Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld bei gleichzeitigem Rentenbezug. Rentennachzahlung. Bindungswirkung des Rentenbescheides. Abrechnung der Nachzahlung mit gewährtem Übergangsgeld
Leitsatz (redaktionell)
Eine unbeschränkte Nebeneinanderzahlung von vollem Übergangsgeld und voller Rente wegen Berufsunfähigkeit ist gesetzlich unzulässig.
Orientierungssatz
1. Die Bindungswirkung des Rentenbescheides nach § 77 SGG erstreckt sich nicht auch auf die darin enthaltene Mitteilung über eine Rentennachzahlung, wenn der an den Berechtigten zur Auszahlung kommende Nachzahlungsbetrag wegen noch nicht geklärter Ersatzansprüche noch nicht endgültig festgesetzt ist (vgl BSG 1969-07-15 1 RA 255/68 = SozR Nr 64 zu § 77 SGG). Hiervon werden auch die Fälle erfaßt, in denen wegen der Gewährung von Übergangsgeld in einem Zeitraum, für den gleichzeitig ein Rentenanspruch bestand, eine Abrechnung vorzunehmen ist (vgl BSG 1968-05-30 12 RJ 132/65 = SozR Nr 10 zu § 1241 RVO).
2. Die Geltendmachung eines Ersatzanspruches (Erstattungsanspruches) ist nur möglich im Verhältnis verschiedener Sozialleistungsträger gegeneinander (vgl §§ 102 f SGB 10), nicht aber innerhalb der Leistungsabteilungen eines Sozialleistungsträgers.
Normenkette
RVO § 1241d Abs. 2 Fassung: 1974-08-07; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; SGB 10 § 102; RVO §§ 1240, 1246 Abs. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 18.01.1982; Aktenzeichen L 3 J 200/80) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 18.04.1980; Aktenzeichen S 3 J 71/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Rückforderung eines Übergangsgeldes in Höhe von 1.761,-- DM im Wege der "Verrechnung" mit einer nachzuzahlenden Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. Oktober bis 1. Dezember 1977.
Der am 27. Oktober 1927 geborene Kläger bezog von der Beklagten seit dem 31. Dezember 1974 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit zunächst bis zum 31. Oktober 1976, später verlängert bis zum 30. September 1977.
Am 1. Oktober 1977 begann aufgrund des Bewilligungsbescheids der Beklagten vom 3. März 1977 eine auf die Dauer von 24 Monaten vorgesehene Umschulung des Klägers zum Feinmechaniker. Entsprechend wurde durch die Bescheide vom 12. September und 13. Oktober 1977 ihm Übergangsgeld in Höhe von 58,70 DM täglich bis längstens 30. September 1979 bewilligt, wobei der Leistungsbeginn im Hinblick auf das Datum der Aufnahme der Ausbildung durch den Kläger auf den 3. Oktober 1977 festgelegt wurde.
Am 1. Dezember 1977 brach die Beklagte die Umschulung im Einvernehmen mit dem arbeitsunfähig erkrankten Kläger ab und stellte die Zahlung von Übergangsgeld ein. Am 28. Dezember 1977 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit über den 30. September 1977 hinaus.
Hierauf gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 20. Mai 1978 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit über den 30. September 1977 hinaus bis zum 30. April 1979. Die Nachzahlung in Höhe von 8.246,70 DM behielt sie wegen etwaiger Ersatzansprüche dritter Stellen ein und teilte dies dem Kläger im Bescheid mit. Durch weiteren Bescheid vom 17. Juli 1978 stellte die Beklagte das Übergangsgeld des Klägers rückwirkend für die Zeit vom 3. Oktober bis 1. Dezember 1977 in Höhe von 29,35 DM täglich neu fest. Wegen der dabei errechneten Überzahlung in Höhe von 1.761,-- DM erhob sie gegenüber der Rentenversicherungsabteilung einen "Ersatzanspruch" auf die Rentennachzahlung und behielt sich die Rückforderung gegen den Kläger vor. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1979).
Mit seiner Klage hatte der Kläger in den Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 18. April 1980, des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts -LSG- vom 18. Januar 1982). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, es fehle bereits an der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids vom 17. Juli 1978, denn der Beklagten stehe kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch wegen zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen gegen den Kläger zu. Auf das für die Zeit vom 3. Oktober bis 1. Dezember 1977 gewährte Übergangsgeld in Höhe von täglich 58,70 DM habe der Kläger Anspruch gehabt, weil er nicht als Rentner iSd § 1241a Abs 2 Satz 3 RVO aF anzusehen sei; aus § 1241d Abs 2 RVO alter wie neuer Fassung folge, daß grundsätzlich kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit während der Durchführung der Reha-Maßnahme bestehe. Die Beklagte hätte dem Kläger daher für diesen Zeitraum keine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewähren dürfen. Die Beklagte könne gegen den Anspruch des Klägers auf ungekürzte Zahlung von Übergangsgeld auch nicht mit einem Anspruch wegen zu Unrecht gezahlter Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Oktober bis 1. Dezember 1977 aufrechnen. Schließlich greife zugunsten des Klägers immer noch § 1301 RVO aF mit der Folge ein, daß eine Rückforderung an dem Verschulden der Beklagten an der Überzahlung scheitere, denn sie hätte bei rechtsfehlerfreier Anwendung der einschlägigen Vorschriften die erneute Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit erst ab 1. Dezember 1977 an den Kläger zahlen dürfen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, § 1241d Abs 2 Satz 1 RVO aF sei für den Fall bestimmt, daß vor der Maßnahme zur Rehabilitation überhaupt noch kein Rentenanspruch bewilligt worden sei. Für denjenigen, der - wie der Kläger im vorliegenden Fall - bereits eine Rente erhalten habe, greife der Normzweck der Bestimmung - Rehabilitation vor Rente - nicht durch, auch wenn die weiter vorliegende Berufsunfähigkeit erst nach der Maßnahme festgestellt werde. Werde die Zahlung einer Zeitrente gemäß § 1276 Abs 2 Satz 1 RVO mit Zeitablauf eingestellt, ohne daß auch die Berufsunfähigkeit weggefallen sei, so gewähre der Versicherungsträger die Rente aufgrund des bisherigen Versicherungsfalls weiter. Die Weitergewährung geschehe, weil sich die begründete Aussicht über den künftigen Wegfall nicht bestätigt habe. Der unmittelbare Anschluß der Renten sei in § 1276 Abs 2 Satz 2 RVO allerdings nur für die an eine Erwerbsunfähigkeitszeitrente anschließende Berufsunfähigkeitsrente ausgesprochen. Die Betonung des einheitlichen Charakters mehrerer Zeitrenten lasse aber erst recht den Schluß zu, daß auch bei vorliegender Berufsunfähigkeit die zweite Rente unmittelbar anschließen müsse. Durch den Bescheid vom 20. Mai 1978 sei die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitszeitrente dementsprechend auf den 1. Oktober 1977 bestimmt worden, obwohl der Rentenantrag erst am 28. Dezember 1977 gestellt worden sei. Hierdurch habe der Kläger Anspruch auf Leistung auch für den 1. und 2. Oktober 1977, für die wegen verspäteten Antritts der Berufsförderungsmaßnahme das zunächst festgesetzte Übergangsgeld nicht zu zahlen gewesen sei. Für diese Tage habe der Kläger auch keinen Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld gehabt, weil der Rentenantrag nicht vor Beginn der Maßnahme gestellt worden sei. Sei der Rentenbescheid vom 20. Mai 1978 aber richtig, habe das Übergangsgeld unter Berücksichtigung des § 1241a Abs 2 Satz 3 RVO aF neu berechnet werden müssen. Dies sei durch Bescheid vom 17. Juli 1978 geschehen, der sich ausdrücklich auf die Feststellung der Rente und die einbehaltene Nachzahlung bezogen habe. Dies entspreche der Rechtsprechung des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 30. Mai 1968 (SozR Nr 10 zu § 1241 RVO aF). Dort sei ausgeführt, daß bei nach § 1241 Abs 3 RVO aF - der dem heutigen § 1241a Abs 2 Satz 3 RVO entspreche - verbotenen Doppelleistungen, um dem Willen des Gesetzgebers nachzukommen, der Ausgleich bzw die Anpassung an den Zweck der Vorschrift bei der späteren Leistung in unmittelbarer Anwendung des § 1241 Abs 3 RVO aF vorgenommen werden müsse. Das sei hier mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Juli 1978 geschehen.
Im übrigen sei § 1301 RVO aF nicht anwendbar, weil durch diese Vorschrift nur der Schuldner vor Rückzahlungen geschützt werden solle, der gutgläubig Geldleistungen von der öffentlichen Hand erlangt habe; im vorliegenden Fall habe der Kläger aber allenfalls eine ihm scheinbar günstigere Rechtsposition erlangt.
Der Beklagte beantragt, die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Januar 1982 und des Sozialgerichts Lübeck vom 18. April 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage.
Soweit in dem Bescheid vom 17. Juli 1978 über die Neuberechnung des Übergangsgeldes die Nachzahlung aus dem Rentenbescheid vom 20. Mai 1978 in Anspruch genommen wird, handelt es sich nicht um eine Rückforderung iS des § 1301 RVO aF. Diese Vorschrift war für den Fall vorgesehen, daß der Versicherungsträger zunächst eine Geldleistung an den Versicherten erbracht hat und späterhin von diesem deren Rückzahlung fordert und daß dadurch die wirtschaftliche Lage des Versicherten beeinträchtigt wird oder werden kann. Im vorliegenden Fall hingegen muß der Kläger nicht das ihm bereits gewährte Übergangsgeld wieder zurückzahlen; es stellt sich lediglich die Frage, ob und in welcher Höhe die im Rentenbescheid vom 20. Mai 1978 errechnete Nachzahlung an ihn zur Auszahlung gelangt.
Die Neufeststellung des Übergangsgeldes ergab sich aus der Verlängerung der Zeitrente über den 30. September 1977 hinaus. Geht man davon aus, daß vor Bewilligung der berufsfördernden Maßnahme, aufgrund deren das Übergangsgeld gewährt wurde, eine Rente nicht bewilligt war, so hätte nach § 1241d Abs 2 RVO während dieses Zeitraumes ein Anspruch auf Rente nicht bestanden. Demzufolge wäre insoweit auch keine Rentennachzahlung angefallen. Geht man dagegen davon aus, daß die vor Beginn der berufsfördernden Maßnahme bereits bewilligte Rente nur nach § 1276 Abs 3 RVO über den Wegfallzeitpunkt (30. September 1977) wiederholt gewährt wurde, dann hätte der Kläger nach § 1241a Abs 2 RVO idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG vom 27. Juni 1977 - BGBl I S 1040) nur einen Anspruch auf das halbe Übergangsgeld gehabt. Die letzte Alternative begünstigt den Kläger insofern, als die Hälfte des ihm zustehenden Übergangsgeldes betragsmäßig niedriger liegt als die Berufsunfähigkeitsrente. Durch die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente neben dem halben Übergangsgeld stellt sich der Kläger wirtschaftlich besser als durch die Gewährung des vollen Übergangsgeldes allein. Aus dem insoweit nicht bestrittenen Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1978 geht hervor, daß die nach Ansicht der Beklagten zu viel gezahlte Hälfte des Übergangsgeldes für 60 Tage DM 1.761,-- ausmacht, während auf der anderen Seite dem Kläger für diesen Zeitraum aufgrund des Bescheides vom 20. Mai 1978 zwei Monatsrenten in Höhe von je DM 916,30 zustehen. Wegen dieser den Kläger begünstigenden wirtschaftlichen Auswirkungen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte nicht vom Wegfall des Rentenanspruches nach § 1241d RVO ausgegangen ist, sondern den Weg der Rentengewährung neben dem halben Übergangsgeld nach § 1241a Abs 2 RVO gewählt hat. Zumindest ist der Kläger dadurch im wirtschaftlichen Ergebnis nicht beschwert.
Ersichtlich wollte die Beklagte die angefallene Rentennachzahlung nicht in vollem Umfang an den Kläger auszahlen. Sie hat sie zu diesem Zweck vorsorglich einbehalten und in ihrem Bescheid vom 20. Mai 1978 ausdrücklich erklärt, daß eine Abrechnung erfolge, sobald Ersatzansprüche geklärt seien. Indessen ist die Überzahlung aufgrund der Neufeststellung des Übergangsgeldes kein Ersatzanspruch einer dritten Stelle. Zu Unrecht hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 17. Juli 1978 einen Ersatzanspruch gegenüber ihrer Rentenabteilung erhoben. Die Geltendmachung eines Ersatzanspruches (Erstattungsanspruches) ist nur möglich im Verhältnis verschiedener Sozialleistungsträger gegeneinander (vgl §§ 102 f SGB X), nicht aber innerhalb der Leistungsabteilungen eines Sozialleistungsträgers. Diese sind im Verhältnis zueinander nur Organe des Leistungsträgers, der sie eingerichtet hat. Demnach kann die Geltendmachung eines "Ersatzanspruches" nur dahin verstanden werden, daß durch sie ein verwaltungsinternes Abrechnungsverfahren in Gang gesetzt wird. Ein solches Verfahren ist solange zulässig, als eine Rentennachzahlung zu Abrechnungszwecken einbehalten ist. In diesem Fall kann der Versicherte nicht davon ausgehen, daß der angefallene Nachzahlungsbetrag in vollem Umfang an ihn ausgezahlt wird. Er muß vielmehr damit rechnen, daß der Versicherungsträger eine Abrechnung insoweit vornimmt, als er eine früher gewährte Sozialleistung - hier das Übergangsgeld - ganz oder teilweise durch eine andere - hier die Berufsunfähigkeitsrente - ersetzt. In diesem Bereich tritt auch eine Bindungswirkung des Rentenbescheides nach § 77 SGG nicht ein. Die Bindungswirkung des Rentenbescheides erstreckt sich nicht auch auf die darin enthaltene Mitteilung über eine Rentennachzahlung, wenn der an den Berechtigten zur Auszahlung kommende Nachzahlungsbetrag wegen noch nicht geklärter Ersatzansprüche noch nicht endgültig festgesetzt ist (so BSG-Urteil vom 15. Juli 1969 - 1 RA 255/68 = SozR Nr 64 zu § 77 SGG). Hiervon werden auch die Fälle erfaßt, in denen wegen der Gewährung von Übergangsgeld in einem Zeitraum, für den gleichzeitig ein Rentenanspruch bestand, eine Abrechnung vorzunehmen ist (vgl BSG-Urteil vom 30. Mai 1968 - 12 RJ 132/65 = SozR Nr 10 zu § 1241 RVO sowie BSG-Urteil vom 26. Mai 1964 - 12 RJ 464/61 = BSGE 21, 88, 90 f für die Fälle einer rückwirkenden Rentenumwandlung).
Unter diesen Umständen hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 17. Juli 1978 eine rechtlich zulässige Abrechnung des Übergangsgeldes mit der Rentennachzahlung vorgenommen. In diesem Sinne ist dieser Bescheid auch auszulegen. Die Geltendmachung des "Rückforderungs- und Ersatzanspruches" verfolgten erkennbar das Ziel, zu Abrechnungszwecken Zugriff auf die angefallene Rentennachzahlung zu nehmen. Unter diesem Aspekt ist der Bescheid nicht zu beanstanden.
Nach alldem waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen