Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsminderung. eingeschränkte Geh- bzw Wegefähigkeit. Zusicherung von Kfz-Hilfe durch den Rentenversicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
Die zum Rentenanspruch führende Wegeunfähigkeit wird nicht dadurch behoben, dass der Rentenversicherungsträger für den Fall der Arbeitsaufnahme einen Zuschuss nach der KfzHV für den Erwerb einer Fahrerlaubnis oder eines Kfz oder mögliche Beförderungsdienste in Aussicht stellt (teilweise Aufgabe BSG vom 19.11.1997 – 5 RJ 16/97 = SozR 3-2600 § 44 Nr 10).
Normenkette
SGB VI § 43 Abs. 2 F: 2000-12-20; SGB 6 § 44 F: 1999-03-24; KfzHV
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. August 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1953 geborene Klägerin ist gelernte Köchin und war bis Februar 1978 in diesem Beruf tätig. Aus persönlichen Gründen gab sie den erlernten Beruf auf und arbeitete von Juli 1979 bis Juni 1992 als Gärtnergehilfin/Erntehelferin. Zuletzt von Oktober 1993 bis Oktober 1994 war die Klägerin als Landschaftsgestalterin im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt. Im Oktober 1996 zog sie sich bei einem Sturz im häuslichen Bereich eine komplette Unterschenkelfraktur links zu.
Am 11. September 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2002 ab. Die nach ihrem beruflichen Werdegang der Berufsgruppe des angelernten Arbeiters im unteren Bereich zuzuordnende Klägerin sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuführen.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Leipzig ua das Gutachten der Ärztin für Orthopädie Dr. C… vom 13. Mai 2003 eingeholt. Die Sachverständige ist auf Grund einer Untersuchung der Klägerin am 31. März 2003 zu dem Ergebnis gelangt, dass diese lediglich in der Lage sei, zweimal täglich maximal 500 Meter zurückzulegen. Die Benutzung eines PKW oder öffentlichen Verkehrsmittels sei nicht beschränkt. Daraufhin erklärte sich die Beklagte mit Bescheid vom 8. März 2004 bereit, der Klägerin “im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung – KfzHV – (Zuschüsse zur Beschaffung eines Kfz oder zur Erlangung einer Fahrerlaubnis, Übernahme der Kosten für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung) unter Berücksichtigung ggf bei einzelnen Leistungen zu beachtenden Einkommensgrenzen zu gewähren.” Ferner heißt es in dem Bescheid: “Es kann auch ein Zuschuss zu ihrer Beförderung, insbesondere durch Beförderungsdienste geleistet werden, wenn Sie ein Kfz nicht selbst führen können und auch nicht gewährleistet ist, dass ein Dritter das Kfz für Sie führt, oder die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von Kfz-Hilfe wirtschaftlicher und für Sie zumutbar ist. Ein Zuschuss zu den Beförderungskosten wird auch gewährt, wenn Sie Wege, die Ihnen auf Grund der Behinderung nicht zumutbar sind, zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses (zB Vorstellungsgespräch) zurücklegen müssen.”
Das SG hat mit Urteil vom 17. März 2004 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung in der Zeit vom 1. Mai 2002 bis 30. April 2005 zu gewähren (Leistungsfall 11. September 2001). Hiergegen haben sowohl die Beklagte als auch die Klägerin Berufung eingelegt. Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 31. August 2004 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese auf die Anschlussberufung der Klägerin verpflichtet, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum 1. April 2002 bis 31. März 2005 zu bewilligen. In der Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe für den tenorierten Zeitraum Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Sie sei nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten Dr. C… seit Antragstellung nicht mehr in der Lage, eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern viermal täglich zurückzulegen. Die Klägerin habe auch keinen Arbeitsplatz inne und könne einen solchen auch nicht mit Hilfe eines Kfz erreichen, weil sie weder im Besitz einer Fahrerlaubnis noch eines Kfz sei. Vom Rentenversicherungsträger sei ihr auch keine den Rentenanspruch ausschließende Leistung zur Teilhabe angeboten worden. Die mit Bescheid vom 8. März 2004 erklärte Zusicherung der Beklagten wirke nicht auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung zurück. Die Zusicherung entfalte vor ihrer Bekanntgabe keine rechtlichen Wirkungen (§ 39 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Auch für den Zeitraum nach ihrer Bekanntgabe stehe der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Die von der Beklagten erteilte Zusicherung sei nicht geeignet, die praktische Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auf Grund der eingeschränkten Wegefähigkeit zu überwinden und die Klägerin bei Vorhandensein eines ihrem Leistungsvermögen angemessenen Arbeitsplatzes wieder ins Erwerbsleben einzugliedern.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 43 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung iVm § 34 SGB X iVm § 16 SGB VI, § 33 Abs 8 Nr 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und §§ 2, 3, 9 KfzHV. Entgegen der Feststellung des Berufungsgerichts liege bei der Klägerin nicht durchgängig eine volle Erwerbsminderung wegen Wegeunfähigkeit vor. Für den Zeitraum von der Rentenantragstellung am 11. September 2001 bis 31. März 2003 bestehe zunächst keine eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin. Zwar habe das eingeholte Sachverständigengutachten dies bejaht. Nach Feststellung des sozialmedizinischen Dienstes sei von einer Wegeunfähigkeit der Klägerin jedoch erst seit ihrer ambulanten Untersuchung durch die Sachverständige Dr. C… am 31. März 2003 auszugehen. Die seitdem bestehende volle Erwerbsminderung sei ab 1. April 2004 wieder entfallen. Der Klägerin sei ab diesem Zeitpunkt auf Grund des erteilten Bescheides vom 8. März 2004 der Arbeitsmarkt nicht mehr praktisch verschlossen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. August 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Urteil des LSG hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Der Klägerin ist zu Recht Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Zeitraum vom 1. April 2002 bis 31. März 2005 zuerkannt worden.
Die Anspruchsvoraussetzungen richten sich nach § 43 Abs 2 SGB VI in der seit Januar 2001 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827).
Gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist dagegen gemäß § 43 Abs 3 1. Halbsatz SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten zurückzulegen, stellt bei dem anzuwendenden generalisierenden Maßstab eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögen als verschlossen anzusehen ist (Großer Senat in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Versicherte einen Arbeitsplatz innehat, der in zumutbarer Entfernung liegt oder mit einem vorhandenen Kfz erreichbar ist, oder wenn ihm ein entsprechender Arbeitsplatz angeboten wird. Diese Kriterien hat das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 Reichsversicherungsordnung und § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung umschrieben hatten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 mwN; SozR 3-2600 § 44 Nr 10). Der Senat ist im Urteil vom 28. August 2002 (B 5 RJ 12/02 R) davon ausgegangen, dass die genannten Maßstäbe für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung unverändert gelten. Dagegen sind auch im jetzigen Verfahren keine Bedenken vorgebracht oder erkennbar geworden.
Ist der Arbeitsmarkt für den Versicherten im aufgezeigten Sinne verschlossen, muss er infolgedessen so lange als voll erwerbsgemindert angesehen werden, wie seine Wegeunfähigkeit nicht behoben wird. Neben der Änderung der persönlichen Situation des Versicherten kann dies durch die erfolgreiche Durchführung einer vom Versicherungsträger bewilligten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation und/oder zur Teilhabe am Arbeitsleben geschehen (in diesem Sinne bereits BSG vom 17. Mai 1972, SozR Nr 101 zu § 1246 RVO; sowie BSG SozR 2200 § 1247 Nr 47; SozR 2200 § 1247 Nr 53). Soweit der Senat in späteren Entscheidungen (Urteile vom 21. Februar 1989 – SozR 2200 § 1247 Nr 56 – und vom 19. November 1997 – SozR 3-2600 § 44 Nr 10) den Eindruck erweckt hat, es genüge bereits das Angebot von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation, um den Eintritt des Versicherungsfalls abzuwenden, hält er hieran in dieser Allgemeinheit nicht fest. Denn die den Versicherungsfall begründende fehlende Mobilität des Versicherten wird regelmäßig nicht schon durch das Angebot von Rehabilitationsmaßnahmen, sondern erst mit deren erfolgreicher Durchführung effektiv wieder hergestellt. Ebenso wenig wie die Aussicht auf eine Maßnahme, die den Versicherten gesundheitlich in die Lage versetzen soll, wieder vollschichtig arbeiten zu können, eine Erwerbsminderung beseitigt, wird die Wegeunfähigkeit des Versicherten bereits dadurch überwunden, dass er (beispielsweise) eine finanzielle Unterstützung bei der Beschaffung eines Kfz zugesagt bekommt. Nach diesen Kriterien haben die Vorinstanzen den Rentenanspruch zu Recht bejaht.
Die Klägerin konnte nach den Feststellungen des LSG auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte körperliche Tätigkeiten mit näher beschriebenen Einschränkungen vollschichtig verrichten. Ihre Gehfähigkeit war seit Antragstellung jedoch derart eingeschränkt, dass sie nicht mehr in der Lage war, Wegstrecken von mehr als 500 Metern viermal täglich zurückzulegen. Diese Feststellungen sind für den Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend, da sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Hierzu hätte es gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG einer Bezeichnung der verletzten verfahrensrechtlichen Rechtsnorm sowie einer Bezeichnung der Tatsachen bedurft, die den Verfahrensmangel ergeben und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne Verfahrensverletzung anders entschieden hätte (dazu und zum Folgenden BSG SozR 1500 § 164 Nr 31; SozR 3-2500 § 109 Nr 9, jeweils mwN).
Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründungsschrift vom 6. Dezember 2004 nicht, soweit dort die Feststellungen des LSG zum Zeitpunkt des Eintritts der eingeschränkten Gehfähigkeit angegriffen worden sind.
Diesbezüglich weist die Beklagte lediglich darauf hin, dass zwar nach dem Sachverständigengutachten vom 13. Mai 2003 eine Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin seit Antragstellung im September 2001 vorliege, nach den Feststellungen ihres sozialmedizinischen Dienstes aber von einer Wegeunfähigkeit der Klägerin erst seit der ambulanten Untersuchung durch die Gutachterin Dr. C… am 31. März 2003 auszugehen sei. Es fehlt insoweit bereits an der Bezeichnung der angeblich verletzten Verfahrensnorm. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgehen würde, dass sie mit ihrem Vorbringen eine Überschreitung der Grenzen freier Beweiswürdigung durch das LSG und damit sinngemäß eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG rügt, läge keine zulässige Verfahrensrüge vor. Es fehlt des Weiteren an einer Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben. Das Tatsachengericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Das schließt ein, dass auch seine Beweiswürdigung frei ist. Dabei ist es lediglich an die Regeln der Logik und der Erfahrung gebunden. Ein Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG liegt daher nur vor, wenn das Gericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt und wenn sein Urteil auf diesem Mangel beruhen kann. Tatsachen, die einen solchen Verstoß ergeben, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Sie hat vielmehr lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG gesetzt. Dem Revisionsgericht ist es jedoch nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten.
Ausgehend von den Feststellungen des LSG war die Klägerin, die keinen Arbeitsplatz in zumutbarer Gehentfernung erreichen kann und weder über ein Kfz noch eine Fahrerlaubnis verfügt, ab September 2001 wegeunfähig und damit voll erwerbsgemindert.
Die Erwerbsminderung der Klägerin ist auch nicht durch den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2004 beseitigt worden. Mit diesem hat sich an der Wegeunfähigkeit der Klägerin nichts geändert. Das Versprechen, der Klägerin “im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses” Leistungen nach der KfzHV “unter Berücksichtigung ggf bei einzelnen Leistungen zu beachtenden Einkommensgrenzen” zu gewähren, erleichtert es der Klägerin in keiner Weise, tatsächlich zu einem mehr als 500 Meter von ihrer Wohnung entfernten Arbeitsplatz zu gelangen. Selbst wenn die Klägerin ein Arbeitsverhältnis eingehen und damit die Bedingung für die angekündigte Bewilligung erfüllen würde, müsste sie nämlich zunächst den Führerschein und ein geeignetes Kfz erwerben. Solange die angebotenen Maßnahmen nicht erfolgreich durchgeführt sind und die Klägerin infolgedessen weiterhin außer Stande ist, einen Arbeitsplatz zu erreichen und eine zumutbare Erwerbstätigkeit aufzunehmen, kann keine Rede davon sein, dass ihre Erwerbsminderung bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht beseitigt worden wäre. Zudem ist völlig offen, in welcher Höhe die Beklagte Kosten übernehmen will und ob die Klägerin hierdurch wirklich in die Lage versetzt würde, sich Fahrerlaubnis und Kfz zu beschaffen. Die Erfolgsaussicht für einen Führerscheinerwerb ist offenbar bisher ebenfalls nicht geprüft worden. Schließlich ist nach dem Wortlaut des Bescheids vom 8. März 2004 und entgegen dem Vorbringen der Beklagten unklar, ob sowohl Führerscheinerwerb als auch Kfz-Anschaffung oder nur eines von beiden bezuschusst werden soll.
Nichts anderes gilt in Bezug auf die übrigen im genannten Bescheid erwähnten Leistungen. Es mögen ausnahmsweise Fälle denkbar sein, in denen nicht erst die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme, sondern bereits eine geeignete Leistungsbewilligung die Wegeunfähigkeit auch des arbeitslosen Versicherten beseitigt. Unter welchen Voraussetzungen dieses im Einzelnen möglich ist, braucht der Senat nicht abschließend zu klären. Jedenfalls kann eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung in der angedeuteten Richtung nur dann in Betracht kommen, wenn die bewilligte Leistung den Versicherten in eine Lage versetzt, die derjenigen eines Versicherten gleicht, der einen Führerschein und ein privates Kfz besitzt und dem die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses sowie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch an einem über 500 Meter entfernt liegenden Arbeitsplatz zuzumuten ist, weil er mit einigermaßen verlässlich einzuschätzendem Aufwand an Zeit und Kosten dorthin gelangen kann. Nur wenn der gehbehinderte Versicherte jederzeit ein Kfz tatsächlich nutzen kann, ist es ihm möglich, trotz der Beschränkung seiner Wegefähigkeit ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, sodass ihm auch nur dann Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechend seinem vollschichtigen Leistungsvermögen offen stehen und der Arbeitsmarkt trotz Wegeunfähigkeit nicht als verschlossen angesehen werden kann. Die von der Beklagten erklärte “Bereitschaft”, der Klägerin zu den Kosten für die Erreichung eines Arbeitsplatzes oder für die Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen einen Zuschuss zu gewähren, erfüllt diese Bedingung schon deshalb nicht, weil die Beklagte eine verbindliche Bewilligung nicht ausgesprochen, die Gewährung der Leistung vielmehr einer noch zu treffenden Ermessensentscheidung vorbehalten hat (“es kann … ein Zuschuss für Ihre Beförderung … geleistet werden, wenn …”), die überdies von verschiedenen bisher nicht geklärten Fragen – zB Wirtschaftlichkeit und Zumutbarkeit im Vergleich zur Kfz-Hilfe – abhängt. Zudem ist nicht erkennbar, in welcher Höhe die Beförderungskosten bezuschusst bzw in welchem Umfang Beförderungsdienste geleistet werden sollen. Eine solche vage Aussicht von Zuschüssen unter unklaren Bedingungen und in unbekannter Höhe erlaubt es der Klägerin nicht in gleichem Maße wie einem Versicherten mit eigenem Kfz, Arbeitsverhältnisse vorzubereiten oder einzugehen.
Da die Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung, dh im Zeitraum September 1996 bis August 2001, 56 Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (Belegungserfordernis nach § 43 Abs 2 Nr 2 SGB VI) und auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 43 Abs 2 Nr 3, § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI) erfüllt, liegen sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vor.
Gemäß § 102 Abs 2 Satz 1 und 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI hatte die Rentenzahlung vom 1. April 2002 bis 31. März 2005 zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1566286 |
NZS 2007, 135 |
NZS 2007, 97 |
SGb 2006, 303 |
SGb 2007, 157 |