Leitsatz (amtlich)
Hat der Versicherungsträger einen Rentenbewilligungsbescheid für die Vergangenheit aufgehoben, weil der Anspruch kraft Gesetzes weggefallen ist (§ 48 Abs 1 Nr 4 SGB 10) und ist dieser Aufhebungsbescheid seinerseits durch ein insoweit rechtskräftiges Sozialgerichts-Urteil aufgehoben worden, so schließt das die Rückforderung durch den Versicherungsträger nach § 50 Abs 1 und Abs 2 SGB 10 aus (Anschluß an und Fortführung von BSG vom 30.5.1985 11a RA 66/84 = SozR 1500 § 146 Nr 18; BSG vom 11.7.1985 5b RJ 80/84 = SozR 1500 § 146 Nr 19).
Normenkette
SGB 10 § 50 Abs 1 S 1, § 50 Abs 2, § 48 Abs 1 S 2 Nr 4
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.02.1986; Aktenzeichen L 11 An 0243/84) |
SG München (Entscheidung vom 19.07.1984; Aktenzeichen S 02 An 0810/83) |
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung von Waisenrentenbezügen in Höhe von 10.922,90 DM.
Der am 17. Juli 1954 geborene Kläger ist der Sohn des am 2. März 1975 verstorbenen Versicherten Heinz H. (H.) und bezog von der Beklagten Halbwaisenrente. Sowohl der diese Rente bewilligende Bescheid vom 2. April 1976 als auch der sie neu feststellende Bescheid vom 2. Juni 1976, mit dem der vorangegangene Bescheid aufgehoben wurde, enthält ua den Zusatz, daß Waisenrente für ein Kind grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, darüber hinaus auf Antrag für die Dauer der Schul- oder Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres sowie bis zu einem späteren Zeitpunkt insoweit gewährt wird, als sich die Schul- oder Berufsausbildung durch Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes verzögert. In der Folge wurde dem Kläger die Rente über das 25. Lebensjahr hinaus weitergezahlt.
Nachdem die Beklagte die Überzahlung der Waisenrente festgestellt hatte, hob sie mit dem streitigen Bescheid vom 27. April 1983 den Bescheid vom 2. Juni 1976 mit Wirkung vom 1. August 1979 (Vollendung des 25. Lebensjahres) auf. Gleichzeitig forderte sie den insgesamt für die Zeit von August 1979 bis März 1983 gezahlten Betrag von 10.922,90 DM zurück. Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1983).
Das Sozialgericht (SG) München hat durch Urteil vom 19. Juli 1984 den Bescheid vom 27. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1983 aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides für die Vergangenheit nicht vorlägen; die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten, soweit sie die rückwirkende Neufeststellung der Waisenrente ab 1. August 1979 betrifft, als unzulässig verworfen, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Es hat im Urteil vom 25. Februar 1986 ausgeführt: Bei dem streitigen Bescheid vom 27. April 1983 handele es sich um einen "kombinierten Verwaltungsakt", der aus zwei Verfügungssätzen bestehe. Zum einen werde die Waisenrente des Klägers rückwirkend neu festgestellt, zum anderen der überzahlte Betrag von 10.922,90 DM zurückgefordert. Die Zulässigkeit der Berufung sei hinsichtlich beider Verfügungssätze gesondert zu prüfen. Unzulässig sei die Berufung, soweit sie die Neufeststellung nach § 48 SGB 10 betreffe, weil damit nur Rentenleistungen für vergangene Zeiträume in Frage stünden (§ 146 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung, daß das SG-Urteil uneingeschränkt mit der Berufung angefochten werden könne, bedeute keine Zulassung der Berufung. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß es nach dem Wegfall der Waisenrente kraft Gesetzes lediglich um die Rückforderung des überzahlten Betrages gehe. Vielmehr sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch in einem solchen Fall eine Neufeststellung nach § 48 SGB 10 durchzuführen; erst dann könne ein etwa überzahlter Betrag nach § 50 SGB 10 zurückgefordert werden (Hinweis auf BSG, Urteile vom 10. Juli 1985 - 5a RKn 14/84 = SozR 1300 § 48 Nr 17 und vom 21. Februar 1985 - 11 RLw 1/84 = SozR 5850 § 4 Nr 8). Hinsichtlich der Rückforderung des überzahlten Rentenbetrags sei die Berufung zwar zulässig, aber unbegründet. Nachdem die rückwirkende Neufeststellung der Waisenrente durch das SG aufgehoben worden sei und das LSG infolge Unzulässigkeit der Berufung keine Möglichkeit habe, die Aufhebung sachlich zu überprüfen, entfalle der Rechtsgrund für die Rückforderung. Diese könne nicht mehr auf § 50 Abs 2 SGB 10 gestützt werden. Abs 1 dieser Vorschrift treffe ohnehin nicht zu, da eine solche Rückforderung nur erfolgen dürfe, wenn ein rückwirkender Neufeststellungsbescheid nach § 48 SGB 10 erteilt worden sei.
Der 11a Senat, dessen Aktenbestand inzwischen auf den erkennenden Senat übergegangen ist, hat die Revision zugelassen, soweit über die Rückforderung entschieden worden ist.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die unzutreffende Anwendung der §§ 48, 50 SGB 10. Sie meint, die Bewilligungsbescheide hätten sich mit Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers im Juli 1979 nach § 39 Abs 2 SGB 10 erledigt, weil die Gründe des Wegfalls der Waisenrente Gegenstand des Leistungsbescheides gewesen seien. Aus dieser Vorschrift folge weiter, daß durch Zeitablauf oder andere Weise erledigte Verwaltungsakte für ihre Unwirksamkeit keiner ausdrücklichen Aufhebung durch Rücknahme oder Widerruf bedürften. Da nach dieser Auffassung die Waisenrentenbewilligung aus dem Jahre 1976 mit Ablauf des Monats Juli 1979 unwirksam geworden sei, habe sie - die Beklagte - die Zahlungen bis März 1983 ohne Verwaltungsakt geleistet und könne nach § 50 Abs 2 SGB 10 die Erstattung dieser Beträge verlangen, sofern die Voraussetzungen der §§ 45 und 48 SGB 10 vorlägen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1986 abzuändern, soweit die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Juli 1984 als unbegründet zurückgewiesen worden ist, und die Rechtssache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - entsprechend der begrenzten Zulassung der Revision und dem damit in Einklang stehenden Antrag der Beklagten - das landessozialgerichtliche Urteil nur insoweit, als es hinsichtlich der Rückforderung (Erstattung) von Leistungen die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen hat. Dies geht darauf zurück, daß der Bescheid der Beklagten vom 27. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.Oktober 1983 zwei Verfügungssätze enthält, nämlich erstens die rückwirkende Aufhebung des letzten Rentenbewilligungsbescheides vom 2. Juni 1976 ab 1. August 1979, zweitens die Rückforderung (Erstattung) der für die Zeit von August 1979 bis März 1983 gezahlten Waisenrente im Gesamtbetrag von 10.922,90 DM. Deshalb verfolgt der Kläger auch zwei prozessuale Ansprüche. Hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung der Waisenrentenbewilligung verbleibt es - da insoweit die Berufung der Beklagten vom LSG als unzulässig verworfen und die Revision hiergegen nicht zugelassen worden ist - beim rechtskräftigen (§ 141 Abs 1 SGG) Urteil des SG, das seinerseits diese "Aufhebung" aufgehoben hatte. Was die Rückforderung anlangt, ist die Berufung, wie das LSG erkannt hat, zulässig. Denn insoweit greift anders als bei der Aufhebung des Leistungsbescheides für die Vergangenheit hier nicht § 146 SGG, sondern § 149 SGG ein, wonach bei Rückerstattung von Leistungen die Berufung lediglich dann unzulässig ist, wenn der Beschwerdewert 1.000,-- DM nicht übersteigt.
Zutreffend hat das Berufungsgericht den Erstattungsanspruch der Beklagten verneint, weil weder die Voraussetzungen des § 50 Abs 1 SGB 10 noch des Abs 2 dieser Vorschrift erfüllt sind.
Nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB 10 sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Erstattungspflicht besteht also in dem Ausmaß, in dem ein begünstigender Verwaltungsakt, aufgrund dessen Leistungen erbracht worden sind, wirksam aufgehoben ist. Vorliegend hat zwar die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 27. April 1983 den die Waisenrente bewilligenden Bescheid vom 2. Juni 1976 mit Wirkung vom 1. August 1979 aufgehoben. Jedoch ist dieser Bescheid durch das insoweit rechtskräftige Urteil des SG beseitigt worden, so daß es an der in § 50 Abs 1 Satz 1 SGB 10 für die Erstattung vorausgesetzten Aufhebung des Bewilligungsbescheides gerade fehlt.
Aber auch auf § 50 Abs 2 SGB 10 kann die Beklagte die Rückforderung nicht mit Erfolg stützen. Nach dieser Vorschrift sind ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten (Satz 1); §§ 45 und 48 SGB 10 gelten entsprechend (Satz 2). Die Leistungen (Waisenrentenzahlungen) an den Kläger für den Zeitraum von August 1979 bis März 1983 sind jedoch nicht "ohne Verwaltungsakt" erbracht worden. Die Beklagte möchte hiergegen ins Feld führen, daß der Versicherungsträger die Gewährung von Sozialleistungen von einer Bedingung oder Befristung iS von § 32 Abs 2 SGB 10 abhängig machen kann, vor allem aber, daß Verwaltungsakte nicht nur durch Widerruf, durch Rücknahme oder anderweitige Aufhebung ihre Wirksamkeit verlieren, sondern sich auch durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigen können (§ 39 Abs 2 SGB 10); sie meint, ihr Rentenbewilligungsbescheid vom 2. Juni 1976 habe sich mit Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers erledigt, weil die Gründe des Wegfalls der Waisenrente Gegenstand des Leistungsbescheides gewesen seien, so daß hier auch nicht § 48 Abs 1 Nr 4 SGB 10 eingreife, der eine Aufhebung (vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an) vorschreibt, wenn "der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes ... weggefallen ist". Indessen stellen sich diese Fragen im vorliegenden Rechtsstreit nicht.
Die Beklagte übersieht nämlich - möglicherweise in ihrer Auffassung bestärkt durch die Begründung des in dieser Sache ergangenen Revisionszulassungsbeschlusses des 11a Senats vom 26. März 1987 - die Auswirkungen des sozialgerichtlichen Urteils vom 19. Juli 1984 im rechtskräftig gewordenen Umfang auch auf den Anwendungsbereich des § 50 Abs 2 SGB 10. Denn mit diesem Urteil ist auf die Anfechtungsklage des Klägers der angefochtene aufhebende Bescheid der Beklagten vom 27. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1983 wieder beseitigt worden. Damit hat das SG zugleich mit seinem Urteilsspruch über die Wirksamkeit des die Waisenrente bewilligenden Bescheides für die Zeit vom 1. August 1979 bis zum 31. März 1983 entschieden, weil der Rentenbewilligungsbescheid vom 2. Juni 1976 dadurch wieder voll wirksam geworden ist. Dies bedeutet aber, daß die Rentenleistungen für diesen Zeitraum nicht "ohne Verwaltungsakt" iS von § 50 Abs 2 SGB 10 erbracht worden sind, sondern aufgrund eines Verwaltungsaktes. Sie sind deshalb im übrigen auch nicht, wie es § 50 Abs 2 SGB 10 erfordert, "zu Unrecht" gewährt worden; vielmehr ist die Beklagte aufgrund ihres Bewilligungsbescheides und des SG-Urteils verpflichtet gewesen, die Leistungen zu erbringen.
Im Hinblick auf die erörterte Sach- und Rechtslage ist es nach alledem unerheblich, ob die Beklagte - das SG-Urteil hinweggedacht - entsprechend ihrem Revisionsvorbringen berechtigt gewesen wäre, ohne vorherige oder gleichzeitige Aufhebung des Bewilligungsbescheides Erstattung nach § 50 Abs 2 SGB 10 zu verlangen.
Die getroffene Entscheidung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BSG, nach der, weil das Urteil des SG über die rückwirkende Neufeststellung der Leistung oder deren Aufhebung wegen § 146 SGG nicht berufungsfähig ist, beim Streit über die Rückforderung im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 50 SGB 10 kaum noch ein Entscheidungsspielraum besteht namentlich dann, wenn - wie hier - die vom Versicherungsträger ausgesprochene Neufeststellung (Aufhebung) durch das SG beseitigt worden ist (vgl in letzter Zeit BSG in SozR 1500 § 146 Nrn 18 und 19; Urteil vom 5. Februar 1987 - 5b RJ 50/85). Zwar mag dies sowie die Tatsache unbefriedigend sein, daß für den präjudiziellen Anspruch nur eine Instanz, für den abhängigen dagegen zwei Tatsacheninstanzen zur Verfügung stehen. Dennoch gibt es keinen dogmatisch und prozeßrechtlich einleuchtenden Grund, die Rechtsprechung aufzugeben, die nur im umgekehrten Fall von der - gegebenen - Berufungsfähigkeit des präjudiziellen Anspruchs auf die Berufungsfähigkeit auch des akzessorischen Anspruchs geschlossen hat (vgl BSGE 14, 280; BSG in SozR 1500 § 146 Nrn 4, 14; dazu kritisch, die Berufungsfähigkeit auch für eine Fallgestaltung wie hier bejahend: Bley in SGB-SozVers - GesKomm, Stand: April 1987, SGG § 146 Anm 5a, dd). Die Ursache für die zum Teil prozeßrechtlich wenig befriedigenden Ergebnisse liegt in der nach Struktur und Höhe unterschiedlichen Bemessungswerte in den §§ 146 und 149 SGG.
Hiernach konnte die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen