Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.05.1989) |
SG Lübeck (Urteil vom 30.08.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1989 geändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 1988 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Anrechnung eines Berufspraktikums als Ausbildungsausfallzeit.
Die 1953 geborene Klägerin erlangte 1971 die mittlere Reife und durchlief von September 1971 bis August 1972 ein Vorpraktikum, um dann von Oktober 1972 bis September 1974 die Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik St. … in H. … zu besuchen. Vom 1. Oktober 1974 an absolvierte sie ein einjähriges Berufspraktikum (Anerkennungspraktikum), das entsprechend den Bestimmungen des Niedersächsischen Kultusministers Bestandteil der Ausbildung ist und nach Abschluß mit einem Kolloquium (im Falle der Klägerin am 15. September 1975) berechtigt, die Berufsbezeichnung „Staatlich anerkannte Erzieherin” zu tragen. Während dieser Zeit bestand ein spezieller Arbeitsvertrag, und es wurden Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichtet; daneben erhielt die Klägerin an der Fachschule sechs Stunden wöchentlich Unterricht.
Mit Bescheid vom 30. Juni 1987 bewilligte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin ab 1. April 1987 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Hierbei wurde neben der Zeit der Schulbildung die Zeit der Fachschulausbildung (Oktober 1972 bis September 1974) als Ausbildungsausfallzeit berücksichtigt. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin die Anrechnung des Vor- und des Anerkennungspraktikums begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. September 1987).
Das Sozialgericht Lübeck (SG) hat die auf Anerkennung beider Praktikumszeiten gerichtete Klage durch Urteil vom 30. August 1988 abgewiesen. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil sowie den Rentenbewilligungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides geändert und die Beklagte verurteilt, die Erwerbsunfähigkeitsrente unter Berücksichtigung einer weiteren Ausfallzeit vom 1. Oktober bis zum 31. August 1975 neu festzustellen; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. In der angefochtenen Entscheidung vom 17. Mai 1989 ist im wesentlichen ausgeführt, das SG habe zutreffend die Anrechnung des Vorpraktikums als Ausfallzeit verneint. Hinsichtlich des Anerkennungspraktikums sei die Berufung der Klägerin jedoch erfolgreich. Die Probeberechnung zeige, daß die Anrechnung dieser Zeit als Ausfallzeit die Rente erhöhe. Der Anrechnung stehe nicht entgegen, daß während dieser Zeit Pflichtbeiträge entrichtet worden seien. Das Anerkennungspraktikum zähle dann zur Fachschulausbildung, wenn der Praktikant der Fachschule angehöre und die praktische Ausbildung von der Schule geleitet werde. Hier sei nach den seinerzeit geltenden Bestimmungen über den Betrieb von Fachschulen für Sozialpädagogik vom 29. Juni 1970 das Ausbildungspraktikum Teil der Gesamtausbildung gewesen. Die Leitung des Praktikums durch die Fachschule ergebe sich unter anderen daraus, daß Beginn und Unterbrechung des Praktikums der Schule zu melden seien, diese der Wahl der Ausbildungsstätte zustimme, das Praktikum lenke und die Praktikanten zu Arbeitsgemeinschaften zusammenführe. Während des Praktikums werde eine Vergütung nach besonderem Tarif, vergleichbar BAT VIII, gezahlt; dagegen sei der staatlich anerkannte Erzieher in BAT VI eingestuft. Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 1986 (SozR 2200 § 1259 Nr 97) stehe nicht entgegen, weil es sich dort nur um die Zeit zwischen Abschlußprüfung und Beginn des Praktikums gehandelt habe. Im übrigen überzeuge jene Entscheidung insofern nicht, als die Entrichtung von Pflichtbeiträgen der Anerkennung als Ausfallzeit nicht entgegenstehe. Schließlich könne aus § 34 Abs 2 des Arbeisförderungsgesetzes (AFG) wegen des dort anderen Regelungstatbestandes mit anderer Zweckrichtung nichts für die hier zu entscheidende Frage gewonnen werden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG weiche vom Urteil des BSG vom 9. September 1982 – 11 RA 70/81 – ab, wonach die Anerkennung des Praktikums als Ausfallzeit voraussetze, daß die praktische Ausbildung innerhalb der Regelstudienzeit stattfinde und der Status als Studierender beibehalten werde.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. August 1988 in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend mit dem Hinweis, die Ausbildung sei erst mit dem Abschluß des Berufspraktikums beendet gewesen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet mit der Folge, daß im Ergebnis das die Klage in vollem Umfang abweisende Urteil des SG wiederhergestellt wird.
Nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sind Ausfallzeiten iS des § 35 AVG Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden
- abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit,
einer weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung,
jedoch eine Schul- oder Fachschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von vier Jahren, eine Hochschulausbildung bis zur Höchstdauer von fünf Jahren.
Für die hier streitige Zeit kann, wie die Vorinstanzen erkannt haben, als Ausfallzeittatbestand nur die (erfolgreich) „abgeschlossene” Fachschulausbildung in Betracht kommen. Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht hat die Klägerin jedoch während des Berufspraktikums keine Fachschulausbildung iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) AVG (mehr) durchlaufen; die – als Ausbildungsausfallzeit anerkannte -Fachschulausbildung war vielmehr mit der am 30. September 1974 erfolgreich abgelegten Abschlußprüfung auch im Sinne der genannten Vorschrift „abgeschlossen”.
Das Anerkennungspraktikum kann der Fachschulausbildung auch nicht gleichgestellt werden. Zwar ist das von der Klägerin zurückgelegte einjährige Berufspraktikum Teil der Gesamtausbildung gewesen, und die Praktikanten erhalten nach erfolgreich beendetem Kolloquium, mit dem das Anerkennungspraktikum abgeschlossen wird, ein Zeugnis, das sie dazu berechtigt, die Berufsbezeichnung „Staatlich anerkannter Erzieher” zu führen. Indessen ist in diesem Zusammenhang zunächst schon zu beachten, daß das Gesetz (aaO Nr 4) auf andere als die dort bezeichneten Ausbildungszeiten nicht entsprechend angewandt werden kann (vgl insbesondere schon BSG SozR Nr 46 zu § 1259 mwN; in neuerer Zeit: SozR 2200 § 1259 Nr 75 S 202). Demzufolge hat das BSG in dem von der Beklagten teilweise wiedergegebenen Urteil vom 9. September 1982 – 11 RA 70/81 (SozR 2200 § 1259 Nr 69) einen praktischen Ausbildungsabschnitt auch dann nicht als Zeit einer Fachschulausbildung gewertet, wenn er mit einer solchen zu einer Gesamtausbildung mit einer später sich auf beide Abschnitte beziehenden Prüfung verbunden ist. Dabei unterscheidet dieses Urteil zwischen in die Fachschulausbildung eingeschlossenem (integrierten) praktischen Dienst und einem von der Fachschulausbildung getrennten praktischen Ausbildungsabschnitt mit eigenem Charakter. Dem folgt der Senat. Auch im vorliegenden Streitfall war das Anerkennungspraktikum nicht in die Fachschulausbildung eingeschlossen, sondern deutlich von ihr getrennt, was schon dadurch augenfällig wird, daß das Praktikum erst beginnen kann, wenn die Ausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik mit einer bestandenen Prüfung „Abschlußprüfung”) beendet ist. Daran vermag nichts zu ändern, daß – wie das LSG im Anschluß an den während der streitigen Zeit geltenden Ministererlaß ausgeführt hat – der Leiter der Fachschule der Wahl der Ausbildungsstätte zustimmte, er das Anerkennungspraktium leitete, mit den Ausbildungsleitern die Ausbildungspläne festlegte und ihm die Ausbildungsleiter über die Praktikanten zu berichten hatten.
Allerdings kennzeichnet das hier streitige Anerkennungspraktikum die Besonderheit, daß es neben der praktischen Berufstätigkeit noch Unterrichtselemente enthielt. Der vor dem SG eingereichten Bescheinigung der Fachschule zufolge erhielt die Klägerin sechs Stunden wöchentlich an dieser Schule Begleitunterricht, in dem theoretisches Wissen und praktische Erfahrungen aufgearbeitet wurden. Damit hat aber dieser Unterricht dem Ausbildungsabschnitt nicht das Gepräge geben können, und zwar schon deshalb nicht, weil eine den Unterricht und andere Ausbildungsformen umfassende fachliche Ausbildung nur dann Fachschulausbildung sein kann, wenn der Unterricht in zeitlicher Hinsicht überwiegt (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 62). Das war hier nicht der Fall.
Im übrigen muß der geltend gemachte Anspruch aus einem weiteren Grund scheitern, nämlich dem, daß die Klägerin „mit einem speziellen Arbeitsvertrag” (Bescheinigung der Fachschule) beschäftigt war, deshalb der Rentenversicherungspflicht unterlag und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Praktikanten in der Regel eine Vergütung nach einem besonderen, BAT VIII vergleichbaren Tarif erhalten (während der streitigen Zeit von Oktober 1974 bis August 1975 hatte die Klägerin der Rentenberechnung zufolge ein monatliches Entgelt von durchschnittlich ca 1.380,– DM). Denn Ausfallzeiten, gleich welcher Art, sollen ihrem Sinn und Zweck nach den Versicherten vor Nachteilen schützen, die dadurch eintreten, daß er durch bestimmte, in seiner Person liegende Umstände – zB einen Schulbesuch – unverschuldet gehindert war, Pflichtbeiträge zu leisten, die er ohne den Ausfallzeittatbestand entrichtet hätte (vgl zB BSGE 41, 41, 49 = SozR 2200 § 1259 Nr 13; BSGE 56, 5, 7 = SozR aaO Nr 79). Dem steht nicht entgegen, daß ein und dieselbe Zeit sowohl Beitragszeit als auch Ausfallzeit (namentlich Ausbildungsausfallzeit) sein kann und selbst Pflichtbeiträge die Existenz einer Ausfallzeit für denselben Zeitraum nicht ausschließen (BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 82, 90). Der 11. Senat des BSG hat nämlich gleichzeitig betont (aaO Nr 90 S 242 unter Hinweis auf aaO Nr 79, SozR 2200 § 1255 Nr 6; § 1255a Nr 6 und SozSich 1978, 252), daß Ausbildungszeiten, die innerhalb eines zumindest an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zurückgelegt werden, keine Ausfallzeiten sind, und lediglich im Falle eines bloßen Nebeneinander von Ausbildungszeit und Beschäftigungsverhältnis die Annahme einer Ausbildungsausfallzeit nicht ausgeschlossen. Dem ist der 5. Senat gefolgt (SozR 2200 § 1259 Nr 107 S 287f). Auch der erkennende Senat hält dies für zutreffend. Hier kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Klägerin gerade wegen ihrer Arbeitspflicht während des Anerkennungspraktikums rentenversicherungspflichtig war und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung leistete.
Das gewonnene Ergebnis entspricht auch dem Konzept des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG. Es wäre wenig verständlich, die Lehrzeit nur als Ausfallzeit gelten zu lassen, wenn sie nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei ist, bei einem Berufspraktikum aber – auch – eine Ausfallzeit anzunehmen, wenn dieses Praktikum in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingebettet ist und während dieser Zeit Pflichtbeiträge entrichtet werden.
Nach allem mußte die Revision der Beklagten Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen