Leitsatz (redaktionell)
Bei der Durchsetzung des rückwärtigen Gebietes in Polen mit Partisanen handelt es sich weder um eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge - das Tätigwerden von Partisanen oder ihre Bekämpfung wären Kampfhandlungen iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst a - noch kann die Aufstellung von sogenannten Hilfswilligen- Verbänden, wie der SS-Landwacht, zum Zwecke der Wahrnehmung von Polizeiaufgaben und zur Partisanenbekämpfung als Hinterlassung eines kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst e angesehen werden; denn die Aufstellung derartiger Verbände ist keine unmittelbare Folge von kriegerischen Vorgängen, insbesondere von vorher abgeschlossenen Kampfhandlungen, und schafft für sich allein noch keine Gefahrenlage, die eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge darstellen könnte.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20, § 5 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1953-08-07, Buchst. e Fassung: 1953-08-07
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 10. November 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin ist am 13. Juni 1943 von einem kroatischen Angehörigen der SS-Landwacht in Polen erschossen worden. Er stand als Ladeschaffner im Dienste der Deutschen Reichsbahn und war in dieser Eigenschaft von seiner Heimatdienststelle, dem Hauptbahnhof I, zur Ostbahndirektion L abgeordnet worden. Den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung auf Grund der Personenschädenverordnung (PSchVO) vom 10. November 1940 lehnte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 29. August 1944 ab.
Im März 1951 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das Versorgungsamt lehnte den Antrag ab, weil der Tod des Ehemannes weder auf eine unmittelbare Kriegseinwirkung noch auf Gesundheitsschäden anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes zurückgeführt werden könne.
Auf die Berufung nach altem Recht hat das Oberversicherungsamt durch Urteil vom 3. Juni 1952 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Mai 1951 verurteilt, den Tod des Ehemannes der Klägerin als Folge unmittelbarer Kriegseinwirkung gemäß § 1 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG anzuerkennen und der Klägerin vom 1. März 1951 an Witwenrente nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Es hat festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin während seiner Abordnung nach dem Osten nicht der Wehrmacht unterstellt war, sondern als Ladeschaffner (blauer Eisenbahner) zur Osthahndirektion L gehörte, und hat ausgeführt, daß er unter Verhältnissen erschossen worden sei, die mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren verbunden gewesen seien, nämlich im Partisanengebiet mit seinen besonderen Polizeimethoden. Die Partisanengefahr und ihre Folgen seien nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen hätten. Außerdem sei der Tod als Folge eines militärähnlichen Dienstes unter entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 2 BVG anzusehen.
Der Beklagte hat Rekurs eingelegt, der nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht übergegangen ist. Das Landessozialgericht hat durch Urteil vom 10. November 1955 das Urteil des Oberversicherungsamts aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt, der Ehemann der Klägerin sei als sogenannter blauer Eisenbahner in die Ostgebiete abgeordnet gewesen und habe weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet. Da er keinen Dienst bei der Wehrmacht geleistet habe, komme eine Anwendung des § 3 Abs. 2 BVG nicht in Betracht. Der Anspruch könne auch nicht auf § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG gestützt werden, weil von dieser Vorschrift nur ein als Folge von Kampfhandlungen eingetretener Zustand örtlicher Verhältnisse erfaßt werde, der eine durch die vorangegangenen Kampfhandlungen verursachte besondere Gefahrenquelle passiver Art darstelle. Eine Kampfhandlung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG habe ebenfalls nicht vorgelegen; denn weder nachweislich noch wenigstens mit Wahrscheinlichkeit habe sich der SS-Landwachtmann in einem entschuldbaren Irrtum über die Person des Ehemannes der Klägerin befunden.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Oberversicherungsamts M vom 3. Juni 1952 zurückzuweisen;
2. hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 1, 3 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 sowie § 5 Abs. 1 Buchst. a und e BVG.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. November 1955 als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Landessozialgerichts für zutreffend.
Die Revision ist durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid des Versorgungsamts vom 29. August 1944 nicht nach § 85 Satz 1 BVG rechtsverbindlich ist. Denn diese Vorschrift bezieht sich nur auf den ursächlichen Zusammenhang im medizinischen Sinne zwischen einer Gesundheitsstörung und einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG (vgl. BSG. 4 S. 22 bis 23, S. 273 a. E. bis 274). Im vorliegenden Falle aber ist es seinerzeit nicht zu einer Entscheidung über diesen Zusammenhang gekommen. Vielmehr ist der Anspruch abgelehnt worden, weil der Ehemann der Klägerin nicht zu den Personen zähle, die unter die PSchVO fielen.
Auf Grund der bei der Eisenbahndirektion M geführten Personalakten hat das Landessozialgericht festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin als sogenannter blauer Eisenbahner in die Ostgebiete abgeordnet war. Diese Feststellung bindet nach § 163 SGG das Revisionsgericht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG. 4 S. 272 ff. (274)) ist der Dienst solcher Reichsbahnbediensteten kein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG. Ebensowenig kann § 3 Abs. 2 BVG Anwendung finden, weil zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Wehrmacht kein Vertragsverhältnis bestanden hat. Er stand vielmehr ausschließlich in Diensten bei der Reichsbahn, und auch diese stand ihrerseits nicht in einem Vertragsverhältnis zur Wehrmacht.
Der Senat hat auch keine Bedenken gegen die Auffassung des Landessozialgerichts, daß § 1 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG nicht als Anspruchsgrundlage angesehen werden kann. Die Auffassung der Revision über die Anwendbarkeit dieser Vorschrift trifft nicht zu. Weder handelt es sich bei der Durchsetzung des rückwärtigen Gebiets in Polen mit Partisanen um eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge - das Tätigwerden von Partisanen oder ihre Bekämpfung wären Kampfhandlungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG - noch kann die Aufstellung von sogenannten Hilfswilligen-Verbänden, wie der SS-Landwacht, zum Zwecke der Wahrnehmung von Polizeiaufgaben und zur Partisanenbekämpfung als Hinterlassung eines kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e BVG angesehen werden; denn die Aufstellung derartiger Verbände ist keine unmittelbare Folge von kriegerischen Vorgängen, insbesondere von vorher abgeschlossenen Kampfhandlungen, und schafft für sich allein noch keine Gefahrenlage, die eine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge darstellen könnte. Im übrigen mangelt es, und das übersieht die Revision, vorliegend an jedem Zusammenhang zwischen dem Aufstellen derartiger Hilfswilligen-Verbände und dem Tod des Ehemannes der Klägerin. Insoweit ist das Berufungsgericht auf Grund seiner das Revisionsgericht bindenden Feststellungen - die nicht angegriffen sind - zutreffend zu der Schlußfolgerung gelangt, die Erschießung sei eine Affekthandlung im Rahmen einer persönlichen Auseinandersetzung gewesen, die mit dem Kriegsgeschehen nichts zu tun gehabt habe. Infolgedessen hat das Landessozialgericht die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. a und § 5 Abs. 1 Buchst. c BVG nicht verletzt.
Soweit die Revision die unzutreffende Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG rügt, trägt sie selbst vor, daß das Landessozialgericht das Vorliegen einer Kampfhandlung im Sinne dieser Vorschrift auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen verneint hat, und daß diese tatsächlichen Feststellungen dem Revisionsangriff entzogen sind. Schon damit aber bleibt für eine Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG kein Raum mehr. Es bedurfte keiner Prüfung, ob es sich beim Aufstellen und Einsatz der sogenannten Hilfswilligen-Verbände um eine militärische Maßnahme gehandelt hat. Denn auch bei Bejahung dieser Frage könnte nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG ein Versorgungsanspruch nur begründet werden, wenn irgendwelche Kampfhandlungen vorgelegen hätten, was für das Revisionsgericht bindend verneint ist. Für die weitergehende Auslegung der Revision aber, daß es sich beim Einsatz der Hilfswilligen-Verbände zur Sicherung des rückwärtigen Front- und Nachschubgebietes um eine militärische Maßnahme gehandelt habe, deren Zusammenhang mit der Partisanenbekämpfung als Kampfhandlung nicht schlechthin verneint werden könne, bietet das Gesetz keine Möglichkeit. Vielmehr ist allein entscheidend, daß - wie bereits ausgeführt - eine Kampfhandlung beim Tode des Ehemannes der Klägerin nicht stattgefunden hat, um die Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG auszuschließen.
Danach ist die Revision nicht begründet. Sie war nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen