Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.08.1987)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. August 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für 14 Tage zu den Kosten einer Alkoholentziehungskur 5,– DM je Kalendertag zuzuzahlen hat.

Mit Bescheid vom 16. August 1984 bewilligte die Beklagte dem Kläger als medizinische Maßnahme zur Rehabilitation eine stationäre Alkoholentziehungskur. Sie gewährte ihm für die Dauer dieses Heilverfahrens (19. Oktober bis 21. Dezember 1984) Übergangsgeld iH der zuletzt vor Beginn des Heilverfahrens bezogenen Arbeitslosenhilfe (= 39,35 DM werktäglich).

Mit Bescheid vom 1. April 1985 forderte die Beklagte vom Kläger zu den Kosten der stationären Heilbehandlung für 14 Tage je 5,– DM, insgesamt 70,– DM. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1985).

Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen. Nach § 42 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) iVm Art 2 § 3c Abs 3 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) hätten Versicherte und Rentner bei stationären Heilbehandlungen, die sie nach dem 31. Dezember 1982 anträten, zuzuzahlen. Die Vorschrift entspreche den §§ 1243 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und 20 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Befinde sich der Betreute in einer stationären Heilbehandlung, die der Krankenhauspflege vergleichbar sei oder sich an diese ergänzend anschließe, seien vom Beginn der Heilbehandlung an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 14 Tage 5,– DM (statt 10,– DM bei stationärer Heilbehandlung in einer Kureinrichtung) je Kalendertag zuzuzahlen (§ 42 Abs 2 RKG iVm § 184 Abs 3 RVO). Zu den mit der Krankenhauspflege vergleichbaren Arten der stationären Heilbehandlung gehöre nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers die stationäre Behandlung Abhängigkeitskranker. Auch die stationäre Entwöhnungsbehandlung, zu der sich der Kläger in der Zeit vom 19. Oktober bis 21. Dezember 1984 in der zur Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigen konzessionierten Fachklinik aufgehalten habe, begründe die Zuzahlungspflicht nach § 42 Abs 2 RKG. Entgegen der Ansicht des SG entfalle die Zuzahlungspflicht des Klägers aber nicht nach § 42 Abs 4 RKG. Nach dieser Vorschrift hätten nur die Bezieher eines nach § 40b RKG begrenzten Übergangsgeldes für die Zeit des Bezuges von Übergangsgeld keine Zuzahlung zu leisten. Zu diesem Personenkreis sei der Kläger nicht zu rechnen. § 42 Abs 4 RKG dürfe auch nicht entsprechend auf Bezieher eines nach § 40 Abs 3 RKG berechneten Übergangsgeldes angewendet werden. Allerdings sei dem SG zuzugeben, daß der Personenkreis derer, die ein nach § 40 Abs 3 RKG iH von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld berechnetes Übergangsgeld bezögen, in der Regel finanziell schlechter dastehe, als die Bezieher eines zwar nach § 40b RKG begrenzten, jedoch wie Krankengeld berechneten Übergangsgeldes, die der Gesetzgeber von der Zuzahlung befreie, um sie nicht – durch die Begrenzung des Übergangsgeldes einerseits, die Verpflichtung zur Zuzahlung zur stationären Heilbehandlung andererseits – doppelt zu belasten. Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 42 Abs 4 RKG auf die Bezieher von Übergangsgeld nach § 40 Abs 3 RKG sei nämlich, daß der Gesetzgeber mit dem Gesetzeswortlaut das erkennbare Gesetzesziel verfehlt hätte oder daß insoweit eine offensichtlich planwidrige Gesetzeslücke bestünde. Wie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeige, liege jedoch darin kein Versehen, daß der genannte Personenkreis nicht in den Kreis der nach § 42 Abs 4 RKG von der Zuzahlung befreiten Versicherten aufgenommen worden sei.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 42 Abs 4 RKG. Das Berufungsgericht habe verkannt, daß durch diese Vorschrift die Zuzahlung zu den Kosten des Heilverfahrens hier ausgeschlossen sei. Zwar komme eine direkte Anwendung des § 42 Abs 4 RKG nicht in Betracht. Die Norm müsse aber auf Bezieher von Übergangsgeld in Höhe der Arbeitslosenhilfe analog angewendet werden. Die Analogie rechtfertige sich, weil diese Personengruppe praktisch finanziell wesentlich schlechter gestellt sei als die Übergangsgeldbezieher, deren Leistungen nach § 40b RKG begrenzt seien. Entgegen der Auffassung des LSG liege ein Versehen des Gesetzgebers vor. Die Nichtanwendung des § 42 Abs 4 RKG auf Bezieher von Arbeitslosenhilfe würde im übrigen zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führen, weil die finanziell schlechter gestellten Personen auch noch der zusätzlichen Belastung ausgesetzt würden, die der Gesetzgeber gerade für die Personengruppe des § 40b RKG habe ausschließen wollen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. August 1987 und den Bescheid der Beklagten vom 1. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1985 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, die Ablehnung einer analogen Anwendung des § 42 Abs 4 RKG verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Ein sachlich gerechtfertigter Grund für die unterschiedliche Behandlung der vom Kläger angeführten Personengruppen ergebe sich aus der Tatsache der unterschiedlichen Belastung. So seien die Empfänger eines nach § 40b RKG geminderten Übergangsgeldes von der Zuzahlung befreit, weil sie ansonsten neben dem gekürzten Übergangsgeld eine weitere Belastung hätten. Die Bezieher von Leistungen der Arbeitsverwaltung erhielten gemäß § 40 Abs 3 RKG während der Rehabilitationsmaßnahme die Barleistung in gleicher Höhe wie vor der Heilbehandlung.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte und das LSG haben zu Recht angenommen, daß der Kläger verpflichtet ist, zu den Kosten der Alkoholentziehungskur insgesamt 70,– DM zuzuzahlen. Es besteht weder nach § 42 Abs 2 RKG eine Befreiungsmöglichkeit von der Zuzahlungspflicht, noch kann die Vorschrift des § 42 Abs 4 RKG auf den vorliegenden Fall analog angewandt werden.

Da der Kläger sich vom 19. Oktober bis zum 21. Dezember 1984 in einer stationären Alkoholentziehungskur befunden hat, die der Krankenhauspflege vergleichbar ist, gilt gemäß § 42 Abs 2 RKG die Vorschrift des § 184 Abs 3 der RVO entsprechend. Danach hat der Versicherte vom Beginn der Krankenhauspflege an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 14 Tage 5,– DM je Kalendertag an das Krankenhaus zu zahlen (§ 184 Abs 3 Satz 1 RVO). Von dieser Zuzahlungspflicht sind nur Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres befreit. Außerdem gilt die Zahlungspflicht nicht für die Zeit einer teilstationären Krankenhauspflege (§ 184 Abs 3 Satz 2 RVO). Darüber hinaus macht das Gesetz keine Ausnahmen von der Zuzahlungspflicht, insbesondere kennt es keine Härteregelung wie in § 184a Abs 2 Satz 4 RVO und § 42 Abs 5 RKG. Zwar kann es verfassungsrechtlich bei einer Gesamtregelung, die in einer größeren Zahl von Fällen zu Härten führt, geboten sein, daß das Gesetz zum Ausgleich von Unstimmigkeiten der generalisierenden gesetzlichen Normierung eine Härteklausel vorsieht (vgl dazu BVerfGE 43, 291, 378; 65, 116, 228 und 74, 203, 217 f). Bei der Eigenbeteiligungsvorschrift des § 184 Abs 3 RVO verstößt das Fehlen einer Härtefallregelung aber nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung (Art 3 des Grundgesetzes -GG-). Mit dieser Frage hat sich bereits der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG in seinem Urteil vom 12. Oktober 1988 – 3/8 RK 15/87 –; zur Veröffentlichung bestimmt) befaßt und ua darauf hingewiesen, daß sich die gesetzlich vorgesehene Eigenbeteiligung von 5,– DM täglich unter Berücksichtigung der Kostenersparnis des Versicherten im Rahmen der Handlungsfreiheit des Gesetzgebers halte und deshalb verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG nicht zu beanstanden sei. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat aufgrund eigener Prüfung an.

Auch eine analoge Anwendung des § 42 Abs 2 RKG auf Bezieher von Übergangsgeld in Höhe der Arbeitslosenhilfe (§ 40 Abs 3 RKG) kommt nicht in Betracht. Wie das LSG unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 9/2074 zu Art 20 Nr 3; 9/2283 zu Art 20 Nr 3 und BT-Drucks 9/2074 zu Art 18 Nr 5, S 99) zutreffend dargelegt hat, hat der Gesetzgeber die Befreiung von der Zuzahlungspflicht bewußt nur für den Personenkreis vorgesehen, der Übergangsgeld bezieht, das nach § 40b RKG begrenzt ist, und bei denjenigen Personen, die sich einer sonstigen stationären Heilbehandlung unterziehen, die mit der Krankenhauspflege nicht vergleichbar ist und für die der Versicherte zu den Aufwendungen 10,– DM pro Tag zuzahlen muß (§ 42 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 RKG). Die vom Kläger gewünschte analoge Anwendung des § 42 Abs 4 RKG scheitert zwar nicht daran, daß es sich bei der Bestimmung um eine Ausnahmevorschrift handelt. Denn auch Ausnahmevorschriften können auf ähnlich gelagerte – vom Gesetz nicht erfaßte – Fälle analog angewendet werden (BSGE 10, 244, 247; 37, 46, 48 und 57, 195, 196). Voraussetzung ist dabei aber immer, daß eine Gesetzeslücke besteht (BSGE 14, 238, 241). Die analoge Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfaßte Sachverhalte ist geboten, wenn die Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessen auch den nicht geregelten Fall hätte einbeziehen müssen. Sie ist aber ausgeschlossen, wenn durch sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers vereitelt würde (BSGE 61, 146, 147). Letzteres wäre hier jedoch der Fall, wenn der Senat § 42 Abs 4 auch auf Übergangsgeldbezieher im Falle einer mit der Krankenhauspflege vergleichbaren stationären Heilbehandlung analog anwenden wollte. Wie insbesondere die Gesetzesmaterialien zu § 184 RVO (BT-Drucks 9/274, S 99) deutlich machen, hält der Gesetzgeber eine Zuzahlung von 5,– DM zur stationären Krankenhauspflege ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommes für zumutbar. Die Ausnahme des § 42 Abs 4 RKG ist nur gemacht worden, um eine nochmalige Belastung des Personenkreises, dessen Übergangsgeld bereits nach § 40b RKG begrenzt ist, zu vermeiden. Damit ist aber auch die Interessenlage der Personengruppe, die von § 42 Abs 4 RKG erfaßt wird, nicht mit der der Übergangsgeldbezieher in Höhe der Arbeitslosenhilfe (§ 40 Abs 3 RKG) zu vergleichen. Die vom Kläger gewünschte Analogie würde deshalb gegen die erkennbare Regelungsabsicht des Gesetzes verstoßen. Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174590

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