Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung eines öffentlich-rechtlichen Ausgleichsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Rentenversicherungsträger anstelle einer zur Krankengeldzahlung verpflichteten Krankenkasse eine Barleistung erbracht, so steht ihm ein öffentlich-rechtlicher Ausgleichsanspruch zu.
Dieser Anspruch verjährt in entsprechender Anwendung des RVO § 223 Abs 1 in zwei Jahren nach dem Tag seiner Entstehung. Die Verjährung beginnt nicht schon mit der Entstehung des Krankengeldanspruchs, sondern erst in dem Zeitpunkt, in welchem der Rentenversicherungsträger die Leistung, zu der er nicht verpflichtet ist, erbringt.
Normenkette
RVO § 223 Abs. 1
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. Februar 1972 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verjährung eines Ersatzanspruchs.
Die Klägerin gewährte dem bei ihr versicherten Günter-Joachim H. wegen einer behandlungsbedürftigen Lungen-Tbc von 1960 bis 1965 Rehabilitationsleistungen. H., der auch Mitglied der Beklagten war, hatte von dieser bis September 1960 für 26 Wochen Krankengeld bezogen. In der Zeit vom 20. April bis zum 20. Mai 1962, vom 29. Juni bis zum 1. Juli 1962 und vom 16. April 1964 bis zum 26. April 1965 gewährte sie ihm ambulante Heilbehandlung, zahlte ihm jedoch kein Krankengeld. Die Klägerin gewährte ihm deshalb Übergangsgeld.
Mit Schreiben vom 30. November 1965 machte die Klägerin einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte geltend, weil diese verpflichtet gewesen sei, während der Zeit der Übergangsgeldzahlung Krankengeld zu gewähren. Die Beklagte lehnte die Forderung ab. Sie hielt sich nicht für leistungspflichtig.
Mit der am 2. Juli 1966 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgt. Die Beklagte hat demgegenüber auf ihrem Standpunkt beharrt und außerdem die Einrede der Verjährung erhoben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Februar 1967). Die Ersatzansprüche der Klägerin für 1962 hat es als verjährt angesehen. Für die Ansprüche aus späterer Zeit könne es dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt zur Leistung von Krankengeld verpflichtet gewesen sei; denn die Klägerin sei jedenfalls nicht berechtigt gewesen, Übergangsgeld zu zahlen, und könne daher keinen Ersatzanspruch erheben.
Auf die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 2. Februar 1972) die Beklagte zur Ersatzleistung für die Zeit vom 16. April 1964 bis zum 26. April 1965 verurteilt und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Den Ersatzansprüchen der Klägerin aus dem Jahre 1962 stehe der Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist entgegen, der auf die Einrede der Beklagten hin zu berücksichtigen sei. Die Ersatzforderung für 1964 und 1965 sei hingegen begründet, weil die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet gewesen und eine Verjährung noch nicht eingetreten sei. Die Klägerin habe ihre Ansprüche am 30. November 1965 geltend gemacht und damit die Verjährung unterbrochen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt eine unrichtige Anwendung der Rechtsgrundsätze über die Verjährung. Sie ist der Auffassung, daß die Verjährung erst durch die Erhebung der Klage unterbrochen werde. Die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs stehe der Klageerhebung nicht gleich, die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten müßten entsprechend § 209 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beurteilt werden. Da die Klägerin erst am 2. Juli 1966 Klage vor dem SG erhoben habe, seien ihre Erstattungsansprüche auch für die Zeit vom 16. April bis zum 1. Juli 1964 verjährt.
Die Beklagte beantragt:
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1. |
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Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. Februar 1972 - L 9 Kr 11/67 - wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin Ersatz für das an den Versicherten H gezahlte Übergangsgeld zu 1 leisten. |
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2. |
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Im Umfange der Aufhebung wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 1967 - S 72 Kr 74/66 - zurückgewiesen. |
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält den Ersatzanspruch ab 16. April 1964 für nicht verjährt, weil § 209 BGB weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar sei. Für die Verjährungsfristen zwischen den Versicherungsträgern müßten die gleichen Grundsätze Anwendung finden wie für die Verjährung von Ansprüchen von Versicherten gegen Versicherungsträger.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung Sache an das LSG. Zur Entscheidung des Rechtsstreits bedarf es noch der Feststellung von Tatsachen, die der Senat nicht selbst nachzuholen vermag.
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist H. in der Zeit vom 16. April 1964 bis zum 26. April 1965 auf Grund einer behandlungsbedürftigen Lungen-Tbc durch die Beklagte ambulant medizinisch versorgt worden. Da diese ihm zuvor nur für 26 Wochen Krankengeld gewährt hatte, auf Grund der ab 1. August 1961 geltenden gesetzlichen Regelung - § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) - aber verpflichtet war, für dieselbe Krankheit innerhalb von drei Jahren vom Tage der Arbeitsunfähigkeit an 78 Wochen Krankengeld zu zahlen, hätte die Beklagte ihm für den streitigen Zeitraum Krankengeld gewähren müssen (vgl. BSG 16, 117; 22, 115; SozR Nrn. 10 und 64 zu § 183 RVO).
Die Klägerin andererseits wäre nicht verpflichtet gewesen, H. für diese Zeit Übergangsgeld zu gewähren, dieser Anspruch ruhte gemäß § 21 a Abs. 6 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Diese Regelung ist eine für den Sonderfall der Tbc geschaffene Spezialnorm und verdrängt die sonst geltende allgemeine Vorschrift des § 183 Abs. 6 RVO (BSG 28, 214, 216; 217; SozR Nrn. 62 und 64 zu § 183 RVO). Diese sich aus den gesetzlichen Vorschriften ergebende Regelung wird nicht dadurch unanwendbar, daß die Klägerin tatsächlich Übergangsgeld gezahlt hat. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß es keiner Prüfung bedarf, ob die Klägerin das Übergangsgeld in der irrigen Annahme geleistet hat, hierzu verpflichtet zu sein (vgl. BSG 16, 151, 152), oder ob sie es lediglich zur einstweiligen Sicherstellung des Lebensunterhalts von H. gezahlt hat (SozR Nr. 62 zu § 183 RVO), weil der Klägerin in jedem Fall ein Anspruch auf Ersatz dafür zusteht, daß sie anstelle der Beklagten eine Leistung erbracht hat. Dabei ist es gleichgültig, ob die vom nichtverpflichteten Versicherungsträger gewährte Leistung die gleiche Bezeichnung trägt wie diejenige, die an sich hätte erbracht werden müssen (SozR Nr. 64 zu § 183 RVO). Dieser Ersatzanspruch der Klägerin ist auch im Grunde zwischen den Beteiligten in der Revisionsinstanz nicht mehr streitig; vielmehr geht es nur noch um die Verjährung dieses Anspruchs.
Welche rechtlichen Vorschriften für die Verjährung eines Anspruchs heranzuziehen sind, bestimmt sich nach der Natur des streitigen Anspruchs. Da der Ersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers darauf beruht, daß die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), obwohl von Rechts wegen dazu verpflichtet, dem Versicherten kein Krankengeld gezahlt hat, ist er diesem Leistungsanspruch zuzuordnen (vgl. SozR Nr. 21 zu § 29 RVO). Für die Verjährung kann daher nicht auf § 29 Abs. 3 RVO zurückgegriffen werden; der Ersatzanspruch verjährt vielmehr in entsprechender Anwendung des § 223 Abs. 1 RVO in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung (SozR Nr. 64 zu § 183 RVO). Wenn die Krankenkasse berechtigt ist, nach diesem Zeitraum dem Versicherten die Zahlung rückständiger Kassenleistungen zu verweigern, so kann einem anderen Versicherungsträger gegenüber für die entsprechende Leistung keine längere Verjährungsfrist gelten (vgl. Reichsversicherungsamt - RVA -, GE Nr. 5377 in AN 1940 II 249, 250).
Ob die Verjährungsfrist von zwei Jahren indes abgelaufen und infolgedessen die Beklagte zur Leistungsverweigerung berechtigt ist oder ob und ggf. durch welches Ereignis und zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist unterbrochen worden ist, vermag der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, da das angefochtene Urteil keine Feststellungen darüber enthält, wann sie begonnen hat. Das LSG ist offenbar davon ausgegangen, daß für den Beginn der Verjährung des Ersatzanspruchs jeweils von dem Zeitpunkt auszugehen sei, für den der Versicherte einen Krankengeldanspruch habe. Es hat dabei verkannt, daß der Ersatzanspruch der Klägerin zwar darauf beruht, daß die Beklagte den Krankengeldanspruch des Versicherten zu Unrecht nicht erfüllt hat, daß der Ersatzanspruch aber erst dadurch entstanden ist, daß die Klägerin anstelle der Beklagten eine Leistung (Übergangsgeld) erbracht hat, zu der sie nicht verpflichtet gewesen ist. Der Anspruch auf Ersatz steht der Klägerin nicht etwa als übergegangener Krankengeldanspruch des Versicherten zu; es handelt sich vielmehr um einen selbständigen Anspruch eigener Art, der als allgemein anerkanntes Rechtsinstitut dem Vermögensausgleich zwischen Trägern des öffentlichen Rechts dient (vgl. BSG 16, 151, 156 ff).
Für die Verjährung des Ersatzanspruchs kommt es daher auf die Feststellung des Zeitpunkts an, zu dem er entstanden ist; das braucht keineswegs der gleiche Zeitpunkt zu sein, für den der Versicherte Krankengeld zu beanspruchen hatte. Die Umstände des vorliegenden Falles legen vielmehr die Annahme nahe, daß die Klägerin die erste Zahlung des Übergangsgeldes (für die Zeit ab 16. April 1965) zu einem weit späteren Zeitpunkt geleistet hat. Erst nach Feststellung dieses für den Beginn der Verjährung maßgebenden Zeitpunkts läßt sich erkennen, ob im vorliegenden Fall eine Verjährung eingetreten ist und ob es auf die vom LSG für die Entscheidung als wesentlich erachtete Rechtsfrage überhaupt ankommt.
Auf die Revision der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen