Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschuß bei Kuraufenthalt für eigene Rechnung. Begriff Kurmittel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sieht eine Satzung, die sich auf RVO § 187 Nr 4 stützt vor, daß bei einem Kuraufenthalt für eigene Rechnung ein Zuschuß nur gewährt wird, wenn der Versicherte auch "Kurmittel" in Anspruch genommen hat, so liegt darin auch bei Schwerbehinderten kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des GG Art 3 Abs 1.

2. "Kurmittel" sind nur solche Mittel, die sich von den üblichen Heilmitteln dadurch unterscheiden, daß sie für eine ortsgebundene Kur typisch sind.

3. Sieht die Satzung eines Krankenversicherungsträgers als Leistung bei Kuren nach RVO § 187 Nr 4 nur einen Zuschuß vor, so besteht für einen Sanatoriumsaufenthalt, bei dem Kurmittel nicht in Anspruch genommen worden sind, kein Leistungsanspruch.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 187 Nr. 4 Fassung: 1924-12-15; BKnSa § 66 Abs. 3

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch der Revisionsinstanz nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der klagende Landschaftsverband begehrt in seiner Eigenschaft als überörtlicher Träger der Sozialhilfe von der beklagten Bundesknappschaft teilweisen Ersatz der Kosten, die ihm dadurch entstanden sind, daß er dem bei der Beklagten versicherten Beigeladenen, W D, einen Sanatoriumsaufenthalt gewährt hat.

Der querschnittsgelähmte Beigeladene, der der knappschaftlichen Krankenversicherung angehört, befand sich in der Zeit vom 26. September bis zum 24. Oktober 1972 auf ärztliches Anraten in der Medizinischen Abteilung des Berufsförderungswerks W "J-Haus". Die Kosten trug der klagende Landschaftsverband. Der Beigeladene hatte lediglich einen Kostenbeitrag in Höhe von DM 56,- an häuslicher Ersparnis zu leisten.

Die Beklagte lehnte es dem klagenden Landschaftsverband gegenüber ab, einen Kurmittelzuschuß nach § 66 Abs. 3 ihrer Satzung zu leisten, weil badeärztlich verordnete Kurmittel nicht in Anspruch genommen worden seien.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 29. Oktober 1975 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob ein vom Sozialhilfeträger gewährtes stationäres Heilverfahren ein Kuraufenthalt für eigene Rechnung im Sinne des § 66 Abs. 3 der Satzung der Beklagten sei, denn auch die weitere Voraussetzung, daß der Zuschuß nur zu badeärztlich verordneten Kurmitteln gewährt werde, sei nicht erfüllt. Es sei unstreitig, daß ein Badearzt nicht in Anspruch genommen und badeärztlicherseits auch keine Kurmittel verordnet worden seien. Der Beigeladene sei lediglich stationär behandelt worden. Es habe sich daher nicht um einen Kuraufenthalt im Sinne des § 66 Abs. 3 der Satzung der Beklagten, sondern um eine stationäre Heilbehandlung gehandelt. Hierfür sehe die Satzung der Beklagten keine Leistungen für Versicherte vor.

Der klagende Landschaftsverband hat dieses Urteil mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision angefochten und eine Fotokopie der Sitzungsniederschrift vor dem SG beigefügt, wonach der Vertreter der Beklagten vor der Urteilsverkündung erklärte, er stimme der Sprungrevision zu, falls sie im Urteil zugelassen werden sollte. Der Kläger trägt vor, entgegen der Ansicht des SG habe es sich bei dem Aufenthalt des Beigeladenen im J-Haus um eine Kur gehandelt, so daß § 66 Abs. 3 der Satzung der Beklagten anzuwenden sei. Der danach zu gewährende Kurmittelzuschuß könne nicht auf Kurmittel beschränkt werden, die durch einen Badearzt verordnet worden seien. Insoweit verstoße die Satzungsbestimmung sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen den Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe, weil schwerbehinderte Versicherte schlechter gestellt würden als leichter oder nicht behinderte. Eine solche Schlechterstellung trete immer dann ein, wenn der Versicherte wegen der Schwere des Krankheitsbildes keinen Badearzt in Anspruch nehme, sondern die dringend erforderliche Kur nur in einer klinischen Einrichtung unter ärztlicher Betreuung durchführen könne.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte für verpflichtet zu erklären, dem Kläger die Kosten für die Kur des Beigeladenen in der Zeit vom 26. September bis zum 24. Oktober 1972 in Höhe des satzungsmäßigen Zuschusses zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung für richtig. Die Beklagte ist der Ansicht, daß es sich bei dem Aufenthalt des Beigeladenen im J-Haus um eine Kur gehandelt habe. Ein Kurmittelzuschuß könne nach § 66 Abs. 3 der Satzung dennoch nicht gewährt werden, weil der Beigeladene keine badeärztlich verordneten Kurmittel in Anspruch genommen habe. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sei nicht zu erkennen.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des klagenden Landschaftsverbandes ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der in § 161 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geforderten Schriftform für die Zustimmung des Gegners ist auch dann genügt, wenn der Revisionskläger - wie im vorliegenden Fall - eine beglaubigte Abschrift oder Fotokopie des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorlegt, in der die Beteiligten vor Verkündung des Urteils übereinstimmend erklärt haben, sie seien mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden (vgl. BSG in SozR Nrn. 14, 17 zu § 161 SGG). Die Tatsache, daß der Beigeladene der Sprungrevision nicht zugestimmt hat, steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. März 1976 - GmS - OGB 1/75 -).

Die zulässige Sprungrevision des klagenden Landschaftsverbandes ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

Nach dem gemäß § 109 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) entsprechend anwendbaren § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kann der Träger der Sozialhilfe, der nach gesetzlicher Pflicht einen Sozialhilfeempfänger für eine Zeit unterstützt, für die er einen Anspruch nach der RVO hatte oder hat, bis zur Höhe dieses Anspruchs nach den §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz beanspruchen. Der klagende Landschaftsverband, der den Beigeladenen nach den §§ 39 Abs. 1 und 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) durch Gewährung eines Sanatoriumsaufenthalts unterstützt hat, kann dafür von der Beklagten keinen Ersatz verlangen, weil der Beigeladene aus Anlaß des Sanatoriumsaufenthalts gegen die Beklagte keinen Anspruch nach der RVO hatte oder hat.

Der erkennende Senat hat zwar bereits entschieden, daß der Anspruch eines Versicherten auf eine satzungsmäßige Mehrleistung gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung von § 1531 RVO erfaßt wird (vgl. SozR 2200 Nr. 5 zu § 187). In der zitierten Entscheidung hat der Senat weiter ausgeführt, daß § 187 Nr. 4 RVO in der Zeit vor dem 1. Oktober 1974 den Versicherungsträger ermächtigte, einen Kurmittelzuschuß als Kannleistung, d. h. als Ermessensleistung vorzusehen. Gestützt auf diese Ermächtigung hat die Satzung der Beklagten in § 66 Abs. 3 in der seit dem 1. April 1972 geltenden Fassung folgendes bestimmt: "Bei Kuraufenthalt für eigene Rechnung kann ein Zuschuß zu badeärztlich verordneten Kurmitteln bis zu einem Höchstbetrag von je DM 160,- gewährt werden. Daneben werden die Kosten der badeärztlichen Behandlung übernommen. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Kurmittelzuschusses legt der Vorstand der Bundesknappschaft in Richtlinien fest".

Danach enthält Satz 1 der Satzung die Normierung eines Kurmittelzuschusses als Ermessensleistung, Satz 2 die Übernahme der badeärztlichen Behandlungskosten für den Fall, daß von dem Ermessen nach Satz 1 positiv Gebrauch gemacht wird (vgl. Urteil vom 29. Juni 1976 - 5 RKn 28/75 -) und Satz 3 die Ermächtigung des Vorstands, durch Verwaltungsvorschriften mit verwaltungsinterner Wirkung eine gleichmäßige Ausübung des Ermessens zu gewährleisten (vgl. BSG in SozR 2200 Nr. 5 zu § 187). Der erkennende Senat hat in der zuletzt zitierten Entscheidung bereits ausgeführt, daß unter Kuraufenthalt für eigene Rechnung im Sinne der Satzung auch die von einem Sozialhilfeträger gewährte Kur zu verstehen ist.

Gleichwohl hat der Beigeladene keinen Anspruch auf einen Kurmittelzuschuß, aus dem der klagende Landschaftsverband Ersatz beanspruchen könnte. Es mag dahingestellt bleiben, ob "Badearzt" im Sinne des § 66 Abs. 3 der Satzung nur ein niedergelassener Arzt im Sinne des § 7 des Badearzt-Vertrages vom 31. Januar 1964 ist oder auch ein angestellter Sanatoriumsarzt sein kann. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Ärzte des Johannes-Straubinger-Hauses im Sinne des § 66 Abs. 3 der Satzung Badeärzte sind, so fehlt es doch an der Voraussetzung, daß der Beigeladene von diesen Ärzten verordnete Kurmittel in Anspruch genommen hat. Zwar steht die Tatsache, daß im J-Haus eine stationäre Heilbehandlung stattgefunden hat, nicht der Annahme entgegen, daß es sich auch gleichzeitig um einen Kuraufenthalt gehandelt hat. Insbesondere Sanatorien erfüllen oft die Mindestanforderungen, die an ein Krankenhaus zu stellen sind, und sind gleichzeitig auf die Anwendung spezieller Heilmittel ausgerichtet, wie sie für eine Kur typisch sind (vgl. hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Anm. 3 zu § 184 a, S. 17/386-13). Gerade die Kombination von stationärer Heilbehandlung und Anwendung von Kurmitteln ist für Sanatorien bezeichnend. Das SG hat aber unangegriffen und damit nach § 163 SGG für den Senat bindend festgestellt, daß der Beigeladene keine Kurmittel in Anspruch genommen hat. Diese Feststellung beruht nicht etwa auf einer unrichtigen Anwendung des Rechtsbegriffs "Kurmittel" durch das SG. Unter Kurmitteln sind solche Heilmittel zu verstehen, die für eine ortsgebundene Kur typisch sind und sich von der sonstigen, nicht kurbezogenen Heilbehandlung unterscheiden. Deshalb gehört die Krankenpflege im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht zu den Kurmitteln, wenn und soweit sie ebenso gut an dem Wohnort des Versicherten oder an einem Spezialkrankenhaus gewährt werden könnte. Der klagende Landschaftsverband hat aber nicht einmal behauptet, für den Beigeladenen seien während des Aufenthalts im J-Haus Heilmittel verordnet worden, die für eine ortsgebundene Kur typisch sind und sich von üblichen, nicht kurbezogenen Heilmitteln unterscheiden.

Die Satzung der Beklagten verstößt insoweit - entgegen der Ansicht des klagenden Landschaftsverbandes - auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Nimmt ein Versicherter keine Kurmittel in Anspruch, so erwächst ihm auch kein Nachteil daraus, daß er die Kur in einem Sanatorium durchführen muß. Er wird ebenso behandelt wie ein anderer Versicherter, der die Kur außerhalb eines Sanatoriums durchführt und ebenfalls keine Kurmittel in Anspruch nimmt. Da es der Beklagten freistand, von der Ermächtigung des § 187 Nr. 4 RVO Gebrauch zu machen, verstößt die Satzung auch nicht gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe, wenn sie den Zuschuß nur bei Inanspruchnahme von Kurmitteln vorsah.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des klagenden Landschaftsverbands zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649006

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