Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch der in der Schul- oder Berufsausbildung befindlichen Waise auf Gewährung von Rente über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus erlischt nicht auf Grund einer durch länger andauernde Erkrankung verursachten Unterbrechung der Ausbildung, sondern erst dann, wenn die Absicht, die Ausbildung fortzusetzen, aufgegeben wird oder die Erkrankung objektiv erkennbar die weitere Ausbildung nicht mehr zuläßt.
Normenkette
BVG § 45 Abs. 4 Buchst. a Fassung: 1960-06-27
Tenor
Unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. September 1963 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 1964 sowie der Bescheide vom 30. März 1961 und 9. November 1961 wird der Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 1961 bis zum 30. November 1961 Waisenrente zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Die 1941 geborene Klägerin erhielt als Waise ihres im Kriege vermißten und 1949 für tot erklärten Vaters Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da sie seit Ostern 1959 die zweijährige Frauenfachschulklasse der Bildungsanstalt für Frauenberufe in W besuchte, wurden Grund- und Ausgleichsrente über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus gewährt. Wegen Erkrankung an einer Lungen-Tbc mußte die Klägerin vom 8. Januar 1961 an den Besuch dieser Schule einstellen. Ihre Mutter teilte dies Anfang Februar 1961 dem Versorgungsamt mit, wies auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung mit anschließender Kur hin und gab an, es lasse sich noch nicht sagen, wann die Ausbildung wieder aufgenommen werde, und ob ihre Tochter in absehbarer Zeit überhaupt wieder eine Tätigkeit ausüben könne. Die Anstalt bescheinigte am 15. Februar 1961, die Mutter beabsichtige, die Klägerin in der Ausbildung zu belassen und sie 1962, also ein Jahr später als ursprünglich vorgesehen, der Abschlußprüfung zuzuführen. Nach Beendigung der vom 28. Februar bis 7. Juli 1961 dauernden Heilstättenkur nahm die Klägerin ab 6. November 1961 an dem Kursus einer Privatschule in Kurzschrift, Maschinenschreiben und Buchführung teil. Das Versorgungsamt stellte die Zahlung von Waisenrente ab 1. Februar 1961 ein und entzog sie für diesen Zeitpunkt durch Bescheid vom 30. März 1961; eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei dadurch eingetreten, daß die Schulausbildung wegen Krankheit nicht nur vorübergehend abgebrochen worden sei. Auf Grund eines im Dezember 1961 gestellten Antrages wurde durch Bescheid vom 19. März 1962 wieder Versorgung vom 1. Dezember 1961 bis zum 30. April 1962, dem Ende der Ausbildung in Kurzschrift, Maschinenschreiben und Buchführung, gewährt.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. März 1961 wurde durch Bescheid vom 9. November 1961 zurückgewiesen. Durch Urteil vom 20. September 1963 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab und ließ die Berufung zu. Das Landessozialgericht (LSG) wies durch Urteil vom 1. Oktober 1964 die Berufung der Klägerin zurück. Diese habe für die Zeit vom 1. Februar bis 30. November 1961 keinen Anspruch auf Waisenrente. § 45 Abs. 4 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) könne nicht dahin ausgelegt werden, daß der Anspruch auf Waisenrente solange bestehe, als die Waise bei oder nach Vollendung des 18. Lebensjahres ohne eigenes Verschulden eine längere Schul- oder Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen habe oder habe abschließen können, und deshalb nicht in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten. Die Regelung des § 45 Abs. 4 BVG stelle eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß Waisenrente nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt werde; die Ausnahmen, Schul- und Berufsausbildung oder Gebrechen, stellten eine abschließende Regelung dar und ließen eine ausweitende Anwendung auf wirtschaftlich ähnlich gelagerte Fälle nicht zu. Eine Waise befinde sich nur dann in Ausbildung, wenn diese auch tatsächlich stattfinde; es genüge nicht, daß eine begonnene Ausbildung fortgesetzt werden sollte. In diesem Sinne sei auch der insoweit völlig gleichlautende § 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgelegt worden. Eine Ausbildung im Sinne dieser Vorschrift liege nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur vor, wenn sie die Zeit und die Arbeitskraft der Waise überwiegend in Anspruch nehme. Der Grund der Rentengewährung an eine in Ausbildung befindliche Waise liege darin, daß sie ihre Arbeitskraft wegen der Ausbildung, und zwar nur wegen der Ausbildung, nicht voll zum Erwerb einsetzen könne. Dieser Grund sei bei Wegfall der Erwerbsfähigkeit durch Krankheit nicht mehr gegeben. Allerdings seien kurzfristige Unterbrechungen durch Krankheit, Ferien oder Urlaub rechtlich unerheblich. Die tatsächliche Unterbrechung der Ausbildung sei hier nicht kurzfristig und nicht unerheblich gewesen. Nach der Bescheinigung des Dr. K vom 17. September 1963 sei die Klägerin noch bis Ende März 1963 stark behindert und dann gezwungen gewesen, sich einer gänzlich anderen Ausbildung zu unterziehen. Der auf zwei Jahre bemessene Schulbesuch sei praktisch für zwei Jahre ausgesetzt gewesen und hätte nachgeholt werden müssen, wenn die Klägerin die ursprünglich geplante und begonnene Ausbildung nicht endgültig aufgegeben hätte. Ihr möglicherweise auf Fortsetzung der Ausbildung gerichteter Wille habe sich nicht auswirken können und sei deshalb rechtsunerheblich. Deshalb habe die Rente wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG entzogen werden können. Da die Krankheit bei Vollendung des 18. Lebensjahres noch nicht bestanden habe, scheide auch eine Rente wegen eines körperlichen und geistigen Gebrechens aus.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 45 Abs. 4 BVG. Dieser Vorschrift sei zu entnehmen, daß an die Stelle des für den Lebensunterhalt nach bürgerlichem Recht verpflichteten Vaters der Staat eintreten solle, wenn das Kind infolge Schul- oder Berufsausbildung oder infolge Gebrechens außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Die Voraussetzung, daß die Schul- oder Berufsausbildung die Arbeitskraft der Waise überwiegend in Anspruch nehme, müsse zwar bei Stellung des Antrages erfüllt sein; für eine solche Forderung sei aber kein Raum, wenn die Schulausbildung vorübergehend Einschränkungen oder Änderungen durch Umstände erfahre, die der Willensbildung der Waise entzogen seien. Der Grund der Rentengewährung liege nicht darin, daß die Waise ihre Arbeitskraft "nur" wegen der Ausbildung nicht voll zum Erwerb einsetzen könne, sondern daß sie für eine bestimmte Zeit statt des Erwerbs, die Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf gewählt habe. Durch eine Krankheit werde, gleichgültig wie lange sie dauere, eine Schulausbildung nicht aufgehoben, sondern nur unterbrochen. Maßgebend für die Beendigung der Ausbildung sei der subjektive Wille der Waise oder des Erziehungsberechtigten. Die Bescheinigung der Schule vom 15. Februar 1961 ergebe, daß die Klägerin in der Schulausbildung belassen werden sollte. Daß sie sich später einer anderen Ausbildung unterzogen habe (private Handelsschule und Bankfach), sei rechtlich ohne Bedeutung, da dieser Entschluß auf ärztliches Anraten erst zu einem Zeitpunkt gefaßt worden sei, von dem an ohnehin keine Rente beansprucht werde.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 1964 aufzuheben und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch sachlich begründet.
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Waisenrente für die Zeit vom 1. Februar 1961 bis zum 30. November 1961. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG stand die Klägerin ab Januar 1961 wegen einer Lungen-Tbc in stationärer Krankenhaus- und Heilstättenbehandlung. Wegen ihres geschwächten Gesundheitszustandes setzte sie, nachdem die Heilstättenkur beendet war, nicht, wie dies bei Beginn der Erkrankung beabsichtigt war, ihre Ausbildung fort, sondern besuchte vom 6. November 1961 an einen Kursus für Kurzschrift, Maschinenschreiben und Buchführung. 1963 gab sie ihre Absicht auf, den Besuch der Bildungsanstalt für Frauenberufe wieder aufzunehmen. Die Vorinstanzen haben der Klägerin auf Grund dieses Sachverhalts zu Unrecht die Waisenrente für die Zeit vom 1. Februar 1961 bis 30. November 1961 abgesprochen.
Nach § 45 Abs. 4 a BVG idF des 1. NOG - nF - vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) ist die Waisenrente nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres für eine unverheiratete Waise zu gewähren, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet, längstens bis zur Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres. Die Rente, die nach § 45 Abs. 3 BVG idF vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791) der Waise, die bei Vollendung des achtzehnten Lebensjahres die Schul- oder Berufsausbildung noch nicht beendet hatte, bis zum vollendeten vierundzwanzigsten Lebensjahr gewährt werden "konnte", steht ihr somit nach § 45 Abs. 4 a BVG nF als Pflichtleistung - nach § 45 Abs. 3 BVG idF des Dritten Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) längstens bis zur Vollendung des siebenundzwanzigsten Lebensjahres - zu. Aus der Fassung des Gesetzes, "die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet", ist nicht ersichtlich, ob die Rente auf die Zeit der tatsächlich durchgeführten Schul- oder Berufsausbildung beschränkt sein soll und deshalb mindestens jede längere, auch unverschuldete Unterbrechung der Ausbildung den Verlust des Anspruchs nach sich zieht, oder ob nur der zeitliche Rahmen der Schul- oder Berufsausbildung mit ihren oft unvermeidlichen Unterbrechungen, insbesondere durch Krankheit, abgesteckt werden sollte, innerhalb dessen zur Sicherung der Ausbildung die Rente zu gewähren ist. In der Begründung zum Entwurf des Bundesversorgungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949 Nr. 1333, zu den §§ 37 bis 51, S. 60) ist hervorgehoben, daß Rente bis zum vollendeten 24. Lebensjahr gewährt werden kann, um die Ausbildung nicht zu gefährden. Daraus ist zu entnehmen, daß die Waisenrente nicht nur gewährt wird, um der Waise die Durchführung der Schul- oder Berufsausbildung selbst zu erleichtern, sondern um auch zu verhindern, daß die Waise aus Mangel an Mitteln sich einer Ausbildung nicht unterzieht oder deshalb die schon begonnene Ausbildung nicht zum Abschluß bringt. Eine solche Auslegung des § 45 Abs. 4 a BVG nF muß auch unabhängig von der Begründung des Entwurfs zum BVG aus dem Sinn und Zweck der Waisenrente als einer Versorgungsleistung für die in der Schul- oder Berufsausbildung begriffene Waise entnommen werden. Dieser Anspruch auf Weiterzahlung der Rente stellt zwar eine Ausnahme von der Regel dar, daß Waisenrente regelmäßig nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gewährt wird. Diese Ausnahmeregelung bedeutet aber nicht, daß die Anspruchsvoraussetzungen eng ausgelegt werden dürften; es kommt vielmehr nur darauf an, ob der Sachverhalt sich zwanglos dem Sinn und Inhalt der Norm einordnen läßt. Das Gesetz geht offensichtlich davon aus, daß sich junge Menschen nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres grundsätzlich durch eigene Arbeit ernähren und unterhalten können (vgl. BSG 21, 187 zu § 44 Abs. 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Durch § 45 Abs. 4 a BVG nF soll ihnen im Interesse ihrer Berufswünsche und zur Erlangung einer möglichst gesicherten Berufsstellung in der Zeit, in der sie wegen der Ausbildung nicht erwerbstätig sein können, eine Hilfe gewährt werden. Die Rente behält auch in dieser Zeit wie jede Hinterbliebenenrente ihre Ersatzfunktion für verlorengegangene Unterhaltsansprüche (vgl. BSG 9, 39 und BSG in SozR § 1267 RVO Aa 18 Nr. 16 mit weiteren Hinweisen) oder für solche Unterhaltsleistungen, die ohne gesetzliche Verpflichtung erbracht worden wären. Der Zweck der Waisenrente, eine möglichst qualifizierte Ausbildung zu gewährleisten, würde gefährdet, wenn die Waise, die im Vertrauen auf die Weitergewährung der Rente den Ausbildungsweg zu einem bestimmten Beruf beschritten hat, mit dem Entzug der Rente während einer längeren Krankheit rechnen müßte und deshalb genötigt wäre, ihre Ausbildung abzubrechen, um sich ohne weitere Ausbildung einer weniger qualifizierten Erwerbstätigkeit zuzuwenden (vgl. auch BSG in SozR § 1267 RVO Aa 18 Nr. 16). In den Zeiten, in denen die Ausbildung durch Krankheit unterbrochen wird, erfüllt die Waisenrente in erhöhtem Grade ihre Funktion als Unterhaltsersatz, weil sie anstelle dessen tritt, was der Unterhaltspflichtige für die erwerbsunfähige Waise in einer Zeit aufgebracht hätte, in der sie in der Regel andere Leistungen der sozialen Sicherung nicht beanspruchen kann. Das Gesetz hat den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen die Waisenrente während der Schul- oder Berufsausbildung zu gewähren ist, weit gespannt und die Grenze - von der hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme des § 45 Abs. 4 Satz 2 BVG nF abgesehen - mit dem vollendeten 25. Lebensjahr festgesetzt. In den Verwaltungsvorschriften (VerwV) Nr. 1 zu § 45 BVG und Nr. 11 zu § 33 b BVG vom 14. August 1961 (BAnz. Nr. 161 vom 23. August 1961) ist hervorgehoben, in der Berufsausbildung im Sinne des § 33 b - dasselbe gilt für § 45 BVG - stehe ein Kind, das für eine später gegen Entgelt auszuübende Tätigkeit ausgebildet wird, wenn der Ausbildungsgang geeignet sei, in angemessener Zeit zu dem Berufsziel zu führen. Lägen die sonstigen Voraussetzungen vor, sei es unerheblich, ob der Berufsausbildung bereits eine andere - selbst eine abgeschlossene - Berufsausbildung vorangegangen sei. Nach Nr. 14 der hier anzuwendenden VerwV zu § 33 b BVG unterbrechen die Ausbildung nicht regelmäßige Ferien, regelmäßiger Erholungsurlaub, die üblichen Übergangszeiten zwischen Schul- und Berufsausbildung, vorübergehende Erkrankung. Wenn nach diesen Verwaltungsvorschriften die Waisenrente grundsätzlich auch dann zu gewähren ist, wenn die Waise nach abgeschlossener Berufsausbildung für einen weiteren Beruf ausgebildet wird, wie auch das BSG zu der dem § 45 Abs. 4 a BVG entsprechenden Vorschrift des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO entschieden hat (SozR Nr. 17 zu § 1267 RVO), dann ist es nicht folgerichtig, die Rente bei Unterbrechung der Ausbildung durch eine länger andauernde Krankheit ohne weiteres zu versagen; denn die Waise, die ihre Schul- oder Berufsausbildung wegen Krankheit noch nicht abschließen konnte, bedarf in höherem Maße der Hilfe als die Waise, die nur für eine weitere Ausbildung gefördert werden will. Eine nur auf die Zeit der tatsächlichen Schul- oder Berufsausbildung beschränkte Rente würde somit dem Zweck des § 45 Abs. 4 a BVG nF, der eine Hilfe für den Lebensunterhalt durch Sicherstellung der Schul- und Berufsausbildung darstellt, nicht gerecht werden. Daß die Ausbildung die Zeit und Arbeitskraft des Kindes ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nehmen muß (vgl. BSG 14, 285; BSG in SozR Nr. 4 und 13 zu § 1267 RVO), ist zwar Voraussetzung der Rente, denn diese soll nur den nicht erwerbstätigen Waisen zukommen. Diese Voraussetzung hat aber keine Bedeutung für die Frage, welcher Zeitraum als Ausbildungszeitraum anzusehen ist und ob die Rente insbesondere dann wegfällt, wenn die Ausbildung durch Krankheit oder andere von dem Willen der Waise unabhängige Umstände unterbrochen wird. Für die dem § 45 Abs. 4 a BVG nF entsprechende Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG, die ihrerseits inhaltlich mit § 1267 RVO übereinstimmt, hat das BSG entschieden, daß die "verlängerte" Waisenrente auch für die Zeit der Unterbrechung der Schul- oder Berufsausbildung durch Krankheit zu gewähren ist und daß der Anspruch nur dann entfällt, wenn die Ausbildung abgebrochen wird, d. h. nicht mehr erfolgreich fortgesetzt und beendet werden kann, weil die Krankheit ihrer Natur nach oder durch ihren Verlauf die Fortsetzung der Ausbildung unmöglich macht (BSG in SozR Nr. 16 - Aa 18 - zu § 1267 RVO). Dieser Rechtsprechung folgt der Senat auch bei der Auslegung des § 45 Abs. 4 a BVG nF.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin seit dem 8. Januar 1961 die Bildungsanstalt für Frauenberufe nicht mehr besucht. Die damals noch bestehende Absicht, nach Wiederherstellung ihrer Gesundheit die Ausbildung auf dieser Anstalt fortzusetzen, ließ sich schließlich wegen des Verlaufes der Krankheit nicht mehr verwirklichen. Sie nahm ab 6. November 1961 an einem Kursus für Kurzschrift, Maschinenschreiben und Buchführung teil und beschritt damit einen weiteren, ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit mehr angemessenen Ausbildungsweg. Nach den Feststellungen des LSG war sie aber erst im März 1963 gezwungen, sich - endgültig - einer gänzlich anderen Ausbildung zu unterziehen. Es kann dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn bereits zu Beginn der Erkrankung im Januar 1961, d. h. kurz vor Abschluß ihrer zweijährigen Ausbildung an der Bildungsanstalt für Frauenberufe, mit einer Fortsetzung der Schulausbildung nicht mehr zu rechnen gewesen wäre. Die Erkrankung erschien ihrer Natur nach zunächst jedenfalls nicht so schwerwiegend, daß die Fortsetzung der Schulausbildung objektiv oder mindestens nach Auffassung der Klägerin unmöglich geworden war. Nachdem der Kuraufenthalt schon am 7. Juli 1961 beendet war, teilte die Mutter der Klägerin im Dezember 1961 dem Versorgungsamt mit, zur Vermeidung einer Reaktivierung sei der Klägerin der volle Schulbesuch "noch" nicht gestattet. Auf Grund der fachärztlichen Beurteilung des Dr. H rechnete sie somit zu einer Zeit, als die Klägerin den Kursus für Maschinenschreiben usw. schon besuchte, noch damit, daß die Klägerin wieder in die Bildungsanstalt für Frauenberufe eintreten könne. Für die Frage, von welchem Zeitpunkt an eine Ausbildung abgebrochen wird, kommt es auf den objektiven Sachverhalt an. Die Ausbildung ist solange nicht abgebrochen, als die Fortsetzung der Ausbildung noch beabsichtigt ist und die Natur der Erkrankung nicht schon objektiv erkennbar die weitere Ausbildung nicht mehr zuläßt. Nach der Bescheinigung des Dr. H vom 13. Dezember 1961 handelte es sich bei der Krankheit um eine rechtsseitige Oberfeld-Tuberkulose mit kleiner Einschmelzung. Der Lungenprozeß hatte sich soweit zurückgebildet, daß zwar "stundenweise der Schulbesuch wieder aufgenommen werden" konnte, für die nächste Zeit aber noch Schonung erforderlich war. Die Bildungsanstalt wurde im November 1961 offenbar nur deswegen noch nicht wieder besucht, weil der Unterricht an dieser Anstalt zu anstrengend, insbesondere die Stundenzahl zu hoch war. Hiernach war auch im November 1961 noch nicht abzusehen, daß die Klägerin in Zukunft nicht mehr imstande sein werde, das ursprünglich geplante Ausbildungsziel zu verwirklichen. Deshalb befand sie sich bis einschließlich November 1961 im Sinne des § 45 Abs. 4 a BVG noch in der Schulausbildung. Die Waisenrente war ihr daher vom 1. Februar 1961 bis 30. November 1961 zu gewähren.
Die Revision ist somit begründet. Die Bescheide des Beklagten vom 30. März 1961 und 9. November 1961, mit denen die Waisenrente über den 31. Januar 1961 hinaus versagt wurde, sind rechtswidrig und waren deshalb aufzuheben. Die nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ermöglichen eine Entscheidung des erkennenden Senats in der Sache. Unter Aufhebung der Urteile des SG und des LSG war der Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, der Klägerin vom 1. Februar 1961 bis 30. November 1961 Waisenrente zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2380247 |
BSGE, 186 |