zeit zu berücksichtigen. Demgemäß hat der Senat sie unter Aufhebung aller Vorentscheidungen verurteilt (§ 130 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 707743 |
BSGE, 105 |