Leitsatz (amtlich)
1. Krankenhauspflege ist eine wiederkehrende Leistung iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 2. Das gilt auch, wenn sie - wie in der Krankenversicherung der Rentner - nicht an die Stelle von Krankenpflege und Krankengeld (RVO § 184 Abs 1) tritt.
2. Steht bei einem Streit über die Gewährung von Krankenhauspflege im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG noch nicht fest, ob die Krankenhauspflege länger als 13 Wochen dauern wird, so ist die Berufung nicht nach SGG § 144 Abs 1 Nr 2 ausgeschlossen.
3. Hat das SG in einem Fall, in dem die Berufung nach SGG § 143 stattfindet, rechtsirrtümlich die Berufung - wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache - nach SGG § 150 Nr 1 (iVm SGG §§ 144 bis 149) zugelassen, so kann das Urteil im Hinblick auf die Zulassung der Berufung nach SGG § 161 mit der Sprungrevision angefochten werden.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 161 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts ... vom 25. März 1955 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger wurde von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse nach Bezug der satzungsmäßigen Leistungen mit dem 31. Mai 1953 ausgesteuert. Anschließend versicherte er sich bei der Beklagten freiwillig weiter, bis er vom 1. September 1953 an auf Grund der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 Mitglied der Beklagten wurde. Als der Kläger wegen des ununterbrochen fortbestehenden Aussteuerungsleidens am 6. September 1954 seine erneute Aufnahme in die Universitätsklinik Heidelberg beantragte, verweigerte die Beklagte ihre Zustimmung. Der Widerspruch des Klägers hiergegen wurde durch Bescheid vom 3. November 1954 mit der Begründung verworfen, daß Ausgesteuerte beim Übergang von der "Pflichtversicherung" zur Krankenversicherung der Rentner einen neuen Leistungsanspruch nicht erwerben. Mit der hiergegen beim Sozialgericht ... am 18. November 1954 erhobenen Klage beantragte der Kläger, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 3. November 1954 aufzuheben und festzustellen, daß er auf Grund seines Übergangs von der Pflicht- zur Rentnerkrankenversicherung einen selbständigen Leistungsanspruch habe.
Das Sozialgericht gab der Klage - unter Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - statt; es ist der Auffassung, daß die Krankenversicherung der Rentner einen selbständigen, von anderen Versicherungen unabhängigen Versicherungsschutz gewähre.
Gegen das ihr am 12. April 1955 zugestellte Urteil legte die Beklagte mit Einwilligung des Klägers am 2. Mai 1955 Sprungrevision beim Bundessozialgericht ( BSGer .) mit dem Antrag ein, das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben und festzustellen, daß der Kläger als Ausgesteuerter durch den Übergang von der Versicherung nach dem Zweiten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Krankenversicherung der Rentner einen neuen selbständigen Leistungsanspruch nicht erworben habe. Sie macht geltend, daß die Leistungen der allgemeinen Krankenversicherung und diejenigen der Krankenversicherung der Rentner eine einheitliche Gesamtleistung darstellten, obwohl die Krankenversicherung der Rentner eine Auftragsangelegenheit der Krankenkassen mit einer anderen Finanzierung sei. Die Krankenversicherung der Rentner bezwecke lediglich eine Einbeziehung der Rentner in den bestehenden Krankenversicherungsschutz und die Gewährung der gleichen Sachleistungen, wie sie den übrigen Kassenmitgliedern gewährt würden, nicht jedoch erneute Gewährung der Leistungen an bisher ausgesteuerte Mitglieder. Würden die Leistungen den krankenversicherten Rentnern ein zweites Mal gewährt werden können, so wäre dies eine Bevorzugung gegenüber den Mitgliedern, die mit der Aussteuerung nicht gleichzeitig Rentner würden. Der Kläger sah vor dem BSGer . im Hinblick auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. Juli 1955 - 3 RK 6/55 - (BSG 1, S. 158) von einer Antragstellung ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist statthaft. § 161 Abs. 1 SGG eröffnet den Beteiligten - in Abweichung von § 160 SGG, wonach die Revision grundsätzlich nur gegen Urteile der Landessozialgerichte stattfindet - die Möglichkeit, auch gegen Urteile der Sozialgerichte Revision (Sprungrevision) einzulegen. Diese Möglichkeit ist jedoch nach der Entscheidung des 7. Senats des BSGer . vom 8. Juni 1955 - 7 RAr 1/55 - (BSG 1, 69) nur unter der Voraussetzung gegeben, daß die Urteile der Sozialgerichte "nach § 150 mit der Berufung anfechtbar" sind. Die Sprungrevision ist somit nicht zulässig, wenn das Urteil des Sozialgerichts schon nach § 143 SGG mit der Berufung angefochten werden kann, wenn also die Vorschriften der §§ 144 bis 149 SGG nicht zur Anwendung kommen können. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 161 SGG an.
Von den drei in § 150 SGG genannten Fällen, in denen die Berufung trotz Vorliegens der Ausschließungsgründe der §§ 144 bis 149 SGG ausnahmsweise statthaft ist, kommt hier allein die Regelung nach § 150 Nr. 1 SGG in Betracht. Danach muß das Sozialgericht, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Berufung im Urteil zulassen. Das ist hier geschehen. Das Sozialgericht ist auch bei der Zulassung der Berufung ersichtlich davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall die Berufung an sich nach § 144 Abs. 1 SGG ausgeschlossen ist. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf einmalige Leistungen (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG), noch einen solchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG) geltend gemacht.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Krankenhauspflege - Anspruch dabei prozessual als das auf Feststellung einer Rechtsfolge gerichtete Begehren verstanden (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl., S. 395) - betrifft keine einmalige Leistung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Denn der Begriff der Einmaligkeit einer Leistung beinhaltet ein Geschehen, das sich seiner Natur nach in einer bestimmten, verhältnismäßig kurzen Zeitspanne abspielt und sich im wesentlichen in einer einzigen Gewährung erschöpft. Diese Merkmale sind im bürgerlichen Recht vor allem bei den Leistungen erfüllt, die dem gegenseitigen Austausch von Gütern dienen; für den Bereich des Sozialrechts sind sie zu bejahen bei einmaligen Bar- oder Sachleistungen, wie Sterbegeld, Witwenabfindung, Bewilligung von Körperersatzstücken (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit (Stand August 1955), § 144 Anm. 1). Demgegenüber liegen die angeführten Merkmale nicht vor bei bürgerlich-rechtlichen Dauerschuldverhältnissen (z. B. Miete, Pacht, Dienstvertrag), - desgleichen nicht im Sozialrecht etwa bei ärztlicher Behandlung und auch nicht bei Krankenhauspflege; denn die Krankenhauspflege ist eine vielgestaltige Leistung, die im allgemeinen auf eine gewisse Dauer gerichtete ist, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln sowie Unterkunft und Verpflegung umfaßt und oft wechselnden Erfordernissen der Krankheit angepaßt werden muß. Deshalb kommt der Krankenhauspflege - in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch - keinesfalls der Charakter einer einmaligen Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu (ebenso im wesentlichen Peters-Sautter-Wolff a. a. O.; Hastler, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 144 Anm. 2; Hofmann-Schroeter, Komm. zum Sozialgerichtsgesetz, § 144 Anm. 2).
Geht man bei der weiteren Prüfung, ob die Krankenhauspflege nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG als wiederkehrende Leistung zu beurteilen ist, davon aus, wie dieser Begriff auf anderen Rechtsgebieten ausgelegt wird (vgl. z. B. §§ 197, 1105 BGB, §§ 9, 258, 323 ZPO), so erscheint auch die Unterordnung der Krankenhauspflege unter den Begriff der wiederkehrenden Leistung zunächst nicht unzweifelhaft. Soweit nämlich zu fordern wäre, daß sich die wiederkehrenden Leistungen "in zeitlicher Trennung und in gleichmäßigen oder in ungleichmäßigen Zeiträumen als einheitliche Folgen eines Rechtsverhältnisses ergeben, mögen diese im einzelnen auch nur annähernd gleich sein" (Stein-Jonas-Schönke, ZPO 18. Aufl., § 258 Anm. I 1), so ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie die Krankenhauspflege unter diese Begriffsbestimmung gebracht werden kann, gehört doch gerade zum Wesen der Krankenhauspflege eine stete Bereitschaft und Wirksamkeit, deren Erfolg nicht so sehr in der Wiederholung gleichförmiger Leistungen liegt, als vielmehr in einer - dem individuellen Falle entsprechenden - beweglichen Anpassung der verschiedenartigsten Leistungen, an die wechselnden Bedürfnisse des Kranken. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indessen, daß auch bei der Krankenhauspflege die regelmäßige Wiederkehr von Leistungen nicht fehlt. So wird ein nicht unerheblicher Teil der ärztlichen Leistungen in der Form regelmäßig wiederholter Krankenvisiten erbracht; auch besteht die Verpflegung im allgemeinen aus Mahlzeiten, die in bestimmten zeitlichen Abständen gereicht werden; schließlich erfolgt die Bewilligung und Abrechnung der Krankenhauspflege als Ganzes abschnittsweise nach Tagen bezw. Tagessätzen, sie wird hier also als eine zeitlich in gleiche Abschnitte teilbare Leistung behandelt.
Im übrigen hat der Begriff der wiederkehrenden Leistungen im SGG eine eigentümliche Färbung dadurch erhalten, daß ihm in § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG eine Zeitbestimmung ("bis zu dreizehn Wochen") hinzugefügt worden ist. In dieser Wortverbindung liegt die Betonung erkennbar weniger auf dem Merkmal "wiederkehrend" als vielmehr auf der zeitlichen Begrenzung, die auch bei der Entstehung des Gesetzes schon durchaus im Vordergrund der Überlegungen gestanden hat. Aus der Begründung zu dem Regierungsentwurf einer Sozialgerichtsordnung (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode 1949, Drucks. Nr. 4357) ergibt sich nämlich, daß bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen die Bezugsdauer ausschlaggebend sein sollte, um vor allem Bagatellsachen aus der Kranken- und Arbeitslosenversicherung nicht zu einer übermäßigen Belastung der Gerichte werden zu lassen (a. a. O. S. 22). Ob diese Umstände es rechtfertigen, den Begriff der wiederkehrenden Leistungen hier gänzlich dem der Dauerleistungen gleichzusetzen (wofür u. a. auch die Gegenüberstellung von einmaligen und laufenden Leistungen in § 130 SGG spräche), kann dahingestellt bleiben. Für den vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß die Vorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG im Gegensatz zu jener in Nr. 1 offenbar solche Leistungen im Auge hat, denen ein Moment zeitlicher Dauer innewohnt. Zu diesen Leistungen gehört auch die Krankenhauspflege.
Schließlich wird man sich bei der Auslegung eines sozialrechtlichen Begriffs wie dem der "wiederkehrenden Leistungen" nicht einfach mit der schematischen Übernahme der auf anderen Rechtsgebieten gewonnenen Erkenntnisse begnügen dürfen. Eine Verwertung solcher Erkenntnisse setzt vielmehr in jedem Falle eine sorgfältige Beachtung der dem Sozialrecht eigentümlichen Verhältnisse voraus. Eine der Besonderheiten des Rechts der sozialen Krankenversicherung liegt nun aber gerade darin, daß die Krankenhauspflege nach § 184 RVO "an Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes" gewährt wird. Auch diese Natur der Krankenhauspflege als einer Ersatzleistung insbesondere für das Krankengeld spricht dafür, beide Leistungen rechtlich gleich zu behandeln, mithin auch die Krankenhauspflege - für das Krankengeld bestehen in dieser Hinsicht keine Bedenken - unter die wiederkehrenden Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu rechnen (ebenso Peters-Sautter-Wolff, a. a. O., § 144 Anm. 2; Hastler, a. a. O., § 144 Anm. 3 b; Brüning, Sgb. 1954 S. 67, 68). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Krankenhauspflege auch im einzelnen Fall an die Stelle des Krankengeldes tritt, oder ob dies, wie z. B. in der Rentnerkrankenversicherung, aus besonderen Gründen ausnahmsweise nicht der Fall ist. Die Berufungsfähigkeit des Anspruches auf Krankenhauspflege kann schwerlich davon abhängen, ob der Anspruch von einem Versicherten erhoben wird, der der Krankenkasse als pflicht- oder freiwilliges Mitglied nach der RVO angehört, oder von einem krankenversicherten Rentner. Nach alledem ist die Krankenhauspflege als "wiederkehrende Leistung" im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG anzusehen.
In einem Rechtsstreit über die Bewilligung von Krankenhauspflege ist somit, da er nicht eine einmalige Leistung zum Gegenstand hat, grundsätzlich die Berufung gegeben, es sei denn, daß die Krankenhauspflege (als wiederkehrende Leistung) nur für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen begehrt wird (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Diese Voraussetzung muß bei der Entscheidung über den erhobenen Anspruch, also im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der ersten Instanz, erfüllt sein (vgl. das Urteil des 1. Senats vom 29.11.1955 - 1 RA 43/55). Besteht zu diesem Zeitpunkt noch keine völlige Gewißheit über die Dauer der beanspruchten Krankenhauspflege, so greift der Berufungsausschluß nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG als Ausnahme von der Regel nicht Platz, es bleibt vielmehr bei der Berufungsfähigkeit nach § 143 SGG.
Das Urteil des Sozialgerichts hätte hiernach, da es ohnehin nach § 143 SGG der Berufung unterliegt, weder einer besonderen Zulassung der Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG bedurft, noch einen solchen Ausspruch überhaupt enthalten dürfen. Gleichwohl kann das Revisionsgericht die Tatsache der einmal erfolgten Zulassung nicht einfach als unbeachtlich beiseite lassen, nachdem die Beteiligten sich in ihrem prozessualen Verhalten darauf eingerichtet haben.
Würde die Zulassung, weil sie nicht - wie § 150 SGG es ausdrückt - "ungeachtet der §§ 144 bis 149 (SGG)", sondern in einem Fall des § 143 SGG erfolgt ist, nachträglich als unwirksam erachtet und damit dem Revisionsverfahren die Grundlage entzogen werden können, so hätte das für die Beteiligten u. U. den Verlust jeder Anfechtungsmöglichkeit zur Folge, - sofern man nämlich streng nach dem Wortlaut des § 161 Abs. 2 SGG der Ansicht wäre, daß mit der Einlegung der Sprungrevision in jedem Falle, also auch bei Unzulässigkeit der Sprungrevision, auf das Rechtsmittel der Berufung endgültig verzichtet würde. - Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß der Rechtsmittelverzicht nach § 161 Abs. 2 SGG nur bei zulässiger Sprungrevision eintritt, so hätten die Beteiligten damit allein noch keineswegs die Gewähr dafür, nach Verwerfung der Sprungrevision wenigstens mit der Berufung zum Zuge zu kommen. In vielen Fällen wäre nämlich bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts sowohl die Monats- als auch die (außerordentliche) Jahresfrist zur Einlegung der Berufung (§§ 151 Abs. 1, 66 Abs. 2 SGG) abgelaufen, so daß die Berufung schon aus diesem Grunde als unzulässig verworfen werden müßte. Die Berufung könnte in solchen Fällen nur dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn die Einlegung vorher "infolge höherer Gewalt" (§ 66 Abs. 2 SGG) unmöglich gewesen ist; ob eine solche Auslegung des Begriffs der höheren Gewalt noch mit dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzes zu vereinbaren wäre, erscheint sehr fraglich. Noch zweifelhafter ist es aber, ob auch das Berufungsgericht ihr im Streitfall folgen würde. Wäre dies nicht der Fall, müßte der abgewiesene Berufungskläger erneut das Revisionsgericht anrufen, um überhaupt erst einmal die Zulässigkeit der Berufung zu erstreiten.
Eine Verfahrensregelung, die mit so vielen Unsicherheitsfaktoren belastet ist, würde den Mindestanforderungen, die hinsichtlich Klarheit und Sicherheit an ein Rechtsmittelverfahren zu stellen sind, nicht genügen. Sie wäre im Gegenteil für die Beteiligten, denen es in der Regel allein auf die Entscheidung ihrer sachlich-rechtlichen Streitfrage ankommt, mit großen Risiken verbunden und müßte ihnen umso unverständlicher erscheinen, als sie im allgemeinen gerade im Vertrauen auf die gerichtliche Zulassung der Berufung den gewählten Prozeßweg (Sprungrevision) beschritten haben. Aus den gleichen Erwägungen heraus wird auch im Zivilprozeß dort, wo möglicherweise eine ihrer Art nach falsche Gerichtsentscheidung ergangen ist, z. B. ein Beschluß statt eines Urteils oder umgekehrt, jedenfalls das Rechtsmittel zugelassen, das der äußeren Form der Entscheidung entspricht, in den angeführten Beispielen also die Beschwerde gegen den Beschluß, die Berufung gegen das Urteil; "denn der Partei dürfen nicht mehr Rechtskenntnisse zugemutet werden, als das erkennende Gericht gezeigt hat" (Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl., § 133 II 2, S. 622 f mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Rechtslehre; vgl. auch Stein-Jonas-Schönke, ZPO, 18. Aufl., Einl. III, 1 vor § 511 sowie Peters-Sautter-Wolff, a. a. O., § 143 Anm. 2).
Ähnlich wie in diesen Fällen muß aber auch im Sozialgerichtsprozeß die Zulassung der Berufung durch ein Sozialgericht gemäß § 150 Nr. 1 SGG für das weitere Verfahren maßgebend bleiben. Nachdem die Beteiligten einmal im Hinblick und im Vertrauen auf den Ausspruch des Sozialgerichts einen danach zulässigen Prozeßweg beschritten haben, darf die Zulässigkeit dieses Weges nicht nachträglich wieder in Frage gestellt werden; Akte der Sozialgerichte, die - wie die Zulassung der die Sprungrevision eröffnenden Berufung - eine Prozeßgestaltung bezwecken, müssen, weil die Beteiligten darauf vertrauen, so lange Bestand haben, als sie nicht zu Recht aufgehoben sind. Das Revisionsgericht ist daher insoweit an die Entscheidung des Sozialgerichts über die Zulassung der Berufung gebunden.
Ob und inwieweit diese Grundsätze etwa einer Einschränkung bedürfen, wenn die Zulassung des Rechtsmittels auch für die Beteiligten ohne weiteres erkennbar gegen das Gesetz verstößt, braucht hier nicht entschieden zu werden, da im vorliegenden Falle die allgemeine Berufungsfähigkeit des Klageanspruchs nach § 143 SGG nicht so klar zu Tage liegt, daß die Beteiligten sie entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ohne weiteres hätten erkennen müssen. In der ähnlich liegenden Frage, in welchen Grenzen die Zulassung der Revision der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegt, haben sich für eine unbedingte Bindung des Revisionsgerichts - oder jedenfalls für die Beschränkung der Nachprüfbarkeit auf den Fall eines "auf den ersten Blick erkennbaren", "eindeutigen und offensichtlichen" Gesetzesverstoßes - im Interesse der "verfahrensrechtlichen Rechtssicherheit", "Rechtsmittelklarheit" und des Vertrauensschutzes u. a. ausgesprochen Baur in JZ. 1954 S. 146, 1955 S. 551; Pohle in Hueck-Nipperdey-Dietz, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, § 69 Arbeitsgerichtsgesetz 1953 Nr. 6 mit Anm.; Gerhard Müller in Beiträge zu den Problemen des neuzeitlichen Arbeitsrechts, Festschrift für Wilhelm Herschel, 1955 S. 159, 166 ff; Bundesarbeitsgericht in JZ. 1955 S. 551; dem Grundsatz nach auch BGH in BGHZ 2 S. 396, 398/9 sowie Haueisen in Sgb. 1955 S. 1 und Hanswerner Müller in NJW. 1955 S. 1740, 1742, die Letzteren mit zahlreichen weiteren Literaturnachweisen.
Der hier vertretenen Auffassung steht das Urteil des 7. Senats des BSGer . vom 12. Juli 1955 - 7 RAr 18/54 - (BSG 1, 111) nicht entgegen, in dessen Gründen ausgeführt wird, daß die Zulassung der Berufung außerhalb des Bereichs der §§ 144 bis 149 SGG für das Revisionsgericht unbeachtlich sei. Denn der vom 7. Senat entschiedene Fall weicht insofern grundlegend von dem vorliegenden ab, als dort der (ursprünglich unterbliebene) Ausspruch über die Berufungszulassung erst später im Wege des Berichtigungsbeschlusses nachgeholt wurde, und zwar durch Ergänzung der Rechtsmittelbelehrung, während hier die Zulassung - völlig korrekt (§ 150 Nr. 1 SGG) - in der Urteilsformel selbst enthalten ist. Es kommt hinzu, daß das angeführte Urteil des 7. Senats ausdrücklich darauf abstellt, daß in jenem Fall die Zulassung der Berufung "offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt ist". Zu der Frage, ob bei Einlegung der Sprungrevision auf Grund einer "offensichtlich entgegen dem Gesetz" erfolgten Zulassung ebenfalls Vertrauensschutz im Interesse der Rechtssicherheit zuzubilligen wäre, hat der erkennende Senat jedoch - weil der vorliegende Sachverhalt dazu keinen Anlaß bot - nicht Stellung genommen. Einer Anrufung des Großen Senats nach § 42 SGG bedurfte es somit nicht.
Die Sprungrevision der Beklagten ist also statthaft. Sie ist formgerecht - mit Einwilligung des Klägers - eingelegt und auch begründet.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Juli 1955 - 3 RK 6/55 - (BSG 1, 158) entschieden hat, ist einem Invalidenrentner, dem vor Zustellung des Rentenbescheides von seiner bisherigen Krankenkasse Leistungen gewährt worden sind, bei Fortdauer des Versicherungsfalles die Zeit der schon gewährten Leistungen auf die Dauer der Leistungen nach der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 (RGBl. I S. 689) anzurechnen. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung hat der Senat dabei insbesondere auf § 212 Abs. 1 RVO verwiesen, der die Anrechnung bereits genossener Leistungen im Falle eines Kassenwechsels ausdrücklich vorschreibt.
Im vorliegenden Fall ist für eine unmittelbare Anwendung des § 212 RVO zwar kein Raum, da der Kläger hier - anders als in dem früher entschiedenen Fall - nach den Feststellungen des Vorderrichters von derselben Kasse ausgesteuert wurde, deren Mitglied er später auf Grund der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner geworden ist. Ein Wechsel der Kassenzugehörigkeit ist daher aus Anlaß des Übertritts des Klägers zur Rentnerkrankenversicherung nicht eingetreten. Dieser Unterschied im Sachverhalt ist für die rechtliche Beurteilung jedoch unerheblich. Entscheidend ist auch im vorliegenden Fall, daß die frühere, auf einem Beschäftigungsverhältnis beruhende und dann freiwillig fortgesetzte Krankenversicherung bei der Beklagten und die unmittelbar anschließend kraft Gesetzes begründete Krankenversicherung als Rentner keine getrennten Versicherungen mit voneinander völlig unabhängigen Leistungsvoraussetzungen und Leistungen darstellen. Beide, sowohl die gesetzliche Krankenversicherung nach dem Zweiten Buch der RVO als auch die Krankenversicherung der Rentner nach der Verordnung vom 4. November 1941, stellen trotz gewisser Besonderheiten der Rentnerkrankenversicherung nur Teile der einheitlichen sozialen Krankenversicherung dar. Aus ihrer Einheit ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die in einem früheren Stadium des Versicherungsablaufs gewährten Leistungen auf die Leistungen im weiteren Verlauf der Versicherung anzurechnen sind (vgl. Entwurf einer Reichsversicherungsordnung nebst Begründung, Reichstagsvorlage 1910 S. 162, Begründung zu § 225). Dieser Gedanke hat in § 212 Abs. 1 RVO einen besonders sinnfälligen Ausdruck gefunden, er ist jedoch an den unmittelbaren Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht gebunden. Es würde auch jeder inneren Folgerichtigkeit entbehren, eine Anrechnung der bisherigen Leistungen zwar im Falle eines Wechsels der Kassenzugehörigkeit vorzuschreiben, dagegen nicht bei Fortsetzung der alten Versicherung in der Form der Rentnerkrankenversicherung. Die Berücksichtigung einer vor Beginn der Rentnerkrankenversicherung eingetretenen Aussteuerung im Bereich desselben Versicherungsträgers ist hier - im Sinne einer nicht am Buchstaben haftenden Auslegung des § 212 Abs. 1 RVO - in gleicher Weise wie bei einem Übertritt von einer Kasse zu einer anderen Kasse gerechtfertigt und geboten.
Hiernach hat es die Beklagte mit Recht abgelehnt, dem Kläger erneut Krankenhauspflege zu gewähren. Die von dem Kläger gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten erhobene Klage ist somit unbegründet und war auf die Sprungrevision der Beklagten unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen