Entscheidungsstichwort (Thema)
Anstaltspflege. Grundrente für persönliche Bedürfnisse
Leitsatz (amtlich)
Die Kosten der nicht nur vorübergehenden Anstaltspflege (§ 35 Abs 2 S 1 BVG) umfassen auch die Kosten für notwendige Bekleidung, Wäsche und Schuhe in ausreichendem Umfang.
Orientierungssatz
Bei den "persönlichen Bedürfnissen" iS des § 35 Abs 2 S 2 BVG, für deren Befriedigung dem Beschädigten die Grundrente verbleibt, handelt es sich nicht um die allgemeinen menschlichen Grundbedürfnisse, wie Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung usw. Vielmehr werden hiermit die Bedürfnisse angesprochen, die von den einzelnen Personen in unterschiedlichen Lebensbereichen und ungleichem Umfang angesehen werden. Diesen Inhalt hat der Begriff der persönlichen Bedürfnisse auch in § 12 Abs 1 BSHG gefunden. Denn dort sind die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens als Teil des notwendigen Lebensunterhalts "neben" Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Heizung besonders genannt.
Normenkette
BVG § 35 Abs 2 S 1 Fassung: 1973-12-18; BSHG § 12 Abs 1; BVG § 35 Abs 2 S 2 Fassung: 1973-12-18
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 13.05.1982; Aktenzeichen L 12 Vi 1956/81) |
SG Ulm (Entscheidung vom 09.09.1981; Aktenzeichen S 4 Vi 841/80) |
Tatbestand
Der Kläger ist 1958 geboren. Bei ihm ist als Impfschaden iS des Bundesseuchengesetzes ein Hirnschaden nach Pockenschutzimpfung mit Sprechunfähigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH anerkannt. Seit dem 3. Dezember 1973 ist der Kläger in einem Pflegeheim für geistig Behinderte untergebracht. Das Versorgungsamt hat durch Bescheid vom 29. März 1978 die Kosten der Anstaltspflege unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge (§ 35 Abs 2 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz -BVG-) übernommen. Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob zu diesen Kosten auch Aufwendungen für Bekleidung des Klägers gehören.
Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, vom 1. September 1979 an die Kosten des Klägers für die Erstausstattung und Ergänzung von Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk zu zahlen. Es hat dazu ausgeführt: Die Kosten der Anstaltspflege iS des § 35 Abs 2 Satz 1 BVG seien identisch mit den Kosten, welche bei deren üblicher Übernahme durch einen öffentlichen Kostenträger aufgewendet werden müssen. Diese richteten sich nach dem Inhalt der Pflegesatzvereinbarungen und umfaßten grundsätzlich alle Pflegekosten. Zu denen gehörten aber nicht nur die allgemeinen Pflegesätze, sondern ggf zusätzlich der Sonderpflegesatz und die Zuschläge zu den Pflegesätzen und grundsätzlich auch der Ersatz von Sonderaufwendungen im Einzelfall mithin insbesondere der Kostenaufwand für Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk.
Mit seiner Revision ist der Beklagte dieser Auffassung entgegengetreten. Er ist der Meinung, daß von ihm Ersatz von Sonderaufwendungen im Einzelfall nicht zu leisten sei; hierfür sei in erster Linie der Beigeladene als Träger der Kriegsopferfürsorge angesprochen, weil es sich um einen Teilbereich des notwendigen Lebensunterhalts iS des Bundessozialhilfegesetzes handele.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13. Mai 1982 - L 12 Vi 1956/81 - aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG Baden-Württemberg aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beigeladene schließt sich dem Sinne nach dem Antrag des Klägers an.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend ausgesprochen, daß der Beklagte die Kosten des Klägers für Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk zu zahlen hat. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 35 Abs 2 Satz 1 BVG idF vom 22. Juni 1976 (BGBl I S 1633). Der Beklagte hat mit Bescheid vom 29. März 1978 für den Kläger die Kosten der nicht nur vorübergehenden Anstaltspflege unter Anrechnung auf seine Versorgungsbezüge übernommen. Zu den Kosten der Anstaltspflege gehören auch die Aufwendungen für Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk. Insoweit tritt der Senat dem angefochtenen Urteil des LSG bei.
In welchem Umfang der Beklagte durch Übernahme der Kosten der Anstaltspflege im einzelnen verpflichtet ist, läßt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht ohne weiteres entnehmen. Das Gesetz sagt lediglich, daß die Kosten der Anstaltspflege unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge zu übernehmen sind. In dieser Formulierung ist keinerlei Einschränkung zu erkennen; insbesondere nicht, daß ein Teil der Lebenshaltungskosten nicht mit umfaßt werden.
Das LSG hat sich zu Recht gegen die Meinung des Sozialgerichts (SG) gewendet, die Kosten der Anstaltspflege umfaßten nur Pflegekosten und seien deshalb aus dem Begriff der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG zu interpretieren. Abgesehen davon, daß unstreitig zu den Kosten der Anstaltspflege zumindest die der Unterbringung und Beköstigung zählen, ist die Deduktion des SG nicht schlüssig, weil nicht nur der Betrag der Pflegezulage für die Kosten in Anrechnung gebracht werden, sondern die Kosten der Anstaltspflege unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge (§ 35 Abs 2 Satz 1 BVG) übernommen worden sind.
Nicht überzeugend ist auch der Hinweis, der Kläger könne mit der Grundrente seine Kleider selbst bezahlen. Zwar ist dem Beschädigten, für den die Kosten der Anstaltspflege unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen worden sind, von diesen Bezügen ein Betrag in Höhe der zustehenden Grundrente zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse zu belassen (§ 35 Abs 2 Satz 2 BVG). Das Gesetz bringt damit selbst eine Zweckbestimmung für diesen Betrag in Höhe der Grundrente. Bei den persönlichen Bedürfnissen handelt es sich jedoch nicht um die allgemeinen menschlichen Grundbedürfnisse, wie Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung etc. Vielmehr werden hiermit Bedürfnisse angesprochen, die von den einzelnen Personen in unterschiedlichen Lebensbereichen und ungleichem Umfang angesehen werden. Diesen Inhalt hat der Begriff der persönlichen Bedürfnisse auch in dem Bundessozialhilfegesetz (letzte Fassung vom 24. Mai 1983 - BGBl I S 613) in § 12 Abs 1 gefunden. Denn dort sind die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens als Teil des notwendigen Lebensunterhalts neben Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Heizung besonders genannt.
Des weiteren ist der Senat der Auffassung, daß eine Verweisung des Klägers wegen seines Bedarfs an Kleidung, Wäsche und Schuhwerk auf die Leistungen der Fürsorge nicht möglich ist und auch unangebracht wäre. Leistungen der Kriegsopferfürsorge erhalten Beschädigte zur Ergänzung der übrigen Leistung nach dem BVG als besondere Hilfen im Einzelfall (§ 25 Abs 1 BVG). Der Kläger ist kein Einzelfall, der besonderer Hilfe bedarf; die Bedürfnisse seines Beschädigtenschicksals werden vielmehr umfaßt durch die allgemeinen Regelungen nach dem BVG. Das BVG hat ausdrücklich allgemein den Fall geregelt, daß ein Beschädigter dauernder Pflege in einer Anstalt bedarf. Dazu hat es ausgesprochen, daß die Kosten der Anstaltspflege zu übernehmen sind. Es ist mit dem Sinn der allgemeinen Entschädigungsregelungen nicht vereinbar, nur einen Teilbereich der Lebensbedürfnisse in die Entschädigung einzubeziehen und im übrigen regelmäßigen Bedarf durch die Fürsorge erbringen zu lassen.
Der Anspruch des Klägers aus § 35 Abs 2 gegen den Beklagten geht dahin, daß dieser die gesamte Pflege des Klägers in einer Anstalt durch Kostenübernahme ermöglicht. Dabei kann der Kläger erwarten, daß seine notwendigen Bedürfnisse in ausreichendem Umfang befriedigt werden. Dieser Umfang ist allerdings nicht aus den Vereinbarungen über den Pflegesatz zu entnehmen, wie das LSG dies getan hat, obwohl diese Regelungen augenscheinlich eine brauchbare Lösung für die hier vorliegende Frage enthalten. Es kann dahinstehen, ob diese Vereinbarungen rein privatrechtlicher Natur sind. Jedenfalls können sie nicht für die gesetzliche Regelung des § 35 Abs 2 BVG übernommen werden. Der Umfang der Anstaltspflege ist vielmehr aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift zu ermitteln. Hierbei ist insbesondere zu bedenken, daß die Kosten der Anstaltspflege unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen werden. Diese Versorgungsbezüge umfassen alle Ansprüche, die der Beschädigte ohne die Anstaltspflege nach dem BVG realisieren könnte. Dazu gehören nicht nur die bisher für den Kläger festgestellte Grundrente, die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II, die Pflegezulage der Stufe II und ein Pauschbetrag für außergewöhnlichen Wäscheverschleiß, sondern unter Umständen auch die Ausgleichsrente nach § 32 BVG und ein Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 3 BVG. Insbesondere die letztgenannten Leistungen haben den Zweck, die Lebensbedürfnisse des Beschädigten wirtschaftlich sicherzustellen. Dabei ist vorgesehen, daß die unter Umständen nicht unerheblichen Kosten einer Pflege - außerhalb eines Pflegeheims - durch eine Pflegezulage nach § 35 Abs 1 aufgefangen werden. Diese Zulage, die zur Zeit in ihrer höchsten Stufe VI einen Betrag von 1.698,- DM ausmacht, kann sogar noch angemessen erhöht werden, wenn die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege den Betrag der Pflegezulage übersteigen (§ 35 Abs 1 Satz 5 BVG). Da darüber hinaus jedoch bei der Anstaltspflege eine Anrechnung auf die für die wirtschaftliche Sicherstellung aller Lebensbedürfnisse bestimmten Versorgungsleistungen erfolgt, muß diese Anstaltspflege diese Bedürfnisse mit umfassen. Dies gilt insbesondere für den Bedarf an Wäsche, wie sich eindeutig daraus ergibt, daß auch der Pauschbetrag für außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidung oder Wäsche angerechnet wird (Urteil vom 21. September 1983 - 9a RV 28/82 -). Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Leistungen für einen Beschädigten, der gerade infolge der Schädigung dauernder Anstaltspflege bedarf (§ 35 Abs 2 Satz 1 BVG), weniger umfassen soll als die Leistung der Kriegsopferfürsorge, die eine Anstaltspflege für einen Beschädigten zu gewähren hätte, dessen Schädigung nicht Ursache für diese Pflege ist. Die Hilfe in einer Anstalt umfaßt auch den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt (§ 25b Abs 1 Satz 2 BVG). Dabei verbleibt dem Beschädigten die Grundrente oder ein Betrag in Höhe der Grundrente ebenfalls (§ 25d Abs 1 Satz 2 BVG).
Die Revision des Beklagten war daher zurückzuweisen. Seine Verurteilung geht dahin, daß die Kosten für Bekleidung, Wäsche und Schuhwerk zu zahlen sind, soweit sie die notwendigen Bedürfnisse des Klägers in ausreichendem Umfang befriedigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen