Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Neufeststellung. Umanerkennung ohne ärztliche Untersuchung gemäß § 86 Abs 3 BVG. wesentliche Änderung der Verhältnisse. maßgeblicher Zeitpunkt der Änderung
Orientierungssatz
1. Die Rechtsfrage, von welchem Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage auszugehen ist, ob in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs maßgebend sind, eine wesentliche Änderung iS des § 62 BVG eingetreten ist, hat der Senat am 17.8.1961 (Az: 8 RV 269/60 = BSGE 15, 26 = SozR Nr 12 zu § 62 BVG) bereits in dem Sinne entschieden, dass in den Fällen der vorliegenden Art (Umanerkennung ohne ärztliche Untersuchung gemäß § 86 Abs 3 BVG) der Zeitpunkt zugrunde zu legen ist, zu welchem der Bescheid nach dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz (juris: WFVG) ergangen ist. Mit dieser Entscheidung hat er die durch Urteil vom 21.1.1960 (Az: 8 RV 549/58 = BSG 11, 236) begonnene Rechtsprechung fortgeführt.
2. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist in tatsächlicher Hinsicht nicht deshalb anders gelagert, weil das Versorgungsamt zunächst die Rente ohne ärztliche Untersuchung um anerkannt, dann zum Zwecke der Neufeststellung der Rente nach § 86 Abs 3 BVG geprüft hat, ob der Kläger nachuntersucht werden soll und danach von der Möglichkeit abgesehen hat, die Rente ohne den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festzustellen. Die Verwaltung kann durch eine derartige Nachprüfung nicht den Zeitpunkt beeinflussen, der für den Vergleich der erhobenen Befunde maßgebend ist. Auch kann die damalige, intern gebliebene und dem Kläger durch einen Verwaltungsakt nicht mitgeteilte Auffassung der Verwaltung keine rechtliche Bedeutung für die Frage haben, ob und wann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.
Normenkette
BVG §§ 62, 86 Abs. 3; WFVG
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 12.04.1960) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 12. April 1960 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger erhielt wegen Granatsplitterverletzung der linken Achselhöhle und Schulter mit teilweiser Nervenlähmung Versehrtengeld nach Stufe I und Versehrtengeldzulage auf Grund des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes (WFVG) sowie des Einsatzwehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes (EWFVG) durch Bescheid vom 16. April 1941, dem das wehrmachtärztliche Zeugnis vom 12. Dezember 1940 zugrunde gelegen hatte. Mit Bescheid vom 12. April 1949 nahm die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen als damaliger Träger der Kriegsopferversorgung die Gewährung von Versorgung auf Grund des Hessischen Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (Hess. KBLG) ohne neue ärztliche Untersuchung auf und behielt die Bezeichnung der Schädigungsfolgen bei; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 30 v.H. festgesetzt. Die Versorgungsbezüge wurden, ebenfalls ohne ärztliche Untersuchung, durch Bescheid vom 26. Februar 1952 auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) umanerkannt , wobei Schädigungsfolgen und MdE wie im Bescheid vom 12. April 1949 beibehalten wurden. Eine Überprüfung der Versorgungsleistungen durch den Ärztlichen Dienst des Versorgungsamts (VersorgA) ergab am 9. April 1954, daß eine ärztliche Nachuntersuchung gemäß § 86 Abs. 3 BVG nicht erforderlich sei, weil die MdE angemessen sei. Gestützt auf das Gutachten des Vertragsarztes Dr. M... vom 8./23. November 1957 und den nervenfachärztlichen Befundbericht des Dr. H... vom 11. November 1957 hat das VersorgA eine wesentliche Änderung gegenüber dem Ergebnis der Untersuchung vom 12. Dezember 1940 angenommen, die MdE mit weniger als 25 v.H. (15 v.H.) eingeschätzt und durch Bescheid vom 3. Dezember 1957 die Rente mit Ablauf des Monats Januar 1958 entzogen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1958).
Der Kläger hat mit der Klage eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin beigebracht und geltend gemacht, eine Änderung im Befund sei nicht festgestellt worden. Durch Urteil vom 26. Januar 1959 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 12. April 1960 das Urteil des SG aufgehoben, den Bescheid vom 3. Dezember 1957 über die Entziehung der Rente abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. Februar 1958 an Rente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. In den Gründen ist ausgeführt, die Verwaltung habe geprüft, ob sie von der Möglichkeit des § 86 Abs. 3 BVG Gebrauch machen solle; damit habe sie es auf die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit der Umanerkennung abgestellt. Die Anwendung des § 62 BVG sei aber davon abhängig, daß der Umanerkennungsbescheid nach seinem Erlaß rechtswidrig geworden sei. Dieser Nachweis sei nicht geführt. Denn der Vertragsarzt Dr. M... habe über den Zeitpunkt des Eintritts der von ihm angenommenen Änderung keine Angaben gemacht; darüber hinaus sei auch eine objektiv festgestellte wesentliche Änderung in dem Gesundheitszustand des Klägers nicht nachgewiesen. Das LSG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, welcher Gesundheitszustand als Vergleichsgrundlage heranzuziehen ist, wenn die Umanerkennung ohne Nachuntersuchung erfolgt sei.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt zu erkennen:
"Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.4.1960 wird aufgehoben und die Berufung als unbegründet zurückgewiesen."
Hilfsweise:
"Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.4.1960 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen."
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 62 BVG und ist der Ansicht, durch die internen Erwägungen über die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung nach § 86 Abs. 3 BVG könne die Vergleichsgrundlage für die Feststellung einer Änderung der Verhältnisse nicht beeinflußt und das VersorgA nicht gehindert werden, nach § 62 BVG vorzugehen. Hierfür sei Vergleichsgrundlage der im Dezember 1940 beschriebene Gesundheitszustand. Demgegenüber sei - wie auch der Kläger nicht bestreite - eine wesentliche Änderung eingetreten.
Der Kläger hält die angefochtene Entscheidung für richtig und wendet sich gegen die in BSG 11, 236 ff abgedruckte Entscheidung. Er beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, ist sie zulässig.
Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Bei der Anwendung des § 62 BVG hat das LSG verkannt, von welchem Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage auszugehen ist, ob in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Senat hat diese Rechtsfrage am 17. August 1961 bereits in dem Sinne entschieden (BSG 15, 26 ff = SozR BVG § 62 Bl. Ca 12 Nr. 12), daß in Fällen der vorliegenden Art der Zeitpunkt zugrunde zu legen ist, zu welchem der Bescheid nach dem WFVG ergangen ist. Mit dieser Entscheidung hat er die durch Urteil vom 21. Januar 1960 (BSG 11, 236 ff) begonnene Rechtsprechung fortgeführt. Zu Unrecht hat das LSG angenommen, der hier zu entscheidende Sachverhalt sei in tatsächlicher Hinsicht deshalb anders gelagert, weil das VersorgA zunächst die Rente ohne ärztliche Untersuchung umanerkannt , dann zum Zwecke der Neufeststellung der Rente nach § 86 Abs. 3 BVG geprüft habe, ob der Kläger nachuntersucht werden solle und danach von der Möglichkeit abgesehen habe, die Rente ohne den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festzustellen. Wie der Beklagte mit der Revision zu Recht ausgeführt hat, kann die Verwaltung durch eine derartige Nachprüfung nicht den Zeitpunkt beeinflussen, der für den Vergleich der erhobenen Befunde maßgebend ist. Auch kann die damalige, intern gebliebene und dem Kläger durch einen Verwaltungsakt nicht mitgeteilte Auffassung der Verwaltung keine rechtliche Bedeutung für die Frage haben, ob und wann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.
Schließlich geben die Ausführungen des Klägers in der Revisionserwiderung keinen Anlaß, von der Entscheidung vom 17. August 1961 abzuweichen. Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Senat auch nicht zu der in BSG 7, 8 ff abgedruckten Entscheidung in Widerspruch. Er hat dies bereits im Urteil vom 21. Januar 1960 näher dargelegt. Ergänzend sei noch angeführt, daß in Fällen der vorliegenden Art, in denen nach § 86 Abs. 3 Halbs. 1 BVG die Versorgungsbezüge ohne ärztliche Nachuntersuchung nach dem BVG umanerkannt worden sind, die Verwaltung nicht etwa von einer irrigen Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse ausgegangen ist. Vielmehr hat sie hier von einer Möglichkeit Gebrauch gemacht, welche ihr das Gesetz zur beschleunigten Durchführung der Umanerkennung nach dem BVG eingeräumt hat. Durch diese besondere, gesetzlich eingeräumte Möglichkeit ist ein Umanerkennungsbescheid auch dann noch rechtmäßig, wenn ohne Berücksichtigung der zur Zeit seines Erlasses bestehenden Verhältnisse die Schädigungsfolgen entsprechend früheren ärztlichen Untersuchungen aus vorangegangenen Bescheiden übernommen worden sind. Der Gesetzgeber hat insoweit aus sozialpolitischen Gründen darauf verzichtet, die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit der Umanerkennung im einzelnen ermitteln zu lassen, und hat gestattet, daß andere aktenkundige Tatsachen als maßgebende Verhältnisse angenommen wurden. Der Kläger hat mit den Ausführungen in der Revisionserwiderung diese besondere, vom Gesetzgeber durch § 86 BVG geschaffene Rechtslage außer acht gelassen. Sie ist aber in der Entscheidung des Senats vom 17. August 1961 berücksichtigt werden. Dieses Urteil betrifft zwar einen Fall, in dem die frühere Rente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 festgestellt worden war. Mit der dort maßgebenden Vorschrift des § 14 Abs. II und III stimmt die des § 39 KBLG i.V.m. § 34 Erste Durchführungsverordnung zum KBLG vom 28. Januar 1950 (GVBl 1950, 40 ff) überein. Infolgedessen sind hier das wehrmachtärztliche Zeugnis vom 12. Dezember 1940 und das Gutachten des Vertragsarztes Dr. M... vom 8./23. November 1957 einander gegenüberzustellen. Dies hat das LSG verkannt.
Auf der unrichtigen Rechtsauffassung beruht die angefochtene Entscheidung. Dies ergibt sich zunächst aus den Ausführungen des Berufungsgerichts zum Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 1960 und der anschließenden Folgerung, es komme auf den Zeitpunkt des Umanerkennungsbescheides vom 26. Februar 1952 an. Hierauf fußend hat das LSG weiter geprüft, ob eine Änderung der Verhältnisse nach diesem Zeitpunkt durch das Gutachten des Vertragsarztes Dr. M... nachgewiesen sei, und hat diese Frage verneint. Zu Unrecht hat der Kläger aus den weiteren, in diesem Zusammenhang gemachten Ausführungen gefolgert, daß das Berufungsgericht habe feststellen wollen, die für die Rentenbewilligung maßgebenden Verhältnisse hätten sich auch gegenüber dem Zustand vom Dezember 1940 nicht geändert. Denn es hätte erwartet werden müssen, daß das LSG - wenn es aus diesem tatsächlichen Grunde der Berufung des Klägers stattgeben wollte - die Rechtsfrage der Anwendung des § 62 BVG, nämlich die Festlegung des maßgebenden Zeitpunktes, entweder unerörtert gelassen oder nicht entschieden, jedenfalls aber ihretwegen die Revision nicht zugelassen hätte, weil es nach seiner sachlich-rechtlichen Auffassung für die Entscheidung des Rechtsstreits hierauf nicht angekommen wäre. Da das LSG es ausdrücklich auf die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Umanerkennungsbescheides abgestellt und diese Rechtsansicht bei der Erörterung der tatsächlichen Verhältnisse nicht eingeschränkt hat, kann in den Darlegungen, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten, auch nicht etwa eine Eventualfeststellung erblickt werden. Der Annahme, das Berufungsgericht habe eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht festgestellt, steht ferner entgegen, daß es tatsächliche Feststellungen über den körperlichen Zustand des Klägers nicht getroffen hat. Es hat zwar einmal festgehalten, der Kläger habe den Eintritt einer wesentlichen Besserung zugegeben; andererseits aber führt es aus, er habe die vom Sachverständigen Dr. M... beschriebene Besserung bestritten. Hierauf kam es im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) nicht an. Der Wiedergabe eines Teils des von Dr. M... beschriebenen Befundes ist kein anderer Befund, auch kein anderes Zustandsbild gegenübergestellt. Deshalb fehlt es an Feststellungen darüber, ob die Verhältnisse sich wesentlich geändert haben oder nicht. Schließlich kann nicht angenommen werden, das LSG habe zum Ausdruck bringen wollen, unabhängig von einem Vergleichsgutachten müsse der von Dr. M... beschriebene Zustand mit einer MdE um zumindest 25 v.H. beurteilt werden. Denn dieser Sachverständige kommt zu einer Einschätzung mit nur 15 v.H., und das Gericht hätte im einzelnen darlegen müssen, inwieweit die in den Befunden beschriebenen Einschränkungen der Funktionstüchtigkeit einzelner Gliedmaßen die Erwerbsfähigkeit in höherem Grade beeinträchtigen, als von Dr. M... geschätzt worden ist. Derartige Ausführungen fehlen. Das angefochtene Urteil kann mithin nicht dahin ausgelegt werden, das LSG habe dartun wollen, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nach dem von Dr. M... erhobenen Befund mit zumindest 25 v.H. einzuschätzen.
Da das LSG sonach keine tatsächlichen Feststellungen für die Anwendung oder den Ausschluß des § 62 BVG getroffen hat, hat der Senat - obwohl die Revision begründet ist - eine Entscheidung in der Sache für untunlich gehalten. Er hat deshalb nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen