Leitsatz (amtlich)
1. Dem Erfordernis des bestimmten Antrages im Sinne des SGG § 164 Abs 2 S 1 ist noch genügt, wenn der sonst ausreichende Antrag in der Zukunfts- statt zutreffend in der Gegenwartsform gestellt wird (zum Beispiel "Ich werde beantragen..." statt "Ich beantrage...").
2. Betreibt ein Vollarbeitnehmer nebenher ein sogenanntes Feierabendgewerbe, so wird er dadurch nicht zum selbständigen Gewerbetreibenden im Sinne des AVAVG § 87a Abs 1 S 1.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03; AVAVG § 87a Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 1955 aufgehoben.
Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenunterstützung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten für die Berufstätigkeit seines Rechtsanwalts in der Revisionsinstanz zu erstatten. Diese Kosten werden auf 80.- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der im Jahre 1907 geborene Kläger wohnt in Ruit, Landkreis Karlsruhe, einer Gemeinde von unter 1000 Einwohnern. Er ist von Beruf Maurer und stand vom 23. November 1948 bis zum 6. Oktober 1949 und vom 20. Juni 1951 bis zum 2. November 1953 mit kurzfristigen Unterbrechungen in versicherungspflichtiger Beschäftigung. Vom 7. Oktober 1949 bis zum 19. Juni 1951 war er selbständig. Am 2. November 1953 wurde er wegen Frostes entlassen, war krank bis zum 20. Dezember 1953 und meldete sich am 21. Dezember beim Arbeitsamt Karlsruhe arbeitslos. In seinem Antrag auf Arbeitslosenunterstützung (Alu) gab er an, daß er ein Feierabendgewerbe als Maurer betreibe und daraus ein Einkommen von monatlich 30.- DM habe. Bei der Handwerkskammer hatte er es als "Kleine Reparaturen nach Feierabend" am 29. Mai 1953 angemeldet.
Mit Bescheid vom 22. Februar 1954 lehnte das Arbeitsamt Karlsruhe seinen Antrag auf Alu ab, da "selbständige Gewerbetreibende oder solche Personen, die ein Gewerbe angemeldet haben und betreiben" nicht als arbeitslos im Sinne des § 87 a Abs. 1 AVAVG angesehen werden könnten.
In seinem Widerspruch hiergegen gab der Kläger an, er habe wöchentlich 50 bis 60 Stunden gearbeitet und noch einen An- und Abmarschweg von je 1 1/2 Stunden täglich zurücklegen müssen. Daraus ergebe sich, daß seine nebenberufliche Tätigkeit keine Bedeutung haben könne. In die Handwerksrolle habe er sich nur eintragen lassen, um nicht der Schwarzarbeit bezichtigt zu werden.
Das Arbeitsamt stellte daraufhin beim Finanzamt in Bretten fest, daß der Kläger seinen Betrieb im Juni 1953 als Feierabendgewerbe angemeldet und in der Zeit vom Juni bis Dezember 1953 einen Umsatz von 206,- DM gehabt und daraus einen Reingewinn von 180,- DM erzielt habe. Mit Bescheid vom 25. Mai 1954 wurde sein Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, da er selbständiger Gewerbetreibender sei.
II. Gegen den Widerspruchsbescheid rief der Kläger das Sozialgericht Karlsruhe an. Der Vorsitzende der XI. Kammer des Sozialgerichts wies die Klage mit Vorbescheid vom 28. September 1954 auf Grund des § 87 a Abs. 1 AVAVG ab. Der Kläger beantragte mündliche Verhandlung. In dieser wurde die Beklagte durch Urteil vom 21. Januar 1955 verurteilt, dem Kläger die beantragte Alu zu zahlen. Das Gericht ging dabei von der Auffassung aus, § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG fordere, daß wirklich ein gewerblicher Betrieb vorliege, der mit einer gewissen Regelmäßigkeit und fortlaufend betrieben werde. Beim Kläger handele es sich dagegen nur um gelegentliche nachbarliche Hilfe. Deshalb könne § 87 a AVAVG nicht zum Zuge kommen.
Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein. Durch Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 1955 wurde das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 1955 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ging davon aus, daß der Kläger selbständiger Gewerbetreibender sei, wobei es nicht darauf ankomme, welchen Umfang das Gewerbe habe, welches Einkommen daraus erzielt werde und ob dieses zum Lebensunterhalt ausreiche. Ebenso sei unerheblich, ob der Umfang der selbständigen Tätigkeit so gering gewesen sei, daß der Kläger trotzdem dem allgemeinen Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung gestanden habe. Als selbständiger Gewerbetreibender sei er in keinem Fall arbeitslos, auch dann nicht, wenn er die Anwartschaft auf Alu erfüllt und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet habe. Durch die Fiktion des § 87 a Abs. 1 AVAVG habe der Gesetzgeber bewußt allen nebenberuflich Gewerbetreibenden ohne Rücksicht darauf, ob sie bei Arbeitslosigkeit dem Arbeitsmark zur Verfügung stehen, die Möglichkeit nehmen wollen, einen Anspruch auf die Alu geltend zu machen.
Die Revision ist zugelassen worden.
III. Gegen das dem Kläger am 26. August 1955 zugestellte Urteil legte er durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22. September 1955 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 23. September - Revision ein. Der Antrag lautet: "Namens des Revisionsklägers werde ich folgenden Antrag stellen:
1.) Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 30. Juli 1955 aufgehoben und die Beklagte nach Maßgabe des Urteils des Sozialgerichtes Karlsruhe vom 21. Januar 1955 zur Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung an den Kläger für die Zeit vom 21. Dezember 1953 an verurteilt,
2.) Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen."
Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1955 - eingegangen beim Bundessozialgericht am 20. Oktober 1955 - begründete er die Revision, wobei er Verletzung des § 87 a AVAVG rügte. Im Fall des Klägers liege nach der Verkehrsanschauung überhaupt kein Gewerbebetrieb vor. Denn ein Betrieb kleineren Umfanges werde sich wenigstens in der Regel an einen größeren unbestimmten Personenkreis wenden müssen, während der Kläger Reparaturen für einen ganz beschränkten Kreis, nämlich nur für Bekannte, vorgenommen habe.
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 25. November 1955, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Entscheidung hänge davon ab, ob das Feierabendgewerbe des Klägers ein selbständiger Gewerbebetrieb sei. Bei der Beurteilung dieser Frage scheine es angebracht, auf die Begriffsbestimmungen des Gewerberechts zurückzugehen. Diese habe der Kläger erfüllt, so daß er nach § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG nicht als arbeitslos anzusehen sei. Im übrigen habe die Tätigkeit des Klägers nicht lediglich aus Gefälligkeitshandlungen für Bekannte bestanden, sondern der Sinn seines Gewerbes habe gerade sein sollen, die Maurerreparaturen in der ganzen Gemeinde Ruit auszuführen.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 1956 legte der Kläger seine Auffassung nochmals dar. Im einzelnen wird auf diesen und die anderen Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
IV. Die Revision ist statthaft sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Das Gericht hatte zunächst zu prüfen, ob sie auch formgerecht eingelegt worden ist. Daran konnten insofern Zweifel bestehen, als der Revisionsantrag in die Form gekleidet worden ist: "Namens des Revisionsklägers werde ich folgenden Antrag stellen". Nach § 164 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) muß jedoch schon die Revisionsschrift einen "bestimmten" Antrag enthalten. Die vom Kläger gewählte Form könnte zu der Auffassung führen, daß er in der Revisionsschrift nur ankündigen wolle, welchen Antrag er später in der mündlichen Verhandlung zu stellen beabsichtige. Dies würde der im Zivilprozeßverfahren - dort in der Revisionsbegründungsschrift - üblichen Form entsprechen (vgl. § 554 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), aber dem Erfordernis des "bestimmten", also bereits in der Revisionsschrift genau zu präzisierenden Antrags widersprechen, der grundsätzlich lauten muß: "Ich beantrage ...". Der Kläger hat aber im vorliegenden Fall seinen Antrag soweit gekennzeichnet, daß sein Wille genau zu erkennen ist. Das Gericht hatte deshalb keine Bedenken festzustellen, daß dem Erfordernis des bestimmten Antrags im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG noch genügt ist, wenn der sonst ausreichende Antrag in der Zukunftsstatt zutreffend in der Gegenwartsform gestellt wird. Die Revision war deshalb auch als formgerecht eingelegt anzusehen.
V. Die Revision mußte auch Erfolg haben.
Das Gericht hat den Begriff der Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Doppelberuflern, eingehend in seinem Urteil 7 RAr 7/55 vom 21. März 1956 behandelt und in Nr. IX ff ausgeführt, daß in einem solchen Falle Arbeitslosigkeit gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG dann nicht vorliegt, wenn ein Voll-Gewerbe betrieben wird, das nach allgemeiner Anschauung die Lebensgrundlage bildet. Betreibt jedoch ein Vollarbeitnehmer nebenher nur ein sogenanntes Feierabendgewerbe, so wird er dadurch allein nicht zum selbständigen Gewerbetreibenden im Sinn dieser Vorschrift. Jedoch ist nach § 87 a Abs. 2 AVAVG zu prüfen, ob er etwa durch sein Nebenher-Gewerbe soweit gebunden ist, daß er daneben nur noch geringfügige Beschäftigungen im Sinn des § 75 a Abs. 2 AVAVG auszuüben vermag. Ist dies nicht der Fall, steht er also dem Arbeitsmarkt voll oder mindestens für mehr als 24 Arbeitsstunden zur Verfügung, so steht ihm unter den üblichen gesetzlichen Voraussetzungen die Alu zu. Im einzelnen wird auf das erwähnte Urteil Bezug genommen.
VI. Der Kläger hat, wie sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts ergibt, dem allgemeinen Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung gestanden; denn er hat sein Gewerbe nur nach Feierabend oder an Samstagen und in geringem Ausmaß betrieben. Hieraus ergibt sich, daß weder Abs. 1 Satz 1 noch Abs. 2 des § 87 a AVAVG auf ihn anzuwenden ist und er deshalb Anspruch auf die Alu hat.
Das Urteil des Landessozialgerichts vom 30. Juni 1955 mußte aus diesem Grunde aufgehoben werden. Da Berechnungen des Arbeitsamts über Beginn und Höhe der Alu in den Akten nicht vorhanden sind, mußte die Beklagte dem Grunde nach verurteilt werden, dem Kläger die Alu nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Diese Entscheidung ergeht gemäß § 126 SGG.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus den §§ 193, 196 Abs. 1 und 4 Satz 1 SGG.
Fundstellen