Leitsatz (amtlich)

Wird bei Fortdauer eines behandlungsbedürftigen Leidens der Krankengeldbezug durch eine Zwischenbeschäftigung unterbrochen, so richtet sich die Höhe des nach Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit zu gewährenden Krankengeldes grundsätzlich nach dem Grundlohn vor der letzten Arbeitsunfähigkeit.

 

Normenkette

RVO § 180 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1927-07-15

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Dezember 1956 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 54,18 DM Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger erhielt als Pflichtmitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK.) vom 16. November bis 12. Dezember 1954 bei einem Grundlohn von 7,71 DM Krankengeld in Höhe von 3,85 1/2 DM täglich. Anschließend war er bei fortbestehender Behandlungsbedürftigkeit zunächst als Empfänger von Arbeitslosenunterstützung und sodann auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Für die Zeit vom 15. September bis 27. Oktober 1955 hatte die Beklagte dem Kläger wegen erneut eingetretener Arbeitsunfähigkeit wiederum Krankengeld zu gewähren, um dessen Höhe die Beteiligten streiten. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG.) litt der Kläger während der Zeit der zweiten Arbeitsunfähigkeit an derselben Krankheit wie während der ersten Arbeitsunfähigkeit und der anschließenden Zeit bloßer Behandlungsbedürftigkeit. Die Beklagte zahlte ihm während der zweiten Arbeitsunfähigkeit das Krankengeld in der bisherigen Höhe von täglich 3,85 1/2 DM; hingegen hätte das Krankengeld des Klägers auf Grund seiner Beschäftigung unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit - bei einem Grundlohn von 10,23 DM - 5,11 1/2 DM betragen. Der Kläger begehrt für die Zeit der zweiten Arbeitsunfähigkeit Zahlung des höheren Krankengeldes. Die Beklagte lehnte seinen Antrag ab. In der Begründung des Widerspruchsbescheids führte sie aus, daß die erneute Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf dem schon bei der ersten Krankengeldzahlung vorhanden gewesenen Leiden beruhe und daß das Krankengeld in solchen Fällen nach dem bei Eintritt des Versicherungsfalles geltenden Grundlohne zu bemessen sei. Diese Regelung sei auch gerecht. In der Mehrzeit aller Fälle verdienten die Versicherten in der Zwischenzeit infolge ihrer Krankheit weniger als beim Eintritt des Versicherungsfalles; sie sollten auch nicht dazu verleitet werden, in der Zeit nach einer Arbeitsunfähigkeit bei fortbestehender Erkrankung durch übermäßige Betätigung auf Kosten ihrer Gesundheit einen höheren Lohn zu erzielen, um bei erneuter Arbeitsunfähigkeit ein entsprechend höheres Krankengeld zu erlangen. Im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung aller Versicherten müsse eine Härte, wie sie sich für den Kläger ergebe, in Kauf genommen werden.

Der Kläger hat mit seiner Klage geltend gemacht, das Krankengeld müsse nach dem zuletzt verdienten Lohn berechnet werden, da es einen Ausgleich für Lohnausfall darstelle. Das SG. hat die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt: Die Reichsversicherungsordnung (RVO) enthalte keine Vorschriften darüber, welcher Grundlohn der Berechnung von Barleistungen bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit zugrunde zu legen sei. Das ehemalige Reichsversicherungsamt (RVA.) habe in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2342 (AN. 1917 S. 462) angenommen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers alle den gleichen Versicherungsfall betreffenden Ansprüche einheitlich nach den im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgebenden Verhältnissen zu beurteilen seien. Daher müsse das Krankengeld nach dem Lohn im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles berechnet werden, und zwar auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit im Gefolge der Erkrankung erst unter veränderten Lohnverhältnissen eintrete. Nach Einführung der unbegrenzten Leistungsdauer der Krankenpflege durch die Erlasse des Reichsarbeitsministers (RAM.) vom 20. Mai 1941 und vom 2. November 1943 (AN. 1941 S. 197 und 1943 S. 485) habe das RVA. in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5517 (AN. 1943 S. 145) ausgesprochen, daß das Krankengeld nicht nach dem Lohn vor Beginn der Behandlungsbedürftigkeit, sondern nach dem bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgebenden Grundlohn zu berechnen sei. Das RVA. habe es aber offen gelassen, ob mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ein neuer selbständiger Versicherungsfall eingetreten sei. Bei Unterbrechungen der Arbeitsunfähigkeit unter Fortdauer der Behandlungsbedürftigkeit sei es schon deshalb ausgeschlossen, jeweils einen neuen Versicherungsfall anzunehmen, weil der Wiedereintritt von Arbeitsunfähigkeit keine neue Aussteuerungsfrist in Lauf setze (§ 183 RVO in Verb. mit dem Erlaß des RAM. vom 2. November 1943, AN. 1943 S. 485) und auch keine erneute Zurücklegung von Karenztagen in Betracht komme. Innerhalb eines einheitlichen Versicherungsfalles könne für die einzelnen Abschnitte der Erkrankung einheitlich nur der bei Eintritt der erstmaligen Arbeitsunfähigkeit maßgebende Grundlohn angewandt werden (ebenso LVA. Württemberg-Baden vom 26.9.1950, Breithaupt 1950 S. 1153). Daß die Beiträge nach einem erhöhten Grundlohn entrichtet würden, rechtfertige nicht die Berechnung des Krankengeldes nach einem höheren Grundlohne; die Leistungen seien nicht notwendig von der Beitragszahlung abhängig, wie sich bei den sonstigen Krankenhilfeleistungen zeige, die ohne Rücksicht auf die Höhe der Beiträge zu erbringen seien. Die Kammer lehne den von einzelnen Versicherungsbehörden vertretenen Standpunkt ab, nach dem bei einer "Zwischenbeschäftigung" von sechs Monaten oder mindestens vier Wochen das Krankengeld nach dem bei Eintritt erneuter Arbeitsunfähigkeit maßgebenden Grundlohn zu gewähren sei (zu vgl. Entsch. des VA. Stormarn vom 10.12.1951, Breithaupt 1953 S. 145). Eine gewisse Härte sei im Einzelfall im Interesse des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Versicherungsfalles in Kauf zu nehmen, zumal sich der Krankengeldanspruch infolge der zeitlichen Begrenzung auf 26 Wochen in der Regel innerhalb einer relativ kurzen Zeit erschöpfe, während der im allgemeinen keine erheblichen Lohnerhöhungen stattfänden, so daß gewisse Härten sich in zumutbaren Grenzen hielten. Das SG. ließ die Berufung zu (§ 150 Ziff. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

Mit einem am 19. Januar 1956 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Schriftsatz legte der Kläger gegen das ihm am 18. Dezember 1955 zugestellte Urteil des SG. mit eingeschriebenem Brief, der am 17. Januar 1956 bis 14 Uhr in München aufgegeben war, Sprungrevision ein und beantragte gleichzeitig ordnungsgemäß die Bewilligung des Armenrechts für das Revisionsverfahren; die Einverständniserklärung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision vom 11. Januar 1956 fügte er bei. Nach dem Eingangsstempel auf der Rückseite war der Schriftsatz des Klägers am 18. Januar 1956 beim Postamt Kassel-Wilhelmshöhe eingegangen; er wäre nach Auskunft der Post als normaler Brief dem BSG. am Nachmittag des 18. Januar zugestellt worden, ging hier aber - als eingeschrieben - erst am 19. Januar 1956 vormittags 8,00 Uhr ein, weil die Einschreibepost nach der zu Beginn des Jahres 1956 für die Entgegennahme dieser Post beim BSG. noch geltenden Regelung nur einmal am Tage, morgens 8,00 Uhr, zugestellt wurde.

Nach Bewilligung des Armenrechts legte der Kläger am 20. Februar 1957 durch seinen Prozeßbevollmächtigten erneut Sprungrevision ein mit dem gleichzeitigen Antrag, ihm wegen der Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Er beantragt,

das Urteil des SG. München vom 15. Dezember 1955 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 25. Oktober 1955 aufzuheben,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Differenz zwischen einem täglichen Krankengeld von 3,855 und 5,115 DM für die Zeit vom 15. September bis 27. Oktober 1955, zusammen also 54,18 DM, zu zahlen

und

der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Der Kläger rügt Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§ 180, 182 Abs. 1 Ziff. 2 und 183 RVO in Verb. mit dem Erlaß des RAM. vom 2. November 1943, Abschnitt I Ziff. 2 a. In den Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit erst nach Beginn der Behandlungsbedürftigkeit eintrete, könne nach der zutreffenden Ansicht des SG. die Verpflichtung der Krankenkasse zur Leistung von Krankengeld infolge der Neuregelung des Leistungsrechts im Jahre 1943 noch unbeschränkt lange nach Beginn der Krankenbehandlung entstehen. Der Vorderrichter habe aber den Zweck des Krankengeldes, einen Ausgleich für den Lohnausfall zu gewähren, verkannt. Nur wenn jemand nach Eintritt von Arbeitsunfähigkeit weniger verdiene als vor Eintritt von Arbeitsunfähigkeit, sei es sozial gerechtfertigt, von dem Grundlohn beim erstmaligen Eintritt von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Andernfalls, bei Erzielung eines höheren Verdienstes nach Beendigung der ersten Arbeitsunfähigkeit, verbiete schon der Gedanke der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, dem Versicherten ein Krankengeld zu gewähren, das nicht dem zuletzt bezogenen Lohn entspreche; auch die Beiträge würden nach dem höheren Lohne unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit berechnet; der Grundsatz der Einheitlichkeit des Versicherungsfalles werde bei einer solchen Gesetzesauslegung insofern nicht verlassen, als die einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiten bei Berechnung der Dauer der Krankengeldzahlung zusammengerechnet würden.

II.

Der Senat hat dem Kläger auf Antrag zunächst wegen Nichteinhaltung der Revisions- und der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 67 Abs. 1 SGG). Die versäumte Rechtshandlung - Einlegung der Revision - ist innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGG nachgeholt und die Revision rechtzeitig begründet worden. Allerdings war der vom Kläger innerhalb der Revisionsfrist zu stellende Armenrechtsantrag (vgl. BSG. 1 S. 287) nicht innerhalb der Revisionsfrist - bis zum 18. Januar 1956 - an das BSG. gelangt. Da dieser Antrag aber am 18. Januar bis 14.00 Uhr beim Auslieferungspostamt in Kassel eingegangen war und nach den vom Senat hierüber getroffenen Feststellungen nur infolge der damals beim BSG. bestehenden Regelung über die eingeschränkte Entgegennahme eingeschriebener Sendungen nicht schon am 18. Januar nachmittags beim BSG. eingegangen ist, gereicht der verspätete Eingang seines Armenrechtsantrags dem Kläger nicht zum Verschulden.

Im Hinblick auf die dem Kläger gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist seine Revision als rechtzeitig eingelegt und begründet anzusehen.

III.

Nach § 180 RVO werden die baren Leistungen der Krankenkassen, also vor allem das Krankengeld, nach einem Grundlohn bemessen. Wird der Grundlohn - wie hier - nach dem wirklichen Arbeitsverdienst berechnet (§ 180 Abs. 2 Nr. 1 RVO), so ist nach der im Streitfall maßgebenden Kassensatzung (vgl. § 14 der Mustersatzung für Allgemeine Ortskrankenkassen, s. Maunz-Schraft, Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung, Kommentar Bd. IV F 1 a) der Arbeitsverdienst während der letzten vier den Lohnperioden des Betriebs entsprechenden Wochen maßgebend. Die Auslegung dieser Bestimmung ist eindeutig, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls, d. h. der Beginn der Behandlungsbedürftigkeit, und die Arbeitsunfähigkeit auf den gleichen Tag fallen. Wenn dagegen zunächst nur Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen hat und die Arbeitsunfähigkeit später eintritt, so erhebt sich die Frage, ob bei Lohnänderungen der vor Eintritt des Versicherungsfalls (der Behandlungsbedürftigkeit) maßgebende Lohn oder der Lohn vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Berechnung des Grundlohns zugrundezulegen ist; bei mehrfach eintretender Arbeitsunfähigkeit im Laufe desselben Versicherungsfalles ist weiter zu fragen, welcher Arbeitsentgelt für die Berechnung des Grundlohns für das Krankengeld während einer wiederholten Arbeitsunfähigkeit maßgebend ist.

Die Bemessung des Krankengeldes nach dem zuletzt bezogenen Arbeitsentgelt kann nicht mit der Erwägung begründet werden, daß der Eintritt von Arbeitsunfähigkeit einen selbständigen Versicherungsfall darstelle. Wie das SG. zutreffend darlegt, kennt das Gesetz keinen besonderen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen versicherungsrechtlichen Verselbständigung der während der gleichen, fortdauernden Erkrankung wiederholt auftretenden Fälle von Arbeitsunfähigkeit steht entgegen, daß die einzelnen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, soweit die zulässige Höchstdauer des Krankengeldbezugs für dieselbe Krankheit in Frage steht, zusammenzurechnen sind (Erl. des ehem. RAM. vom 2. November 1943, AN. S. 485, Abschn. I Ziff. 2 Buchst. a) und daß bei erneutem Auftreten von Arbeitsunfähigkeit im Verlaufe der gleichen Krankheit nicht nach § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO neuerlich Karenztage zurückgelegt werden müssen (vgl. Bescheid des RVA. in EuM. Bd. 29 S. 171 Ziff. 65 und Grunds. Entsch. Nr. 4201, AN. 1931 S. 446). Die Arbeitsunfähigkeit ist gleich der Behandlungsbedürftigkeit nur eine der Erscheinungsformen, in denen sich die den Versicherungsfall auslösende Krankheit äußern kann. Die verschiedenen Ansprüche des Versicherten, die nach Eintritt des Versicherungsfalles der Krankheit entstehen können, sind durch den schicksalsmäßigen Krankheitsverlauf und die sich dabei ergebenden Bedürfnisse des Kranken bedingt. Die hierauf beruhende Mannigfaltigkeit und unterschiedliche Zeitfolge bei der Leistungsgewährung ändert nichts daran, daß alle diese während fortbestehender Erkrankung zu erbringenden Leistungen - einschließlich des Krankengeldes - auf den gleichen Versicherungsfall, den Eintritt der Krankheit, zurückbezogen sind.

Diese rechtliche Abhängigkeit der verschiedenen Leistungen - hier des wiederholten Krankengeldbezuges - von demselben Versicherungsfall bedeutet jedoch nicht, daß die Leistungen ihrer Art und Höhe nach gleichartig sein müßten, daß insbesondere für die Höhe des Krankengeldes immer der Arbeitsentgelt unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls maßgebend sein müßte. Zwar hat das RVA. in der Grunds. Entsch. Nr. 2342, AN 1917 S. 462, unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls ausgesprochen, dass sich die Höhe des Krankengeldes nach dem vor Beginn der behandlungsbedürftigen Krankheit bezogenen Lohn richte, wenn der Versicherte zuerst behandlungsbedürftig sei und Arbeitsunfähigkeit erst später eintrete. Von dieser strengen Auslegung des Grundsatzes der Einheit des Versicherungsfalls ist das RVA. jedoch schon in der Grunds. Entsch. 5517 (AN. 1943 S. 145) abgegangen, und zwar im Hinblick auf die Änderung der Rechtslage durch den Erlaß des RAM. vom 20. Mai 1941 zu § 183 Abs. 1 RVO, wonach die Krankenpflege - wie es auch geltendem Recht entspricht - ohne zeitliche Begrenzung zu gewähren ist. Im Gegensatz zu der in § 183 Abs. 1 RVO getroffenen Regelung könne nunmehr der Anspruch auf Krankengeld noch unbeschränkt lange nach dem Beginn der Behandlungsbedürftigkeit entstehen; es sei insbesondere bei Dauerleiden nicht ausgeschlossen, daß sich die Zeit zwischen dem Eintritt der Behandlungsbedürftigkeit und dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auf Jahre erstrecke. Unter diesen Umständen sei es nach der Auffassung des RVA. mit Sinn und Zweck des Krankengeldes , an Stelle des Lohnes den Unterhalt des Erkrankten zu sichern, nicht vereinbar, wenn bei dessen Berechnung der Grundlohn maßgebend sein sollte, der sich aus den Verhältnissen z. Zt. des vielleicht sehr lange zurückliegenden Beginns der Behandlungsbedürftigkeit ergebe.

Ist somit schon nach der überzeugenden jüngeren Rechtsprechung des RVA. der Eintritt des Versicherungsfalls (d. h. der Behandlungsbedürftigkeit) für die Höhe des Krankengeldes dann nicht bestimmend, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung des Krankengeldes erst später eintreten, so ist damit bereits vom RVA. der Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls für die Berechnung der Höhe des Krankengeldes aufgegeben. Die gleichen Erwägungen, die dazu geführt haben, im Falle des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit nach Beginn der Behandlungsbedürftigkeit für die Berechnung des Krankengeldes den Lohn vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgebend sein zu lassen, rechtfertigen es auch, das Krankengeld in gleicher Weise zu berechnen, wenn der Bezug des Krankengeldes - bei fortbestehender Erkrankung - durch eine versicherungspflichtige Zwischenbeschäftigung unterbrochen worden ist. Auch in diesem Falle fordert der Gedanke der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes, daß sich die Höhe des Krankengeldes jeweils nach dem vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bezogenen Lohn richtet.

Diese Veränderlichkeit des Krankengeldes bei unterbrochenem Krankengeldbezug entspricht auch dem Wesen der Leistungen der Krankenversicherung, die sich notwendig der schwankenden Bedürfnissen des Kranken anpassen. Das ist bei Krankenpflege, insbesondere bei den mannigfachen ärztlichen Leistungen und der Versorgung mit Arzneien und Hilfsmitteln allgemeine Regel, und es ist kein innerer Grund ersichtlich, warum nicht auch veränderte wirtschaftliche Folgen der Krankheit entsprechend unterschiedlich ausgeglichen werden sollen. Für die hier vertretene Auffassung spricht im übrigen auch die Erwägung, daß - wie das RVA. schon in der GE. 5517 a. a. O. ausgeführt hat - die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, auch im Falle wiederholten Eintritts von Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nach der unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verrichteten Arbeit beurteilt wird. Bereits nach der zum Gesamtentwurf der RVO gegebenen allgemeinen Begründung (Entwurf einer Reichsversicherungsordnung nebst Begründung, Reichstags-Vorlage (Drucks. Nr. 340) Berlin, 1910 S. 22) soll das Krankengeld der Krankenversicherung im Gegensatz zur Regelung für die Unfallversicherung und die Arbeiterrentenversicherung für eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit gewährt werden, wenn "der Berechtigte infolge von Krankheit verhindert ist, seine Arbeit zu verrichten". Das RVA. hat hieraus gefolgert, daß die Arbeitsunfähigkeit im engen Sinne der Unfähigkeit zur Verrichtung der jeweils unmittelbar vorher geleisteten Tätigkeit zu verstehen ist, nicht hingegen in dem weiteren Sinn einer Unfähigkeit, Tätigkeiten zu verrichten, die für eine ganze Berufsgruppe oder deren mehrere in Frage kommen (vgl. Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 1987, AN. 1915 S. 425, ferner RVA. in Breithaupt 1929 S. 287 sowie in der Arbeiterversorgung 1929 S. 492 mit Hinweisen auf das Schrifttum; ferner RVA. in EuM. Bd. 23 S. 298 und Bd. 25 S. 38).

Die Ansicht des Senats steht auch mit den für die Beitragsberechnung maßgebenden Grundsätzen insofern in Einklang, als sich die in Frage stehenden Lohnveränderungen nach § 385 Abs. 1 RVO auch auf die Höhe der Beiträge auswirken. Da der Grundlohn - nach §§ 180 und 385 RVO - gleichermaßen die Bemessungsgrundlage für Beiträge und bare Leistungen der Krankenversicherung ist, erscheint es gerechtfertigt, auch das Krankengeld ebenso wie die Beiträge einer während der letzten Beschäftigung eingetretenen Änderung des Arbeitsentgelts anzupassen.

Eine andere Auslegung des Gesetzes würde vor allem seinem Zweck nicht gerecht werden, dem arbeitsunfähig erkrankten Versicherten durch das Krankengeld einen Ausgleich für den Fortfall des Lohns zukommen zu lassen. Dieser Lohnersatzfunktion des Krankengeldes würde es widersprechen, wenn das Krankengeld trotz vorangegangener, höher entlohnter Beschäftigung bei einer längeren Erkrankung nur in der Höhe gezahlt werden würde, in der es dem Versicherten schon während seiner unter Umständen sehr lange - vielleicht mehrere Jahre - zurückliegenden erstmaligen Arbeitsunfähigkeit gewährt wurde. Ein danach berechnetes Krankengeld könnte seinen Zweck, die bisherige Lebenshaltung des Anspruchsberechtigten möglichst weitgehend zu sichern, nicht erfüllen.

Die aus der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes hergeleitete Notwendigkeit einer Anpassung des Krankengeldes bei erneutem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit an den inzwischen eingetretenen Lohnstand könnte auch zur Folge haben, daß das Krankengeld bei der erneuten Arbeitsunfähigkeit niedriger zu bemessen ist als während einer früheren, durch das gleiche Leiden bedingten Arbeitsunfähigkeit. Eine solche Verminderung des Krankengeldes würde nicht unbillig sein, wenn sie nur der Ausdruck einer Veränderung des allgemeinen oder betrieblichen Lohnstandes wäre; sie könnte jedoch der Aufgabe des Krankengeldes, die durch die Krankheit bedingte Lohneinbuße in bestimmtem Umfang auszugleichen, nicht gerecht werden, wenn die Minderung des Arbeitsentgelts nur auf die infolge der Krankheit verminderte Leistungsfähigkeit des Versicherten zurückzuführen wäre. Der vorliegende Fall bietet indessen keinen Anlaß, näher darauf einzugehen, wie in Fällen solcher Art das Krankengeld zu berechnen wäre. Die hier für den Fall einer Erhöhung des Arbeitsentgelts vertretene Auffassung würde es jedenfalls nicht grundsätzlich ausschließen, bei einer durch Krankheit bedingten Minderung des Arbeitsentgelts eine entsprechende Minderung des Krankengeldes nicht eintreten zu lassen.

Da somit der Anspruch des Klägers, ihm für die Zeit vom 15. September bis 27. Oktober 1955 Krankengeld nach einem Grundlohn von 10,23 DM in Höhe von täglich 5,115 DM zu gewähren, begründet ist, war die Beklagte zur Nachzahlung von Krankengeld in der unbestrittenen Höhe von 54,18 DM zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290990

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