Leitsatz (amtlich)
Betrifft die Berufung die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse und war im Verfahren vor dem SG neben der Rentenhöhe auch der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung iS des BVG streitig, so ist die Berufung nach SGG § 150 Nr 3 auch dann zulässig, wenn das SG eine wesentliche Änderung der Verhältnisse verneint und deshalb über die streitige Zusammenhangsfrage nicht entschieden hat.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. April 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Beim Kläger waren als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Zahnverlust nach Dienstunfall und Schußbruch der 2. und 3. Rippe links und des linken Schulterblattes mit Trümmerdefekt des linken Schulterblattes im oberen Bereich, Zertrümmerung der 2. linken Rippe im seitlichen Anteil, Absprengung mehrerer Knochenstücke in den Weichteilen der Umgebung sowie geringfügige Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenkes ohne Rentengewährung anerkannt worden. Im Widerspruchsbescheid wurde ausgeführt, die Schmerzen im linken Arm seien auf eine schädigungsunabhängige Bandscheibenerkrankung und Spondylosis deformans der Halswirbelsäule zurückzuführen. Im folgenden Klageverfahren führte Dr. L die Beschwerden im linken Schultergelenk zum Teil auch auf die Verwundung zurück; er nahm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. an. Daraufhin erkannte der Beklagte 1957 für die anerkannten Schädigungsfolgen eine MdE um 30 v. H. unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit des Klägers als Maler an. Der Kläger nahm das Anerkenntnis an und die Klage zurück. Auf den Rentenerhöhungsantrag von August 1962 verneinte Dr. B eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen. Die etwas stärkere Behinderung im linken Schultergelenk infolge von Schmerzen sei ebenso wie die Beschwerden im rechten Arm auf Veränderungen der Halswirbelsäule zurückzuführen. Diese seien jedoch keine Schädigungsfolgen. Der Erhöhungsantrag wurde mit Bescheid vom 29. November 1962 abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger ua geltend, die Schädigung der Halswirbelsäule müsse mit dem Dienstunfall von 1944 in Verbindung gebracht werden. Nach erfolglosem Widerspruch beantragte der Kläger im Klageverfahren, Rente nach einer MdE um 40 v. H. zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) hörte Dr. L und Dr. N; letzterer kam zu dem Ergebnis, daß sich die Schädigungsfolgen nicht verschlimmert hätten. Nachweisbar sei jedoch eine erhebliche Schmerzhaftigkeit bei allen Bewegungen im linken Schultergelenk. Diese werde durch eine Exostose des Schulterblattes, das durch die Schußverletzung deformiert sei und mit der 2. und 3. Rippe links teilweise Berührung habe, ausgelöst. Deshalb komme es bei Bewegungen zu Periostreizungen, wodurch die Schmerzen entstünden. Sie seien nicht auf die von Kriegseinwirkungen unabhängigen Veränderungen der Halswirbelsäule zurückzuführen. Dr. N bewertete die MdE mit 30 v. H. Mit Urteil vom 30. November 1965 wies das SG die Klage ab, weil sich der anerkannte Leidenszustand nicht verschlimmert habe. Die Bewegungsschmerzen im linken Schultergelenk seien glaubhaft, jedoch hätten sich keine wesentlich größeren Funktionsausfälle nachweisen lassen. Daher könne dahinstehen, ob diese Schmerzen durch die Exostose als Folge der Schußverletzung oder durch die Veränderungen der Halswirbelsäule hervorgerufen würden, denn auch im ersteren Falle könne eine Erhöhung der MdE nicht erfolgen, weil eine gewisse Zunahme der Beschwerden ohne weitere Funktionseinschränkung nicht als wesentliche Veränderung in den Verhältnissen angesehen werden könne. Das Urteil ist mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, daß die Berufung nicht zulässig sei, es sei denn, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde. Im Berufungsverfahren trug der Kläger ua vor, durch das Gutachten des Dr. N sei festgestellt, daß die Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks infolge der Schädigung zugenommen habe und die Schmerzen dadurch verursacht würden. Auch müsse der während des Krieges eingetretene Leistenbruchschaden als Schädigungsfolge berücksichtigt werden. Das Landessozialgericht (LSG) verwarf die Berufung des Klägers mit Urteil vom 5. April 1966 als unzulässig, da sie die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse (2. Alternative des § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) betreffe und davon nicht die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente abhänge. Zwar sei die Berufung zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG streitig sei oder das SG eine Gesundheitsstörung nicht als feststellbar erachte (§ 150 Nr. 3 SGG). Weder die Voraussetzungen der 1. noch der 2. Alternative dieser Vorschrift seien hier gegeben. Zwar lege Dr. N dar, daß die Beschwerden in der linken Schulter entgegen der Ansicht von Dr. B auf die Schußverletzung zurückzuführen seien, es könnte aber nur dann von einem Streit über den ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG, 1. Alternative, gesprochen werden, wenn wegen dieser Beschwerden eine wesentliche Verschlimmerung gegenüber dem Befund bei der Klagerücknahme 1957 angenommen werden müßte. Das sei nicht der Fall. Da eine weitere Verschlimmerung nicht nachgewiesen sei, sei in erster Instanz nicht streitig gewesen, ob und inwieweit eine solche Verschlimmerung Folge schädigender Einwirkungen des Wehrdienstes war, weshalb ein Streit über den ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG nicht vorgelegen habe. Auch dadurch, daß der Kläger in der Berufungsbegründung vortrage, die Veränderungen der Halswirbelsäule, das Nachlassen der Funktionsfähigkeit des rechten Armes sowie Beschwerden nach einem Leistenbruch seien ebenfalls Schädigungsfolgen, werde die Berufung nicht über § 150 Nr. 3 SGG zulässig, da der Rechtsmittelkläger eine Beschwer nicht durch Erweiterung der Klage im Berufungsverfahren begründen könne. Ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG liege nicht vor.
Mit Beschluß vom 8. September 1966, zugestellt am 15./16. September 1966, wurde dem Kläger das Armenrecht bewilligt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat am 13. Oktober 1966 Revision eingelegt, am 14. Oktober 1966 wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und am 14. November 1966 die Revision begründet.
Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens und eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG). Er trägt ua vor, die MdE sei zu niedrig festgesetzt. Bei der MdE von 30 v. H. sei die besondere berufliche Betroffenheit nicht berücksichtigt. Zu Unrecht habe das LSG die Berufung nach § 148 Nr. 3 SGG als unzulässig verworfen. In Wirklichkeit sei die Schwerbeschädigteneigenschaft im Streit gewesen. Zu Unrecht habe das LSG verneint, daß der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG streitig sei. Es sei streitig gewesen, ob die sich verstärkenden Schmerzen Folgen eines cervicalen Syndroms oder des Knochenauswuchses am Durchschuß seien.
Der Kläger beantragte, die Urteile des SG und des LSG sowie die Bescheide vom 29. November 1962 und 28. Mai 1963 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen neuen Bescheid zu erteilen, in welchem die MdE des Klägers entsprechend der tatsächlichen Einbuße an Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der besonderen Betroffenheit in beruflicher Hinsicht und der Schmerzen sowie anderer seelischer Behinderungen festgestellt wird, sowie den Beklagten zu verurteilen, die erhöhte Rente ab 1. August 1962 zu zahlen, hilfsweise, die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Der Beklagte stellte keinen Antrag.
Da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers innerhalb der Monatsfrist des § 67 Abs. 2 SGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Revision eingelegt, sowie innerhalb eines weiteren Monats (der 13. November 1966 ist ein Sonntag) die Revision begründet hat (vgl. BSG in SozR Nr. 19 zu § 67 SGG), war dem Kläger wegen der Versäumung der Revisions- und Revisionsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die hiernach form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig und auch statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Zutreffend rügt der Kläger, das LSG habe die Berufung zu Unrecht nach § 148 Nr. 3 SGG als unzulässig verworfen, weil der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG nicht streitig gewesen sei.
Nach § 150 Nr. 3 SGG ist die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG streitig ist. In diesem Fall entfällt der Berufungsausschließungsgrund des § 148 Nr. 3 SGG, wonach die Berufung unzulässig ist, wenn sie die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betrifft.
Die Auffassung des LSG, von einem Streit über den ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG könne nur dann gesprochen werden, wenn wegen dieser Beschwerden eine wesentliche Änderung gegenüber früher eingetreten ist, und daß in erster Instanz ein Streit über den ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG nicht vorgelegen habe, weil eine weitere Verschlimmerung nicht nachgewiesen sei, ist nicht frei von Rechtsirrtum. Die Frage, ob eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG ursächlich zusammenhängt, hat mit der anderen Frage, wie diese Gesundheitsstörung bei der Bemessung der MdE zu bewerten ist und ob sie sich verschlimmert hat, nur insofern etwas zu tun, als die Festsetzung einer höheren MdE die Bejahung des ursächlichen Zusammenhanges voraussetzt. Im übrigen besteht zwischen beiden Fragen sogar verfahrensrechtlich insofern ein Gegensatz, als gegen ein Urteil, das die Erhöhung der MdE von 30 auf 40 v. H. wegen Fehlens einer wesentlichen Änderung (Verschlimmerung) versagt, die Berufung grundsätzlich unzulässig ist, während sie kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift bei Streit über den ursächlichen Zusammenhang zulässig ist. Dabei ist es unwesentlich, ob mangels Eintritts einer wesentlichen Änderung im Gesamtleidenszustand eine Erhöhung der MdE etwa nicht erfolgen kann, denn von der Entscheidung, ob eine Gesundheitsstörung eine Schädigungsfolge ist, hängt nicht nur die Höhe der Rente, sondern vor allem auch der Anspruch auf Heilbehandlung ab (vgl. BSG 13, 220, 227). In diesem Falle bleibt die Berufung jedenfalls dann zulässig, wenn - wie hier - die Frage einer Verschlimmerung weiterhin streitig ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob das SG, wenn es zur Sache entschieden hat, über die streitige Zusammenhangsfrage eine Entscheidung getroffen hat. § 150 Nr. 3 SGG fordert lediglich, daß ein solcher Streit besteht, nicht, daß das SG über diesen Streit entschieden haben müsse; es genügt, daß der Zusammenhang vor dem SG streitig war. Letzteres ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlauf des § 150 Nr. 3 SGG, wohl aber aus der Erwägung, daß die Beschwer des Rechtsmittelklägers im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vorliegen muß und eine Beschwer nicht durch eine Erweiterung der Klage im Berufungsverfahren begründet werden kann (vgl. BSG 11, 26). Etwas anderes besagt auch die noch vor der Änderung des Sozialgerichtsgesetzes idF vom 23. August 1958 ergangene Entscheidung des erkennenden Senats vom 5. September 1956 in BSG 3, 271, 273 nicht, wenn es dort heißt, ob der ursächliche Zusammenhang im Sinne des § 150 Ziffer 3 SGG streitig und daher die Berufung zulässig ist, richte sich nach dem Inhalt des Urteils des SG. Damit ist, wie sich aus den sonstigen Ausführungen dieser Entscheidung ergibt, nur klargestellt worden, daß es nicht auf den Streitgegenstand im Berufungsverfahren ankommt (aaO S. 272). Die Voraussetzungen des § 150 Nr. 3 SGG sind somit jedenfalls dann gegeben, wenn sich der Streit über den ursächlichen Zusammenhang aus dem SG-Urteil ergibt. Das ist hier der Fall, weshalb es dahingestellt bleiben konnte, was zu gelten hat, wenn der ursächliche Zusammenhang im Verwaltungs- und Klageverfahren streitig war, das SG dies aber in fehlerhafter Weise im Urteil unberücksichtigt gelassen hat.
Im Urteil des SG vom 30. November 1965 ist ausgeführt, daß Dr. B die Beschwerden auf die Wirbelsäulenveränderungen, die keine Schädigungsfolgen seien, bezogen habe, daß auch der Widerspruchsbescheid die Wirbelsäulenveränderungen als degenerative Vorgänge bezeichnet habe, und daß andererseits Dr. N die erhebliche Schmerzhaftigkeit auf die Schußverletzung zurückgeführt habe. Das SG hat es in den Urteilsgründen mangels einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen dahingestellt sein lassen, ob die Bewegungsschmerzen auf die Schußverletzung oder die schädigungsunabhängigen Veränderungen der Halswirbelsäule zurückzuführen sind und damit zum Ausdruck gebracht, daß die Frage des ursächlichen Zusammenhangs insoweit streitig ist. Im übrigen hat schon der Ablehnungsbescheid vom 29. November 1962 zwar eine etwas stärkere Behinderung des linken Schultergelenks infolge der Schmerzen eingeräumt, diese aber auf schädigungsunabhängige Wirbelsäulenveränderungen zurückgeführt. In der Klageschrift vom 6. Januar 1964 hat sich der Kläger gegen die Ablehnung einer höheren Einstufung der MdE wegen einer Verschlimmerung in der linken Schulterverletzung gewandt und geltend gemacht, insbesondere habe die Einschränkung der Beweglichkeit des Schultergelenks zugenommen. Der Kläger hat schließlich auch im Berufungsverfahren noch vorgetragen, daß die Beschwerden des linken Armes und der linken Schulter nicht auf die Wirbelsäulenveränderung zurückzuführen, sondern ... röntgenologisch festgestellte Schädigungsfolgen seien.
Nach alledem war im vorliegenden Fall der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG streitig und die Berufung somit nach § 150 Nr. 3 SGG (1. Alternative) zulässig. Dadurch, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen, leidet sein Verfahren an einem wesentlichen Mangel (BSG 1, 283). Dieser Verfahrensmangel macht die Revision bereits statthaft, weshalb nicht mehr geprüft zu werden brauchte, ob noch weitere Verfahrensmängel vorliegen. Eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG konnte dem LSG schon deshalb nicht unterlaufen sein, weil es keine Sachentscheidung getroffen hat. Die Revision ist auch begründet, da das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht. Da der Senat die unterbliebene Sachentscheidung nicht nachholen konnte, war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen