Leitsatz (amtlich)
Hat ein Versicherter außer Beitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung lediglich hinzurechenbare Zeiten nach Art 10 des polnischen Gesetzes vom 23.1.1968 zurückgelegt, so führen diese bei der Berechnung einer Rente nach Art 4 Abs 2 des deutsch-polnischen Abkommens nicht zur Rentenerhöhung.
Normenkette
RV/UVAbk POL Art 4 Abs 2 Fassung: 1975-10-09; RV/UVAbkPOLG Art 2 Fassung: 1976-03-12
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.05.1982; Aktenzeichen L 2 J 38/82) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 15.07.1981; Aktenzeichen S 3 J 1064/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die rentensteigernde Anrechnung von Zeiten polnischen Militärdienstes und deutscher Kriegsgefangenschaft.
Der 1910 geborene Kläger, staatenloser Ausländer, arbeitete bis zum 24. August 1939 in der elterlichen Landwirtschaft im Bezirk Bialystok. Dann wurde er zum polnischen Kriegsdienst eingezogen. Er geriet am 6. Oktober 1939 in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er am 6. Mai 1945 entlassen wurde. Danach war er bei den Alliierten beschäftigt und leistete ab Dezember 1946 Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung.
Durch Bescheid vom 31. Januar 1975 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld aus den deutschen Pflichtbeiträgen mit dem Hinweis, die Kriegsdienstzeit sei wegen noch erforderlicher Ermittlungen zunächst ausgeklammert worden. Mit "Beschluß" vom 12. Juni 1975 teilte sie dem Kläger mit, weder der polnische Wehrdienst noch die deutsche Kriegsgefangenschaft könne als Ersatzzeit bewertet werden; für eine Rentenneufeststellung bestehe kein Anlaß.
Im April 1978 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (im folgenden: Abkommen) nebst der Vereinbarung vom 11. Januar 1977. Nach Einschaltung der Verbindungsstelle (Landesversicherungsanstalt Berlin) erließ die Beklagte unter dem 25. Oktober 1979 einen Bescheid, mit dem sie die Anrechnung der Wehrdienst- und Kriegsgefangenenzeit ablehnte: dies seien hinzurechenbare Zeiten im Sinne des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968, die nach Art 4 Abs 2 des Abkommens nur berücksichtigt werden könnten, wenn polnische Beschäftigungszeiten gemäß § 8 des genannten Gesetzes vorhanden seien. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1980).
Das Sozialgericht Mannheim hat die Beklagte durch Urteil vom 15. Juli 1981 antragsgemäß in Abänderung ihrer Bescheide verurteilt, das Altersruhegeld unter Berücksichtigung der Zeit vom 25. August 1939 bis zum 6. Mai 1945 für Rentenbezugszeiten seit Mai 1976 neu festzustellen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und im Urteil vom 26. Mai 1982 ausgeführt: Die unter Art 10 Abs 1 Nrn 4 und 8 des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968 fallenden Zeiten seien nach Art 4 Abs 2 des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens bei der Berechnung der deutschen Rente in Ansatz zu bringen. Es komme nicht darauf an, ob diese "hinzurechenbaren" Zeiten nach polnischem Recht im konkreten Fall anrechenbar wären, sondern genüge nach Art 4 Abs 2 des Abkommens, wenn die Voraussetzungen des § 1251 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) vorlägen; dies sei zu bejahen, da der Kläger innerhalb von drei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit Pflichtbeiträge geleistet habe.
Mit der zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, die streitigen Zeiten könnten nicht in die deutsche Rentenversicherung eingegliedert werden, weil sie nach polnischem Recht keine relevanten Zeiten seien.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Mai 1982 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Juli 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Anspruchsgrundlage ist das Abkommen vom 9. Oktober 1975, das gemäß der Bekanntmachung vom 31. März 1976 am 1. Mai 1976 in Kraft getreten ist, in Verbindung mit dem Gesetz (Zustimmungsgesetz) vom 12. März 1976 (BGBl II 1976, 393). Abkommensrechtlich erfaßt werden auch Ansprüche, die bereits - wie hier - vor dem 1. Mai 1976 bindend festgestellt worden waren. Insofern eröffnet Art 4 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes, der als Sondervorschrift sowohl den früheren § 1300 RVO als auch den jetzigen § 48 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - verdrängt, die Neufeststellung "unter Berücksichtigung dieses Gesetzes". Die Neufeststellung wirkt auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens zurück, wenn ein entsprechender Antrag bis zum 30. April 1978 gestellt wurde, wie das der Kläger getan hat.
Indessen kann die rentensteigernde Anrechnung der strittigen Zeit auf das Altersruhegeld aus dem Abkommen und dem Zustimmungsgesetz nicht hergeleitet werden. Nach Art 4 Abs 2 des Abkommens berücksichtigt der Rentenversicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt, bei der Feststellung der Rente nach den für ihn geltenden Vorschriften die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellten Zeiten im anderen Staatsgebiet so, als ob sie in seinem Staatsgebiet zurückgelegt worden wären. Diese Regelung normiert das dem gesamten Abkommen zugrundeliegende Eingliederungsprinzip; sie erfaßt auch Zeiten vor Inkrafttreten des Abkommens (Art 15 Abs 2).
Damit ist aber nichts über die - logisch frühere - Frage gesagt, ob überhaupt im anderen Staat Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten zurückgelegt sind. Das bestimmt sich nach dem Recht des anderen Staates, vorliegend also nach polnischem innerstaatlichen Recht. Zwar läßt sich hierfür aus dem Wortlaut des Art 4 Abs 2 des Abkommens unmittelbar nichts gewinnen; näheren Aufschluß gibt aber die andere Formulierung in Art 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes. Danach sind Zeiten, "die nach dem polnischen Recht zu berücksichtigen sind", gemäß Art 4 Abs 2 des Abkommens in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnt. Es müssen also nach polnischem Recht relevante Zeiten sein, die in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Berücksichtigung finden können.
Das LSG hat - insoweit in Anwendung nicht revisiblen polnischen Rechts (§ 162 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) - festgestellt, daß die von dem Kläger zurückgelegten Zeiten polnischen Kriegsdienstes und deutscher Kriegsgefangenschaft sogenannte "hinzurechenbare Zeiten" iS des Art 10 des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968 sind, des weiteren, daß solche Zeiten nach innerstaatlichem polnischen Sozialversicherungsrecht nur berücksichtigt werden können, wenn daneben auch Beschäftigungszeiten oder gleichgestellte Zeiten iS der Art 8 oder 9 des genannten Gesetzes vorliegen. Es hat - insoweit in Auslegung des Abkommens, nämlich Art 4 Abs 2 - ausgeführt, der im Abkommen gebrauchte Begriff "gleichgestellte Zeiten" sei im weiteren Sinne zu verstehen und erfasse auch "hinzurechenbare Zeiten" iS des Art 10 des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968, so daß derartige Zeiten zugunsten der unter das Abkommen fallenden Personen in der deutschen Rentenversicherung grundsätzlich anrechenbar seien. Dies kann so nicht zutreffen. Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen polnische hinzurechenbare Zeiten aufgrund des Abkommens bei der Feststellung der deutschen Rente zu berücksichtigen sind. Jedenfalls ist aber nicht der Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen, "hinzurechenbare Zeiten" iS des Art 10 des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968 seien in der deutschen Rentenversicherung schon dann zu berücksichtigen, wenn einer der Tatbestände des Art 10 aa0 erfüllt sei, ohne daß es darauf ankomme, ob die Zeiten in Polen bereits aufgrund des Gesetzes vom 23. Januar 1968 - also ohne Berücksichtigung des Abkommens - im konkreten Fall auch anrechenbar wären. Die hierfür gegebene Begründung, es wäre im Abkommenswortlaut zum Ausdruck zu bringen gewesen, wenn die Vertragsparteien die Berücksichtigung "hinzurechenbarer Zeiten" nur unter den von der Beklagten genannten Voraussetzungen gewollt hätten, überzeugt nicht. Zunächst hat das LSG die verdeutlichende Bestimmung des § 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes nicht erwähnt und sich daher auch nicht damit auseinandergesetzt, daß dort - wie bereits dargelegt - aus deutscher Sicht von Zeiten die Rede ist, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, mithin also versicherungsrechtlich relevante polnische Zeiten vorhanden sein müssen. Dies ist auch einsichtig. Denn es bedeutet zugleich, daß der deutsche Rentenversicherungsträger nur polnische Zeiten "honorieren" kann, die der Antragsteller "mitbringt". Es kann nicht Sinn der Abkommensregelung sein, durch deutsche Beitragszeiten polnische "hinzurechenbare Zeiten" nach Art 10 des polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968 aufleben zu lassen, die vorher - nach polnischem Recht - ohne sozialversicherungsrechtliche Wirkung waren. Dementsprechend wird auch verfahren. Die Vertragsstaaten haben von der in Art 11 Buchst b des Abkommens vorgesehenen Möglichkeit, daß die zuständigen Behörden - für die Bundesrepublik Deutschland der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (Art 1 Nr 1 des Abkommens) - die zur Durchführung des Abkommens erforderlichen Maßnahmen vereinbart werden, Gebrauch gemacht und am 11. Januar 1977 eine Vereinbarung (Durchführungsvereinbarung) abgeschlossen. Durch Verordnung vom 24. Juni 1977 (BGBl II 1977, 1188), für deren Erlaß Art 6 des Zustimmungsgesetzes die Ermächtigung enthält, wurde die Durchführungsvereinbarung in das innerstaatliche Recht umgesetzt; sie trat gemäß der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1977 (BGBl II 1977, 1187) am 15. September 1977 in Kraft. Nach Art 4 der Durchführungsvereinbarung fertigt die zuständige Behörde jedes Staates eine Aufstellung über die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellten Zeiten, die nach den für sie geltenden Vorschriften für die Feststellung des Rentenanspruches oder die Rentenberechnung erheblich sind, und übersendet diese Aufstellung der zuständigen Behörde des anderen Staates. Inhaltlich haben die Verbindungsstellen diese Aufgabe erfüllt und eine Zusammenstellung der rentenrechtlich relevanten polnischen Zeiten niedergelegt. Ob damit formell der Rahmen des Art 4 der Durchführungsvereinbarung insbesondere hinsichtlich der "zuständigen Behörde" als eingehalten gelten kann, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Jedenfalls ist aber im "Katalog der nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 9. Oktober 1975 anrechenbaren und nicht anrechenbaren Zeiten", Teil 2 - Ersatzzeiten, der unter Nrn 1 und 5 auch Zeiten des nichtberufsmäßigen Dienstes beim polnischen Militär sowie Zeiten in deutscher Kriegsgefangenschaft umfaßt, eine Vorbemerkung vorangestellt, in der es heißt: "Die nachstehend aufgeführten Zeiten sind nur anrechenbar, wenn auch Zeiten iS der Art 8, 9 des Gesetzes vom 23. Januar 1968 in der Volksrepublik Polen zurückgelegt worden sind. Zeiten nach deutschen Rechtsvorschriften sind insoweit nicht gleichgestellt".
Bei dieser Rechtslage kann entgegen der Ansicht des LSG nicht angenommen werden, der deutsche Träger müsse polnische Hinzurechnungszeiten deshalb berücksichtigen, weil der Wortlaut des Art 4 Abs 2 des Abkommens dies nicht ausschließe. Im Gegenteil, die vom Berufungsgericht ins Auge gefaßte Lösung hätte einer ausdrücklichen Regelung im Abkommen oder im Zustimmungsgesetz bedurft.
Die Urteile der Vorinstanzen mußten daher aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen