Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsberechtigung in der knappschaftlichen Krankenversicherung
Orientierungssatz
Wird ein Versicherter durch rechtswidriges Verhalten des Versicherungsträgers veranlaßt, den Austritt aus der freiwillig fortgesetzten knappschaftlichen KV zu erklären, so muß der Zustand wiederhergestellt werden, der ohne die Pflichtwidrigkeit des Versicherungsträgers bestehen würde.
Normenkette
RKG §§ 19-20, 121 Fassung: 1969-07-28; RVO § 313 Abs 2
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 16.10.1979; Aktenzeichen S 15 Kn 5/78) |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, die freiwillige Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung fortzusetzen.
Der Kläger, der seit 1949 wegen des Bezuges des Knappschaftsruhegeldes der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner angehört, setzte daneben die vorher bestehende Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung freiwillig fort. Nachdem die Beklagte den Beitrag für die freiwillige Versicherung für die Zeit vom 1. Januar 1977 an von 254,10 DM auf 308,60 DM erhöht hatte, kündigte der Kläger die freiwillige Mitgliedschaft mit dem am 5. Januar 1977 eingegangenen Schreiben vom 2. Januar 1977. Die Beklagte bestätigte die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft mit Wirkung vom 5. Januar 1977.
Die Beklagte lehnte den am 25. Juli 1977 eingegangenen Antrag des Klägers vom 22. Juli 1977, ihn wieder als freiwilliges Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung aufzunehmen, mit Bescheid vom 2. August 1977 ab, weil der Kläger nicht versicherungsberechtigt sei. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 16. Oktober 1979 unter Aufhebung ihrer Bescheide verpflichtet, den Kläger mit Wirkung vom 25. Juli 1977 als freiwilliges Mitglied in der knappschaftlichen Krankenversicherung der Arbeiter und Angestellten wieder aufzunehmen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung für diejenigen Versicherten, die gleichzeitig der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner angehörten, jahrelang zu hoch festgesetzt. Dadurch habe sie wesentlich zur Kündigung der freiwilligen Versicherung durch den Kläger beigetragen. Das Gesetz sehe zwar einen Wiedereintritt in die beendete freiwillige Krankenversicherung nicht vor. Die Beklagte räume aber denjenigen, die nach der Verkündung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 1977 (SozR 2600 § 120 Nr 1) die freiwillige Krankenversicherung beendet hätten, den Wiedereintritt ein. Der Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) erfordere es, das gleiche Recht denjenigen einzuräumen, die kurz vorher die freiwillige Versicherung beendet haben. Der Anspruch des Klägers auf Fortsetzung der freiwilligen Krankenversicherung ergebe sich auch aus der entsprechenden Anwendung der Regeln des Folgenbeseitigungsanspruchs, aus den der Beklagten obliegenden Nebenpflichten im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines langjährigen Versicherungsverhältnisses und aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Die Beklagte hat dieses Urteil im Einverständnis mit dem Kläger mit der Sprungrevision angefochten, die das SG zugelassen hat. Sie ist der Ansicht, die Differenzierung zwischen denjenigen, die vor oder nach Bekanntwerden des Urteils des BSG vom 30. März 1977 die freiwillige Krankenversicherung beendet haben, sei nicht sachfremd und verstoße daher nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine Beratungspflicht und Hinweispflicht der Beklagten auf die Auswirkungen dieses Urteils habe vor seinem Bekanntwerden nicht bestanden. Es bestehe auch keine sonstige Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf Fortsetzung der freiwilligen Krankenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das SG hat im Ergebnis mit Recht entschieden, daß der Kläger zur Fortsetzung der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung berechtigt ist.
In dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom heutigen Tage (21. Februar 1980) in der Sache 5 RKn 19/78 hat der erkennende Senat bei im wesentlichen gleicher Sach- und Rechtslage einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch anerkannt. Die Beklagte habe aufgrund des anhängigen Verfahrens, das zum Berufungsurteil vom 3. März 1976 und schließlich zum Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1977 (SozR 2600 § 120 Nr 1) wissen müssen, daß die durch Satzung festgesetzte Beitragshöhe Gegenstand eines Rechtsstreits sei. Sie sei daher verpflichtet gewesen, die betroffenen Versicherten über diese ungeklärte Rechtslage zu unterrichten, weil die Versicherten nur bei einer entsprechenden Information in der Lage gewesen seien, in Kenntnis aller Zusammenhänge eine freie selbstverantwortliche Entscheidung über die Beendigung oder Fortsetzung der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung zu treffen. Soweit die Beklagte durch rechtswidriges Verhalten die Versicherten veranlaßt habe, den Austritt aus der freiwillig fortgesetzten knappschaftlichen Krankenversicherung zu erklären, müsse sie den Zustand wieder herstellen, der ohne ihre Pflichtwidrigkeit bestehen würde. Auf die weitere Begründung der genannten Parallelentscheidung des erkennenden Senats wird verwiesen.
Die Beklagte hat auch dem Kläger dieses Verfahrens, wie vom SG bindend festgestellt worden ist - durch die in ihrer Satzung objektiv rechtswidrig festgelegte Beitragshöhe der freiwillig fortgesetzten knappschaftlichen Krankenversicherung veranlaßt, in Unkenntnis dieser Rechtswidrigkeit seine Austrittserklärung vom 2. Januar 1977 abzugeben. Da sie es unterlassen hat, den Kläger auf die ungeklärte Rechtslage über die Beitragshöhe hinzuweisen, hat sie den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn sie den Kläger pflichtgemäß auf die ungeklärte Rechtslage hingewiesen hätte. Der Kläger hätte - wie jeder verständige Versicherte - in sachgemäßer Wahrung seiner Interessen die Entscheidung über den Austritt aus der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung bis zur endgültigen rechtlichen Klärung zurückgestellt und schließlich die Austrittserklärung nicht abgegeben.
Der erkennende Senat hat die danach unbegründete Sprungrevision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen