Leitsatz (amtlich)
Das Vorbringen, im Beamtenrecht seien die Vorschriften über die Unfallfürsorge für als Dienstunfall geltende Erkrankungen (vgl BBG § 135 Abs 3) ohne jede Ausnahme rückwirkend mit dem 1953-09-01 in Kraft getreten, rechtfertigt es nicht, die Frage zu bejahen, ob es gegen GG Art 3 Abs 1 verstößt, daß die neu als Berufskrankheit bezeichnete "Lärmschwerhörigkeit" in 6. BKVO § 4 Abs 2 vom 1961-04-28 von jeglicher Rückwirkung ausgenommen ist (Ergänzung zu BSG 1964-10-30 2 RU 212/63 = BSGE 22, 63).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; BKVO 6 § 4 Abs. 2 Fassung: 1961-04-28; BBG § 135 Abs. 3
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Oktober 1965 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I
Der im Jahre 1923 geborene Kläger beantragt Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Folgen einer Erkrankung an Schwerhörigkeit.
Er war im Jahre 1938 als Kesselschmiedelehrling bei der damaligen Reichsbahn eingetreten und bei ihr bis zum 27. Mai 1941 als Kesselschmied beschäftigt worden. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft wurde er am 25. Juni 1947 bei der Bundesbahn wieder als Kesselschmied eingestellt. Unter dem 29. November 1962 erstattete der Bahnarzt Dr. M eine Berufskrankheitsanzeige über eine durch Lärm verursachte beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit und bezog sich dabei auf ein Audiogramm des Bahnohrenarztes Dr. P vom 28. September 1961. Unter dem 30. Januar 1963 erstattete das Bundesbahnausbesserungswerk Trier, bei dem der Kläger beschäftigt war, gleichfalls eine Berufskrankheitsanzeige. Der Arbeitsschutzarzt der Deutschen Bundesbahn Dr. W veranlaßte eine Untersuchung des Klägers in der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Universität K. Das von den Professoren Dr. S und Dr. J unterzeichnete Gutachten vom 24. Juni 1963 kommt zu dem Ergebnis, daß beim Kläger eine durch die Tätigkeit als Kesselschmied verursachte Innenohrschwerhörigkeit mittleren Grades vorliege. In der aufgrund der Aktenunterlagen zusammengestellten Vorgeschichte ist angegeben, daß der Kläger seit 1955 als Arbeiter in einem Lärmbetrieb überwacht werde. 1938 habe bereits eine leichte Verschlechterung vorgelegen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird in diesem Gutachten auf 20 v.H. geschätzt. Der Arbeitsschutzarzt Dr. W schloß sich in einer gutachtlichen Äußerung vom 8. Juli 1963 der Auffassung an, daß die mittelgradige Schwerhörigkeit beiderseits als beruflich erworbener Schaden anzusehen sei, wies aber darauf hin, daß schon 1958 und 1961 eine wesentliche Schwerhörigkeit bestanden habe, während andererseits die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit nicht erreicht sei.
Die Bundesbahnausführungsbehörde für Unfallversicherung lehnte durch Bescheid vom 30. August 1963 den Entschädigungsanspruch des Klägers ab und führte zur Begründung aus: Nach Nr. 35 der Anlage zur 5. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) könne eine Lärmschwerhörigkeit nur dann als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn es sich um Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit handele. Eine Lärmschwerhörigkeit im Sinne von Nr. 26 der Anlage zur 6. BKVO könne nur anerkannt werden, wenn sie nach dem Inkrafttreten dieser BKVO, also nach dem 7. Mai 1961 aufgetreten sei. Beide Bedingungen seien nicht erfüllt, da beim Kläger bereits im Jahre 1958 eine Schwerhörigkeit bestanden habe.
Die Klage gegen diesen Bescheid ist vom Sozialgericht (SG) Trier durch Urteil vom 10. April 1964 abgewiesen worden. Zur Begründung hat das SG ua ausgeführt: Beim Kläger liege zwar eine durch seine Arbeitstätigkeit als Kesselschmied verursachte Schwerhörigkeit vor, diese begründe jedoch nach Nr. 35 der Anlage zur 5. BKVO keinen Entschädigungsanspruch, da sie noch nicht an Taubheit grenze. Nr. 26 der Anlage zur 6. BKVO könne nicht angewendet werden, da sie erst vom 7. Mai 1961 an gelte und beim Kläger eine Gehörbeeinträchtigung im entschädigungspflichtigen Umfang bereits früher eingetreten sei. Die Ausnahmevorschrift in § 4 Abs. 2 der 6. BKVO beziehe sich auch auf die jetzt geltende Anlage und nicht, wie der Kläger meine, auf Krankheiten nach Nr. 26 der Anlage zur 5. BKVO. Auch aus § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergebe sich kein Anspruch des Klägers.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er wendet sich insbesondere gegen das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 1964 (BSG 22, 63) und weist mit ausführlicher Begründung darauf hin, daß im Beamtenrecht die Unfallfürsorge für den Dienstunfällen gleichgestellte Krankheiten rückwirkend für Krankheitsfälle, die seit dem 1. September 1953 eingetreten seien, gewährt werde. Hierin erblickt er einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (GG) und ist überdies der Auffassung, daß der Gesetzgeber beim Erlaß der 6. BKVO nicht von den sich unmittelbar aus einem Gesetz ergebenden Rückwirkungsvorschriften des Beamtenrechts abweichen durfte. Hinsichtlich der Rechtslage im Beamtenrecht hat der Kläger dabei auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt/Main vom 2. September 1964 (III/2 - 464/63 -) Bezug genommen.
Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 22 Oktober 1965 die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der berufsbedingte Gehörschaden des Klägers sei noch keine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, so daß eine Entschädigung nach Nr.35 der Anlage zur 5. BKVO ausscheide. Die Lärmschwerhörigkeit "als Krankheit im Sinne des § 3 Abs. 2 der 3. BKVO" sei jedoch spätestens im Jahre 1958 aufgetreten, so daß der Versicherungsfall schon vor dem Inkrafttreten der 6. BKVO gegeben gewesen sei. Die Erkrankungen im Sinne der Nr. 26 der Anlage zur 6. BKVO seinen aber ausdrücklich von der Rückwirkung nach § 4 Abs. 2 der 6. BKVO ausgenommen. Diese Ausnahme sei auch nicht verfassungswidrig. Die neuen Ausführungen des Klägers zu dieser Rechtsfrage seien nicht geeignet, Zweifel an dieser auch vom BSG ausgesprochenen Auffassung zu erwecken.
Es möge zwar sein, daß die gesetzgeberische Tendenz bestehe, das Dienstunfallrecht für die Beamten dem Recht der RVO möglichst anzugleichen, doch bestehe kein gesetzlicher Zwang, diese Angleichung in jeder Hinsicht zu vollziehen. Insbesondere sei dem Verfassungsrecht nicht zu entnehmen, daß Arbeiter und Angestellten einerseits und Beamte andererseits hinsichtlich der Unfall- und Berufskrankheitenfürsorge und - Entschädigung gleich behandelt werden müßten. Das Beamtenverhältnis als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treuverhältnis sei von jeher besonderer gesetzlicher Regelung unterworfen gewesen. Wenn die Auffassung des VG Frankfurt/Main richtig sei, daß die Entschädigung für die durch den Dienst zugezogene Erkrankung eines Beamten hinsichtlich der Rückwirkung anders geregelt sein sollte als in der RVO, so könne darin weder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes noch einer anderen verfassungsrechtlichen Bestimmung gesehen werden. Auch § 551 Abs. 2 RVO könne den Anspruch nicht stützen, da die Lärmschwerhörigkeit bereits von der BK-Liste erfaßt worden sei. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat den Empfang dieses Urteils unter dem 10. Januar 1966 bestätigt. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers haben gegen das Urteil am 13. Januar 1966 Revision eingelegt mit dem Antrage,
unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheides der Beklagten vom 30. August 1963 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 26 der Anlage zur 6. BKVO (Lärmschwerhörigkeit) Rente aus der Unfallversicherung zu gewähren.
Am 24. Januar 1966 haben sie die Revision begründet. Sie haben mit ausführlicher Begründung erneut auf die unterschiedliche Regelung im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und im Beamtenrecht hinsichtlich der Rückwirkung hingewiesen und sind der Auffassung, der Gesetzgeber habe sich in § 135 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in Verbindung mit § 139 Abs. 4 des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) hinsichtlich des Zeitpunkts, von dem an eine durch die Berufskrankheitenverordnung anerkannte Berufskrankheit zu entschädigen sei, festgelegt. In der 6. BKVO hätte deshalb gleichfalls als Rückwirkungszeitpunkt der 1. September 1953 bestimmt werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie hatte insofern Erfolg als der Senat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen hat.
Die Revision wendet sich gegen die Rechtsauffassung des LSG, daß infolge des Ausschlusses der Krankheiten im Sinne der Nr. 26 der Anlage in der Fassung der 6. BKVO von der Rückwirkung bis zum 1. Januar 1952 (§ 4 Abs. 2 6. BKVO) für Erkrankungen an Lärmschwerhörigkeit ein Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung über die Entschädigung von Berufskrankheiten nur besteht, wenn der "Zeitpunkt des Unfalls" nach dem Inkrafttreten der 6. BKVO liegt.
Die Revision bezweifelt auch nicht, daß sich diese Rechtsfolge aus § 4 Abs. 2 der 6. BKVO ergibt. Sie ist jedoch der Auffassung, daß diese Ausnahme von der Rückwirkung verfassungswidrig sei. Der erkennende Senat hat die Verfassungsmäßigkeit der in § 4 Abs. 2 der 6. BKVO getroffenen Regelung bereits im Urteil vom 30. Oktober 1964 (BSG 22, 63) - auf das Bezug genommen wird - eingehend geprüft und bejaht. Die daraufhin eingelegte Verfassungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungsgericht (1 BvR 187/65 vom 26. Mai 1965) dahin beschieden worden, daß sie zur Entscheidung nicht angenommen wird, weil sie offensichtlich unbegründet sei (vgl. Soziale Sicherheit 1965, 242).
In diesem Urteil hat der Senat auch dargelegt, daß die Bundesregierung aufgrund der Ermächtigung in dem zur Zeit der Verkündung der 6. BKVO noch geltenden § 545 RVO aF (vgl. Art. 129 GG) nicht nur berechtigt war, bestimmte Krankheiten als "Berufskrankheiten" zu bezeichnen, sondern auch bestimmen konnte, inwieweit die durch die Neufassung der Anlage bewirkten Verbesserungen des Rechts nicht nur, wie das ohne ausdrückliche Rückwirkungsvorschriften der Fall sein würde, für die nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts eintretenden Versicherungsfällen, sondern auch für schon vorher eingetretene Versicherungsfälle gelten sollten.
Zu der Frage, ob die unterschiedliche Regelung der Rückwirkung für die Lärmschwerhörigkeit und für die übrigen in der Neufassung der Anlage enthaltenen günstigeren Regelungen gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, hat der Senat mit näherer Begründung ausgeführt, daß diese Regelung nicht als willkürlich angesehen werden kann, sondern durch Gründe gerechtfertigt ist, sie sich aus der Sache ergeben, und weder als unvernünftig noch als nicht einleuchtend erachtet werden können.
Insoweit haben sich im vorliegenden Verfahren keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die den Senat veranlassen müßten, seine Auffassung zu überprüfen, daß § 4 Abs. 2 der 6. BKVO nicht verfassungswidrig ist.
Dagegen erfordert die in diesem Verfahren vom Kläger vertretene Auffassung eine ergänzende Prüfung, die Rückwirkungsregelung für das Berufskrankheitenrecht der gesetzlichen Unfallversicherung verstoße deshalb gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie von der Regelung abweiche, die im Beamtenrecht für die als Dienstunfall geltenden Krankheiten gilt.
Gegenüber dieser vergleichenden Betrachtung ist grundsätzlich darauf hinzuweisen, daß die für die gesetzliche Unfallversicherung und die für das Recht der Beamten geltenden Vorschriften Rechtsgebieten angehören, die sich hinsichtlich ihrer Grundlagen, ihrer wesentlichen Merkmale und ihrer Zielsetzung erheblich unterscheiden. Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Teil des Gesamtsystems der Sozialversicherung (vgl. hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1.-6. Aufl., S. 79 ff), das in erster Linie die Gewährung von Leistungen bei Eintritt von Versicherungsfällen zum Gegenstand und ua auch dadurch gekennzeichnet ist, daß die erforderlichen Mittel - abgesehen von den Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln - von dem durch das Gesetz bestimmten Kreis der Beitragspflichtigen aufgebracht werden. Die gesetzliche Unfallversicherung hat neben der Unfallverhütung die Aufgabe, bei Eintritt von Arbeitsunfällen den Verletzten oder ihren Hinterbliebenen Entschädigungsleistungen zu gewähren (vgl. z.B. § 537 RVO). Seit der 1. BKVO (vom 12. Mai 1925 - RGBl I 69) ist der Versicherungsschutz auch auf Berufskrankheiten ausgedehnt (vgl. jetzt § 551 RVO). Bedeutsam ist auch die Besonderheit, daß, soweit die Berufsgenossenschaften als Versicherungsträger zuständig sind, die erforderlichen Mittel von den in den Berufsgenossenschaften kraft Gesetzes zusammengeschlossenen Unternehmern aufgebracht werden müssen und daß dieser Belastung andererseits ein weitgehender Ausschluß der Haftung des Unternehmers gegenübersteht (vgl. jetzt § 636 RVO). Die Leistungen der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge beruhen dagegen ebenso wie die Besoldung und Versorgung auf der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und dem lebenslänglichen gegenseitigen Treueverhältnis. Sie waren für die Reichsbeamten ursprünglich im Reichsunfallfürsorgegesetz (vgl. die Fassung vom 18. Juni 1901 - RGBl 211 -) geregelt. Auch nach dem Deutschen Beamtengesetz (DBG) vom 26. Januar 1937 RGBl I 39, Änderungsgesetze vom 25. März 1939 RGBl I 577, 20. Dezember 1940, RGBl I 1645 und 21. Oktober 1941, RGBl I 646) wurden sie nur bei Dienstunfällen gewährt (§ 107 DBG) und bestanden, abgesehen von der Gewährung von Heilverfahren und Pflege (§§ 109, 110 DBG), vor allem darin, daß der Beamte, wenn er infolge des Unfalls dienstunfähig geworden war, ein Ruhegehalt in Höhe von mindestens 66 2/3 v.H. der Dienstbezüge erhielt, die er bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres hätte erreichen können (§§ 111, 112 DBG). Entsprechendes galt für die Hinterbliebenenversorgung, wenn der Beamte infolge des Unfalls gestorben war (§§ 113 ff DBG). Diese Leistungen waren keine Entschädigung, wie die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern ein Teil des auf die Sicherstellung des Lebensunterhalts der Beamten und ihrer Familie abgestellten Besoldungs- und Versorgungsrechts-.
Diese Regelung ist auch in das Bundesbeamtengesetz (BBG aF vom 14. Juli 1953, BGBl I 551) übernommen worden (vgl. §§ 140, 141, 144 BBG aF). Die Neufassung des BBG vom 22. Oktober 1965 (BGBl I 1776 - wegen des Inkrafttretens vgl. Haushaltssicherungsgesetz vom 20. Dezember 1965 - BGBl I 2065, Art. 13 Nr. 3) hat grundsätzlich nichts Wesentliches geändert. Daß es sich bei den Ruhegehaltsvorschriften in Fällen von Dienstunfällen um einen Bestandteil des Besoldungs- und Versorgungsrechts handelt ergibt sich besonders deutlich daraus, daß nunmehr die Einfügung des - für alle wegen Dienstunfähigkeit in Ruhestand getretene Beamte geltenden - Absatzes 2 in § 108 BBG die bisherige Sondervorschrift für durch Dienstunfall dienstunfähig gewordene Beamte des § 141 BBG aF überflüssig gemacht hat. Gegenüber dem alten Reichsrecht hat der Gesetzgeber im BBG die beamtenrechtliche Fürsorge durch einen Unfallausgleich erweitert, der neben den Dienstbezügen oder dem Ruhegehalt gezahlt wird (§ 139 BBG aF und nF) und schon in § 139 BBG aF in enger Anlehnung an die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) geregelt war. Das Beamtenrecht gewährt bei Dienstunfällen und den ihnen gleichgestellten Krankheiten nur einen "Ausgleich", der zusätzlich neben die ohnehin durch die Besoldung und Versorgung gegebene Sicherung tritt und infolgedessen auch der Höhe nach keine echte Entschädigungsleistung ist.
Wie sich aus dem Bericht des Bundestagsausschusses für Beamtenrecht (BT-Drucks. 1.WP. Nr. 4246, zu § 135 a des Entwurfs) ergibt, war diese Erweiterung der Leistungen besonders durch die Verhältnisse bei der Bundesbahn bedingt. Die neue Regelung sollte die Unterschiede verringern, die sich daraus ergeben, daß die Bediensteten der Bundesbahn je nach der Art ihres Beschäftigungsverhältnisses bei Unfällen Ansprüche nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung oder nach Beamtenrecht haben. Besondere Bedeutung hatte dabei aber der Umstand, daß bei Unfällen während des Krieges die sogen. "grauen" Eisenbahner Ansprüche nach Versorgungsrecht hatten, die "blauen" Eisenbahner dagegen nicht (vgl. hierzu z.B. BSG 4, 8 und 272).
Abgesehen davon, daß sich gerade aus dieser Sonderregelung die Eigenständigkeit der beamtenrechtlichen Besoldungs-, Ruhegehalts- und Fürsorgeregelung gegenüber dem Entschädigungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung ergibt, läßt sich jedenfalls hieraus keine Verpflichtung des Gesetzgebers herleiten, das Unfallrecht hinsichtlich des Inkrafttretens der beamtenrechtlichen Regelung anzupassen.
Das gleiche gilt von der Ausdehnung der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge auf Erkrankungen, die als Dienstunfall gelten (§ 135 Abs. 3 BBG aF und nF). Die in § 135 Abs. 3 Satz 2 BBG vorgesehene Rechtsverordnung ist am 12. Mai 1958 (BGBl I 340) ergangen. In ihr werden als Krankheiten im Sinne des § 135 Abs. 3 BBG "die in der Spalte II der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung benannten "Krankheiten bestimmt" (§ 1). Über das Inkrafttreten ist in § 4 bestimmt, daß die Verordnung ebenso wie das BBG (vgl. § 202 BBG) am 1. September 1953 in Kraft tritt. Die Verweisung in § 1 der Verordnung ist insofern eindeutig, als sowohl im Zeitpunkt der Verkündung der Verordnung als auch im Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens die Anlage zur 3. BKVO in der Fassung der 5. BKVO (vom 26. Juli 1952, BGBl I 395) galt, die mit dem Tage der Verkündung in Kraft getreten war und rückwirkend für Versicherungsfälle nach dem 1. Juni 1945 galt, also eine wesentliche weitergehende Rückwirkung hatte als die Verordnung vom 12. Mai 1958. Nach dieser Fassung der Anlage (Nr. 35) bestand jedoch, wie bereits erwähnt, ein Entschädigungsanspruch für die Folgen einer durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Lärmschwerhörigkeit nur, wenn die Erkrankung Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit zur Folge hatte. Erst seit der 6. BKVO (vom 28. April 1961 - BGBl I 505), die gleichfalls am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft getreten ist, begründet eine Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit (Nr.26) einen Rentenanspruch, sobald die MdE den hierfür erforderlichen Grad (vgl. § 559 a RVO aF, § 581 RVO) erreicht hat. Außerdem ist die Beschränkung auf bestimmte Unternehmen (vgl. Spalte III) weggefallen.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof, auf dessen Urteil vom 17. Mai 1966 (OS I 96/64) sich die Revision bezogen hat, ist der Auffassung, die Bezugnahme auf die Anlage zur BKVO in der Verordnung vom 12. Mai 1958 habe zur Folge, daß jeweils die im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Fassung dieser Verordnung anzuwenden sei, die Rückwirkung auf früher eingetretene Erkrankungen bestimme sich nach dem Inkrafttreten des BBG am 1. September 1953 und nicht nach den für das Inkrafttreten der 6. BKVO geltenden Vorschriften. Diese Auffassung hat zur Folge, daß für die beamtenrechtlichen Ansprüche auf Unfallfürsorge für eine Erkrankung einerseits der Ausschluß der Rückwirkung für die Lärmschwerhörigkeit (§ 4 Abs. 2 der 6. BKVO) keine Bedeutung hat, bei den übrigen Krankheiten aber anstelle der für die 6. BKVO geltenden Rückwirkung bis zum 1. Januar 1952 - ebenso wie anstelle der Rückwirkung der 5. BKVO bis zum 1, Juni 1945 - die kürzere Rückwirkung bis zum 1. September 1953 tritt.
Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Stellungnahme zur Rechtsauffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die nach dieser Auffassung bestehenden Unterschiede hinsichtlich der Rückwirkung sich - gewissermaßen "zufällig" - daraus ergeben haben, daß der Gesetzgeber es unterlassen hat, Vorschriften darüber zu erlassen, wie sich Änderungen der Anlage zur BKVO des Unfallrechts auf die beamtenrechtliche Unfallfürsorge für Krankheiten zeitlich auswirken sollen, oder ob der Gesetzgeber für die beamtenrechtliche Unfallfürsorge absichtlich an das Inkrafttreten des BBG angeknüpft hat. Denn entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich für den Gesetzgeber aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge für Krankheiten keine Verpflichtung, Unterschiede zwischen den beamtenrechtlichen Regelungen und dem Unfallrecht zu vermeiden und ungünstige Regelungen der jeweils günstigeren des anderen Rechtsgebietes anzugleichen.
Die Unterschiede in der Rückwirkung, wie sie sich nach der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ergeben, sind nicht auf willkürliche und durch keine vernünftigen Gründe erklärbaren Entschließungen des Gesetzgebers zurückzuführen. Sie ergeben sich nicht nur aus der verschiedenen zeitlichen Entwicklung des Beamtenrechts einerseits und des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung andererseits, vielmehr konnte der Gesetzgeber bei der Entscheidung über die Rückwirkung, jedenfalls soweit der Ausschluß der Lärmschwerhörigkeit von der Rückwirkung in der Unfallversicherung infrage steht, auch die Verschiedenheit der betroffenen Personengruppen hinsichtlich ihrer arbeitsrechtlichen oder beamtenrechtlichen Stellung und den Umstand berücksichtigen, daß im Beamtenrecht ein kleinerer und leichter übersehbarer Personenkreis betroffen wird und daß die zu erwartende Belastung nicht nur infolge der niedrigeren Leistungen geringer, sondern auch leichter übersehbar ist.
Auch die in diesem Verfahren neu vorgetragenen Gesichtspunkte geben dem erkennenden Senat keine Veranlassung von der Auffassung abzuweichen, daß die in § 4 Abs. 2 der 6. BKVO getroffene Rückwirkungsregelung nicht gegen verfassungsrechtliche Vorschriften verstößt.
Daß in einem Falle, wie dem vorliegenden, keine Entschädigungsansprüche aus § 551 Abs. 2 RVO hergeleitet werden können, hat der Senat sowohl im Urteil vom 30. Oktober 1964 als auch im Urteil vom 29. September 1964 (BSG 21, 296) mit näherer Begründung dargelegt.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind nicht mit Rügen angegriffen worden, die geeignet sind, die Bindung des Revisionsgerichts an diese Feststellungen zu beseitigen (vgl. § 163 SGG).
Nach diesen Feststellungen liegt beim Kläger noch keine "an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" vor, so daß ein Entschädigungsanspruch nach Nr. 35 der Anlage zur 3. BKVO (vom 16. Dezember 1936 - RGBl I 117) i.d.F. der 5. BKVO (vom 26. Juli 1952 - BGBl I 395) vom LSG ohne Rechtsirrtum verneint worden ist.
Dagegen reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus, um die rechtliche Schlußfolgerung zu rechtfertigen, daß der "Versicherungsfall" - im Sinne der Nr. 26 der Anlage zur BKVO in der Fassung der 6. RVO schon vor dem Inkrafttreten der 6. BKVO - (vom 28. April 1961 - BGBl I 505) am 7. Mai 1961 eingetreten sei.
Wie das LSG nicht verkannt hat, ist für die Bestimmung dieses Zeitpunktes § 3 Abs. 2 der 3. BKVO (jetzt § 551 Abs. 3 S. 2 RVO) maßgebend. Das LSG ist offenbar davon ausgegangen, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers bereits vor dem Stichtag in einem zum Bezug von Rente berechtigenden Grade gemindert war und deshalb der durch den "Beginn der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Unfallversicherung" (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 28. April 1967 - BSG 26, 230 -) bestimmte Zeitpunkt auf jeden Fall. als für den Kläger ungünstiger anzusehen sei. Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine ausdrücklichen Feststellungen hinsichtlich des Grades der durch die Lärmschwerhörigkeit bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit für vor dem Stichtag liegende Zeitpunkte (vgl. hierzu auch BSG 4, 147).
Aber auch für die Nachprüfung der rechtlichen Schlußfolgerung, daß "die Lärmschwerhörigkeit ... als Krankheit im Sinne des § 3 Abs. 2 der 3. BKVO spätestens im Jahre 1958 aufgetreten" sei, reichen die Feststellungen des LSG nicht aus. Aus ihnen kann zwar entnommen werden, daß schon vor dem Inkrafttreten der 6. BKVO beim Kläger ein regelwidriger Körperzustand in Gestalt einer Beeinträchtigung der Hörfähigkeit bestanden hat. Eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne der Krankenversicherung, d.h. als Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen der Krankenversicherung erfordert jedoch, daß der Erkrankte entweder - was im vorliegenden Fall ausscheiden dürfte - durch die Krankheit arbeitsunfähig geworden ist oder nach objektiven Maßstäben ärztlicher Behandlung bedarf (vgl. hierzu BSG 13, 134, 136; 19, 179, 181; 26, 230, 233). Da es hierfür nicht genügt, daß der Kläger wiederholt, insbesondere im Rahmen der - annehmbar unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung durchgeführten - Überwachung als Arbeiter in einem Lärmbetrieb, ärztlich untersucht worden ist, läßt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen, ob beim Kläger schon vor dem Inkrafttreten der 6. BKVO eine objektive Notwendigkeit für ärztliche Behandlung bestanden hat.
Infolgedessen kann das Revisionsgericht nicht nachprüfen, ob die rechtliche Schlußfolgerung des LSG, daß der Versicherungsfall im Sinne der Nr. 26 der Anlage zur 3. BKVO idF der 6. BKVO schon vor dem Inkrafttreten der 6. BKVO eingetreten sei, auf ausreichenden tatsächlichen Grundlagen beruht. Der Senat hat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen