Beteiligte
Kläger und Revisionskläger, Unterbevollmächtigter |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger fordert von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) die Übernahme der Kosten eines von ihm angeschafften Autokindersitzes.
Die am 20. November 1972 geborene Tochter des bei der Beklagten versicherten Klägers ist in mehrfacher Hinsicht behindert. Der Kläger beantragte deshalb am 12. Dezember 1974 die Übernahme der Kosten eines für sie anzuschaffenden Spastiker-Kinderwagens und eines Autokindersitzes. Mit Bescheid vom 5. März 1975 erklärte sich die Beklagte bereit, die Kosten für den Kinderwagen zu übernehmen. Hinsichtlich des Autokindersitzes dagegen lehnte sie eine Kostenübernahme ab, weil ein solcher Sitz keine Krankenkassenleistung darstelle. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Während des Klageverfahrens kaufte der Kläger einen normalen Autokindersitz und begehrte von der Beklagten nunmehr die Übernahme der dafür aufgewandten Kosten von 140,-- DM. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 29. Oktober 1976 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 8. Juni 1977). Es hat ausgeführt: Der vom Kläger angeschaffte Kindersitz sei kein Hilfsmittel i.S. des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dieser Sitz sei vielmehr ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand, wie ihn auch ein gesundes Kind im Alter der Tochter des Klägers für einen gefahrlosen Transport im Auto benötige. Die Krankenkasse schulde jedoch nur die medizinischen Mittel der gezielten Krankheitsbekämpfung. Mehraufwendungen, die der Versicherte im Bereich des täglichen Lebens wegen seiner Krankheit habe, seien von ihr nicht zu tragen.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung des § 182b RVO. Er meint, der Autokindersitz sei ein medizinisches Hilfsmittel, das der Sicherung eines Heilerfolgs diene. Der Sitz schaffe erst die Möglichkeit, die medizinische Heilbehandlung seines Kindes fortzusetzen; denn das Kind sei ohne diesen Sitz nicht transportfähig.
Der Kläger beantragt,die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben, die ihnen zugrunde liegenden Bescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für den Autokindersitz in Höhe von 140,-- DM zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet. Die beklagte AOK ist nicht verpflichtet, die 140,-- DM betragenden Anschaffungskosten des vom Kläger gekauften Kindersitzes zu übernehmen.
Der Kläger könnte mit dem auf eine Geldleistung gerichteten Klageanspruch allenfalls dann durchdringen, wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ihn im Rahmen der Familienhilfe (§ 205 RVO) mit dem für sein damals 2-jähriges, mehrfach behindertes Kind bestimmten Autokindersitz auszustatten, ihm also diesen Sitz direkt, d.h. in natura zu gewähren; denn das System der deutschen sozialen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt (vgl. BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr. 4 S. 10) und nach diesem Prinzip ist es Aufgabe der Krankenkasse, den Leistungsgegenstand als solchen dem Versicherten zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend sind seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG vom 7. August 1974, BGBl. I 1881), also seit dem 1. Oktober 1974 (§ 45 Abs. 1 RehaAnglG) auch Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel - anders als nach vorherigem Recht (§ 187 Nr. 3 RVO a.F.) - ausschließlich Gegenstand von Sachleistungen der sozialen Krankenversicherung (BSGE 42, 229 - SozR 2200 § 182b Nr. 2). Das RehaAnglG (§ 21 Nr. 5) hat diese Hilfsmittel ebenso wie Körperersatzstücke in den Katalog der von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden Leistungen der Krankenhilfe aufgenommen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 c RVO a.F.) und der durch dieses Gesetz (§ 21 Nr. 7) neu geschaffene § 182b RVO gibt dem Versicherten gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken sowie mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen.
Der vom Kläger für sein behindertes Kind angeschaffte normale Autokindersitz ist jedoch - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - kein Hilfsmittel i.S. dieser Vorschrift; denn bei der von der Krankenkasse geschuldeten Hilfe für Behinderte ist sowohl von der Zielsetzung als auch von der Art der Maßnahme her der eingeschränkte Aufgabenkreis der Krankenversicherung zu berücksichtigen. Die gesetzliche Krankenversicherung hat lediglich die Aufgabe, ihre Mitglieder und deren Angehörige im (Versicherungs-)Fall der Krankheit zu schützen (§ 165 Abs. 1 RVO) und darüber hinaus - wenn auch nicht unbeschränkt - Krankheitsfolgen auszugleichen. Daraus ergibt sich, daß dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung nur die, Hilfsmittel zuzuordnen sind, die die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes in medizinischer Hinsicht bessern, beheben oder beseitigen sollen. Sie müssen dazu dienen, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans zu ersetzen oder zu ergänzen (BSGE 37, 138, 141 - SozR 2200 § 187 Nr. 1). Die Krankenkasse schuldet deshalb einem Behinderten nur die Hilfe, die unmittelbar auf die Behinderung gerichtet ist. Andererseits ist - wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 -; zur Veröffentlichung vorgesehen) - hier vorwiegend für jene Maßnahmen kein Raum, die nicht auf die Behinderung selbst zielen, sondern deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet betreffen. Hilfsmittel, die dem Ausgleich der auf diesen Gebieten liegenden Benachteiligungen dienen, können deshalb nicht Gegenstand der Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse sein.
Der vom Kläger angeschaffte - normale - Autokindersitz gehört aber allenfalls zu dieser Art von Hilfsmitteln; denn die Benutzung eines solchen Sitzes durch ein behindertes Kind dient nicht dem medizinischen Ausgleich seiner körperlichen Behinderung, sondern - ebenso wie bei einem gesunden Kind - seiner Eingliederung in das mit zunehmender Technisierung immer stärker vom Kraftfahrzeug beeinflußte tägliche Leben. Es handelt sich bei einem solchem Kindersitz um einen Gebrauchsgegenstand des privaten Bereichs, wie er für einen möglichst sicheren Autotransport auch jedes im Alter der Tochter des Klägers befindlichen gesunden Kindes benötigt wird. Zu dem durch die Krankenversicherung nicht erfaßten Lebensbereich gehören aber auch Mehrausgaben für Gebrauchsgüter, die infolge Krankheit oder Behinderung erforderlich werden. Solche Mehrausgaben sind - auch das hat der Senat bereits entschieden -, wenn sie nicht der Eigenverantwortung überlassen sind, allenfalls von den Leistungsträgern zu übernehmen, die - wie z.B. die Kriegsopferversorgung - nach den Grundsätzen des Schadenersatzes zu leisten haben (vgl. BSGE 42, 229, 232 = SozR 2200 § 182b Nr. 2 Seite 4).
Nach alledem steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Das LSG hat deshalb seine Berufung gegen das die Klage abweisende sozialgerichtliche Urteil mit Recht als unbegründet zurückgewiesen. Seiner Revision muß der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung folge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.3 RK 61/77
Bundessozialgericht
Verkündet am 21. März 1978
Fundstellen