Leitsatz (amtlich)
Das Bundessozialgericht vertritt auch dann "nachträglich" eine abweichende Rechtsauffassung, wenn sein maßgebendes Urteil zwar vor der früheren Entscheidung - der Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts - verkündet, aber erst nach ihr veröffentlicht worden ist.
Leitsatz (redaktionell)
Ein Berichtigungsbescheid aufgrund der SVA 11 Nr 26 muß die gleichen strengen Voraussetzungen erfüllen, die durch die ständige Rechtsprechung zu dem im Wortlaut entsprechenden KblG Art 30 Abs 4 (BSG 1, 60 f; 6, 291) aufgestellt sind.
Der Anspruch auf Erteilung eines neuen Bescheides nach KOV-VfG § 40 Abs 2 ist in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die abweichende Rechtsauffassung des BSG in einem noch anhängigen Verfahren - sei es auch durch Einlegung eines Rechtsmittels - hätte geltend gemacht werden können. Die nachträglich vertretene Rechtsauffassung des BSG muß dem Berechtigten bekannt sein. Dabei kommt es nicht allein darauf an, wenn er von der abweichenden Rechtsauffassung des BSG tatsächlich Kenntnis erhalten hat. Vielmehr ist das objektive Merkmal zugrunde zu legen, wann er sie hat erfahren können. Dies ist regelmäßig durch die Veröffentlichung der für den Einzelfall maßgebenden Entscheidung des BSG möglich, wobei die Veröffentlichung allein des Leitsatzes noch nicht ausreicht.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02; KBLG BY Art. 30 Abs. 4; SVAnO 11 Nr. 26
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. Januar 1961 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger hatte vom Versorgungsamt (VersorgA) Lötzen auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. wegen belangloser Brustnarben, Hautnarben am rechten Knie, Krampfaderbildung an beiden Unterschenkeln, rechts mit Geschwürsbildungen, entstanden durch Schußverletzungen, bezogen. Durch Bescheid vom 12. Juli 1948 wurden nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 Schädigungsfolgen und Rentenhöhe nach einer ärztlichen Untersuchung übernommen. Gestützt auf das Ergebnis der Untersuchung durch den Facharzt für Chirurgie Dr. I... vom 11. November 1949 erteilte der Beklagte gemäß Nr. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 den Berichtigungsbescheid vom 21. Dezember 1949, erkannte den ursächlichen Zusammenhang der Krampfaderbildung mit Einwirkungen des Kriegsdienstes nicht mehr an und entzog die Rente mit Ablauf des Januar 1950. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Auf seine Berufung nach altem Recht hat das Oberversicherungsamt (OVA) durch Urteil vom 4. Dezember 1950 den Berichtigungsbescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, über den Januar 1950 hinaus Rente nach einer MdE um 80 v.H. zu gewähren. Nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Beklagte gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 1 SGG Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf Grund eines Termingutachtens durch Urteil vom 2. Mai 1958 das Urteil des OVA aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit Schreiben vom 28. August 1958 beantragte der Kläger beim VersorgA, die Rechtslage zu überprüfen, weil nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. November 1957 (BSG 6, 106 ff) eine Berichtigung nur zulässig sei, wenn die Unrichtigkeit des zu berichtigenden Bescheides außer Zweifel stehe. Diese Voraussetzung habe auch nach der SVA Nr. 11 vorliegen müssen. Zu der gleichlautenden Vorschrift des Art. 30 Abs. 4 des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) habe dies das BSG am 10. Juni 1955 (BSG 1, 56) ausgesprochen. Durch formlose Mitteilung vom 9. September 1958 hat das VersorgA die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) abgelehnt, weil ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Wehrdienst nicht vorliege. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) hat unter dem 25. November 1958 die Ablehnung des VersorgA formlos bestätigt.
Der Kläger hat Klage erhoben und sich auf seine früheren Ausführungen bezogen; die Auffassung der Versorgungsverwaltung habe "in rechtlicher Hinsicht" einige Lücken aufzuweisen. Das Sozialgericht (SG) hat ein Termingutachten eingeholt und durch Urteil vom 8. Oktober 1959 die Klage abgewiesen. Es hat den ursächlichen Zusammenhang des Krampfaderleidens mit Schädigungen des ersten Weltkrieges nicht für wahrscheinlich erachtet und einen Ermessensfehler der Versorgungsverwaltung verneint.
Mit der Berufung hat der Kläger sich auf sein früheres Vorbringen bezogen und die ärztliche Bescheinigung des Facharztes für innere Krankheiten Dr. H... vom 4. Januar 1960 vorgelegt. Das LSG hat das Gutachten der Ärzte der Städtischen Krankenanstalten Itzehoe, Chirurgische Abteilung, vom 31. Oktober 1960 eingeholt und den Facharzt für Chirurgie Dr. H... als Terminsachverständigen gehört. Durch Urteil vom 4. Januar 1961 hat es das Urteil des SG und die Verwaltungsakte vom 25. November 1958 und 9. September 1958 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger mit einem "Zugunstenbescheid" Beschädigtenrente nach einer MdE um 80 v.H. vom 1. August 1958 an zu gewähren. Es hat ausgeführt, die Entscheidung des LSG vom 2. Mai 1958 brauche deshalb nicht berücksichtigt zu werden, weil sie auf Grund der damaligen Beweisaufnahme von unrichtigen tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen sei. Nach dem Ergebnis der neuen Beweisaufnahme sei der ursächliche Zusammenhang zwischen den Krampfadern und schädigenden Einwirkungen während des ersten Weltkrieges wahrscheinlich. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinisen LSG in Schleswig vom 4. Januar 1961 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 141 SGG.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er macht keine Ausführungen.
Der Beklagte hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist zwar vom LSG nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Es findet aber statt, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150).
Das VersorgA hat den Antrag des Klägers vom 28. August 1958 nur nach § 40 Abs. 1 VerwVG geprüft und nicht für sachlich gerechtfertigt angesehen; dementsprechend hat es keinen förmlichen Bescheid erlassen. Auf die weiteren Vorstellungen des Klägers beim LVersorgA hat dieses keinen förmlichen Widerspruchsbescheid erlassen, sondern nur formlos - ohne Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung - die Auffassung des VersorgA gebilligt. Die Verwaltung wäre hier aber durch die nachgesuchte Überprüfung der Sach- und Rechtslage, insbesondere durch den Hinweis auf die abweichende Rechtsprechung des BSG, nach § 40 Abs. 2 VerwVG verpflichtet gewesen, einen förmlichen Bescheid zu erteilen. Aus diesem Grunde konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß trotz unterbliebener Rechtsmittelbelehrungen das VersorgA und das LVersorgA das Verwaltungsverfahren und das Vorverfahren ordnungsgemäß, wenn auch ohne ordnungsgemäße Bescheide, durchgeführt haben und daß damit gegen die Gültigkeit des gerichtlichen Verfahrens keine Bedenken bestehen.
Der Beklagte hat eine Verletzung des § 141 SGG gerügt. Nach dieser Vorschrift binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Deshalb ist zunächst zu prüfen 5 über welchen Streitgegenstand in den beiden Berufungsverfahren durch die Urteile vom 2. Mai 1958 und vom 4. Januar 1961 entschieden worden ist. Im ersten Verfahren ... nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 SGG war zwar streitig, ob der auf Nr. 26 SVA Nr. 11 gestützte Berichtigungsbescheid vom 21. Dezember 1949 rechtmäßig gewesen ist. Hier konnte das LSG gemäß § 214 Abs. 2 Satz 1 SGG jedoch nur über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung - hier des Krampfader- und Geschwürleidens - mit einer Schädigung im Sinne der SVD Nr. 27 und des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entscheiden. Es hat im Urteil vom 2. Mai 1958 diesen ursächlichen Zusammenhang als nicht wahrscheinlich angesehen und entschieden, dem Kläger stehe kein Versorgungsanspruch zu. Bei seiner Entscheidung ist es davon ausgegangen, Nr. 26 der SVA Nr. 11 setze nicht voraus, daß sich der zu berichtigende Bescheid als von vornherein in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unrichtig erweisen müsse; eine Berichtigung nach dieser Vorschrift sei schon dann zulässig gewesen, wenn der Rentenanspruch bei einer neuen Prüfung seiner Voraussetzungen sich nicht als berechtigt erweise; es bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen der Rechtslage nach der SVA Nr. 11 und der nach dem Bayer. KBLG - Art. 30 Abs. 4 -. Bei dieser Sach- und Rechtslage hätte nach der Auffassung des LSG die Anerkennung des Krampfaderleidens als Schädigungsfolge nur anerkannt bleiben können, wenn es mit Wahrscheinlichkeit auf den Wehrdienst hätte zurückgeführt werden können. Auf Grund der gehörten Sachverständigen hat es diese Frage verneint. Das jetzt angefochtene Urteil vom 4. Januar 1961 hat ebenfalls über diesen ursächlichen Zusammenhang entschieden. Der Kläger hatte einen neuen Bescheid zwar deshalb beantragt, weil nach seiner Ansicht das BSG nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten habe, als dein Urteil des LSG vom 2. Mai 1958 zugrunde gelegen habe. Auf diese Frage einer geänderten Rechtsauffassung sind die Verwaltungsbehörden und das SG nicht eingegangen, sondern haben nur untersucht, ob der Beklagte sich nach erneuter sachlicher Überprüfung des Falles davon hätte überzeugen müssen, daß er den ursächlichen Zusammenhang zu Unrecht verneint und deshalb die Gewährung von Leistungen zu Unrecht abgelehnt habe. Auch das LSG hat nur über diesen Streitpunkt entschieden und hat nicht geprüft, ob das BSG nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, als dem Urteil vom 2. Mai 1958 zugrunde gelegen hatte. Das LSG glaubte, an diese Entscheidung nicht gebunden zu sein, weil sie sich auf einen unvollständigen medizinischen Befund gestützt habe und deshalb die Vermutung für ihre Richtigkeit nicht mehr bestehe (vgl. angefochtene Entscheidung S. 10 Abs. 2 am Ende). Diese Rechtsauffassung ist irrig. Vielmehr hätte das LSG beachten müssen, daß der in den beiden Urteilen vom 2. Mai 1958 und 4. Januar 1961 entschiedene Streitgegenstand der gleiche, nämlich der ursächliche Zusammenhang des Krampfader- und Geschwürleidens mit einer Schädigung, gewesen ist. Infolgedessen hat das LSG gegen die Vorschrift des § 141 SGG verstoßen.
Da somit der gerügte wesentliche Mangel des Verfahrens vorliegt, ist die nicht zugelassene Revision des Beklagten statthaft und zulässig.
Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.
Das angefochtene Urteil hat zwar den vom Kläger erhobenen Anspruch und damit den Streitgegenstand des Verfahrens verkannt, stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar.
Der Senat hat zunächst geprüft, ob die Rechtskraft des Urteils des LSG vom 2. Mai 1958 gemäß § 141 Abs. 1 SGG einer neuen Entscheidung entgegengestanden hat. Der Streitgegenstand des zweiten Berufungsverfahrens nach dem SGG ist aus dem Vorbringen des Klägers vor dem LSG - insbesondere aus dem Antrag in der Berufungsschrift - nicht eindeutig zu entnehmen. Deshalb mußte zuerst untersucht werden, welchen Anspruch der Kläger in Verwaltungsverfahren und im ersten Rechtszug erhoben hat. Er hatte zwar allgemein die Erteilung eines neuen Bescheides gemäß § 40 VerwVG beantragt, weil seines Erachtens das BSG eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hatte. Aus den Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG war aber zu entnehmen, daß er mit seinem Antrag eine Nachprüfung nach § 40 Abs. 2 VerwVG erstrebt hatte. Sein Hinweis auf die Entscheidung des 9. Senats vom 15. November 1957 (BSG 6, 106 ff) ging zwar fehl; denn diese Entscheidung befaßt sich mit der Vorschrift des § 41 VerwVG und erwähnt nur am Rande den Art. 30 Abs. 4 KBLG (BSG 6, 111), ohne ihn auszulegen. Die Verwaltung hat den Antrag des Klägers nicht etwa aus diesem Grunde, sondern - ohne auf dieses Vorbringen einzugehen - allein deshalb abgelehnt, weil nach der rechtskräftigen Entscheidung des LSG vom 2. Mai 1958 der ursächliche Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einer Schädigung nicht wahrscheinlich sei. Demgegenüber hat sich der Kläger mit der Klage, ohne den Kausalzusammenhang eingehend zu behandeln, auf seine Ausführungen im Antrag auf Erteilung eines neuen Bescheides bezogen und hat vorgetragen, nach seiner Auffassung seien in rechtlicher Hinsicht einige Lücken zu verzeichnen, die er nicht hinnehmen wolle. Damit war in dem Verfahren vor dem SG Streitgegenstand in erster Linie die Frage, ob das BSG in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, als der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegen hat (§ 40 Abs. 2 VerwVG aF). Hierauf ist das SG nicht eingegangen, sondern hat nach Beweisaufnahme geprüft, ob ein Ermessensfehler der Verwaltung deshalb vorliege, weil sie der im Urteil vom 2. Mai 1958 niedergelegten Rechtsauffassung über die Auslegung der Nr. 26 SVA 11 gefolgt ist; dies hat dag SG ebenso verneint, wie die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit schädigenden Einwirkungen in Sinne des § 1 BVG. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG aF erfüllt waren, hat das SG nicht behandelt. Mit der Berufung hat der Kläger vorgetragen, daß Ermessensfehler vorlägen, und eine ärztliche Bescheinigung über den ursächlichen Zusammenhang eingereicht. Hierin kann keine Beschränkung der Berufung auf einen Ermessensfehler bei der Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG gefunden werden, nach welcher die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen kann. Vielmehr ist - zumindest außerdem - das schon vor der Verwaltung geltend gemachte und auch im ersten Rechtszug erkennbare Verlangen aus § 40 Abs. 2 VerwVG Streitgegenstand der Berufungsinstanz gewesen. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das BSG - in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung (alte Fassung) - in ständiger Rechtsprechung (Fassung durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960) - nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Dieser Streitgegenstand stimmt mit dem nicht überein, über den im Urteil vom 2. Mai 1958 entschieden ist; denn damals ist - wie bereits dargelegt - über den ursächlichen Zusammenhang befunden worden. Deshalb konnte hier die Vorschrift des § 141 SGG nicht Platz greifen, und das LSG konnte in der Sache erneut entscheiden.
Nach § 40 Abs. 2 VerwVG hatte der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Erteilung eines neuen Bescheides (s. dazu BSG in SozR VerwVG § 40 Bl. Ca 4 Nr. 4). Er hat diesen Anspruch im Wege der verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG verfolgt (BSG 8, 7; 9, 193; Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGb, 2. Aufl. 6. Nachtr. § 54 Anm. 6b S. 169). Es ist ohne Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits, daß der Klüger die Klage als "Verpflichtungsklage". bezeichnet hat. Denn aus dem Gesamtvorbringen und auch aus dem Antrag der Berufungsschrift ist eindeutig ersichtlich, daß der Kläger - gestützt auf die Vorschrift des § 40 Abs. 2 VerwVG - die Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben hatte und im zweiten Rechtszug weiter verfolgt hat.
Das Begehren des Klägers ist nach den mit der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts auch begründet. Das LSG ist in seinem Urteil vom 2. Mai 1958 davon ausgegangen, ein Berichtigungsbescheid auf Grund der Nr. 26 der SVA 11 brauche nicht die strengen Voraussetzungen zu erfüllen, welche durch die Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 4 KBLG aufgestellt sind.
Diese Rechtsansicht trifft nach dem Urteil des BSG vom 15. November 1960 (abgedruckt SozR SVA 11 Allg. Bl. Ca 4 Nr. 8) nicht zu. Dort ist ausgeführt: "Nach Art. 30 Abs. 4 des Bayerischen KBLG und nach den gleichlautenden Vorschriften in den übrigen Ländern der amerikanischen Besatzungszone, denen die Nr. 26 der SVA Nr. 11 im Wortlaut entspricht, ist die Rücknahme eines Bescheides zuungunsten des Berechtigten möglich gewesen, wenn die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erwiesen haben". Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Bei diesem Urteil handelt es sich um eine "Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung" im Sinne des § 40 Abs. 2 VerwVG aF, weil sie nicht nur für den damals entschiedenen Einzelfall bedeutsam gewesen ist, sondern auch der Einheit und Fortentwicklung des Rechts gedient und für eine Anzahl ähnlich gelagerter Fälle eine Klärung gebracht hat (BSG 2, 129, 132 und BSG in SozR VerwVG § 40 Bl. Ca 1 Nr. 2).
Außerdem waren in dem Urteil des 10. Senats des BSG vom 10. Juni 1955 (BSG 1, 56, 60 - 61) die Voraussetzungen dargelegt, unter denen ein Berichtigungsbescheid nach Art. 30 Abs. 4 KBLG erteilt werden konnte; das Urteil hat darüber hinaus allgemein ausgeführt, daß die Berichtigung eines Bescheides, durch den Rente gewährt worden ist, eine Durchbrechung der Rechtskraft ist, und daß der Schutz der Rechtskraft dazu zwingt, Vorschriften, die eine Abänderung bindender Verwaltungsakte ermöglichen, nur in den engsten Grenzen anzuwenden. Damit hat das BSG - was das LSG in seiner Entscheidung vom 2. Mai 1958 verkannt hatte - dargelegt, daß diese Grundsätze nicht nur für Art. 30 Abs. 4 KBLG, sondern auch für die anderen Vorschriften über den Erlaß von Berichtigungsbescheiden bedeutsam sind. Der erkennende Senat hat sich mit Urteil vom 6. Februar 1958 (BSG 6, 288 ff, 291) dem Urteil des 10. Senats vom 10. Juni 1955 angeschlossen und hat seinerseits ausgeführt, daß die Erteilung eines Berichtigungsbescheides nur in den allerengsten Grenzen möglich ist. Das Urteil des erkennenden Senats, durch das sich eine ständige Rechtsprechung des BSG - im Sinne des § 40 Abs. 2 VerwVG nF - über die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Berichtigungsbescheides gebildet hat, ist zwar verkündet worden, bevor die Entscheidung des LSG vom 2. Mai 1958 ergangen ist. Dies allein schließt jedoch nicht aus, daß das BSG seine - mit dem LSG nicht übereinstimmende - Rechtsauffassung erst "nachträglich" im Sinne des § 40 Abs. 2 VerwVG a und nF vertreten hat. Der Rechtsgedanke, welcher in dieser Vorschrift zum Ausdruck gekommen ist, geht auf § 66 Abs. 1 Nr. 12 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 idF vom 2. November 1934 (RGBl I, 1113) zurück (vgl. die Amtl. Begründung zum VerwVG, Bundestagsdrucks. Nr. 4430, 1. Wahlperiode). Nach ihr konnte ein durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenes Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn das RVG in einer veröffentlichten grundsätzlichen Entscheidung nachträglich eine andere Rechtsauffassung aussprach als der Entscheidung zugrunde gelegen hatte. Es kam damals nicht auf den Zeitpunkt der Verkündung, sondern den der Veröffentlichung der Entscheidung an (RVG 5, 79 ff, 82). Obwohl der Wortlaut des § 40 Abs. 2 VerwVG hiermit nicht völlig übereinstimmt, muß doch bei der Auslegung des Wortlauts "nachträglich" an dem Grundgedanken der alten Regelung festgehalten werden. Denn § 40 Abs. 2 VerwVG gibt dem Berechtigten eine besondere Möglichkeit, die Durchbrechung der bindenden Wirkung eines Verwaltungsakts sowie der Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen durch die Erteilung eines neuen Bescheides - notfalls durch Klage - zu erzwingen. Da diese Befugnis an die Grundlagen der Rechtssicherheit rührt, muß sie sich in engen Grenzen halten. Sie ist deshalb in all den Fällen ausgeschlossen, in welchen die abweichende Rechtsauffassung des BSG in einem noch anhängigen Verfahren - sei es auch durch Einlegung eines Rechtsmittels - hätte geltend gemacht werden können. Insoweit ist auf den ähnlichen Gedanken zu verweisen, welcher in dem Anfechtungsbescheid des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG und in der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 SGG in Verbindung mit § 580 Nr. 7 ZPO zum Ausdruck gekommen ist. Andererseits gibt die Vorschrift des § 40 Abs. 2 VerwVG dem Berechtigten gegen bindende Verwaltungsakte und rechtskräftige Entscheidungen ein besonderes Angriffsmittel. Dieses kann nur dann wirksam werden, wenn seine Grundlage - die nachträglich vertretene Rechtsauffassung des BSG - dem Berechtigten bekannt ist. Dabei kommt es nicht allein darauf an, wann er von der abweichenden Rechtsauffassung des BSG tatsächlich Kenntnis erhalten hat. Vielmehr ist für das Tatbestandsmerkmal der "nachträglich" vertretenen abweichenden Rechtsauffassung des BSG im Sinne des § 40 Abs. 2 VerwVG das objektive Merkmal zugrunde zu legen, wann der Berechtigte sie hat erfahren können. Dies ist regelmäßig durch Veröffentlichung der für den Einzelfall maßgebenden Entscheidung des BSG möglich. Da vorliegend keine besonderen Umstände ersichtlich sind, kommt es darauf an, wann das Urteil des erkennenden Senats vom 6. Februar 1958 veröffentlicht worden ist. Dies ist im SozR (KBLG Art. 30 Bl. Ca 1 Nr. 2) in der Lieferung vom April 1958 geschehen. Jedoch ist hier nur der Leitsatz veröffentlicht worden. Dieser enthält aber nicht die wesentlichen Ausführungen, mit denen sich der Senat der Rechtsansicht des 10. Senats über die Erteilung eines Berichtigungsbescheides angeschlossen hatte. Sie waren erst dem Abdruck in der Entscheidungssammlung zu entnehmen, deren maßgebendes Heft im September 1958 ausgeliefert worden ist. Es kann unerörtert bleiben, daß vor diesem Zeitpunkt den Landessozialgerichten das Urteil vom 6. Februar 1958 durch Übersendung von Abdrucken bekanntgegeben worden ist. Denn jedenfalls war die Entscheidung auf diesem Wege den Kläger oder seinem Vertreter noch nicht bekannt, so daß sie sie in der mündlichen Verhandlung vom 2. Mai 1958 nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel benutzen konnten. Infolgedessen muß hier angenommen werden, daß die Rechtsauffassung des BSG über die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung von Berichtigungsbescheiden erst nachträglich, nämlich nach der Entscheidung vom 2. Mai 1958, durch eine "ständige" Rechtsprechung vertreten worden ist.
Da sonach die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG aF wie nF erfüllt sind, kann unerörtert bleiben, ob beide Fassungen oder welche von ihnen zu berücksichtigen sind.
Demgemäß hat der Kläger zu Recht geltend gemacht, daß die Entscheidung des LSG vom 2. Mai 1958 über die Bestätigung des Berichtigungsbescheides vom 21. Dezember 1949 mit der Rechtsauffassung des BSG nicht vereinbar ist. Nach § 40 Abs. 2 VerwVG mußte die Verwaltung dem Rechnung tragen und dem Kläger die ihm entzogenen Leistungen wiedergewähren, wenn sie nicht aus anderen Gründen als denen in Bescheid vom 21. Dezember 1949 einen neuen Berichtigungsbescheid hätte erlassen wollen und können. Hier ... aber hat das LSG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß das Krampfader- und Geschwürleiden mit einer Schädigung im Sinne der SVD 27 und des BVG ursächlich zusammenhängt. Dagegen sind begründete Revisionsrügen nicht erhoben, so daß das Revisionsgericht nach § 163 SGG hieran gebunden ist. Es steht hiernach bindend fest, daß die Anspruchsvoraussetzungen nach der SVD 27 und dem BVG für den Kläger erfüllt sind, so daß für eine Berichtigung des Bescheides vom 12. Juli 1948 kein Raum war. Deshalb erwies sich der Rechtsstreit als entscheidungsreif. Auf die Klage hat das LSG den Beklagten zu Recht zum Erlaß des beantragten Bescheides verurteilt. Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil im Ergebnis zutreffend, so daß die Revision des Beklagten zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen