Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. selbst genutztes Hausgrundstück. unangemessene Größe. Übernahme von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur als Unterkunftskosten. planwidrige Regelungslücke. Auslegung von § 22 Abs 2 S 1 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Die unangemessene Größe eines nicht als Vermögen zu berücksichtigenden selbst bewohnten Wohneigentums steht der Übernahme von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur nicht entgegen.
Normenkette
SGB 2 § 22 Abs. 1, 2 S. 1, § 12 Abs. 1, 3 S. 1 Nrn. 4, 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Mai 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Umstritten ist die Übernahme der Aufwendungen für eine Dachreparatur.
Der 1956 geborene alleinstehende Kläger bewohnte im Jahr 2017 ein Eigenheim mit 129 qm Wohnfläche. Im Februar 2017 waren durch das beklagte Jobcenter Aufwendungen für die Reparatur der Heizung iHv 265,37 Euro als Bedarf anerkannt worden. Im Juli 2017 fielen für die Hausnebenkosten mit dem Heizungsbetrieb verbundene Energiekosten iHv 5,62 Euro an. Weitere laufende Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hatte der Kläger in diesem Monat nicht. Er war ab März 2017 als Kraftfahrer bzw Ladehelfer geringfügig beschäftigt und erzielte hieraus einen Festlohn iHv 100 Euro. Für mit dem eigenen Pkw zurückgelegte Kilometer erhielt er eine zusätzliche Fahrkostenerstattung von 0,30 Euro/km.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger Alg II von Mai 2017 bis April 2018, dabei für Juli 2017 iHv 406,22 Euro (Bescheid vom 5.4.2017). Am 6.4.2017 zeigte der Kläger die Reparaturbedürftigkeit des Hausdaches an. Er legte drei Voranschläge zu den Reparaturkosten vor, den günstigsten über 583,77 Euro. Der Beklagte errechnete (intern), ausgehend von einer 50 qm großen Mietwohnung seien jährlich eine Nettokaltmiete von 2658 Euro zzgl 660 Euro Betriebskosten und Heizkosten mit Warmwasser iHv 1089 Euro angemessen. Die Übernahme von Aufwendungen für die Reparatur des Daches lehnte er ab (Bescheid vom 5.5.2017). Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er ließ das Dach reparieren. Die Rechnung über 583,77 Euro reichte er am 7.7.2017 beim Beklagten ein. Der Beklagte hob den Bescheid vom 5.4.2017 auf und bewilligte für Juli 2017 414,62 Euro, weil er kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr anrechnete (Bescheid vom 7.7.2017). Den Widerspruch wies er zurück (Widerspruchsbescheid vom 29.9.2017).
Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 6.9.2019). Der Gesetzgeber wolle mit § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II verhindern, dass durch den SGB II-Leistungsbezug unangemessenes Wohneigentum gefördert werde. Dies sei nur zu erreichen, wenn Reparaturaufwendungen für unangemessen großes und nur nicht verwertbares Wohneigentum nicht übernommen würden. Denn mit der Größe des Grundstücks erhöhe sich naturgemäß auch die Anzahl und der Umfang von Reparatur- und Instandsetzungsbedarfen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.5.2021). Es könne offenbleiben, ob das Hausgrundstück womöglich als Vermögen zu berücksichtigen und der Kläger damit nicht hilfebedürftig sei. Bei den Aufwendungen für die Dachreparatur handele es sich zwar grundsätzlich um übernahmefähige Aufwendungen; an ihrer Unabweisbarkeit bestehe kein Zweifel. Die Aufwendungen lägen selbst einschließlich derjenigen für die Reparatur der Heizung im Februar 2017 deutlich unter der vom Beklagten zugrunde gelegten Mietobergrenze. Eine Übernahme scheide aber aus, weil das Hausgrundstück unangemessen groß sei. Einer anderslautenden Auslegung von § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II stehe der Wortlaut der Vorschrift entgegen, nach dem das Hausgrundstück über § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II geschützt sein müsse. Es komme weder eine Analogie noch eine teleologische Reduktion der Norm für den Fall in Betracht, dass das Hausgrundstück aus anderen Gründen als Vermögen durch das SGB II geschützt werde, insbesondere nicht verwertbar sei.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Mai 2021 und des Sozialgerichts Cottbus vom 6. September 2019 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2017 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, ihm für Juli 2017 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der Reparaturaufwendungen in Höhe von 583,77 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Aufwendungen für die Reparatur des Daches sind der Sache nach als Bedarf für Unterkunft anzuerkennen. Indes lässt sich nach den Feststellungen des LSG nicht beurteilen, ob der Kläger Anspruch auf Alg II hat. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu seiner Hilfebedürftigkeit, insbesondere wegen einer möglichen Verwertbarkeit des Hausgrundstücks.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Urteilen der Bescheid vom 7.7.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.9.2017. Mit dem Bescheid vom 7.7.2017 hat der Beklagte zuletzt insgesamt über die Höhe des Alg II für den Kläger entschieden. Er hat eine Neuregelung nicht allein wegen der aus seiner Sicht wesentlichen Änderung zugunsten des Klägers (§ 48 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Nr 1 SGB X) vorgenommen. Vielmehr hat der Beklagte die eingereichte Rechnung nicht als Bedarf berücksichtigt, den sich wegen geänderten Einkommens ergebenden Bewilligungsbetrag neu ermittelt und im Tenor des Bescheids sowie im Berechnungsbogen einen erhöhten Anspruch auf Alg II insgesamt ausgewiesen. Der Bescheid vom 7.7.2017 ist Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden (§ 86 SGG, vgl BSG vom 5.7.2017 - B 14 AS 36/16 R - SozR 4-1500 § 86 Nr 3 RdNr 19 f). Der Sache nach ist der Streit beschränkt auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (hierzu nur BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 mwN). Eine Begrenzung allein auf die Reparaturaufwendungen ist hingegen rechtlich nicht möglich (BSG vom 18.9.2014 - B 14 AS 48/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 79 RdNr 12).
2. Gegen die Ablehnung der Bewilligung von höherem Alg II wendet sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), gerichtet auf die Änderung des Bescheids vom 7.7.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.9.2017 und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der Reparaturaufwendungen iHv 583,77 Euro.
Den Leistungsantrag hat der Kläger zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) gerichtet. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird (vgl nur BSG vom 21.7.2021 - B 14 AS 31/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 118 RdNr 17 mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor. Ausgehend vom Vortrag des Klägers ist das Eigenheim nicht verwertbar und es kommen im Juli 2017 wegen der Kosten für die Dachreparatur höhere Leistungen als mit Bescheid vom 7.7.2017 bewilligt in Betracht, auch wenn angesichts der Fahrkostenerstattung des Arbeitgebers ggf ein höheres Einkommen anzurechnen sein kann (vgl BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 14 RdNr 30 ff).
3. Rechtsgrundlagen für das klägerische Begehren sind zunächst § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III (idF durch das Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung vom 24.3.1997, BGBl I 594) und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X (idF der Neubekanntmachung vom 18.1.2001, BGBl I 130). Nach diesen Vorschriften ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit eine Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Dabei gilt es zu klären, ob bzw inwieweit eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dazu führt, dass die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung mit einer höheren Neufeststellung des Leistungsanspruchs als durch den Bescheid vom 7.7.2017 erfolgt, zu verbinden gewesen ist. Insoweit sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen. Der Sache nach bestimmt sich der Anspruch des Klägers auf Alg II gemäß §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II idF, die das SGB II für Juli 2017 zuletzt durch die Gesetze zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes vom 29.3.2017 (BGBl I 626) und zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.7.2017 (BGBl I 2541) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip; ua BSG vom 26.11.2020 - B 14 AS 23/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 34 RdNr 14).
4. Der Senat kann derzeit nicht entscheiden, ob der Kläger im Juli 2017 höheres Alg II erhalten muss. Es fehlen Feststellungen zur Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit, die das LSG unter Hinweis auf das selbst genutzte Hausgrundstück ausdrücklich offengelassen hat (dazu 5). Wenn der Kläger seine Hilfebedürftigkeit durch den Einsatz von Vermögen nicht beseitigen konnte, sind die Aufwendungen für die Reparatur des Daches zu übernehmen, soweit sie angemessen sind (dazu 6 und 7).
5. Die für den Anspruch auf Alg II als allein lebende, unverheiratete Person zu erfüllenden Grundvoraussetzungen lagen beim Kläger hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland vor (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II).
Ob der Kläger auch hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1, § 12 SGB II war, kann nicht abschließend beurteilt werden. Hilfebedürftig im Sinne der genannten Vorschriften ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere zu berücksichtigendem Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Das LSG hat ausdrücklich offengelassen, ob das vom Kläger bewohnte Hausgrundstück verwertbar iS des § 12 Abs 1 SGB II ist. Über weitere Vermögenswerte hat es nichts mitgeteilt. Damit kann nicht abschließend geklärt werden, ob der Kläger Anspruch auf Alg II hat.
a) Bei der Prüfung, ob einzusetzendes Vermögen die Hilfebedürftigkeit des Klägers beseitigt, wird das LSG zunächst über die Verwertbarkeit (§ 12 Abs 1 SGB II) des Hausgrundstücks und ggf weiterer Vermögensgegenstände zu entscheiden haben. Soweit die tatsächliche Verwertbarkeit infrage steht, muss für den jeweiligen Vermögensgegenstand in absehbarer Zeit ein Käufer zu finden oder eine andere Verwertungsmöglichkeit realisierbar sein (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 30/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 30 RdNr 15). Ein Aspekt der tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit, hinsichtlich der ggf eine Prognose erforderlich und für die auf den im konkreten Einzelfall bevorstehenden Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 3 SGB II) abzustellen ist (BSG vom 6.5.2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 15 RdNr 18 f; BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 30/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 30 RdNr 16; zu § 44 Abs 1 Satz 1 SGB XII - jetzt § 44 Abs 3 Satz 1 SGB XII - BSG vom 2.9.2021 - B 8 SO 4/20 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 11 RdNr 17).
b) Soweit Vermögensgegenstände verwertbar sind, ist festzustellen, ob sie (nicht) zu berücksichtigen sind (§ 12 Abs 3 SGB II). Nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) ua ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe. Bei einer unangemessenen Größe des Hausgrundstücks ist nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II zu beurteilen, ob seine Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Ist das Hausgrundstück nach diesen Voraussetzungen zu verwerten, sind vom gesamten verwertbaren Vermögen Freibeträge abzusetzen (§ 12 Abs 2 SGB II).
Nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II in seiner vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2022 unverändert gebliebenen Fassung ist ua ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Bei dem Begriff der angemessenen Größe in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II handelte es sich im verfahrensgegenständlichen Monat Juli 2017 noch (vgl zur Gesetzesfassung ab 1.1.2023 § 12 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB II) um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift zum Vermögensschutz bezieht sich die Angemessenheit nur auf die Größe des Hausgrundstücks. Auf andere wertbildende Faktoren als die Größe wird in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II nicht abgestellt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist aufgrund von Sinn und Zweck § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II bei einem selbst genutzten Hausgrundstück maßgeblich auf die (Wohn-)Fläche des Hauses abzustellen (BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 27; vgl BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 90/12 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 22 RdNr 23; zur Teilbarkeit im Rahmen der Vermögensprüfung BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - aaO RdNr 29; BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 33/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 25 RdNr 14). Denn § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II bezweckt nicht den Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand, sondern den Erhalt des Wohnraums zur Erfüllung des Grundbedürfnisses "Wohnen" und als räumlicher Lebensmittelpunkt (stRspr; vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 30/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 30 RdNr 27).
Für einen Ein-Personen-Haushalt ist das BSG von einer im Ausgangspunkt angemessenen Wohnfläche von 90 qm ausgegangen (zur Ableitung von 130 qm BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 27; BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 90/12 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 22 RdNr 31 f). Zwar kann auch bei diesem typisierenden Ausgangswert bei besonderen Wohnbedürfnissen einer außergewöhnlichen Bedarfslage Rechnung zu tragen sein (so schon BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3, RdNr 22; vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 30/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 30 RdNr 18; BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 26). Für das Vorliegen solcher besonderen Wohnbedürfnisse gibt es vorliegend aber keine Anhaltspunkte.
Nach dem derzeitigen Verfahrensstand vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob das Hausgrundstück über § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II geschützt ist, nach dem Sachen und Rechte als Vermögen nicht zu berücksichtigen sind, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist (zur Berücksichtigungsfähigkeit etwaiger Eigenleistungen BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27) oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde (zum Zeitmoment BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 30/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 30 RdNr 26).
Soweit das Hausgrundstück und ggf weitere Vermögenswerte verwertbar und als Vermögen zu berücksichtigen wären, sind vom Gesamtwert des Vermögens die Freibeträge abzusetzen. Dabei sind jedenfalls der Grundfreibetrag iHv 9000 Euro (§ 12 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Satz 2 Nr 1 SGB II) und der Anschaffungsfreibetrag iHv 750 Euro (§ 12 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB II) zu berücksichtigen. Ob die Absetzbetragsregelungen des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und 3 SGB II greifen, ist nach den Feststellungen des LSG offen.
6. Kann der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nicht durch den Einsatz von Vermögen (s zuvor 5) beseitigen, sind die Aufwendungen für die Reparatur des Daches nach § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II anzuerkennen, soweit sie angemessen sind (dazu 7). Der Übernahme steht nicht entgegen, dass nach dessen Wortlaut nur Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum iS von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II, also einer konkret benannten Vermögensschutzvorschrift, erfasst werden.
Nach § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II werden als Bedarf für die Unterkunft (auch) unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Nach diesem Wortlaut wird mithin vorgegeben, dass es sich bei dem Wohneigentum um ein als angemessen großes Hausgrundstück geschütztes Vermögen handeln muss. Die Voraussetzungen eines solchen sind nach den Feststellungen des LSG zwar nicht gegeben (s oben). § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II ist jedoch hinsichtlich der den Bedarf dem Grunde nach begrenzenden Bezugnahme auf § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II einschränkend auszulegen, wodurch der Anwendungsbereich zugleich erweitert wird. Die Beschränkung des Anspruchs auf Kosten nur für Wohneigentum mit angemessener Wohnfläche führt zu einer planwidrigen Lücke. Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, weil der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach der Entstehungsgeschichte (dazu a), dem systematischen Zusammenhang (dazu b) sowie ihrem Sinn und Zweck (dazu c) erfasst sein sollten. So ist es hier.
a) Seit dem 1.1.2011 sind in § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II (idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) ausdrücklich besondere Voraussetzungen geregelt, unter denen Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum zu berücksichtigen sind.
§ 22 Abs 2 SGB II soll eine spezielle Ausformung des Regelfalls der Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB II normieren. Es handelt sich um den Bedarf von Eigentümern, der mit dem Erhalt der selbstbewohnten Immobilie durch Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten verbunden ist. Nach der vor dem 1.1.2011 geltenden Rechtslage war bei Bewohnern von selbst genutzten Eigenheimen für die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung insgesamt nicht entscheidend, ob das Hausgrundstück als solches dem Verwertungsschutz unterfiel (vgl schon BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 39; BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 54/07 R - RdNr 17 f; ohne Begründung BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 91/10 R - RdNr 19). Das gilt allgemein weiterhin; lediglich die Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur sind nach § 22 Abs 2 SGB II abweichend zu behandeln. Laufende und einmalige Aufwendungen im Zusammenhang mit der Nutzung als Unterkunft (zB Zinsen für einen Immobilienkredit, Abfallgebühren, Zahlungen an den Wasserversorger, Kosten für die Bevorratung mit Heizmaterial) werden - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - unabhängig davon berücksichtigt, ob ein selbst genutztes Hausgrundstück angemessen groß ist.
Mit der in § 22 Abs 2 SGB II vorgenommenen Sonderregelung der Fälle, in denen Aufwendungen für Reparatur und Instandhaltung bei selbst genutztem Wohneigentum als Bedarfe anerkannt werden können, war der Gesetzgeber gefordert, die Grenzziehung zwischen Werterhaltung einerseits und Wertsteigerung im Sinne von Vermögensbildung andererseits zu regeln. Insoweit ist der Gedanke formuliert worden, Voraussetzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen für Reparatur und Instandhaltung sei, dass diese nicht zu einer Verbesserung des Standards des selbst genutzten Wohneigentums führen dürften (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks 17/3404 S 98; zur Herleitung BSG vom 18.9.2014 - B 14 AS 48/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 79 RdNr 18). Dies ist insbesondere durch die beiden Tatbestandsmerkmale der "Unabweisbarkeit" und der "Angemessenheit" der Aufwendungen umgesetzt worden.
Zugleich wollte der Gesetzgeber den "Werterhalt" durch Instandhaltung oder Reparatur auf diejenigen Hausgrundstücke oder Eigentumswohnungen begrenzen, die auch dem Vermögensschutz des SGB II unterfallen bzw die nicht als Vermögen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen sind. Zu diesem Zweck hat er typisierend auf die Regelung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II zurückgegriffen. Dabei blieb unberücksichtigt, dass auch in diesem Sinne unangemessene selbstbewohnte Immobilien gleichwohl nicht als Vermögen berücksichtigt werden können.
Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 22 Abs 2 SGB II ergibt sich andererseits nicht, dass die Anerkennung von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur mit der Angemessenheit des selbst bewohnten Wohneigentums ausschließlich iS der Vermögensschutzvorschrift des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II verknüpft - und damit unweigerlich abhängig von dessen Wohnfläche - werden sollte. Die Vorschrift wird in der Entwurfsbegründung nicht genannt. Für die Berücksichtigungsfähigkeit dem Grunde und der Höhe nach zieht der Gesetzentwurf die ständige Rechtsprechung des BSG heran, nach der Eigentümer und Mieter bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden müssen (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks 17/3404 S 98). Es geht nach den Gesetzgebungsmaterialien um die Vereinheitlichung der als Bedarf anzuerkennenden Aufwendungen der Höhe nach. Anhaltspunkte für eine beabsichtigte anderweitige Differenzierung - zB nach dem Grund dafür, warum eine selbst genutzte Immobilie der Hilfebedürftigkeit nicht entgegensteht - gibt es nicht.
b) Systematisch ist § 22 Abs 2 SGB II den Vorschriften über die Bestimmung des Leistungsanspruchs und damit einhergehend der Bedarfe zugeordnet. Es geht damit nicht um die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit. Besteht Hilfebedürftigkeit, sind Leistungsberechtigten, egal ob Mietern oder Eigentümern, im Grundsatz dieselben Mittel zur Deckung ihrer Bedarfe zur Verfügung zu stellen. Sie sind im Hinblick auf die angemessene Höhe der unterkunftsbezogenen Aufwendungen insoweit gleich zu behandeln. Auch bei Eigentümern selbst bewohnter Immobilien mit oder ohne Vermögensschutz über § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II geht es um den Erhalt der Unterkunft bzw den Erhalt deren Bewohnbarkeit durch Anerkennung der durch diese hervorgerufenen Bedarfe.
Zudem steht die Angemessenheit der Unterkunftsbedarfe in keiner zwingenden Beziehung zur Angemessenheit der als Vermögen schützenswerten Wohnfläche. Die Anerkennung von Unterkunftsaufwendungen erfolgt grundsätzlich unabhängig von der Wohnfläche, solange die Angemessenheitsgrenze für diese Aufwendungen nicht überschritten wird. Die Nutzung eines über § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II geschützten Eigenheims zu Wohnzwecken wirkt sich nicht auf die Höhe der nach § 22 SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten aus (BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 33/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 25 RdNr 17; Krauß in Hauck/Noftz SGB II, § 22 RdNr 217, Stand Januar 2021). In diesem Sinn zu verstehen ist die Rechtsprechung des BSG, nach der § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II eine rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift gegenüber dem Verwertungsbegehren des Jobcenters ist (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 35; BSG vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 13 RdNr 26). Die Vorschrift soll nur verhindern, dass ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung veräußert werden muss, bevor Grundsicherungsleistungen gewährt werden (BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 91/10 R - RdNr 18). Sie beschränkt oder erweitert den Anspruch im Hinblick auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung weder im Vergleich zu Mietern, noch im Vergleich zu hilfebedürftigen Wohnnutzern einer Immobilie, die für den Vermögensschutz nicht § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II unterfällt.
c) Sinn und Zweck der Regelung gebieten, die Anerkennung von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur auch bei selbst genutztem, wenn auch iS von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II unangemessen großem Wohneigentum zu erfassen.
Alg II bzw Sozialgeld sichern das Grundbedürfnis "Wohnen" jeder leistungsberechtigten Person nach Maßgabe des § 22 SGB II. Maßstab einer Berücksichtigung von Aufwendungen als Bedarf ist die Angemessenheit. Anzuknüpfen ist auch bei Hauseigentümern an das Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Unterkunft zu ermöglichen, so lange dies zulasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden ist (vgl BSG vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 13 RdNr 29; BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 26/18 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 106 RdNr 18). Abgestellt wird auf die Ausgaben zur Bedarfsdeckung aus Mitteln der Existenzsicherung.
Das Kostenkriterium belegt, dass es bei der Bemessung des Bedarfs nicht auf den Grund der fehlenden Verpflichtung zum Einsatz selbst bewohnten Wohneigentums zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit ankommt. Anderenfalls wären, zöge eine leistungsberechtigte Person trotz vermeidbarer Unbewohnbarkeit der nicht § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II unterfallenden, aber nicht verwertbaren Unterkunft von dort in eine Mietwohnung oder ein Eigenheim im Sinne dieser Vorschrift, womöglich höhere Aufwendungen - bis zur Angemessenheitsgrenze - zu übernehmen.
Insoweit wird, wenn die Gruppen der nach seinem Wortlaut Berechtigten und der ansonsten von Leistungen der Instandhaltung und Reparatur Ausgeschlossenen miteinander verglichen werden, erneut die Lückenhaftigkeit des § 22 Abs 2 SGB II deutlich. Ist Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs 2 SGB II der Werterhalt in den Grenzen der Angemessenheit eines Existenzsicherungssystems ohne Wertsteigerung, profitieren nach dem reinen Wortlaut des § 22 Abs 2 SGB II allein diejenigen, deren Immobilie eine angemessene Fläche nicht überschreitet, unabhängig davon, ob sie als Vermögen zu berücksichtigen ist oder nicht. Ist sie verwertbar, stellt sich die Frage nach der Wertsteigerung durch die Leistungen nach § 22 Abs 2 SGB II verschärft, anders als bei einer iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II unangemessen großen, aber nicht verwertbaren Immobilie. Hier bleibt es allein bei dem Erhalt der Unterkunft.
Der dadurch ggf hervorgerufene Aufbau von Vermögen in nennenswertem Umfang ist begrenzt. Der Gesetzgeber hat neben dem qualitativen Merkmal der Unabweisbarkeit der Aufwendung einen besonderen Berechnungsmechanismus für die Angemessenheit in § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II eingeführt. Über diese Angemessenheit findet eine Kostendeckelung statt. Damit ist den Bedenken des SG und ihm folgend des LSG Rechnung getragen, mit der Größe des Wohneigentums stiegen auch Anzahl und Umfang des Reparatur- und Instandhaltungsbedarfs.
7. Hinsichtlich einer ggf erforderlichen Bewertung der Angemessenheit der Aufwendungen im Rahmen des § 22 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II wird das LSG zu beachten haben, dass die Heizungsreparatur nicht im dort genannten Zwölfmonatszeitraum vorgenommen worden ist. Sie fließt daher nicht in die Bestimmung der Angemessenheit ein.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. |
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S. Knickrehm |
Siefert |
Neumann ist an der Signatur gehindert. gez. S. Knickrehm |
Fundstellen