Leitsatz (amtlich)
Ist ein Versicherter durch das zuständige Bergamt als Lokomotivführer für Normalspur (Lohngruppe 1a der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau) verpflichtet worden und hat er diese Tätigkeit ausgeübt, so kann er im Rahmen des RKG § 46 nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppe 4 und 5 über Tage verwiesen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte keine nach den bergbehördlichen Bestimmungen grundsätzlich vorgeschriebene Metallhandwerkerlehre durchlaufen, das Bergamt aber eine hiernach mögliche Ausnahme zugelassen hat.
Normenkette
RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der am 9. November 1904 geborene Kläger war von 1920 bis 1938 als Kokereiarbeiter und Schlepper beschäftigt. Vom 1. September 1938 bis zum 31. Oktober 1944 arbeitete er als 1. Rangierer. Anschließend legte er die Kesselwärterprüfung ab, wurde als Lokomotivführer für Normalspur ausgebildet, als solcher vom zuständigen Bergamt verpflichtet, und war bis zum 22. Februar 1962 als solcher tätig. Er kann nach seinem Gesundheitszustand nur noch leichte Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage verrichten und ist seit 1962 als Schrankenwärter (Lohngruppe V ü.T.) beschäftigt.
Am 7. Juni 1961 beantragte der Kläger die Gewährung der Knappschaftsrente. Mit Bescheid vom 23.Oktober 1961 lehnte die Beklagte, ausgehend vom Beruf eines Lokführers, den Rentenantrag ab. Sie hielt alle Arbeiten der Lohngruppe IV ü.T. für wirtschaftlich gleichwertig i.S. des § 45 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) und auch für zumutbar im Rahmen von § 46 RKG.
Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch wurde zurückgewiesen. Auch die Widerspruchsstelle vertrat den Standpunkt, der Kläger müsse sich als Lokführer im Rahmen von § 45 RKG und § 46 RKG auf Tätigkeiten der Lohngruppe IV ü.T. verweisen lassen.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 2. Mai 1963 verurteilt, dem Kläger die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren. Es geht davon aus, daß der Lokomotivführer für Normalspur einem Facharbeiter gleichzubewerten sei, so daß er auf Tätigkeiten der Lohngruppe IV ü.T. nicht verwiesen werden könne.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 27. November 1964 zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, daß der Kläger jedenfalls seit Antragstellung (Juni 1961) berufsunfähig im Sinne von § 46 RKG ist. Der Kläger müsse wie ein Facharbeiter behandelt werden. Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß ein Lokomotivführer für Normalspur, der die an sich vorgeschriebene Metallhandwerkerlehre durchlaufen hat und in die Lohngruppe Ia über Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau eingestuft worden ist, wie ein Handwerker zu behandeln sei. Der übliche Aufstieg vom Lokheizer zum Lokführer und die Verteilung der Funktionen zwischen diesen beiden Arbeitnehmern verböten es aber auch, einen Lokführer ohne vorausgegangene Handwerkslehre sozial niedriger einzustufen als einen Lokheizer mit abgeschlossener Handwerkslehre. Ein nur angelernter Handwerker müsse ganz allgemein einem gelernten Handwerker dann gleichgestellt werden, wenn er die Arbeit eines gelernten Handwerkers lange vollwertig verrichtet hat und wie ein solcher entlohnt worden ist. Dieser Gedanke, sei auf den vorliegenden Fall sinngemäß anzuwenden. Das müsse um so mehr gelten, als Lokführer für Normalspur - gleichgültig, ob sie ein Handwerk erlernt haben oder nicht - im allgemeinen eine regelrechte Ausbildung durchlaufen und ihre Befähigung in Prüfungen nachweisen müßten. Auch der Kläger habe eine solche Prüfung abgelegt. Die Gleichstellung von Lokführern mit und ohne Handwerkslehre komme auch darin zum Ausdruck, daß beide nach Lohngruppe Ia über Tage entlohnt würden, einer Lohngruppe, in welche auch die gelernten Handwerker eingestuft seien. Die Tarifpartner hätten also allen Lokführern für Normalspur einen den Handwerkern entsprechenden sozialen Rang eingeräumt. Dies rechtfertige es, einen Versicherten, der die Tätigkeit eines Lokführers für Normalspur vollwertig und nicht nur vorübergehend bei Entlohnung nach Gruppe Ia ü.T. oder der entsprechenden Gruppe früherer Lohnordnungen ausgeübt hat, wie einen Facharbeiter zu behandeln. Der Kläger brauche sich daher nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage, also auch nicht auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit eines Schrankenwärters verweisen zu lassen. Der Schrankenwärter übe eine sehr einfache Tätigkeit aus, die dementsprechend auch nach der niedrigsten Lohngruppe bezahlt werde. Die Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie hält das angefochtene Urteil nicht für zutreffend. Da der Kläger keine Metallhandwerkerlehre durchlaufen habe, die grundsätzlich für die Tätigkeit des Lokomotivführers auf Normalspur vorgeschrieben sei, müsse er wie ein angelernter Handwerker behandelt werden. Er müsse sich daher auf einfache Hilfstätigkeiten verweisen lassen.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts vom 2. Mai 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß der Kläger Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 46 RKG hat. Da die Wartezeit erfüllt ist, hängt die Entscheidung davon ab, ob der Kläger berufsunfähig nach § 46 Abs. 2 RKG ist. Als Hauptberuf des Klägers ist die Tätigkeit als Lokomotivführer für Normalspur anzusehen, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat. Ohne Bedenken durfte das Berufungsgericht auch davon ausgehen, daß der Beruf des Lokomotivführers für Normalspur nach Lohngruppe Ia über Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG der Tätigkeit eines gelernten Handwerkers gleichzubewerten ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein Lokomotivführer für Normalspur, der alle behördlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für diesen Beruf erfüllt, der also u.a. eine Metallhandwerkerlehre durchlaufen hat, im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG wie ein Handwerker zu bewerten ist. Der Lokomotivführer für Normalspur hat nämlich eine Ausbildung erfahren, die der eines gelernten Handwerkers gleichzubewerten ist; denn er hat nicht nur eine Spezialausbildung für den Lokomotivführerberuf selbst durchlaufen, sondern soll außerdem auch noch in einem Metallhandwerk ausgebildet sein und muß eine Prüfung ablegen. Der Beruf des Lokomotivführers für Normalspur steht auch in seiner Bedeutung für den Betrieb dem eines gelernten Handwerkers gleich, wie sich vor allem daraus ergibt, daß die tarifliche Einstufung beider Berufe gleich ist; denn sie sind ohne Rücksicht auf ihre Vorbildung beide in Lohngruppe Ia der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau eingestuft. Auch die besonderen Anforderungen, die an diese Tätigkeit gestellt werden, sind gleichzubewerten denen, die an den Beruf des gelernten Handwerkers gestellt werden. Ist aber der Lokomotivführer für Normalspur im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG wie ein gelernter Handwerker zu bewerten, so steht dem nicht entgegen, daß ein Versicherter im Einzelfall nicht alle für diesen Beruf grundsätzlich vorgeschriebenen Bedingungen in seiner Person erfüllt, wenn nur das zuständige Bergamt eine nach den bergbehördlichen Bestimmungen mögliche Ausnahme zugelassen und ihn als Lokomotivführer auf Normalspur verpflichtet hat. Das ist aber vorliegend geschehen. Auf die Zeitdauer der Ausübung dieser Tätigkeit kommt es in diesen Fällen nicht an. Zu Recht hat sich das Berufungsgericht daher auf den Standpunkt gestellt, daß ein Lokomotivführer für Normalspur, der bergbehördlich als solcher verpflichtet ist, keinesfalls auf Arbeiten der Lohngruppen IV und V ü.T. verwiesen werden kann. Denn bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um gelernte Arbeiten, die sich nicht durch besondere Anforderungen an die Verantwortung und die Vertrauenswürdigkeit des Versicherten aus dem Kreis der sonstigen ungelernten Arbeiten hervorheben (SozR RVO Nr. 26 zu § 1246).
Die Revision der Beklagten ist somit nicht begründet, so daß sie zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen