Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, wann im Sinne von BKGG § 13 Nr 2 der Empfänger von Kindergeld "infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte", daß ein Anspruch darauf nicht bestand.
2. Der Wegfall der Bereicherung durch den Verbrauch überzahlten Kindergeldes steht der Rückzahlungspflicht nach BKGG § 13 Nr 2 nicht entgegen.
Normenkette
BKGG § 13 Nr. 2; BGB § 818 Abs. 3, § 242
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Kosten der Revisionsinstanz sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger, Vater von drei in den Jahren 1952, 1957 und 1961 geborenen Kindern, bezog seit April 1965 von der Beklagten Kindergeld (KG) für das zweite und das dritte Kind. Aufgrund irrtümlicher Berücksichtigung eines von einem anderen Berechtigten angemeldeten vierten Kindes überwies die Beklagte dem Kläger auf sein Postscheckkonto zunächst ohne Angabe des Grundes einen Nachzahlungsbetrag von 180,- DM für Februar bis April 1968, dann von Mai bis Dezember 1968 einen um monatlich 60,- DM (135,- anstatt wie bisher 75,- DM) erhöhten KG-Betrag. Auf den Überweisungsabschnitten für die laufende KG-Zahlung war jeweils "KG f. 3 Kd" - d. h. KG für drei Kinder - vermerkt. Mit Bescheid vom 18. März 1969 entzog die Kindergeldkasse dem Kläger das KG in Höhe von 60,- DM monatlich ab Februar 1968 und forderte den für die Monate Februar bis Dezember 1968 insgesamt überzahlten Betrag von 660,- DM nach § 13 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zurück. Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht (SG) waren erfolglos.
Auf die Berufung des Klägers hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) das klageabweisende Urteil des SG Frankfurt vom 19. März 1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. März 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1969 dahin abgeändert, daß der Kläger zur Rückzahlung von KG in Höhe von 180,- DM nicht verpflichtet ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG folgendes ausgeführt: Die Berufung des Klägers sei nur hinsichtlich der Rückforderung des Nachzahlungsbetrages von 180,- DM begründet. Beim Empfang dieses Betrages sei er mangels näherer Angaben nicht in der Lage gewesen, eine Überprüfung an Hand seiner Unterlagen vorzunehmen. Dagegen habe der Kläger bei Empfang des laufend zuviel gezahlten KG in Höhe von monatlich 60,- DM grob fahrlässig gehandelt. Aus dem Überweisungsträger habe er ersehen können, daß der Vermerk ab Mai 1968 "KG f. 3 Kd" anstatt wie für die Zeit vorher "KG f. 2 Kd" gelautet habe. Daß sich diese Veränderung auf ein - nicht vorhandenes - viertes Kind bezogen habe, hätte er bei zumutbarer Überlegung und an Hand des ihm ausgehändigten Merkblattes feststellen können, zumal der Erhöhungsbetrag dem KG-Betrag für ein viertes Kind entsprochen habe. Dem Kläger, der durch seinen Beruf als höherer kaufmännischer Angestellter ein größeres Verständnis für finanzielle Fragen und den Umgang mit Behörden besessen habe, hätte sich hiernach die Vermutung aufdrängen müssen, daß ein Irrtum der Beklagten vorliege. Er hätte daher eine Überprüfung durch die Beklagte anregen müssen. Vernünftige anderweitige Deutungsmöglichkeiten für die Erhöhung um monatlich 60,- DM hätten nicht vorgelegen. Das gelte insbesondere für die von dem Kläger vermutete gesetzliche Änderung des Kindergeldrechts durch Ausdehnung auf das erste Kind. Da sich zum damaligen Zeitpunkt hierfür aus Presse, Rundfunk, Fernsehen oder sonstigen Publikationsorganen keine Hinweise ergeben hätten, hätte er sich bei seinen Überlegungen nicht auf solche vagen und einseitigen Vermutungen stützen dürfen, ohne sich dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Wenn er die Überzahlung nicht erkannt und sich auch nicht um Aufklärung der Mehrzahlung bemüht habe, so habe er grob fahrlässig gehandelt.
Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe nicht geprüft, ob seine Bereicherung durch das erhöhte KG weggefallen sei, obgleich er diesen Umstand bereits in den Vorinstanzen geltend gemacht habe. Hieran scheitere der Rückforderungsanspruch der Beklagten. Der verschärfte Haftungstatbestand des § 819 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) liege nicht vor, da ihm nach den insoweit zutreffenden Feststellungen des LSG eine positive Kenntnis von der Unrechtmäßigkeit der Leistung nicht habe nachgewiesen werden können. Aus den Vorschriften des BKGG, insbesondere aus dessen § 13 ergebe sich auch nicht, daß die Einrede des Wegfalls der Bereicherung ausgeschlossen sein solle.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des die Berufung zurückweisenden Teils des angefochtenen Urteils das Urteil des SG Frankfurt vom 19. März 1971 und den Bescheid der Beklagten vom 18. März 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1969 hinsichtlich der Rückzahlung in voller Höhe aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff BGB) seien hier nicht anzuwenden; die Rückzahlungspflicht des Klägers beruhe vielmehr auf der abschließenden Sonderregelung des § 13 BKGG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Nachdem allein der Kläger gegen das seiner Klage teilweise stattgebende Urteil des LSG Revision eingelegt hat, ist Gegenstand des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz nur noch die Rückzahlungspflicht wegen der Überzahlung von KG für die Zeit von Mai bis Dezember 1968 in Höhe von insgesamt 480,- DM. Wenn auch die Revision lediglich die Nichtberücksichtigung der vom Kläger erhobenen Einrede des Wegfalls der Bereicherung rügt, so hatte der Senat doch die Richtigkeit des die Berufung zurückweisenden Teiles des angefochtenen Urteils materiell-rechtlich voll zu überprüfen.
Dem Kläger stand bei insgesamt drei Kindern während der hier streitigen Zeit KG nur für das zweite und das dritte Kind in Höhe von monatlich insgesamt 75,- DM zu. Da die Anspruchsvoraussetzungen für ein ihm irrtümlich zugerechnetes viertes Kind in Höhe von monatlich weiteren 60,- DM nicht vorgelegen haben, war insoweit das KG nach § 22 BKGG - auch rückwirkend - zu entziehen.
Der angefochtene Bescheid ist auch hinsichtlich der Rückforderung der von Mai bis Dezember 1968 laufend gezahlten Mehrbeträge nicht rechtswidrig. Nach § 13 Nr. 2 BKGG ist KG, das für einen Monat gezahlt worden ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen an keinem Tage vorgelegen haben - das ist hier hinsichtlich dieser Beträge der Fall - zurückzuzahlen, wenn der Empfänger wußte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß ein Anspruch auf KG nicht bestand. Das LSG hat zu Recht erkannt, daß im vorliegenden Fall der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewußt hat, daß ihm der Mehrbetrag nicht zustand. Es hat dabei das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit zutreffend nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen und Verhalten des Klägers sowie den besonderen Umständen des Falles beurteilt (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff - BSG 35, 108, 112). Auch bei der Bewertung als "grobe" im Vergleich zur nur "einfachen" oder "mittleren" Fahrlässigkeit hat es keinen für den Kläger zu strengen Maßstab angelegt, wenn es als solche eine Sorgfaltspflichtverletzung in ungewöhnlich hohem Maße bezeichnet, bei der eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein muß, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Anders als in § 13 Nr. 1 BKGG geht es in Nr. 2 der Rückzahlungsvorschrift nicht um die Bewertung eines "Handelns nach außen", sondern eines inneren Zustandes des Empfängers, nämlich seiner Gut- oder Bösgläubigkeit. Von der Rückzahlungspflicht soll frei sein, wer die ihm zu Unrecht gewährte Leistung in gutem Glauben an deren Rechtmäßigkeit empfangen hat; sein Vertrauen auf die Richtigkeit des Handelns der Verwaltung soll geschützt werden. Ein Vertrauensschutz scheidet begriffsnotwendig aus, wenn kein Vertrauen besteht, wenn der Empfänger also die Unrechtmäßigkeit der Leistung eindeutig erkennt oder doch infolge konkreter Zweifel ernsthaft mit der Unrechtmäßigkeit rechne, gleichwohl aber beschließt, dies bewußt außer acht zu lassen. Über diese im moralisch wertenden Sinne echte Bösgläubigkeit hinaus sieht der Gesetzgeber des § 13 Nr. 2 BKGG aber auch das Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit als nicht schutzwürdig an, das auf grober Fahrlässigkeit beruht, das also auch schon bei Anwendung einer Sorgfalt, an die nur geringe Anforderungen gestellt werden, nicht hätte entstehen dürfen. In diesem Sinne haben die Tatsacheninstanzen zutreffend das Vertrauen des Klägers in die Rechtmäßigkeit der Überzahlung als nicht schutzwürdig angesehen.
Dem Kläger mußte die in die Augen springende erhebliche Erhöhung des KG-Betrages von 75,- auf 135,- DM (bei zweimonatlicher Zahlung: von 150,- auf 270,- DM) notwendig auffallen und ihn zu Überlegungen über deren Ursache veranlassen. Aus der Veränderung der jeweils auf den Überweisungsabschnitten vermerkten Kinderzahl von 2 auf 3 konnte er erkennen, daß ihm nunmehr für ein Kind mehr als bisher KG gezahlt wurde, zumal der Erhöhungsbetrag mit den aus dem Merkblatt ersichtlichen KG-Betrag für ein viertes Kind übereinstimmte. Unter diesen Umständen hätte sich ihm der Gedanke aufdrängen müssen, daß ihm irrtümlich für ein - nicht vorhandenes - viertes Kind KG gewährt wurde, das ihm nicht zustand; er hätte daher nicht auf die Richtigkeit der Höhe des Betrages vertrauen dürfen. Dabei kann auch die Erwägung, daß möglicherweise infolge einer ihm unbekannt gebliebenen Änderung des Gesetzes nunmehr auch schon für das erste Kind KG gewährt und daher bei insgesamt drei Kindern eines Berechtigten der gleiche Betrag an KG gezahlt würde wie bisher bei insgesamt vier Kindern, nicht als ausreichend dafür angesehen werden, das Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der erhöhten Leistung zu begründen, das nach § 13 Nr. 2 BKGG geschützt werden soll. Bei der hier den Umständen nach gebotenen Prüfung der Rechtmäßigkeit hätte er vielmehr von der ihm durch das Merkblatt bekannten Rechtslage ausgehen müssen. Zog er die entfernt liegende Möglichkeit einer so wesentlichen Änderung des Kindergeldrechts in Betracht, so hätte er sich doch - bei Vermeidung grober Fahrlässigkeit - damit nicht ohne bestätigende Information beruhigen dürfen.
Nach den Umständen des Falles und der Persönlichkeit des Klägers müßte dieser sich sein Verhalten aber auch dann als grob fahrlässig anrechnen lassen, wenn er den Überweisungsträger überhaupt nicht oder nur "gedankenlos" gelesen oder sich mit der unbestimmten Vorstellung, "es werde schon stimmen", begnügt haben sollte.
Der Kläger begründet seine Revision zu Unrecht damit, daß er das überzahlte KG verbraucht habe und daher nicht mehr bereichert sei. Wie der Senat bereits in früheren Entscheidungen (Urteile vom 10.7.1973 - 7 RKg 36/70 u. 3/71) ausgesprochen hat, beruht die Pflicht zur Rückzahlung überzahlten KG weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung auf den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung, sondern als Unterfall eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs auf der abschließenden Sonderregelung des § 13 BKGG. Bei dieser Regelung mußte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß das dem Familienlastenausgleich dienende KG regelmäßig alsbald bestimmungsgemäß für den Familienunterhalt verbraucht wird. Er hat demgemäß die Rückzahlungspflicht auf die Fälle beschränkt, in denen ihm bei Abwägung der beiderseitigen Interessen gleichwohl eine Rückerstattungspflicht geboten erschien, insbesondere in den Fällen fehlenden schutzwürdigen Vertrauens auf die Rechtmäßigkeit der Leistung. Er hat dabei - schon aus Gründen der Praktikabilität - in Kauf genommen, daß im Regelfalle überzahltes KG auch dann nicht zurückgezahlt zu werden braucht, wenn der Empfänger - etwa bei Ansammlung auf einem Sparkonto - noch bereichert ist, daß aber unter den besonderen Voraussetzungen des § 13 BGKK die Rückzahlung auch aus anderen Mitteln erfolgen muß. Der Wegfall der Bereicherung durch bestimmungsgemäßen Verbrauch steht daher der auf § 13 Nr. 2 BKGG beruhenden Rückzahlungspflicht des Klägers nicht entgegen.
Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen