Leitsatz (redaktionell)
1. War ein Angestellter am 1968-01-01 bereits auf seinen Antrag nach AVG § 7 Abs 1 von der Angestelltenversicherungspflicht befreit und hat er auf diese Befreiung nicht verzichtet (AVG § 7 Abs 6), so kann er nicht noch einmal nach AnVNG Art 2 § 1 befreit werden.
2. Das Recht auf Befreiung von der Angestelltenversicherungspflicht nach AnVNG Art 2 § 1 idF des FinÄndG 1967 ist für solche Personen ausgeschlossen, die vom 1968-01-01 an bereits aufgrund anderer Vorschriften angestelltenversicherungsfrei sind; dies gilt auch für die nach AVG § 7 Abs 1 (= RVO § 1230 Abs 1) von der Versicherungspflicht befreiten Personen, für die der Arbeitgeber gemäß AVG § 113 (= RVO § 1386) seinen Beitragsanteil zu entrichten hat.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1967-12-21; AVG § 113; RVO § 1386; AVG § 7 Abs. 6 Fassung: 1957-02-23, Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1230 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09, Abs. 5 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist der 1911 geborene Kläger von der Beklagten nach § 7 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung (AnV) befreit worden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1965 - das bei der Beklagten nicht mehr vorhanden ist - beantragte er, ihn nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ANVNG) idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Beklagte teilte ihm daraufhin durch Bescheid vom 25. April 1966 mit, einer Befreiung bedürfe es nicht, weil er schon nach § 7 Abs. 1 AVG versicherungsfrei sei; auch mit Wirkung vom 1. Mai 1966 sei er als Ruhestandsbeamter (§ 35 Gesetz 131 idF vom 21. 8. 1961 - BGBl I 1557) befreit, bis sich diese Befreiung durch Verzicht oder Widerruf erledige. Gleichzeitig wies sie ihn darauf hin, daß er nach § 7 Abs. 6 AVG durch schriftliche Erklärung mit Wirkung vom Beginn des nächsten Monats an auf die Befreiung verzichten könne. Im Jahre 1965 schloß der Kläger einen Lebensversicherungsvertrag ab, weil er mit seinem Einkommen die damals geltende Versicherungspflichtgrenze überschritt. Dabei wurden Prämien in Höhe der jeweiligen Beitragssätze der Sozialversicherung vereinbart. Von diesen Versicherungsprämien zahlte der Arbeitgeber des Klägers die Hälfte, weil er allgemein mit seinen von der Versicherungspflicht befreiten Angestellten vereinbart hatte, daß er die von ihm eingesparten Arbeitgeberanteile für die privaten Lebensversicherungen der Angestellten zahle. Seit dem 1. Januar 1968 entfiel dieser Zuschuß des Arbeitgebers (zuletzt 120,- DM); die Beklagte zieht seit dieser Zeit den Arbeitgeberanteil zur AnV des Klägers nach § 113 AVG idF des Finanzänderungsgesetzes 1967 (FinÄndG) ein.
Am 15. März 1968 beantragte der Kläger, ihn nach Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 15. Mai 1968 - ohne Rechtsmittelbelehrung). Am 30. Juni 1968 wiederholte der Kläger seinen Befreiungsantrag; auch ihn lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 1968 und Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1968 ab, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG nicht erfüllt seien. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Nach der Ansicht des LSG ist das Rechtsschutzinteresse des Klägers zwar zu bejahen, auch wenn durch seine Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 AnVNG allein der nach § 113 AVG zu entrichtende Arbeitgeberanteil entfalle. Die Beklagte habe den Befreiungsantrag jedoch zu Recht abgelehnt; denn der Kläger sei nicht auf Grund des Wegfalls der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungspflichtig geworden, sondern ab 1. Januar 1968 weiterhin nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit geblieben. Ein Verzicht auf diese Befreiung, der spätestens bis zum 30. November 1967 ausdrücklich hätte erklärt werden müssen, liege nicht vor. Der Vorwurf, die Beklagte habe ihn nicht genügend über die Möglichkeit eines solchen Verzichts unterrichtet, sei unberechtigt.
Der Kläger legte die vom LSG zugelassene Revision ein mit dem Antrag (sinngemäß),
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Versicherungspflicht zu befreien.
Der Kläger meint, das LSG verkenne die besondere Situation, in der er sich befunden habe; einen ausdrücklichen Verzicht habe man von ihm nicht verlangen können, weil dessen rechtliche Folgen nicht abzusehen gewesen wären. Unter diesen Umständen müsse seine Erklärung vom Dezember 1965, daß er aus der Befreiung nach § 7 Abs. 1 AVG keine Rechtsnachteile erleiden wolle, als rechtzeitiger Verzicht anerkannt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu Recht abgelehnt.
Das LSG hat das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG zutreffend bejaht. Ob der Arbeitgeber des Klägers nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hätte beigeladen werden müssen, kann dahingestellt bleiben; selbst wenn das LSG insoweit eine notwendige Beiladung unterlassen hätte, läge darin kein wesentlicher Verfahrensmangel, der in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigen wäre (BSG 7, 269).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich schon wiederholt mit der Auslegung von Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG befaßt (vgl. SozR Nr. 7 zu Art. 2 § 1 AnVNG). Es hat stets betont, diese Vorschrift sei eine Übergangsvorschrift und regele lediglich die Auswirkungen der Änderungen des AVG durch das FinÄndG auf versicherungsrechtliche Verhältnisse, die zur Zeit des Inkrafttretens des letzteren am 1. Januar 1968 bestanden haben und in die das FinÄndG unmittelbar eingreift, ohne daß sich die tatsächlichen Verhältnisse des durch die Rechtsänderung Betroffenen geändert haben (vgl. Urt. v. 30.6.1971 - 12/11 RA 266/70). Von dieser Vorschrift werden deshalb nur solche Personen erfaßt, in deren versicherungsrechtliche Stellung das FinÄndG mit seinem Inkrafttreten unmittelbar eingreift. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger war bis zum 31. Dezember 1967 aus mehreren Gründen nicht rentenversicherungspflichtig. Er erfüllte einmal die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG; danach war grundsätzlich jeder Angestellte versicherungsfrei, der mit seinem regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritt. Der Kläger war außerdem aber als Ruhestandsbeamter aufgrund seines eigenen Antrags auch nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit. Ob beide Freistellungsgründe selbständig nebeneinander bestanden oder eine Rangfolge derart hatten, daß der eine Freistellungsgrund als gesetzliche Sonderregelung dem anderen vorging und ihn deshalb während seines eigenen Bestehens, also zeitweilig wirkungslos werden ließ (BSG SozR Nr. 14 zu § 1232 RVO), kann hier dahinstehen; in beiden Fällen blieb der Kläger bei Wegfall nur eines Freistellungsgrundes versicherungsfrei. Er kann mithin wegen der mit Wirkung vom 1. Januar 1968 erfolgten ersatzlosen Streichung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG (Art. 1 § 2 Nr. 1 FinÄndG) nicht nach Art. 2 § 1 AnVNG von der Versicherungspflicht befreit werden, denn er ist nicht ab 1. Januar 1968 aufgrund des FinÄndG versicherungspflichtig geworden, sondern nach § 7 Abs. 1 AVG auch über diesen Stichtag hinaus versicherungsfrei geblieben; die Streichung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG hatte auf seine Versicherungsfreiheit keinen Einfluß. Wie das BSG schon wiederholt entschieden hat, kann derjenige, der bereits versicherungsfrei ist, nicht noch zusätzlich von der Versicherungspflicht befreit werden (vgl. BSG 26, 280, 282 und Urt. v. 26. 5. 1971 - 12/11 RA 190/70 -). Das FinÄndG wirkt sich für den Kläger lediglich dahin aus, daß ab 1. Januar 1968 der von seinem Arbeitgeber gezahlte Zuschuß zu seiner Lebensversicherungsprämie entfällt, weil nach der durch dieses Gesetz (Art. 1 § 2 Nr. 14) wiedereingeführten Vorschrift des § 113 AVG der Arbeitgeberanteil an die Beklagte entrichtet werden muß. Aus dieser Rechtsfolge läßt sich für den Befreiungsantrag des Klägers nichts herleiten; die Beitragspflicht nach § 113 AVG ist keine Versicherungspflicht des Arbeitnehmers, sondern im Gegenteil eine ausschließlich bei der Beschäftigung nicht versicherungspflichtiger Arbeitnehmer eintretende sozialversicherungsrechtliche Leistungspflicht des Arbeitgebers (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 113 AVG).
Der Kläger wäre ab 1. Januar 1968 nur dann wegen Wegfalls der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungspflichtig geworden, wenn er spätestens bis zum 30. November 1967 auf seine Befreiung nach § 7 Abs. 1 AVG verzichtet hätte. Sollte er in seinem nicht mehr vorhandenen Befreiungsantrag vom Dezember 1965 zum Ausdruck gebracht haben, er wolle keinesfalls Nachteile erleiden, könnte daraus ein wirksamer Verzicht im Sinne des § 7 Abs. 6 AVG nicht hergeleitet werden. Wie das LSG ausführlich und zutreffend dargelegt hat, ist ein Verzicht i.S. dieser Vorschrift nicht erfolgt. Die Beklagte hat den Kläger in ihrem Bescheid vom 25. April 1966 aber auf die Möglichkeit eines Verzichts im einzelnen hingewiesen; eine Verletzung ihrer Aufklärungspflicht liegt nicht vor.
Nach alledem ist die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen