Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. September 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die beteiligten Krankenkassen – die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) und die beklagte Vereinigte Innungskrankenkasse (IKK) – streiten darüber, welche von ihnen für die im Betrieb des Beigeladenen D. (D.) beschäftigten Arbeitnehmer, die Beigeladenen zu 2) bis 6), zuständig ist. D., der früher eine Bäckerei und Konditorei in Altrip bei Ludwigshafen betrieb, verlegte seinen Betrieb später an einen stadtnahen Badestrand („Blaue Adria”). Nach Einbau einer Bäckereieinrichtung, einer kompletten Gaststättenküche und von 10 Hotelzimmern gab er in seinem, nunmehr als „Strandhotel” bezeichneten, Betrieb auch Speisen aus und beherbergte Gäste. Gleichwohl blieb er in der Handwerksrolle eingetragen und Mitglied der – zu den Trägerinnungen der Beklagten gehörenden – Bäckerinnung. Aus diesem Grund hält die Beklagte weiterhin ihre Zuständigkeit für die Betriebsangehörigen des D. für gegeben, während die Klägerin wegen des Wechsels im Betriebszweck die Arbeitnehmer als ihre Mitglieder beansprucht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen für die Zeit ab 1. April 1972 die Klägerin als zuständig angesehen, weil D. seitdem die eigene Herstellung von Backwaren aufgegeben habe, so daß sein Betrieb, der im übrigen als ein einheitlicher Gesamtbetrieb zu werten sei, kein handwerkliches Gepräge mehr trage (Urteil vom 21. September 1972).
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter: Solange eine Eintragung in der Handwerksrolle und eine Mitgliedschaft bei einer Trägerinnung einer IKK bestehe, könne es im Interesse der Rechtssicherheit auf Veränderungen im Tätigkeitsbereich eines Handwerksbetriebs nicht ankommen. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 17. Juli 1969 in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die übrigen Beteiligten haben sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert.
II
Die Revision der beklagten IKK ist unbegründet. Das LSG hat die beigeladenen Arbeitnehmer für die Zeit ab 1. April 1972 mit Recht als Mitglieder der klagenden AOK angesehen.
Nach § 250 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehören in eine IKK – nicht in die örtlich zuständige AOK (§ 234 RVO) – die versicherungspflichtigen Beschäftigten eines Betriebes, mit dem der Inhaber in die Handwerksrolle eingetragen und zugleich Mitglied einer Trägerinnung der IKK ist. Dabei haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu prüfen, ob die Eintragung in die Handwerksrolle und die Mitgliedschaft in der Trägerinnung zu Recht bestehen. Über die Eintragung in die Handwerksrolle – sie hängt vor allem davon ab, ob der Betrieb handwerksmäßig geführt wird und der Inhaber die persönlichen Eintragungsvoraussetzungen erfüllt – hat allein die dafür zuständige Handwerkskammer zu entscheiden (§ 6 der Handwerksordnung vom 28. Dezember 1965). Ihre positive Entscheidung haben die Sozialgerichte, jedenfalls soweit sie nicht offensichtlich rechtswidrig (nichtig) ist, ohne weitere Prüfung hinzunehmen und wie eine Tatsache ihrer eigenen Entscheidung zugrunde zu legen; entsprechendes gilt für die Entscheidung der Innungsorgane über die Aufnahme in eine Trägerinnung (vgl. BSG 28, 111).
Nicht erfaßt von dieser „Tatbestandswirkung” wird dagegen die Frage, ob das Gewerbe, mit dem jemand in die Handwerksrolle eingetragen und in eine Trägerinnung aufgenommen worden ist, ein selbständiger Betrieb im Sinne des § 250 RVO ist oder nur ein unselbständiger Teil einer größeren Einheit (Gesamtbetrieb). Diese – nicht spezifisch handwerksrechtliche – Frage haben die Sozialgerichte grundsätzlich in eigener Kompetenz zu entscheiden. Wird sie im Sinne eines selbständigen Betriebs entschieden, so gehören die in diesem Betrieb Beschäftigten in die IKK, auch wenn der Arbeitgeber daneben noch andere Betriebe hat, mit denen er nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist oder nicht einer Trägerinnung der IKK angehört, so daß die in ihnen Beschäftigten nicht Mitglieder der IKK sein können. Handelt es sich dagegen um einen einheitlichen Gesamtbetrieb, so kann auch die Kassenzugehörigkeit der darin Beschäftigten nur einheitlich, nicht für die einzelnen Betriebsteile verschieden beantwortet werden (Grundsatz der versicherungsrechtlichen Einheit des Betriebs, wie er vor allem für Betriebskrankenkassen entwickelt worden ist, aber auch für andere Krankenkassen gilt, vgl. § 244 RVO; BSG 18, 190, 194 f; 29, 21, 26; SozR Nr. 12 zu § 250 RVO).
Sind also Arbeitnehmer, deren Kassenzugehörigkeit streitig ist, bei einem Arbeitgeber beschäftigt, der mehrere Gewerbe betreibt, aber nicht mit allen in die Handwerksrolle eingetragen und Mitglied einer Trägerinnung einer IKK ist, so hat das von den Beteiligten angerufene Sozialgericht zunächst zu prüfen, ob den mehreren gewerblichen Betätigungen mehrere Betriebe entsprechen. Ist dies der Fall, so ist für die Beschäftigten des handwerklichen Betriebes die IKK, für die übrigen die AOK zuständig (vgl. SozR Nr. 7 zu § 250 RVO). Liegt dagegen ein einheitlicher Gesamtbetrieb vor, so ist weiter zu prüfen, ob das handwerkliche Gewerbe als unselbständige Betriebsabteilung einem nichthandwerklichen Gesamtbetrieb oder umgekehrt das nichthandwerkliche Gewerbe einem handwerklichen Gesamtbetrieb eingegliedert ist, der Charakter des Betriebes also durch den nichthandwerklichen oder durch den handwerklichen Betriebsteil geprägt wird. Im ersten Fall ist für sämtliche Arbeitnehmer des Gesamtbetriebs die AOK, im zweiten Teil die IKK zuständig. Ob das eine oder andere zutrifft, wird im einzelnen nicht immer leicht zu entscheiden sein, sofern nicht die Eintragung als Nebenbetrieb (§ 7 Abs. 5 Handwerksordnung) insoweit einen Hinweis gibt (vgl. SozR Nr. 12 zu § 250 RVO); über entsprechende Fragen muß aber auch sonst von den Sozialgerichten entschieden werden (vgl. für Betriebskrankenkassen BSG 29, 21, 24 f; 32, 177 f). Von Bedeutung ist dabei vor allem, in welchem Verhältnis sich die Beschäftigten mit den auf sie entfallenden Lohnsummen, ferner die sächlichen Betriebsmittel (Anlage- und Betriebskapital) und die Umsätze auf die verschiedenen Gewerbezweige verteilen, ob sie mehr dem handwerklichen oder mehr dem nichthandwerklichen Teil des Gesamtbetriebs zuzurechnen sind (vgl. § 1 Abs. 2 der Handwerksordnung: „… in wesentlichen Tätigkeiten” ein Handwerksbetrieb). Zu berücksichtigen ist auch die Bezeichnung, die der Inhaber seinem Betrieb selbst gegeben hat und in der sich nicht selten seine Auffassung von dem im Betrieb vorherrschenden, ihn prägenden Gewerbezweig ausdrückt.
Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene D. ursprünglich allein eine Bäckerei und Konditorei betrieben, und zwar handwerksmäßig, wie sich aus einer entsprechenden, bisher offenbar nicht gelöschten Eintragung in der Handwerksrolle ergibt. Von der Richtigkeit dieser Eintragung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren auszugehen. Ob dagegen die von ihm später – nach Verlegung des Betriebs an den Badestrand „Blaue Adria” – hinzugenommenen Gewerbezweige (Ausgabe von Speisen, Unterbringung von Gästen), die als solche nicht handwerksmäßig oder handwerksähnlich betrieben werden können (vgl. Anlagen A und B zur Handwerksordnung), selbständige Betriebe waren oder, wenn dies zu verneinen ist, als unselbständige Betriebsteile der Konditorei eingegliedert worden sind oder aber umgekehrt die Konditorei unselbständiger Betriebsteil eines neuen Gesamtbetriebs (Gastwirtschaft oder Hotel) geworden ist, haben für das anhängige Verfahren die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden.
Daß die genannten gewerblichen Tätigkeiten nicht jeweils selbständige Betriebe, sondern nur Teile eines – alle diese Tätigkeiten umfassenden und von D. als „Strandhotel” bezeichneten – Gesamtbetriebs waren, hat das LSG unter Würdigung der insoweit erheblichen Umstände (einheitliche Buchführung, Verwendung der Arbeitnehmer in allen Betriebsteilen je nach Bedarf) zutreffend ausgeführt; auch die Revisionsklägerin hat insoweit keine Einwände erhoben. Damit ist jedoch nicht die Frage beantwortet, ob die in dem Betrieb Beschäftigten, deren Kassenzugehörigkeit wegen der Einheit des Betriebes nur einheitlich beurteilt werden kann, Mitglieder der klagenden AOK oder der beklagten IKK sind.
Daß es insofern nicht auf die – noch bestehende – Eintragung einer Bäckerei und Konditorei in der Handwerksrolle ankommt, weil zu dieser später andere – nichthandwerkliche – Tätigkeiten hinzugekommen sind, auf die sich die Eintragung nicht bezieht (vgl. SozR Nr. 12 zu § 250 RVO), hat das LSG richtig erkannt. Auch der weiteren Erwägung des LSG, daß der Betrieb des D. nach Aufgabe der eigenen Herstellung von Backwaren im Frühjahr 1972 nicht mehr durch das früher ausgeübte Bäcker- und Konditorhandwerk geprägt worden sei, ist im Ergebnis beizutreten. Dabei kann dahinstehen, ob nicht die Bäckerei und Konditorei schon vor ihrer Aufgabe nur ein unselbständiger Teil eines nichthandwerklichen Gesamtbetriebs (Gastwirtschaft oder Hotel) war. Jedenfalls von dem genannten Zeitpunkt an bestand kein Handwerksbetrieb mehr, dem sich die anderen nichthandwerklichen Tätigkeiten als unselbständige Teile hätten ein- und unterordnen können, so daß spätestens seit dem 1. April 1972 die im Betrieb Beschäftigten Mitglieder der klagenden AOK geworden sind.
Da sich das angefochtene Urteil somit im Ergebnis als richtig erweist, hat der Senat die Revision der beklagten IKK als unbegründet zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten nach § 193 Abs. 1 und 4 des Sosialgerichtsgesetzes einander nicht zu erstatten.
Unterschriften
Spielmeyer, Dr. Schmitt, Dr. Straub
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.02.1974 durch Schäfers Reg.Hauptsekretär Schriftführer
Fundstellen
Haufe-Index 707764 |
BSGE, 135 |