Leitsatz (amtlich)
Eine Weihnachtsgratifikation ist bis zur Höhe von 100 DM eine zweckgebundene Leistung im Sinne des AVAVG § 150 Abs 4 Nr 3 und deshalb nicht auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen.
Normenkette
AVAVG § 150 Abs. 4 Nr. 3 Fassung: 1957-04-03, Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-04-03, Abs. 3 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Oktober 1962 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Auf die Arbeitslosenhilfe (Alhi) des Klägers rechnete das Arbeitsamt das jeweilige Arbeitseinkommen seines mit ihm in gemeinsamem Haushalt lebenden Sohnes Bernd an. Im November 1961 erhielt der Sohn eine Weihnachtsgratifikation von 50 DM. Darauf rechnete das Arbeitsamt die Alhi entsprechend um. Der Widerspruch des Klägers gegen diese Regelung wurde zurückgewiesen. Auf seine Klage hob das Sozialgericht (SG) die Bescheide des Arbeitsamts insoweit auf, als bei Bemessung der Alhi die Weihnachtszuwendung berücksichtigt worden war; es ließ die Berufung zu. Das Landessozialgericht (LSG) dagegen wies die Klage ab. Es war der Auffassung, daß die Weihnachtszuwendung als Einkommen gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) anzusehen sei. Sie sei keine zweckgebundene Leistung, die nach § 150 Abs. 4 Nr. 3 AVAVG außer Betracht bleiben dürfe. Revision wurde zugelassen.
Der Kläger legte gegen das ihm am 8. November 1962 zugestellte Urteil am 24. November 1962 Revision ein und begründete sie am 3. Dezember 1962. Er trägt vor, die Auslegung des § 150 Abs. 4 Nr. 3 AVAVG, wie sie das LSG vorgenommen habe, widerspreche dem Willen des Gesetzgebers. Die dort aufgeführten Leistungen entsprächen den in § 850 a Nr. 3 und 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für unpfändbar erklärten Vergütungen. Diese Bezüge seien wegen ihrer Zweckbindung nicht pfändbar und fielen deshalb unter den Oberbegriff "zweckgebundene Leistungen". Da in Nr. 4 auch die Weihnachtsvergütung als unpfändbar aufgeführt sei und damit als zweckgebundene Leistung angesehen werde, könne sie auch in § 150 AVAVG nicht anders behandelt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 12. Oktober 1962 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 8. Mai 1962 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig und begründet.
Zwischen den Beteiligten herrscht lediglich Streit darüber, ob die Weihnachtszuwendung des Sohnes gemäß § 150 Abs. 4 Nr. 3 AVAVG als eine zweckgebundene Leistung anzusehen ist und deshalb nicht gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 AVAVG als Einkommen eines mit dem Kläger im gemeinsamen Haushalt lebenden Verwandten in gerader Linie bei der Festsetzung der Alhi des Klägers angerechnet werden darf. Der Senat verneint die Frage. Nach § 150 Abs. 3 AVAVG gelten als Einkommen "alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Abzug der Steuern, der Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfange und der Werbungskosten". Nicht als Einkommen gelten dagegen die in Abs. 4 im einzelnen aufgeführten Leistungen. Entgegen der Ansicht des LSG greift hier die Nr. 3 des Abs. 4 Platz, wonach "zweckgebundene Leistungen, insbesondere nichtsteuerpflichtige Aufwandsentschädigungen und Leistungen zur Erziehung, Erwerbsbefähigung und Berufsausbildung", nicht als Einkommen gelten. Alle zweckgebundenen Leistungen werden demnach nicht als Einkommen angesehen. Dabei ist die Bezeichnung "zweckgebunden" nicht so eng auszulegen, daß darunter nur solche Leistungen zu verstehen wären, die der Empfänger nur zu dem im Gesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehenen Zwecke verwenden darf und bei denen der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluß auf die Verwendung hat. Es fallen vielmehr auch solche Beträge darunter, die aus einem bestimmten Anlaß und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger zwar im allgemeinen für den gedachten Zweck verwenden wird, ohne daß er jedoch dazu angehalten werden könnte. Das gilt vor allem für Weihnachtszuwendungen. Diese werden den Betriebsangehörigen in erster Linie deshalb gewährt, damit sie die Mehraufwendungen zu Weihnachten ausgleichen können, des weiteren aber auch als eine Art Treueprämie für eine gewisse Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb. Die Weihnachtszuwendung ist somit Ausfluß einer ergänzenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und soll dem Arbeitnehmer ein angemessenes Weihnachtsfest ermöglichen. Wenn auch die Verwendung des Betrages in das Belieben des Empfängers gestellt ist und die Leistung nicht zurückgefordert werden kann, falls der Empfänger sie nicht sinngemäß verwendet, so behält sie doch ihren grundsätzlichen Charakter als eine Beihilfe für die Aufwendungen des Weihnachtsfestes und ist damit als eine zweckgebundene Leistung anzusehen.
Für diese Auffassung des Senats spricht auch die Regelung auf anderen Rechtsgebieten. So sind nach § 850 a Nr. 4 ZPO Weihnachtsvergütungen bis zur Hälfte des monatlichen Arbeitseinkommens, höchstens aber bis zum Betrage von 195 DM unpfändbar. Sogar bei der an sich schärferen Zwangsvollstreckung aus Unterhaltsansprüchen verbleibt dem Schuldner noch die Hälfte des gegenüber gewöhnlichen Gläubigern pfändungsfreien Betrages der Weihnachtsvergütung (§ 850 d ZPO). Gemäß § 3 Nr. 17 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 27. Dezember 1960 (BGBl I 1077) ist ein Betrag von 100 DM der Bezüge steuerfrei, die dem Arbeitnehmer aus seinem Dienstverhältnis im Monat Dezember zufließen. Auch hier kommt mithin der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, eine Weihnachtszuwendung in einem gewissen Mindestbetrag in voller Höhe ohne Einschränkung und Abzüge dem Empfänger zu belassen. Schließlich ist noch der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 über die weitere Vereinfachung des Lohnabzuges (AN 1944, 281) zu erwähnen. Hiernach werden die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich nach dem für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebenden Betrage, also ebenfalls unter Privilegierung der Weihnachtsvergütung, berechnet.
Nach alledem ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß Weihnachtszuwendungen jedenfalls bis zur Höhe von 100 DM als zweckgebundene Leistungen im Sinne des § 150 Abs. 4 Nr. 3 AVAVG anzusehen und deshalb nicht auf die Alhi anzurechnen sind.
Das Urteil des LSG mußte daher aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen