Leitsatz (amtlich)

Der höhere Bedarfssatz bei Unterbringung in einem Wohnheim oder Internat gemäß AAusb § 11 Abs 2 idF vom 1972-10-04 steht dem Auszubildenden, der die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus in angemessener Zeit erreichen könnte, auch dann nicht zu, wenn er tatsächlich nicht in der Wohnung seiner Eltern aufgenommen werden kann.

 

Normenkette

AFG § 40 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; AusbFöAnO § 11 Abs. 1 Fassung: 1972-10-04, Abs. 2 Fassung: 1972-10-04

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.06.1976; Aktenzeichen L 12 Ar 192/75)

SG Duisburg (Entscheidung vom 10.11.1975; Aktenzeichen S 6 Ar 128/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1976 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der ... 1958 geborene Kläger wurde seit September 1973 bei der A AG in D-R zum Maschinenschlosser ausgebildet. Dafür bewilligte ihm das Arbeitsamt D Berufsausbildungsbeihilfe (BAB). Der Kläger wohnte bei seiner Mutter, der nach der Scheidung ihrer Ehe mit dem Vater des Klägers das Sorgerecht für ihn übertragen worden war. Im November 1973 starb die Mutter. Der Vater nahm den Kläger nicht in seine Wohnung auf, weil seine Ehefrau zu 70 % erwerbsgemindert ist. Deshalb wurde der Kläger in ein Jugendheim eingewiesen. Der Weg zur Ausbildungsstätte war von dem Heim etwa genauso weit wie von der Wohnung des Vaters.

Das Arbeitsamt D bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 15. Oktober 1974 BAB ab 1. September 1974 mit monatlich 49,- DM. Dabei ging es vom Bedarf für den Lebensunterhalt eines bei den Eltern untergebrachten Auszubildenden aus. Der Kläger verlangte mit dem Widerspruch eine höhere BAB unter Zugrundelegung der Kosten für Verpflegung und Unterkunft im Heim samt Taschengeld, weil die Heimunterbringung keine erzieherische Maßnahme sei. Im Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1975 führte das Arbeitsamt aus, der als Bedarf für den Lebensunterhalt festgesetzte Betrag von 305,- DM gelte auch dann, wenn der Auszubildende zwar nicht in der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils untergebracht sei, wenn er die Ausbildungsstätte jedoch von deren Wohnung aus in angemessener Zeit erreichen könne. Die durchschnittliche Wegezeit vom Heim zur Ausbildungsstätte und zurück betrage weniger als zwei Stunden.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. November 1975 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Mit Urteil vom 23. Juni 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen. Es hat in den Gründen ausgeführt:

Der BAB könnten nicht die Kosten für Unterbringung und Verpflegung im Heim zugrundegelegt werden, denn der Kläger könne die Ausbildungsstätte von dem Elternhaus aus in angemessener Zeit, nämlich in einer halben Stunde, erreichen. Überdies sei die Unterbringung in dem Heim nicht wesentlich durch die Ausbildung des Klägers zum Maschinenschlosser bedingt gewesen. Auch ohne die Ausbildung hätte sein Vater ihn nicht in die Wohnung aufgenommen; er hätte ihm nach seinen glaubwürdigen Angaben vielmehr ein möbliertes Zimmer besorgen müssen.

Mit der zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, ihm stehe die BAB nach dem Bedarf eines in einem Wohnheim mit voller Verpflegung untergebrachten Auszubildenden zu. Es sei ihm unmöglich gewesen, bei seinem Vater zu wohnen. In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 1973 (SozR AA vom 31. Oktober 1969 § 11 Nr 1) habe das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, daß Mehrkosten aus einer Heimunterbringung nicht durch die Berufsausbildung verursacht seien, wenn ein Elternhaus bestehe und der Auszubildende während der Ausbildung dort wohnen könnte. Andernfalls könnte auch gar nicht von der Existenz eines Elternhauses ausgegangen werden. Er - der Kläger - könne aber nicht bei seinem Vater wohnen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Duisburg vom 10. November 1975 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit ab 1. September 1974 eine BAB zu leisten, bei der der Unterhaltsbedarf zugrunde gelegt wird, der nach § 11 Abs 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung - A-Ausbildung -, hier in der Fassung der 6. Änderungsanordnung vom 28. Februar 1974 (ANBA S 597), für Auszubildende anzusetzen ist, die in einem Wohnheim mit voller Verpflegung untergebracht sind.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie meint, das angefochtene Urteil stimme mit der Rechtsprechung des BSG überein.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und zulässig, aber nicht begründet.

Mit Recht hat das LSG im angefochtenen Urteil die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage war abzuweisen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere BAB. Gemäß § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965) gewährt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) Jugendlichen und Erwachsenen Zuschüsse für Maßnahmen der beruflichen Ausbildung. Die Höhe der BAB hat die BA in der A-Ausbildung geregelt, die hier idF der 7. Änderungsanordnung vom 6. Juni 1974 (ANBA S 965) anzuwenden ist. Sie bestimmt sich nach dem Bedarf für den Lebensunterhalt und nach dem Bedarf für die Ausbildung - § 9 A-Ausbildung -. Bei unverheirateten Auszubildenden, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden nach § 11 Abs 1 ein Bedarf für den Lebensunterhalt von 305,- DM zugrundegelegt, bei Unterbringung in einem Wohnheim oder Internat hingegen die amtlich festgesetzten Kosten für Verpflegung und Unterkunft (§ 11 Abs 2). Durch die 4. Änderungsanordnung zur A-Ausbildung vom 4. Oktober 1972 (ANBA S 1009) ist die Gewährung des höheren Bedarfssatzes nach Abs 2 an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft worden. Für den Bedarfssatz von 285,- DM (ab 1. September 1974 = 305,- DM) wurde zwar ausdrücklich vorgeschrieben, daß er nur zugrundezulegen ist, wenn der Auszubildende im Haushalt der Eltern oder eines Elternteiles lebt. Dies gilt aber nach § 11 Abs 1 Satz 2 A-Ausbildung auch dann, wenn der Auszubildende zwar nicht im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils untergebracht ist, er die Ausbildungsstätte jedoch von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus in angemessener Zeit erreichen könnte.

Der Kläger hat nur die Voraussetzungen für die Gewährung von BAB nach dem Bedarfssatz gemäß § 11 Abs 1 A-Ausbildung erfüllt. Von der Wohnung seines Vaters aus konnte er die Ausbildungsstätte nach den Feststellungen des LSG in angemessener Zeit erreichen. Im Sinne des § 11 Abs 1 Satz 2 A-Ausbildung war der Vater ein Elternteil und hatte eine Wohnung. Seinem Vater war mit dem Tod der Mutter kraft Gesetzes die elterliche Gewalt zugefallen - § 1681 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - (BGB). Sie stand ihm auch in der hier streitigen Zeit weiter zu, da der Kläger am 1. September 1974 erst im 16. Lebensjahr stand.

Die Anwendung des § 11 Abs 1 Satz 2 A-Ausbildung setzt nicht voraus, daß der Auszubildende in der Wohnung des Elternteils tatsächlich wohnen konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen:

Im Gesetz (§ 40 AFG) ist die Höhe der Zuschüsse für die Berufsausbildung nicht geregelt. Die BA ist nach § 39 AFG ermächtigt, das Nähere über Voraussetzungen, Inhalt und Umfang der Förderung der Berufsausbildung zu bestimmen. Dabei hat sie ua die persönlichen Verhältnisse und den Zweck der Förderung zu berücksichtigen. Sie gewährt BAB nach dem Bedarf für den Lebensunterhalt und nach dem Bedarf für die Ausbildung. Um den weniger bemittelten Personen überhaupt eine Ausbildung zu ermöglichen, leistet sie einen Beitrag zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes während der Ausbildung. Weitere Zuschüsse gewährt sie für bestimmte Kosten, die durch die Ausbildung verursacht werden (§ 13 A-Ausbildung) und ausnahmsweise für sonstige Kosten, die durch die Ausbildung unvermeidbar entstehen (§ 14 A-Ausbildung). Die BAB richtet sich also nach zwei Maßstäben, nämlich dem Bedarf für den Lebensunterhalt während der Ausbildungszeit und den durch die Ausbildung verursachten Kosten. In § 11 Abs 2 A-Ausbildung wird der erhöhte Bedarf für die Unterbringung und Verpflegung in einem Wohnheim oder Internat zugrundegelegt. Bei der Übernahme dieser Kosten steht das Verursachungsprinzip im Vordergrund, denn die Unterbringung des Auszubildenden in einem Wohnheim oder Internat erfolgt in der Regel wegen der Ausbildung. Das gilt eindeutig für die typischen Fälle der Heimunterbringung, wenn am Wohnort der Eltern kein geeigneter Ausbildungsplatz vorhanden ist. Nach § 11 Abs 1 Satz 2 sind die Kosten des Wohnheims oder Internats nicht zugrundezulegen, wenn der Auszubildende die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus in angemessener Zeit erreichen könnte. Die A-Ausbildung hatte in der früheren Fassung eine solche Bestimmung nicht enthalten. Dazu hatte aber der Senat entschieden, es entspreche dem Sinn der Ausbildungsförderung, auch bei den Kosten für den Lebensunterhalt nur diejenigen zu berücksichtigen, die durch die Ausbildung verursacht sind. Heimunterbringungskosten seien nur dann durch die Berufsausbildung entstanden, wenn diese nicht am Wohnort der Eltern oder in zumutbarer Nähe möglich sei oder überhaupt kein Elternhaus bestehe. Dagegen seien Heimunterbringungskosten nicht zu berücksichtigen, wenn ein Elternhaus bestehe "und der Auszubildende während der Ausbildung dort wohnen könnte" (BSG SozR AA v. 31. Oktober 1969 § 11 Nr 1).

Die Einschränkung, die der Senat mit dem letzten Satzteil gemacht hat, steht der Vorschrift des § 11 Abs 1 Satz 2 in der hier maßgebenden Fassung nicht entgegen. Zutreffend geht das LSG vielmehr davon aus, daß die Beklagte in der A-Ausbildung bei Vorhandensein der Wohnung eines Elternteils am Ausbildungsort nicht darauf abstellen mußte, ob der Auszubildende zumutbar dort wohnen kann. Wesentliche Bedingung für die Unterbringung im Heim ist die Ausbildung nicht ohne weiteres deshalb, weil der Auszubildende in der Wohnung seiner Eltern nicht aufgenommen werden oder nicht wohnen bleiben kann. Dazu hat das LSG im vorliegenden Falle festgestellt, daß der Kläger auch ohne die Ausbildung nicht hätte bei seinem Vater wohnen können. Daraus folgt aber, daß die Heimunterbringung des Klägers nicht durch seine Ausbildung verursacht war.

Allerdings kann der ursächliche Zusammenhang zwischen Ausbildung und Unterbringung im Heim nicht zwingend der einzige Grund für die Kostenübernahme nach § 11 Abs 2 A-Ausbildung sein. So erfüllt etwa die in einem Wohnheim untergebrachte Vollwaise stets die Voraussetzungen dieser Vorschrift, denn sie hat kein Elternhaus. Ein Jugendlicher ohne Eltern muß aber ohnehin in einem Heim oder Internat wohnen, zumindest ist eine solche Unterbringung als notwendig anzuerkennen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Jugendliche in Ausbildung steht oder nicht. Daraus folgt, daß die A-Ausbildung in einem solchen Fall nicht den Kausalzusammenhang zwischen Unterbringung und Ausbildung, sondern vielmehr pauschal die Notwendigkeit der Heimunterbringung bei dieser Personengruppe in den Vordergrund gestellt hat. Die Notwendigkeit des besonderen Bedarfs ist ein sachlicher Gesichtspunkt für die Bewilligung der erhöhten BAB in diesen Fällen. Es erscheint andererseits nicht sachfremd, daß die BA die Kosten der Heimunterbringung nicht übernimmt, wenn eine elterliche Wohnung am Ausbildungsort vorhanden ist. In diesen Fällen ist der erhöhte Bedarf regelmäßig nicht notwendig, so daß es allein deswegen schon gerechtfertigt ist, ihn pauschal nicht anzuerkennen. Darüber hinaus ist auch im nicht-typischen Fall die Heimunterbringung nicht in der Weise zwingend geboten wie bei der Vollwaise. Wenn überhaupt noch ein Elternteil vorhanden ist und dieser eine Wohnung am Ausbildungsort hat, dann ist es im allgemeinen nicht völlig ausgeschlossen, daß der Auszubildende dort wohnen bleibt oder einzieht oder daß die Eltern etwa auch mit Hilfe des Wohngeldes für eine größere Wohnung sorgen, in der der Auszubildende in der Familie leben kann.

Die hier vertretene Auslegung des § 40 AFG iVm § 11 A-Ausbildung stimmt überein mit der Auslegung des § 12 Abs 2 des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (BAföG) vom 26. August 1971 (BGBl I, 1409) durch das Bundesverwaltungsgericht. Nach § 12 Abs 2 BAföG wird für Schüler, die nicht bei ihren Eltern wohnen, ein erhöhter Bedarfssatz für die Ausbildungsförderung zugrunde gelegt. Dies gilt aber nur (Satz 2), wenn von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dieser im wesentlichen mit § 11 Abs 1 A-Ausbildung vergleichbaren Regelung und zu der Härteregelung des § 12 Abs 5 BAföG entschieden, daß Aufwendungen für eine Internatsunterbringung nur zu berücksichtigen seien, wenn von der elterlichen Wohnung aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist; andere Gründe, wie etwa die Erwerbstätigkeit des alleinstehenden Elternteils oder beengte Wohnverhältnisse, rechtfertigten nicht die Bewilligung des erhöhten Bedarfssatzes für eine auswärtige Unterbringung (FamRZ 1977 S 829; vgl auch FEVS 22, 165). Dies entspricht auch der Begründung des Regierungsentwurfs des BAföG, nach der andere Gründe als die räumliche Entfernung zur Ausbildungsstätte eine auswärtige Unterbringung nicht rechtfertigen (BT Drucks VI 1975 S 27 zu § 12 Abs 2).

Die Revision ist daher zurückzuweisen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654839

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